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Die Prostituierten

Freiheit ist der ärgste politische Humbug, Menschenwürde die dümmste Illusion der Betrogenen, solange Schauspieler mit Preßfurcht auf die Welt kommen, die mehr als je von den Brettern bedeutet wird. In der Schrift »Ungeschminkt« von Heinrich Fischer heißt es:

Aber wie reell, wie menschlich und handgreiflich wirkt solche wirtschaftliche Bedrängnis neben jenem unfaßbaren kritischen Diktat, das in Berlin wie in keiner anderen Stadt der Welt dem Direktor, dem Regisseur, dem Schauspieler jeden seiner Schritte beklemmend vorschreibt. Ich habe einen Angsttraum gehabt, aber es war ein wahres Erlebnis: unmittelbar vor der Premiere von Wedekinds »Liebestrank« an unserem Theater, in jenem letzten unheimlichen Moment, bevor der Vorhang zum ersten Mal aufgeht, wenn auf der Bühne nur noch hier und dort geflüstert wird, der Inspizient sein »Bühne frei!« ruft und schon den Arm hebt, um den ersten Gongschlag zu geben, in diesem herzbeklemmenden Augenblick stürzt mit einem Mal der Darsteller des Fürsten Rogoschin, ein Riesenkerl von einem Menschen, ein Schauspieler von Namen und Rang ans Guckloch des Vorhangs, starrt eine Sekunde in den Zuschauerraum, ruft plötzlich mit kaum hörbarer Stimme aus: »Kerr!« – »lhering!«, fällt, indem er sich unter der Schminke verfärbt, in einen Sessel und erbricht sich, von unmenschlicher Aufregung geschüttelt, mitten auf der Bühne. Er hat Minos und Rhadamanthys ins Auge gesehen.

Was da dem Schauspieler beim Anblick des Kerr passiert ist, könnte gewiß auch anderen Berufsträgern, die sich in keinem Abhängigkeitsverhältnis zur Kritik befinden, zustoßen, und müßte also durchaus nicht auf die Empfindung der Furcht zurückzuführen sein. (Man erinnert sich doch, daß Liebermann einem Ungeduldigen, der sich nicht gleich erkennen wollte, zugerufen hat: »Wart'n Se nur, der wird noch zum Kotzen ähnlich!«) Die schauspielerische Natur ist aber besonders organisiert und am weitesten davon entfernt, dem Anblick mit jener gefaßten Heiterkeit gegenüberzustehen, die unsereinen vor jeder Indigestion bewahrt. Ich hätte sämtlichen Schauspielern Berlins gewünscht, in Moabit dabeigewesen zu sein, als ein schlichter Büttel dem Alpdruck ihrer Träume mit einem »Zurück in die Bank!« (auf der er gleichfalls einen Freiplatz hatte) zu imponieren wußte, und wie ihm nur noch gestattet war, hin und wieder gegen mich das Fäustchen zu erheben, wenn gerade der Titel »Schuft« zitiert wurde. Überhaupt hätten sie sich da, angesichts einer völlig privatisierten, bloß auf das Mündchen zugespitzten Preßgewalt, das Fürchten abgewöhnt. Da wäre ihnen gar nicht übel geworden, sondern wohl. Aber man hätte sie vermutlich nicht mit hundert Pferdekräften dazu gebracht, einem Schauspiel beizuwohnen, wo sie einmal nicht vor ihrem Richter standen, sondern diesen in totaler Zerlassenheit und mühsam zusammengehaltener Hampelmännlichkeit vor seinem Richter stehn sehen konnten, nämlich vor mir. Nein, sie kotzen lieber hinterm Guckloch. Bleiben in dem Zustand, den jene Schrift im weiteren beschreibt:

Eine fiebernde Nervenangst gibt schon im voraus die Schläge weiter, deren sie von dem Richtschwert der ungreifbaren, geltung- und gagebestimmenden Macht immer gewärtig ist. » Der Druckerherr ist sein Glaubensherr«, sagt Jean Paul. Er, Jean Paul, hat vor mehr als hundert Jahren schon das Phänomen der grenzenlosen Autoritätsgläubigkeit, die Künstler und Publikum dem Kritiker entgegenbringen, bestaunt und beschrieben: » Ein Rezensent«, schreibt er, » fälle ein mündliches Urteil, aber stark: jeder stellet ihm doch ein eigenes entgegen. Aber einem gedruckten widerstrebt der Mensch schwer; so sehr und so zauberisch bannt uns Dr. Fausts schwarze Kunst auf seinen Mantel oder in seinen Maguskreis. Diese Allmacht des Drucks liegt aber nicht nur in der Abwesenheit des aussprechenden Geistes – denn sonst hätte sie auch der Brief oder das Manuskript –, sondern teils in der dankbar gläubigen Erinnerung, das Höchste und Schönste von jeher nur auf dem Druckpapier gefunden zu haben, teils in der närrischen Schlußkette, daß der Druckredner, der zu allen spricht, desto unparteiischer zu jedem Einzelnen spreche und daß ihm deshalb zu trauen sei, vorzüglich, fügt man bei, da der Rezensent ja nichts davon hat, wenn er jemand umarbeitet ...«

Die Beschämung, diese Worte Jean Pauls nicht gekannt zu haben, weicht dem Stolz auf die Übereinstimmung in der Erkenntnis, wie die Welt durch schwarze Magie untergeht. Die Vervielfältigung der Einfalt, die Multiplikation der Frechheit, das ist es, was sie unwiderstehlich macht, das Unzulängliche zum Ereignis werden läßt, das Unbeschreibliche getan. Was, im Zimmer gesagt, den Hinauswurf sicherte, zwingt coram publico zur Unterwerfung. Und wenn auch jeder einzelne wüßte, daß er für Geld durch die nächste Druckerei den gleichen Zauber wirken kann. Ein einziges Exemplar der gedruckten Meinung, und wäre sie privatim als noch so schäbig und verächtlich erkannt, es genügt zum Respekt. Beim Anblick des eigenen Namens auf der Visitenkarte setzt dieser Hang ein. An ihm schmarotzt eine Zunft, die die Menschheit nicht mehr los wird. Und selbst ein publizistischer Fortschritt wie das Radio, geschaffen, den »Druckerherrn« zum Kinderspott zu machen, wird da nicht helfen, weil die Verwalter der Errungenschaft wie alle Menschheit die faszinierten und fasziierten Sklaven des gedruckten Wortes bleiben. Welch eine Entwicklung der Theaterdinge! Die hinter dem Guckloch vor Angst kotzen – und Ludwig Gabillon, der dem mächtigsten Kritiker vorgehalten hat, was ein Vorkämpfer der Fackel als das Wesen der vervielfältigten Nullität erkannt hatte:

14. August 1881

Ich weiß nicht, lieber Speidel, was Dich berechtigt, mich ohne allen Grund, auf ein vages, müßiges Geschwätz hin, lächerlich zu machen, mich öffentlich an den Pranger zu stellen. – Du hast nicht einen einzigen Gewährsmann, der von Rechts wegen mehr sagen könnte, als »ich glaube«, »man sagt«, »er möchte« – etc. Und darauf hin machst Du Dich in einem Weltblatt über mich lustig, überschüttest mich mit Hohn!

(Ein Tausendstel des täglichen 6-Uhr-Klatsches von heute: Gabillon habe den Ehrgeiz, Burgtheaterdirektor zu werden.)

Würdest Du mir das, was Du geschrieben, privatim unter vier Augen ins Gesicht sagen ? – Nein, gewiß nicht! Bülow sagt irgendwo: »Ein Kritiker läßt vor einer Million Menschen drucken, was er nicht einem einzigen anständigen Menschen ins Gesicht sagen dürfte.« Sollte dieser Herr recht haben?

Daß er recht hatte, weiß die ganze Theatermenschheit. Aber bis ins Innerste prostituiert, erduldet sie lieber die äußerste Schmach, ehe sie auch nur wagen würde, aus dem Schlaf zu sprechen, was einst, einmal und ein für allemal ein Mutiger mit offenen Augen niedergeschrieben hat.


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