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Ein Friedmensch

Wesen und Erfolg meiner polemischen Satire beruhen in dem Phänomen, daß der von ihr Betroffene fortlebt, um ihre Berechtigung zu erweisen. Wie alles von mir herausgearbeitet wurde, hält es ihn in der Bahn fest, verführt ihn zur Übertreibung, und der Unfug seiner ferneren Existenz erscheint nun auch solchen sinnfällig gemacht, die bis dahin nichts gemerkt und sich eher am Abbild als an der Natur gestoßen haben. Das von mir Umgebrachte ist also nicht tot, sondern bleibt in furchtbarer Scheinlebendigkeit den Blicken der Gegenwart ausgesetzt und zum Vollgenuß des Nachruhms lebenslänglich verurteilt. Was ich als Zitat der Wirklichkeit entnahm, schreitet jetzt an ihr als Zitat aus meinem Text vorbei, und was bis dahin meine Karikatur war, erscheint als natürliches Motiv in jene übernommen: ich erblicke rings Gestalten, deren Taten als Gedankenraub an meinem Bericht dessen Wahrhaftigkeit bezeugen. Daß zum Beispiel die Schalek, die doch längst eine Vorstellung geworden ist, in diesen unwiderruflich letzten Tagen der Menschheit nicht allein weiterschreiben, sondern auch durch das Radio sprechen kann, ist eine meiner glücklichsten Erfindungen dieses technisch unersättlichen Zeitalters. Vollends jedoch habe ich heute das Gefühl, daß der Alfred Kerr nichts mehr unternehmen kann, was ich ihm nicht eingeflüstert hätte. Denn er ist keineswegs in jener Epoche, wo er sich am ›Pan‹ verblutete und ich seinen Geist aufgab, abgestorben, sondern er lebt eben infolgedessen weiter, dank meinem Dasein und den Einfällen, die ich ihm verleihe und die ich freilich auf das niedrigste Niveau herunterschrauben muß, um sie als die seinen glaubhaft zu machen. Aber die Berliner Hinterbliebenen, welche die Geistverlassenschaft antreten, sind sich dessen kaum bewußt, daß diese Armseligkeit mein Werk ist und daß ihr Liebling, der ehedem mit der linken Hand ganz gewandte Arbeiten für Breslau und Königsberg verrichten konnte, ohne mein Hinzutun beiweitem kein solcher Mießnick wäre, wie es ihr Geschmack verlangt. Seit mein Auge auf dem deutschen Literaturleben ruht, nehmen sich seine Teilhaber so zusammen, daß die Flausen von selbst abfallen und alles, was da erscheint, auf den Kern der Wesenlosigkeit reduziert erscheint. Denn wenn ich es schon mit dem Weltkrieg gemeinsam habe, die Guten besser und die Schlechten schlechter zu machen, so haftet speziell den Literaturen, die unter dem Strich flanieren, kein Trug mehr an. Daß trotzdem noch immer Leser verlockt werden mitzugehen, gehört in das Kapitel meines zeitlichen Mißerfolges; aber neben der fortwirkenden Nichtswürdigkeit besteht doch ihr unverrückbares Konterfei, dessen Echtheit sie wirkend bezeugt und bestätigt.

Wie jener Kerr in einer seiner zufriedenen Reminiszenzen an die überstandenen Pariser Tage sich mit seinem Mitreisenden Thomas Mann auseinandersetzt, hat er ja vollständig recht:

III.

Nicht ohne Schnippischkeit, ei, ei, beschuldigt er mich aber doch des Wunsches, ihn zu töten. Töten wollen ist ein vorbeitreffendes Wort – wenn jemand seine ganz abweichende Gattung ausdrückt. Es gibt kritisierte Gestalten, die schlechter als Mann, und solche, die besser sind: ohne daß man bei der Wertung an ihren Tod dächte. Sie leben alle fort. –

Sie leben alle fort. Selbst wenn man ihnen gar nichts zufügt, sondern bloß wiederholt, was sie geschrieben haben. Dann sollten sie doch, möchte man meinen, kaputt sein; aber sie leben fort. Sogar der Selbstmord des Kerr, den ich an ihm vollzogen habe, indem ich seine Sätze über mich abdruckte, hatte keine andere unmittelbare Wirkung. Gleichwohl würde er sich, wenn er diesen Mißerfolg mit der Tragweite meiner Tat verwechseln wollte, so stark täuschen, daß die Mark Twain'sche Berichtigung auch in der Variante möglich wäre: die Meldung von seinem Fortleben sei stark übertrieben. Denn in Wahrheit beruht dieses auf der konsternierenden Tatsache, daß er mir seine Lebensrettung verdankt und kein Hund so länger leben möchte. Man vergegenwärtige sich nur das Gefühl eines Literaten, bei jedem Absatz einer asthmatischen Verrichtung, die er bis zu seinem Namenszug hinanklimmt, daran denken zu müssen, daß ihn kein Einfall mehr davor bewahren wird, keinen zu haben, da alle von mir vorweggenommen sind. Man stelle sich das vor: in meinem Spiritus konserviert, als Exemplar meiner Sammlung, nur mehr Forschungszwecken zu dienen, oder fortzuleben als Figur in meinem Panoptikum, und nicht einmal ausschließlich für Erwachsene, nein, auch Kindern zum warnenden Exempel! Benommen von diesem Mißbehagen, an der Entfaltung seiner Naturgaben gehindert, bleibt ihm nichts mehr übrig als nachzuschreiben, was ich ihm nachgeschrieben habe. So etwa brauchte ich nur die Ekelvorstellung, die ich von seiner Mundart hege, in das Bild zusammenzufassen, er sei

als Friedenstaube oder, um in seiner Sprache zu reden, als Friedenstäuberich, mit dem Ölzweig im Rosamündchen

in die Welt gesandt worden, und schon spricht er in seiner Polemik gegen Thomas Mann davon, daß

zwei deutsche Schriftsteller als Friedenstäuberiche

nach Frankreich gingen, daß aber »die Erörterung zwischen den zwei Ölzweigträgern« nicht von ihm stamme. Ohne Zweifel stammt jedoch das, was er in meiner Erörterung, wenngleich ohne »ei, ei«, gefunden hat, von ihm und er mußte sie gar nicht einmal gelesen haben, um an sich zu nehmen, was, ihm zugehört.

Daß er sie aber gelesen hat, beweist ein Feuilleton, betitelt »Erinnerung an Paris«, welches – für den, der an Ort und Stelle sich über das Erlebnis des Herrn Kerr Vergewisserung holen konnte – von einer Schamfreiheit zeugt, die die Physiognomie des Verfassers nunmehr zu voller Geltung kommen läßt. Denn mit dem Mündchen, das solche Version über Kriegsschuld und Pariser Frieden zu verbreiten wagt, erscheint auch die Stirn von jener Haarhaube entblößt, die lange Zeit die letzte publizistische Hemmung des Losen gebildet hat. Selbst ein Pavian, der doch nichts zu tun unterläßt, was sein Prestige vermindern könnte, würde so rasiert nicht unter Leute gehn und hat eine Stelle, wo er noch errötet, wenngleich er bedenkenlos genug ist, auch diese vorzuzeigen. Herr Alfred Kerr jedoch ist von altersher eine Schelmenhaut, nie verlegen, sich mit Schnickschnack und kleinen Sentiments coram publico zu produzieren, er hat von Heine gelernt, mit der tränenfeuchten Wimper zu klimpern, und ist aus Nietzsches Kurs ein Tänzerich. Er war heiter in ernster Zeit, und er wird gefühlsduselig, wenn er an Paris denkt, wo er als Friedensfreund auftreten konnte, »wo der Weltenwahnsinn für eine Schar von Menschen zehn Tage lang, zehn Tage lang wich«; wo Herr Gemier ihn als Missionär der Völkerliebe hochleben ließ, »kurz: wo das Mittelalter, für eine Gruppe bewußter Gefährten auf diesem Stern, schwand und schwieg – zehn Tage lang, zehn Tage lang«. Er wird nach den Strapazen dieser Reise und wiewohl der letzte der zehn Tage schon wieder mittelalterlich umflort war, nicht müde es zu wiederholen und notiert, mit der ausgeborgten einsamen Träne, die ihm ja den Blick trübt, und mit den originalen Klammern, die ihm das Herz bedrücken.

(Hinterdrein kam bei uns die Parole, den guten Vorgang zu schmälern. Landesbrauch. Also die heitere Bestätigung.)

Dennoch und wenn die Welt voll Teufel wär':

II.

Die zehn Tage waren das Herrlichste mit, was ich auf meiner verwunderlichen irdischen Bahn erlebt.

Einmal muß, muß, muß – ohne Kümmernis um Unken und Hyänen – ein Dank an die Freunde gesandt sein, die dazu gehört haben; die es mitempfanden; die mir nahe bleiben, bis zum letzten Tag.

Und alles das hat mit Politik nichts zu tun.

Aber die böse Welt, ihrerseits ohne Kümmernis um Quallen und Mausis, will es anders, stört dem an die Menschheit angeschlossenen Vertreter Deutschlands den Pariser Frieden, und er muß ihr die Wahrheit sagen, klipp und klar, ohne Umschweiferl:

Daß zu »Feinden« (die es nicht sind, wie ich es nicht bin), daß zu Friedmenschen in ihrer Sprache geredet wurde, stempelt man zu einem Unrecht – mit Unrecht.

Das sitzt. Die Sprache ist eben »ein Verständigungsmittel«, aber »kein mystisches Prinzip«. Und das Leben (wenn es sonst einem Kinderhemd gleichen mag) ist kurz wie ein numerierter Absatz von Kerr.

... Soll man sich da Zwang antun? Das Wort nicht simpel handhaben für eine Klärung; für das Ende des Bestialischen; für den Tod überalterter Schmierigkeit?

Man soll sich absolut keinen Zwang antun und vom Bestialischen wie von der überalterten Schmierigkeit, deren Vorkämpfer man in größerer Zeit war, bis zur Selbstverleugnung abrücken. Doch wenngleich die Sprache das Verständigungsmittel der Commis voyageurs und das mystische Prinzip der Dichter ist, so hat sie bei Herrn Kerr nicht einmal erstbesagte Funktion und wir erfahren deshalb nicht, ob es mehr im Sinn der Völkervereinigung läge, daß die Deutschen mit den Franzosen fortan französisch oder daß die Franzosen mit den Deutschen deutsch reden. Vielleicht wäre es eine noch größere Errungenschaft, wenn im Gebiet des früheren Feindes die eigene Sprache zur Geltung käme, und für den größten Erfolg erachte ich es, wenn ich, der ich an der Sorbonne nicht französisch gesprochen habe, sogar in der Heimat und speziell mit Herrn Kerr deutsch rede. Denn selbst Richard III., der doch an Bestialischem Erkleckliches geleistet hat, würde nicht die frische Schmierigkeit aufbringen, hinterdrein zu fragen, ob je in solcher Laun' die Friedensgöttin gefreit ward. Während hingegen, da nun unsre Brauen Siegeskränze zieren und die schart'gen Waffen als Trophä'n hängen, Alfred (IV.) wie folgt seine heroische Epoche abschließt:

Laßt sie schelten, laßt sie scheelen. Zehn Tage lang währt ein wacher Augenblick dieser schlafenden Welt. Du hast ihn erlebt. Man klimmt hernach besänftigter in die Urne.

Und alles das hat mit Politik nichts zu tun.

Klimrnst denn nicht! Aber nein, er tut noch den letzten Seufzer, dem weitere sechzehn folgen:

V.

Wie lange noch sind Künstler und Politiker getrennt? –

Und hat eine Vision:

Mir war: als säh' ich in der ganzen Welt zwei große Auto-Wagen mit je zwei Stockwerken. Sie möchten zueinander.

Mir ist: als säh' ich dies nicht zu einer Vereinigung, sondern zu einem Zusammenstoß führen und als wäre die Vision total verhatscht. Doch Kerr – auf Seher soll man sagen – sieht in jedem der beiden Autobusse »obendrauf die Künstler, die Willigen«, unten dagegen hausen die Staatsmänner oder »die Portefölchkletten«, wie er sie in seiner quicken Laune benennt. Die Künstler möchten zu einander. Unten aber »wird gebremst« – wenn wir, »die Arme hissend, liebreich entern möchten«.

Das ist der tragische Humor.

Bemerkt der Visionär in einer separaten Zeile, die schon von unserm Salten sein könnte, nicht ahnend, wie recht er hat, nicht bedenkend, daß die Bremser offenbar den Zusammenstoß, den die Künstler wollen, zu verhindern suchen.

Ja, wir oben sind heut' einig. Was uns betrifft: so wäre der ewige Streitfall aus. Doch die Chauffeurmannschaft besorgt immer noch die Weltgeschichte. Wann werden Künstler zu Chauffeuren?

Wenn sie aufhören, Chammer zu sein, die den Wunsch haben, daß zwei vollbesetzte Autowagen auf einander losfahren. Er hätte, wenn er schon zu Autobussen aufgelegt ist, erzählen müssen, ihm sei gewesen, als wollten die Künstler hüben und drüben aussteigen, um einander (nach langer Trennung durch Kriegsgedichte) in die gehissten Arme zu fallen, die Staatsmänner aber wollen nicht bremsen, so daß, wenn sich nicht einer von jenen ins Mittel legt, unfehlbar eine Katastrophe da ist. Ich bin es, der bremst, wenn zwei Vergleichssphären in einem mießen Bild zusammenstoßen könnten. Aber Herr Kerr, von dem ich mich nicht chauffieren ließe, selbst wenn meine Tante Räder hätte, wirkt weiter an der Vision, ohne zu merken, in welche Gefahr er sich begibt:

VII.

Seht hin. Sogar auf dem Verdeck regte sich (bis vor kurzem) Feindschaft, Widerstand, Argwohn ... von einem Weltomnibus wider den andern. Das ist erst jetzt vorbei.

Seit Paris. »Jetzt wissen die Geistigen dort«, daß auch in Berlin Geistige sind.

Wir können bloß die Stimmung heben. Wir können bloß ein Quäntchen davon durch die Luft jagen. Wir können bloß vorbereiten. Wir haben es versucht. Wir haben es gekonnt. Das Bewußtsein hiervon ist ein Lebensglück.

Er ist »kein Sachlichkeitsheuchler«, er »beichtet die vielleicht eitle Lust«: daß man in den Menschen dort »etwas wecken konnte«. Brechreiz? Nein, Zusammengehörigkeitsgefühl:

daß alles aufeinander einging vom ersten Augenblick bis zum letzten; und daß manche Worte, die dort erschollen, mir ein Besitz für immer sind.

»Jenseits von amtlichen Ehrungen« – die mag ein anderer zusammenstellen. (Immerhin, mit schlichter Rührung, beiseite:)

Sie waren übrigens von einer nicht gewöhnlichen Anmut.

Und nun beginnt er den Staatsmännern, denen er dank seiner pazifistischen Mission begegnet ist, hineinzukriechen, bloß »als Privatgeschöpfen«, wiewohl sie auch als Politiker nicht zu der Chauffeurmannschaft gehören, die durch rechtzeitiges Bremsen so viel Unheil anrichtet. Denn es sind Ausnahmen, Politiker, mit denen sich reden läßt, wenn man ihnen vorgestellt wird. Schuld an seinen Kriegsgedichten war Poincare; aber Painleve soll wissen, was er für ein Ausbund von einem Friedmenschen ist. Und Paul Clemenceau. Und natürlich Berthelot. Und auch Daladier. Und überhaupt alle, die sich da auf der »Insel in der See des Weltenwahns« ausgerechnet um Herrn Kerr geschart haben. Über alle und alles aber geht ihm der Herr Gemier, dessen Regie – eine in Paris verlachte Reinhardt-Kopie – es vermocht hat, ihn den Staatsmännern und Gelehrten als deutschen Pazifisten vorstellig zu machen. Er will – »ganz unzimperlich gesprochen« – durchaus nicht die Freude darüber verhehlen:

wie ich vernahm (Menschen san m'r alle), daß etliches aus meiner Arbeit in französischen Dissertationen Platz gefunden hat. Soll man das Gedenken daran züchtig leugnen?

Nicht doch. Obschon diese Arbeit, im Wesentlichen aus Interjektionen bestehend, leichter zu übersetzen sein dürfte als meine fester gefügten Perioden. Darum habe ich es auch vorgezogen, die Szene »Kerr am Schreibtisch« den Zuhörern an der Sorbonne aus dem Original vorzulesen, und es geschah mit einer Wirkung, welche sogar die französische Rede des Herrn Kerr an der gleichen Stätte übertroffen haben soll. Er ist aber im siebenten Himmel und im XIV. Absatz, wenn er an alles zurückdenkt und insbesondere konstatiert, daß auch der Empfang durch die ›Comoedia‹ eine Insel in der See des Weltenwahns war, wenngleich das Essen auf ihr abgesagt wurde.

– Es ist, als ob Menschen, die bald auseinandergerissen werden

(durch die Vorsicht von Chauffeuren)

sich für einen Augenblick vernünftige Worte sagen dürfen, dürfen, dürfen.

Sie mußten es dreimal sagen, weil sie es sonst vielleicht doch, nicht kapiert hätten.

Sie wissen, daß die Welt im Argen liegt – und daß hier ein Versuch zur Lösung, zur Erlösung wittert ... jenseits von Politik.

Der deutsche Gesandte – Herr Kerr ehrt ihn schlicht mit der Bezeichnung »der Tischnachbar Hoesch« – kapiert natürlich sofort; er »zählt für uns Künstler« zu den Wertvollen, »weil er etwas von unserem Saft in seinen Adern führt«, während wir etwas von seinem Saft, den bekannten fabelhaften Weinen der Deutschen Gesandtschaft, übernehmen. Und aus dieser angeregten Stimmung heraus beurteilt Herr Kerr auch jenen Abend, wo französische Greise »auf das Podium geklettert« sind, um ihm zu lauschen, als er »über die Möglichkeit, entrohenden und entdummenden Einfluß durch die Kunst zu üben, sprach«.

Es war ein köstliches Einvernehmen; eine brausende Harmonie.

Die leider gestört wurde, als auf dem Podium auch serbische Jünglinge sich zeigten. Das ficht aber einen alten Kriegslyriker nicht an:

Drollig, daß (meist in deutschen Provinzblättern) der Versuch zweier serbischer Studentlein, zu stören, mit einem gewissen Ernst dargestellt worden ist. Sie erklärten mich für den Verfasser gereimten Blödsinns, den ich nie geschrieben.

Es gelang für den Augenblick, dies glaubhaft zu machen, ohne umständlich sagen zu müssen, welchen gereimten Blödsinn man eigentlich geschrieben habe, und so mußte denn Serbiens Widerstand sterbien, nicht ohne sich sofort umzugruppieren und dem Applaus loyal anzuschließen.

So heitere Fälle sind nicht hoffnungslos.

Und nachdem er noch

– mag auch die Erwähnung hier beinah taktwidrig scheinen –

»gern an etliche schöne Stunden bei Paul Block«, dem Korrespondenten des Berliner Tageblatts, gedacht hat, zugleich aber »an die Unverwüstlichkeit meines Freundes Joseph Chapiro« – von der auch wir hierzulande ein Lied zu singen wissen – fährt er fort, nämlich aus Paris und zu

XIX.

Ein Blättchen sei erwähnt, weil es in den Fälschungen hemmungsloser ist als der Provinzdurchschnitt. Der kleine Kraus in Wien, dessen schlechtes Deutsch auch durch Wut nicht zu erklären bleibt, gibt ungeschickt Erfundenes – zum Kugeln. Er serviert mittendrin einen höchst kriegsfeindlichen Aufsatz (aus der »Neuen Rundschau«!) als einen kriegshetzenden ... Ganz spaßlos-dumm. Oder: er druckt ein Kriegsgedicht über die »Masurischen Seen« (das nicht nur grausam, sondern grausam schlecht ist) und schwindelt einfach, es sei von mir. Ich hab's nie gesehn.

Unlängst schrieb ich hier, daß »Karlchen Kraus die verbitterte Lustigkeit eines Dorfkrüppels irrig als Rechtsgefühl ausbietet.« Aber deshalb ein Gedicht zu nennen, das ich nie verfaßt – und eins nicht zu nennen, das ich verfaßt (es heißt: » Die schale Haut«), das ist anheimelnd. Man muß ihn wieder mal vornehmen.

Aber was sich da der Herr Kerr in Überschätzung seiner geistigen und sittlichen Kräfte vornimmt, garantiert ihm das Mißlingen. Ich habe ja schon mit weit mehr Mausis in meinem Leben zu tun gehabt als ich Speck hatte, sie zu versorgen. Doch mit solch einem Friedmausi hatte ich es noch nicht zu tun. Was aber die Lausis betrifft, so ist es eine alte Erfahrung, daß je größer und zäher sie sind, umso prompter das »Blättchen« auftaucht, zu dem ihnen die Fackel einschrumpft, die gleichwohl Raum für sie alle bietet. Dies, und der kleine Kraus in Wien, und sein schlechtes Deutsch, und alles was den Kerr sonst »zum Kugeln« bringt, sobald ich ihn drehe – ist es nicht die Grundform journalistischer Wertberotzung, unermüdlicher Leserermüdung, überzeugten Mißbrauchs von Druckerschwärze, den die bewußte Wahrheitswidrigkeit als letzten Trumpf der Ohnmacht ausspielt? Ließe sich ein krasserer Fall von Selbstlosigkeit feststellen als der Versuch der leibhaftigen Wut, mir, der ich doch jedem Tierchen mein Pläsierchen danke und dem lieben Gott, daß er den Kerr erschaffen en hat, mir, dem immer Angeregten, eben die Regung nachzusagen, an der meine Widersacher zugrundegehen, nachdem sie mein Dasein entmannt hat? Und bestürzt frage ich: wirke ich denn schon so zerstörend, daß einem solchen in der Polemik gegen mich nur die Dummheit einfällt, es könnte einen Trottel geben, der ihm glaubt, ich schriebe ein schlechteres Deutsch als Herr Kerr, der doch überhaupt kein Deutsch schreibt? Und gibt es einen, dem so ein numeriertes Häuferl von Dreck, solche zum Kugeln bestimmte Ausscheidung von Geistlosigkeit wirklich als Kraftprobe gegen mich genügte? Und kann Vermessenheit der Selbstvergessenheit so weit reichen, daß ein erwischter Schwindler wähnt sich herauszuhauen, indem er mich des Schwindels bezichtigt? Auch nur vor den Tröpfen, die ihn mit der Gedankenlosigkeit lesen, zu der er sie angeregt hat? Wann ersteht mir endlich der Widerpart, der, nicht schon durch den Mut gegen mich geschwächt, beim Anlauf nicht unter das Niveau seines dümmsten Publikums hinuntertölpelt? Wenn ich mir jedoch eine Auto-Vision erlauben darf, so sehe ich auf der Landstraße eine Gesellschaft, die auseinanderstiebt, aber einen unter sich hat, der sich in outrierten Gebärden, zuerst des Mutes und dann des Schreckens, nicht genugtun kann: er stellt sich in den Weg, um im letzten Moment mit einem hochkomischen Schrei zur Seite zu springen. Es ist der unverwüstliche Humorist der Truppe, der den Mittrotteln um des glücklichen Einfalls willen, den er vor jedem Auto produziert, heitere Anerkennung abringt. Herr Kerr, der schließlich unter den deutschen Tagschreibern nicht der dümmste ist, übernimmt sich und spielt den Kretin. Aber es widerfährt ihm, daß die Umgebung nicht mehr mittut, er kann sie nicht davon überzeugen, daß ihm gar so spaßhaft zu Mute sei und daß ich ihn nicht in Gefahr brächte. Denn wer – außer dem deutschen Koofmichel, der überhaupt von mir noch nie etwas gehört hat und darum gar nicht weiß, was er sich unter dem »kleinen Kraus« vorstellen soll – wer wird glauben, daß ein so witzloser Geselle wie dieser Kerr, und kraft solcher Leistung, es mit mir aufnehmen könnte und mit solchen Sprüngen auch nur einen Fuß breit von dem Pranger käme, an den ich ihn gestellt habe? Und ausgerechnet mit mir werden dem Herrn Kerr die Kokolores, wie man in Berlin W. C. sagt, gelingen, mit denen er sich aus der Pariser Klemme befreien konnte! Er hat das Glück gehabt, auf einen schlecht informierten Serben zu stoßen statt auf einen gut informierten Rumänen, aber er hat das Pech gehabt, daß der Irrtum über den antiserbischen Blödsinn die Wahrheit seiner eigensten blutrünstigen Idiotismen gefördert hat. Er ahnte nicht, daß sein Glück auch das Glück jener war, die nun erst Gelegenheit hatten, ihn zu fragen, was er denn eigentlich während des Krieges geschrieben habe, und die freche Farce dieses pazifistischen Gastspiels zu enthüllen. Wäre ihm das kleine Malheur, mit dem er im Handumdrehn fertig werden konnte, nicht zugestoßen, so hätte sein Unterfangen, in Paris als Völkerverbrüderer aufzutreten, an Format und Beträchtlichkeit eingebüßt. Man hätte vielleicht ein Reuebekenntnis, das vorausgegangen war, angenommen, weil man ja ohne ein solches die Unbefangenheit des Humanitätsdebüts kaum begriffen hätte. Erst die Entrüstung, mit der er den gegenständlichen Irrtum zurückwies, als ob ihm überhaupt nie dergleichen in den Sinn gekommen wäre, erst der Protest, der ein Geständnis vermied, erst seine Wahrheit, welche seine Lüge offenbar machte, hat den Fall zum Range der Sensation erhoben. In Paris konnte ich die Versicherung hören, daß noch nie auf einem Gesicht ein solcher Wechsel von Leichenblässe und Lebensfrische zu bemerken war wie damals, als Bankos Geist erschien, um mit einer falschen Anklage abzuziehen. (In bärtigen Zeiten wäre es nicht so aufgefallen.) Aber ich konnte auch erfahren, daß analog der Wiederbelebung des Herrn Kerr ein Aufatmen durch die Kreise der Pariser Kultur gegangen ist, als er selbst von dannen zog. Denn wenngleich der Abend gerettet war, so wußte man doch, daß etwas nicht stimmte, und wer nicht inzwischen über die Kriegstaten des Friedmenschen sich informiert hatte, glaubte jetzt, daß er mindestens der Autor der ihm angedichteten Verse sei. Sein Gedächtnis mag bloß der rosigen Wendung des Erlebnisses nachhängen und den Mißgriff des Serben zu einem zehn Tage langen Fest der Menschlichkeit prolongieren – den Mißgriff der Einladung hat man in Paris gefühlt und war froh, als der Täuberich abgeflogen war. Nun glaubt er, mit der gleichen Sicherheit wie vor einem Serben auch vor mir bestehen zu können und mir unvernünftige Worte sagen zu dürfen, dürfen, dürfen. Aber ich muß, muß, muß ihm antworten, daß er da kein Glück haben und daß sich das Pech, welches er mit der Ableugnung eines ihm zugeschriebenen Blödsinns hatte, nur in größerem Maßstab wiederholen wird.

Also ich nehme ohneweiters an, daß er nicht lügt und so wenig, wie er Serbien sterbien ließ, die bestialische Freude über den Ertrinkungstod der Russen in Scherzreime für Berliner Zeitungsleser gebracht hat. Aber wie ist es denn nur möglich, daß ich da »einfach schwindle« und Herrn Kerr einer solchen Schandtat für fähig hielt? Gedichte, die »nicht nur grausam, sondern grausam schlecht« sind, hat er doch während des Krieges überhaupt nicht geschrieben? Wie komme ich nur auf die Idee? So sei denn, damit meine hemmungslosen Fälschungen, meine ungeschickte Erfindung und mein einfacher Schwindel für alle Zeiten zu klarer Übersicht festgestellt seien, zunächst alles das verzeichnet, was während des Krieges und lange vor dem Pariser Frieden von Herrn Kerr als sein bisher unbestrittenes, wenngleich noch nicht fatiertes geistiges Gut erschaffen und in der Fackel bereits dargeboten wurde.

Den Rumänen hat er, als die Chauffeurmannschaft des Deutschen Reiches in ihre Region und dem Künstlerwillen entgegen bremste, bekanntlich das Folgende gewidmet:

In den klainsten Winkelescu
Fiel ein Russen-Trinkgeldescu,
Fraidig arten wir Verratul –
Politescu schnappen Drahtul.

Alle Velker staunerul,
San me große Gaunerul.
Ungarn, Siebenbürginescu
Mechten wir erwürginescu.

Gebrüllescu voll Triumphul
Mitten im Korruptul-Sumpful
In der Hauptstadt Bukurescht,
Wo sich kainer Fiße wäscht.

Leider kriegen wir die Paitsche
Vun Bulgaren und vun Daitsche;
Zogen flink-flink in Dobrudschul,
Feste Tutrakan ist futschul!

Aigentlich sind wir, waiß Gottul
Dann heraingefallne Trottul,
Haite noch auf stolzem Roßcu,
Morgens eins auf dem Poposcu!«

Am Unterseebootkrieg hat er sich mit der Unappetitlichkeit beteiligt, die er »Pupillarische Sicherheit« benannte:

Wir lachen, wenn der Feind uns droht
mit Hungertod.
Uns nährt (und bläht) Kartoffelbrot.

Wir essens, wir gedenken auch
Sir Edward Grey's – mit manchem Hauch.
Der Donner rollt wie Sturm auf See
Und grollt den Namen Edward Grey.

(Doch mancher Hauch sagt flüsternd still:
Churchill! Churchill!)

Den Einfall der Russen suchte er durch den folgenden Einfall zu paralysieren:

Ist Dein Land, Imanuel Kant,
von den Skythen überrannt?
Mit Gestank und mit Gelärme
stapfen stumpfe Steppenschwärme.
Hunde drangen in das Haus –
Peitscht sie raus !
Rächet Insterburg, Gumbinnen
Und vertobakt sie von hinnen.
Peitschet, das ist Menschenruhrn,
Knutentum, Knotentum.
Reiter, Fußvolk, Rosseschwänze,
Peitscht sie rückwärts an die Grenze.
Sollen über Schmalleninken
In die edle Heimat hinken.
Bei Kraupischken und Pillkallen
Stallupönen und Wirballen
Über ihre Haxen fallen
Dürfen uns nicht unterkriegen –
Peitscht sie, daß die Lappen fliegen.
Zarendreck, Barbarendreck
Peitscht sie weg! Peitscht sie weg!

Man wird zugeben, daß von da bis zu dem Wunsche, der Geschmack des Wassers möge sie nicht überraschen, »wenn sie in die Seen Masurens versinken«, nicht mehr so weit ist, daß man dem, der ihn dem Herrn Kerr zugetraut hat, nicht bloß einen Irrtum, sondern einen Schwindel zur Last legen müßte. Aber alle Nationen mit einem Bruderkuß umschlingend, hat er gedichtet:

Heiliges Rußland wenn es doch gelänge
Und du kriegtest die verdiente Senge.
Logisches Vernunftgebot –
Scharfe Dresche tut dir not.
Möge dann dein Volk mit Nutzen
Ungehindert revoluzzen.

Weises England! deine Mörser müßten
Platzen – fern von unsren Küsten.
Hoher See bewegter Gang
Mach' dich katzenjammerkrank.
Wünsche dir mit letzter Suada
Alle Freuden der Armada.

Edles Frankreich! wurdest überstimmt,
Wenn der Knutusoff die Zügel nimmt ...
Allen Führern bei der Deutschlandhetze
Wünsch ich Bandwurm, Hühneraugen, Krätze,
Zur Ernährung schimmelfeuchtes Stroh –
Und noch Rheumatismus im Popo.

»Es geht nicht«, schloß Herr Kerr diesen X. Absatz eines »höchst kriegsfeindlichen Aufsatzes« in der ›Neuen Rundschau‹, der offenbar die Grundlage seines Glaubens gebildet hat, daß es speziell im edlen Frankreich gehen werde. Diesen höchst kriegsfeindlichen Aufsatz, den er mit starker Übertreibung »Aus dem Kriegsbuch eines Hirnwesens« nannte, habe ich, Schwindler der ich bin, »als einen kriegshetzenden serviert« (wiewohl ich doch nur dessen Verse zitiert habe). Hier wird der Versuch einer Blödmacherei unternommen, der vielleicht an Lesern gelingen könnte, welche Anlage haben oder durch Kerr-Lektüre empfänglich sind, mich jedoch keineswegs aus dem Gleichgewicht meines Schwindels bringen wird. »Ganz spaßlos-dumm« behaupte ich nunmehr ausdrücklich, daß der Kriegsfeind ein Kriegshetzer war. Die Kriegsfeindlichkeit besteht nämlich darin, daß der Herr Kerr, wie alle deutschen Patrioten, denen der tägliche Sieg nicht das tägliche Brot ersetzen konnte, froh gewesen wäre, wenn die Sache bald ein siegreiches Ende gehabt hätte, daß er aber nicht kriegsmüde genug war, um nicht gegen die Völker zu hetzen, die nach vorschriftsmäßiger Überzeugung angefangen hatten. Der Begriffsmogler tut so, als hätte man ihm vorgeworfen, daß er den Krieg um des Krieges willen gewollt habe; das ist ihm natürlich nicht eingefallen, für die andern Nationen war er schon ab 1914 Defaitist. Natürlich war er »gegen den Krieg« und eine Premiere bei Reinhardt war ihm ohne Zweifel lieber, selbst wenn er zur persönlichen Teilnahme an dem andern Ereignis definitiv uneingeladen blieb. Er hatte sich angeboten: »Landsturm mit Waffe.« Denn er hatte sich gesagt:

Sie sollen nicht.

Und:

... Die Hunde.

Er hat – in jenem Kriegsbuch eines Hirnwesens – notiert (und zwar sechstens):

Aus dem Schlaf erwacht; gepeitscht von dem Bewußtsein, daß die Engländer Togo besetzen ...

Sie sollen nicht. Er hat sich gemeldet. Doch auch ein zweites Gesuch wird abgewiesen. Er will darin von seiner »mittleren Schießfähigkeit« sprechen, »im Kahn und im Walde zur Not bewährt«. Schreibt aber »den Satz nicht hin. Menschenköpfe.«

Setze dafür die Mitteilung, daß ich Französisch wie ein Franzose sprechen und schreiben kann.

Aber das Regimentsbüro dachte, das werde ihm nach dem Krieg zugutekommen, und wies ihn an: »das Aufgebot abzuwarten«. Es kam nicht dazu. Das Vaterland erkannte die Unabkömmlichkeit. Unerträglich.

22.

Und wie dem dreimal sei: zu Hause stirbt man und erstickt, wenn sie einen nicht mitnehmen.
Wir wollen kämpfen: für Deutschland ...

Und zwar bis zum letzten Hauch von Mann und Roß? Nein:

23.

Wir treten hin, Mann für Mann, fest in dem Schwur:
Wir wollen helfen bis zum letzten Hemde; bis zum letzten Fingernagel; bis zum letzten Wurf Speichel ...

Und noch einmal (24.):

... bis zum letzten Hemde; bis zum letzten Knochen; bis zum letzten Hohnwort. Die Seelen zittern. Es gibt nur einen Herzschlag in dieser Stunde: Deutschland, Deutschland über alles.

Ich halte das letzte Hohnwort noch zurück. Aber wenn das Mündchen noch einmal aufgetan wird, so bin ich imstand und drucke den ganzen höchst kriegsfeindlichen Aufsatz ab (aus der ›Neuen Rundschau‹! September 1914!) in seiner ganzen katastrophalen Komik. Nein, er hat nicht zum Krieg, er hat nur zum Sieg gehetzt und alle die Mächte mit Couplets befehdet, denen er schuld gab, daß sein unschuldiges Vaterland nicht zum Gewaltfrieden gelangen konnte. Vermutlich wäre sogar Ludendorff schon im Herbst 1914 einem solchen nicht abgeneigt gewesen; doch ganz gewiß hat es diesem besser als dem Romain Rolland gefallen, wie die Parole »ernst, aber zuversichtlich« in dem Kriegsbuch eines Hirnwesens zu gereimtem Ausdruck kam:

Eins ist klar – wie es auch kommt:
Wir arbeiten prompt.
Eins ist klar: wir arbeiten stramm
Nach dem Programm.
Eins erkennt man deutlichen Blicks:
Wir arbeiten fix.
Diese Handlungsweise ist sehr zu billigen,
Denn die Feinde wollen uns vertilligen ...

Wie kommen nur solche Verse in einen höchst kriegsfeindlichen Aufsatz? Und wie bin ich, von aller Zuversicht im Herzen und von allem Rheumatismus im Popo der Feinde abgesehen, nur darauf verfallen, dem Friedmenschen ausgerechnet einen Wunsch wie den masurischen anzudichten? Nun, ein Kerr-Forscher hatte über mein Ersuchen in der Berliner Staatsbibliothek gearbeitet, um Blutspuren auf der den Nationen dargereichten Bruderhand zu entdecken. Das Ergebnis waren außer dem kriegsfeindlichen Aufsatz, welcher Bandwurm, Hühneraugen, Krätze und weitere Übel als Liebesgaben an den Feind enthielt, etliche Schock Gedichte, die im sogenannten »roten Tag« der Firma Scherl in den Jahren 1914 bis 17 erschienen und mit dem Pseudonym »Gottlieb« unterzeichnet waren. Diese Kriegslivree des Hauses Scherl trug nebst dem deutschnationalen Publizisten Nordhausen Herr Kerr, der damals noch nicht von dem weniger blutrünstigen Mosse übernommen war. Um die Autorschaft der beiden Träger des Pseudonyms zu unterscheiden, ist kein besonderer Stilsachveerstand erforderlich. Gleichwohl wird man nicht in allen Fällen einer Gesinnungsbrüderschaft, die autorrechtlich abzugrenzen doch wahrlich keine Verpflichtung besteht, unzweifelhaft bestimmen können, welche Ordinärheit der eine und welche der andere auf dem Kerbholz hat, und man hätte ohne Zweifel das Recht, jede jedem von beiden, die sich freundbrüderlich in den Ruhm der Produktion teilten, zuzuschieben. Der gewissenhafte Forscher hat etliche Erzeugnisse, die offensichtlich nicht die spezifische Marke Kerr'scher Fröhlichkeit tragen, mit einem Fragezeichen versehen, und wiewohl es richtig ist, daß der Dreck über jene masurische Untat, welche in aller Ewigkeit eine Schmach dieses Planeten bleiben wird, mehr von der geformten Art ist als von der gequirlten, die den Humor des Herrn Kerr bezeichnet, so mochte jener – und ich mit ihm – glauben, daß dem Gemüt, welches den Feinden »zur Ernährung schimmelfeuchtes Stroh« gewünscht hat, auch die Versorgung des Durstes mit Sumpfwasser nicht gerade unangemessen wäre. Das stilistische Moment, der Mangel der tänzerischen Note, konnte umsoweniger bedenklich stimmen, als sich ja just an dem von den Russen bedrohten Königsberg gezeigt hatte, daß Herr Kerr, wenngleich nicht viel, so doch auch anders könne. Was aber die Ernährung der Russen anlangt, so wage er, in einem Falle, wo man bei einheitlicher Gesinnung der Pseudonymträger sich getrost auf das stilistische Unterscheidungsvermögen verlassen darf, die Autorschaft der folgenden Verse in Abrede zu stellen. Man erfahre hier zum erstenmal, was der Pariser Friedmensch vom 2o. August 1914 ausgehungerten russischen Kriegsgefangenen für Gelüste angedichtet hat:

Stallupönen

Mancher Herr und manche Dame
Wagten dich als Nest zu höhnen.
Doch von Kriegsruhm blinkt dein Name,
Stallupönen; Stallupönen.

Frecher Feindesvorstoß – brausend
Ist er hier kaputtgegangen;
Rüde Russen sind dreitausend
Stücker fest von uns gefangen.

Spürten einen Kitzel innen,
Wollten mal was Leckres haschen,
Und sie tappsten gen Gumbinnen,
Dort zu naschen. Dort zu naschen ...

Hütet nun die struppige Beute.
Wanzenpulver nicht vergessen!
Und »bewahrt das Licht«, ihr Leute,
Weil sie jeden Wachsstock fressen.

Gottlieb

Und nun erdreiste sich der Mann, der schon seit jeher den »Krieg der Besten gegen die Bestien« propagiert haben will – nun erdreiste er sich, die Vermutung, daß er im Krieg der Bestien in Grausamkeit versiert war, in jener scheußlich gewitzten Grausamkeit, die das eigene Leibeswohl hinter der Schanze eines Schreibtisches deckt, für »einfachen Schwindel« zu erklären! Das schlichte Alibi der Unschuld »Ich hab's nie gesehn« wird er hier kaum riskieren, aber er sollte niemanden für so dumm halten, zu glauben, daß es ihm im andern Fall etwas helfen könnte. Er hat mit Herrn Nordhausen in der Scherl'schen Livree des Kriegsdienstes alterniert; er hat gewußt, daß die nationalen Kunden der Firma, die beim Frühstück als Ersatz für Bohnenkaffee blutige Witze haben wollten und dabei sicherlich keine stilistischen Untersuchungen angestellt haben – daß sie die Einheitsgesinnung, die unter der Marke »Gottlieb« geführt wurde, goutierten und vielleicht gar nicht ahnten, daß es zwei Brüste waren, in denen die eine Seele gewohnt hat. Er hat sich gegen die flagrante Möglichkeit, daß auch bessere Kenner, und schon damals, ihm die Niedertracht über den masurischen Tod zuschrieben, mit keinem Sterbenston gewehrt. Und daß er nicht gelesen, nicht nachgesehen hätte, was an jedem zweiten Tag der Kriegskamerad unter dem gemeinsamen nom de guerre schrieb, wird er einem Zulukaffer einreden können, also einem Angehörigen der einzigen Nation, mit der Deutschland vielleicht nicht Krieg geführt und an der er sich infolgedessen nicht mit gereimtem Unflat versündigt hat. Er mag heute den Gefährten ernster Tage, mit dem er Schulter an Schulter Gedeih und Verderb teilte, durch den Tadel verleugnen, jener habe nicht nur grausam, sondern grausam schlecht gedichtet. Wie gefällt ihm aber das Folgende, das am 31. Januar 1915 das Licht einer durchhaltenden Welt erblickt hat:

Chronik

Der Russe wankt in den Beskiden,
Man hört es innerlich-zufrieden.
Auch anderswo, gewißlich,
Geht es ihm bald przemißlich.
Man hat sogar Indizien
Für Ostgalizien ...

Du schielst indes, Metropolit,
Nach galiläischem Gebiet.
»Im heiligen Land steigt Rußlands Wappen.
Alleinbeherrschend auf zum Licht!«
Der hat wohl mit dem nassen Lappen
Eins abgekricht?

Rumänien liefert uns Getreide.
Und sind ihm die Waggons auch knapp,
Uns ist es eine Herzensfreude.
Man schickt es nicht? Wir holen 's ab!
Wir setzen alles flink ins Werk,
Behend eilt der Prophet zum Berg.

Die »Daily Mail« zeigt unverwandt
Auf Dernburg mit geballter Hand,
Mit Redeschwall und Wortestrorn
Als das germanische Phantom
Und lügt – und zeigt ihn fahl beglänzt
Als ein Gespenst.
Und lügt ... Gewaltig in der Tat
Ist leider dieser Mailvorrat.

Es starrt die Zeit von unbequemen
Volkswirtschaftlichen Grundproblemen.
Heut fesselt uns das eine bloß:
»Wie werden wir die Schweine los?«

Gottlieb.

Und wie gefällt ihm dieses, das am 24. Februar 1915 an den ›Tag‹ gekommen ist:

Chronik der Lage

Ja, wir dürfen stolz versichern:
Hindenburg verdunkelt Blüchern.
Wie er Väterchen verdrischt,
Mensch, damit vergleicht sich nischt.
Russenbär – zu unsrer Freude
Zeigt das rüde Fell die Räude.
In zerzauster zottiger Pracht
Hinkt er durch die Gegenwacht.

Welch ein ausgepichter Schnapphahn
Ist die gelblich-kesse Japan.
Das Millionenvolk von China
Wünscht es zum ergebnen Diena.
Ohne Säumnis, lieber Leser,
Wirft es sich auf die Chineser
Während England angstverdrossen
Zusieht mit gebundne Flossen.

Deutsches U-Boot unterjocht
Jeden englischen Transpocht.
Hungern sollst du, John, – aoh dear!
So ich dir, wie du mir.

Alles, was die Gegner hoffen,
Ist bisher nicht eingetroffen.
Selbst der Bierpreis (Kupferwährung!)
Schafft in Deutschland keine Gärung.
Einigkeit im Preußenlandtag
Herrschte bei dem Fürsorg-Antrag.
Gar nicht unwirsch, sondern wirsch
War sogar Genosse Hirsch.

Strebt ihr, Deutschland abzusondern
Von der Welt? Ihr sollt euch wondern!
Ungebrochen lebt der Mut –
Kartenbrot schmeckt doppelt gut.
Schickt nur Ghurkas! Hottentotten!
Seht, wir sind nicht auszurotten.
Michels Schiff hat schiere Schotten.

Gottlieb.

Ist dies alles am Ende ganz so spaßlos-dumm wie das Unterfangen, ihn danach einer kriegshetzerischen Gesinnung für fähig zu halten? Nicht doch, wir haben es damals verstanden, »die Stimmung zu heben«. Wir haben es versucht, wir haben es gekonnt. Ein Quäntchen davon durch die Luft gejagt (27. Januar 1915):

Vorrat

Daß nicht unsre Kraft erlahmt,
Wird der Vorrat schlagbenahrnt.
Sorgsam wird der Kluge geizen
Mit dem Roggen, mit dem Weizen.

Den Bedürftigen wird zum Glück
Diese Monopolitik.
Wütend mag das Ausland schielen,
Wenn wir froh auf Teilung spielen.

Künftig, ob der Feind auch berste,
Husten wir auf Rußlands Gerste.
Jeder Deutsche lächelt leis,
Wenn er sich vom Yankee-Mais
Auch noch unabhängig weiß.

Die Kommunen schaffen Heilung
Durch gerechte Brotverteilung.
Wermuth steht, wie Werthers Lotte
Vor der lieben Kinderrotte,
Schneidet schnell und nicht zu knapp
Jedem seine Scheibe ab,
Daß wir keinen Hunger leiden –
England aber wird sich schneiden.

Gottlieb.

Es hat sich geschnitten. Und nicht geschnitten hat sich der Geistige, der nach der folgenden einprägsamen Weis' für die Kriegsanleihe geworben hat (26. Februar 1915):

Kriegsanleihe

Zeichne, Mensch, in erster Reihe,
Jetzt die zweite Kriegsanleihe.
Montecucculi, der Graf,
Wußte, was den Krieg betraf.

Dreierlei gebot der Held;
Erstens, zweitens, drittens: Geld!
Mit der Wimper zucke nie,
Denk an Monte cucculi.

Hast von Malkunst keinen Schimmer?
So viel zeichnen kannst du immer.
Freu dich, wenn das Kampfgetrieb
Fern von deiner Scholle blieb.

Tausend in den Schützengräben
Wagen still für dich ihr Leben.
Scheust du kleine Opfertat?
Draht ist noch nicht Stacheldraht.

»Kauftest«, ruft der Krieg als Mahner,
»Einstens mieße Mexikaner –
Sei heut klüger. Kaufe prompt
Was dem Vaterlande frommt!«

Hier wird keine Pleite grinsen,
Denn du kriegst solide Zinsen.
Zeichne, Mensch, und mucke nich –
Denk an Monte cucculich!

Gottlieb

Daß er Feind um Feind bedrängte
›Tag‹ für ›Tag‹ mit der Poenkte
Und sie mit dem Spotte hieb,
War dem Schlachten-Gotte lieb.

Daß freilich nicht alles nach Wunsch und Voraussicht eingetroffen ist, zumal was die Pleite betrifft, die es sich doch schließlich nicht nehmen ließ, zu grinsen, ist nicht seine Schuld; man ist eben nur Satiriker und kein Prophet. Daß man aber jenes auch im eigenen Vaterland sein konnte, bewies Herr Kerr durch das Folgende, welches der tieferen Erkenntnis schon damals, am 29. Januar 1915, nicht entbehrt hat und eigentlich das Motiv des Abonnenten und des Patrioten aus den »Letzten Tagen der Menschheit« in Versform bringt:

Englischer Gefechtsbericht

Was braucht man für ein Seegefecht?
Und wodurch wird der Feind geschwächt?
Zunächst durch Taten
Und Granaten.
Sodann, genügt das Schießen nicht,
Durch den Bericht.

Wenn dir ein eignes Schiff zerbricht,
Ersteht es auf in dem Bericht.

Wenn es ein böses Ende nimmt,
Erkläre deutlich und bestimmt:
»Es schwimmt.«

Und wenn es auf den Grund versank,
So schreib': »Noch lebt es, Gott sei Dank!«

Es ist ein argloses Vergnügen
Sich in die eig'ne Tasch' zu lügen.

Ecco. Das war es allerdings in jener Zeit, in deren Besitz noch Lemberg und deren Tasche so groß und so leer war wie ihr Maul, welches man ihr nur mit den Lügen der Berichte und der Gedichte vollstopfen konnte. »Aber deshalb« noch heute zu lügen, ein Gedicht zu nennen, das man nie verfaßt und die vielen nicht zu nennen, die man verfaßt hat, »das ist anheimelnd«, aber dumm. Schließlich kann ich doch selbst als Stilsachverständiger nicht darauf angewiesen sein, bei Herrn Kerr anzufragen, welcher »Gottlieb« von ihm ist und welcher von dem gewiß nicht minder gewandten Genossen einer großen Zeit, den er heute die Stirn hat zu kuranzen wie der avancierte Heinz den Falstaff. Warum entschließt er sich denn nicht, frei zu bekennen, daß er überhaupt kein Kriegsgedicht, kein grausames und kein grausam schlechtes, zwischen 1914 und 17 verfaßt habe? Warum weist er nicht nach, wie schwindelhaft und wie frivol es ist, ihm auch nur die geringste Beziehung zu dieser Branche nachzurühmen? Daß ich ein Gedicht nicht nenne, welches er verfaßt hat (es heißt: »Die schale Haut«) wäre unter allen Umständen schon darum ein entschuldbareres Versäumnis, weil es ja doch kein Kriegsgedicht ist. Ferner steht es ohnehin in seinen gesammelten Werken, in die er seine Kriegsgedichte nicht aufgenommen hat. Diese zu finden – das ist die Aufgabe, durch Pseudonym und Vergriffenheit leider erschwert. Wenn ich mich bemühe, sie alle mit der Zeit zusammenzustellen (und in der Fülle einmal strauchle), so bin ich doch nicht bemüßigt, gleichzeitig auch den andern Mist, der mit dem Kriegsthema gar nichts zu tun hat, herbeizuschaffen, bloß weil er die überalterte Schmierigkeit von' einer andern Seite zeigt? Da müßte ich ja jede Äußerung des Friedmenschen, die gewiß nicht unbeträchtlicher ist als das Werk des Tyrtäus, zitieren und der Arbeit wäre kein Ende. Gerade im gegebenen Fall trifft die Rüge umsoweniger zu, als ich ja das Gedicht »Die schale Haut«, dessen irreführender Titel auf Autobiographisches schließen läßt, bereits vor fünfzehn Jahren, im Juli 1911 (Nr. 326-328, S. 3o) abgedruckt habe. Aber da Herr Kerr gar so stolz auf den Selbstmord ist, den er damals verübt hat, als der klein Pan noch stank, so mache ich mich gern erbötig, ihn noch einmal an ihm vorzunehmen. Er nannte ihn schelmisch ein »leichtes Capricho-Lied«:

V.

Krätzerich; in Blättern lebend,
Nistend, mistend, »ausschlag«-gebend.
Armer Möchtegern! Er schreit:
»Bin ich ä Perseenlichkeit ... !«

Wie der Sabber stinkt und stiebt,
Wie sich 's Kruppzeug Mühe gibt!
Reißen Damen aus und Herrn,
Glotzt der arme Möchtegern.

Vor dem Duft reißt mancher aus,
Tachtel-Kraus. Tachtel-Kraus,
Armes Kruppzeug – glotzt und schreit:
»Bin ich ä Perseenlichkeit ... l«

Alfred Kerr.

Das hat er also tatsächlich in seine Gesammelten Werke aufgenommen, aus denen etliches in französischen Dissertationen Platz gefunden hat; ich nannte es damals »das Stärkste, was ich bisher gegen Herrn Kerr unternommen habe«. »Gewiß«, sagte ich, »ich habe ihn in die Verzweiflung getrieben; aber er, er hat vollendet. Ich habe ihn gewürgt, aber er hat sich erdrosselt«. Und wie sehr es mein Verhängnis ist, daß mir die Leute, die ich (im Gegensatz zu Herrn Kerr) töten will, unter der Hand sterben: das hat kein Fall so exemplarisch dargetan wie der seine. Der Erfolg, mit so schlichten Mitteln erzielt, war von Dauer. Denn das macht ja eben den Unterschied zwischen meiner Polemik und der meiner Gegner, daß die meine schon mit der Zitierung der gegnerischen auskommt. Während alles, was je gegen mich geschrieben wurde – höchstens mit Ausnahme des rein Krankhaften – in meinem Druck nachzulesen ist, haben die Verfasser noch nie gewagt, das Wort, das ich dazugetan, zu wiederholen. Und wie überflüssig war jede Zutat zu dem sorgfältig reproduzierten Text des Herrn Kerr! Die literarische Jugend Deutschlands, die kurz vorher mit Kundgebungen an seine Seite getreten war, erließ Nachrufe und wurde seit damals durch ihre eigenen Exzesse nicht um die Besinnung gebracht, das beobachterische Häcksel, welches da das Berliner Theater zur Welt und die Welt zum Berliner Theater macht, unbeträchtlich zu finden und zu erkennen, daß die Sicherheit, in Deutschland unmöglich zu sein, noch keine Chance für den Anschluß an die Nationen bildet. Die Friedensübung der Flinserln und Psycholozzelach, die bei Mosse numeriert erscheinen, seit die Kriegsdrommete bei Scherl schweigt, hat man nachgerade kotzüber. Kritiken wie jene über einen Ungarn namens Fodor:

– Welcher vielleicht aus jenem Pariser Viertel stammt, wo Exportstücke verladen werden.

Oder schlechthin aus dem Land Följetonia: wo die vorauszusehende Replik wächst; wo Beete voll aller Dagewesenheiten druckerschwarz glänzen; wo der Künstlerich mühsam entkommt.

Fodor, Fodor. Es gibt einen guten Zeichner Fodor.

Als man ihn zuletzt sah, hat er noch vorteilhaft ausgeschaut. Fodor, Fodor.

II.

– – – – – – – – – – – – – – – – –– –

Fodor ; Fodor.

nimmt man als nux vomica. Und wie erst die Vorstellung, daß solch ein Piepmatz jemals im deutschen Blätterwald Furore machen konnte und daß in einem Fall, wo nur Räuspern und Spucken abzugucken war, von der längst ernüchterten Jugend ein Genie ausgerufen wurde. Leider verdankt sich ihm die gewisse adjektivische Regsamkeit jenes neuen Feuilletonismus, der zu den Eingeweihten blinzelnd und mit der Willkür eines e so und soterischen Wesens darauf aus ist, dem Ding, dessen er im Wort nicht habhaft wird, Nuancen abzugewinnen. Dergleichen spielt alle Farben, ohne eine einzige zu bekennen, und der Züchter des Unwesens, mag er auch in der Roßtäuscherwelt des Berliner Theaters »eine Nummer« sein, ist dem Bewußtsein der literarischen Generation entschwunden. Der Weltkrieg, nach dessen Abschluß Herr Kerr in einem gewissen Maße gefährdet war, hat ihr den ganzen Mann offenbart. Diese heroische Epoche seines Lebens reicht vom Jagow-Durieux-Skandal bis zu dem Versuch, aus einem näheren Theater- und Familienklatsch politisches Kapital zu schlagen und ein glücklich vermiedenes Kopfstück zu einem Martyrium im Harden-Format auszuschlachten.

Was er in ihr geleistet hat und was keineswegs geeignet scheint, friedmenschliche Versuche aussichtsvoll zu gestalten, sammle ich. Er schließt seine Erinnerung an das erste Mißlingen mit der Klage, daß es allzu langsam gehe:

XXI.

– Aber das Bewußtsein, daß wenigstens die Kunst (und hier müßte jetzt eine himmlische Melodie von Franz Schubert erklingen) –daß wenigstens die Kunst auf ihrem Gefild Menschen, zwecklos Geschiedene, für eine kurze Frist aneinanderzuführen vermocht hat: das bleibt etwas Leuchtendes.

Ganz fruchtlos kann es nicht gewesen sein.

Das finde ich auch. »Ein menschlicher Schritt vorwärts ist getan«, dem ich mit einem Tritt sekundiert habe.

Es war herrlich. Ein Beginn. Carlyle sagt: »Arbeiten und nicht verzweifeln !«

Das sage ich auch, und darum sammle ich alle Kriegsgedichte, wiewohl ich mir zu den meisten keine Schubert'sche Melodie erklingen ließe. Und sollte der Sänger noch nicht den Rheumatismus an der Stelle spüren, wo er ihn den ihm befreundeten Völkern zugedacht hat und darum noch einmal der Lieder süßen Mund auftun, um gegen mich zu zeugen, so verspreche ich ihm, nun erst mit einer Fülle von Nachweisen ihn anzuheimeln: wie ich dazu kam, hemmungslos zu fälschen, ungeschickt zu erfinden, einfach zu schwindeln, und ihm ein Gedicht aufzubinden, das er nie verfaßt hat. Denn Gottlieb Kerr hat noch ganz andere geschrieben, die es verdienten, über jenen Zeitpunkt hinaus aufgehoben zu werden, den er kürzlich so pazifistisch bezeichnet hat »über den Weltkrieg hinaus, über die Kriegsschande hinaus, über den Blutschwindel hinaus«. Schon jetzt dürfte er ja annähernd eine Vorstellung von »vertobaken« haben und wie einer dastehn, der wohl mit dem nassen Lappen eins abgekricht hat. Aber er wird schon noch merken, daß ich auch Wanzenpulver nicht vergesse, und überhaupt den Glauben an ä Perseenlichkeit wiederfinden, der es zwar nicht gelingt, einen Zeitgenossen zu vertilligen, wohl aber, ihm das Fortleben in fragwürdiger Gestalt zu sichern. Wir arbeiten prompt, stramm und fix, und wir verzweifeln nicht. Ein Beginn. So viel Senge und so viel Dresche konnte ein Friedmensch den Nationen gar nicht wünschen, als er sich zuziehen wird, wenn ihn »wieder mal« der Drang anwandeln sollte, sich etwas »vorzunehmen«, dem er nicht gewachsen ist: mich!


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