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Trunkener Schmetterlingsgeist

Großmann wird doch einmal das Verdienst gebühren, die Spitze des Chimborasso der Schmockerei, der auf des Zauberers Glück und Pleite getürmt wurde, erklommen zu haben. Großmann, Spürer von Zusammenhängen zwischen kulturgeschichtlicher Katastrophe und Untergang der Abendkassa, deutet, daß jener – auch »der Professor«, Meister, Träumer, Weltregisseur oder schlechtweg Schöpfer genannt –, mit einem Wort »der empfindliche Phantasiemensch Reinhardt« vor der Gewitterwolke des Hitlertums geflohen sei. Das kann er ihm nachempfinden:

Wozu schaffen? Für wen Freude erzeugen? ... Solche Fragen haben jeden innerlich bewegt, der sich in der düsteren Untergangsstimmung der letzten Monate eine Leistung abzwang.

Die Vorstellung, daß Großmann es einfach hinwürfe und aufhörte, Freude zu erzeugen, wurde bei dem Schrecknis des Nationalsozialismus noch gar nicht einkalkuliert. Aber gar er, jener? Es ist nicht zu fassen, daß die Pleite des Welttheaters so ihre Schatten vorauswerfen soll. Wehmütiger Rückblick auf die Mäzene, die »ihm freudig dienten«:

Von jener schlichten Frau Löwenfeld, die ihm vor dreißig Jahren zu Füßen legte, was sie besaß, bis zu Castiglioni, der ihm das Josefstädter Haus neu erbaute, und bis zu Fritz Thyssen, der ihm diesen Winter erleichterte, immer wieder umbuhlten ihn Mäzene, die s ich zu ihrem Reichtum erst berechtigt fühlten, wenn sie bei ihm ihren Tribut an die Kunst erlegten.

Während also sonst in der Regel der Geldgeber vis à vis dem bedürftigen Theaterdirektor die übergeordnete Position einnimmt, war es hier gerade umgekehrt: wo Reinhardt sich nur blicken ließ, sammelten sich die Mäzene wie die Fliegen auf der Fleischbank, sie umbuhlten ihn, und selbstverständlich konnte er nicht Aller Bitte, ihnen Geld abzunehmen, erhören. Na freilich, das hätte so jedem hergelaufenen Millionär geschmeckt, sich für seinen Reichtum ein gutes Gewissen zu verschaffen, indem man einfach seinen Tribut bei Reinhardt erlegt! Aber er war nicht für jeden Schnorrer zu sprechen, er verstand es, seine Tasche fest zuzuhalten, wenn einer was hineinstecken wollte, Wir erinnern uns, daß schon Bekessy seine Mission gegenüber dem großen Renaissanceverbrecher der Volkswirtschaft geldanschaulich in dem Gedanken der Sühne verankert hat. Aber halt, da fällt uns noch etwas anderes ein. Dieser Fritz Thyssen, der es dringend nötig hatte, Reinhardt zu unterstützen und dem dieser das Gewissen erleichterte – ein Fall von großzügiger Winterhilfe, wie er selten vorkommt –, dieser Fritz Thyssen, der sonst keine Ruhe zu seinen Geschäften gehabt hätte: ist das nicht derselbe Thyssen wie der Thyssen, der eben die Gewitterwolke finanziert, vor der der empfindliche Phantasiemensch geflohen ist? Und wenn es der Fall wäre, wäre es nicht einer der witzigsten Einfälle mindestens jener Kulturgeschichte, die zum Ressort des Herrn Friedell gehört, daß dessen Chef, der Abgott der Judenpresse, und Hitler einen gemeinsamen Gönner habe? Wozu dann fliehen? Wenn Thyssen winkt mit dem Finger, fällt kein Haar vorn Haupt eines Dramaturgen, und ein Betrieb, dem das Geschick es zugedacht hat, phönixhaft aus jeder Pleite emporzusteigen, alldeutsche Schwerindustrielle wie amerikanische Juden betörend, könnte unbehelligt weitermachen. Es wird schon nicht so arg werden, wie es dräut, und letzten Endes kann man sich ja an das deutsche Vaterland anschließen. Aber Großmann meint, es seien auch sonst Umstände, die mit dem Phantasieleben zusammenhängen, für den Entschluß maßgebend. (»Phantasiiie hat er! Atmosphääre!« rief hinter mir bei der »Schönen Helena«, Kurfürstendamm, eine schwere Dame, offenbar dieselbe, die seinerzeit »Piffkaatoor!« geschrieen hatte.) »Reinhardt, der ... Reinhardt, der ... Reinhardt, der ...« (man kennt den Tonfall) stand plötzlich vor der Aufgabe, »rechnen zu lernen, rechnen zu müssen ohne den Bruder«, er, nur gewöhnt, im Parkett zu sitzen, die Zunge zu bewegen und nichts zu sagen, hätte im Bureau sitzen müssen »und sein eigener Edmund werden«. (Großmann weiß gewiß nicht, wie gut sein Ausdruck ist, da Edmund wirklich »Beschützer des Vermögens bedeutet.) Nein, das kann er nicht! Es galt, eine Form zu finden, »den Zauberer festzuhalten«, den Direktor aber zu ersetzen. Man weiß, daß die spannungsvollen Monate kamen mit den täglichen Bulletins, daß er schon entschlossen sei, aber noch zaudere, schon zaudere, aber noch entschlossen sei, daß er zwar noch nicht unterschrieben habe, aber morgen bestimmt nicht unterschreiben wolle, vielmehr in der nächsten freien Minute sich entschließen werde, nachzudenken, ob er unterschreiben solle – kurz in hunderttausend Varianten der Schmonzerei dieser ganze Spuk mit den zuwartenden Gestalten der Beer & Martin, die um keinen Preis der Welt ihm zureden wollen, alles was schon so gut wie abgemacht ist, abzumachen, mit einem Wort zum Kotzen. Als er aber endlich unterschrieben hatte, fühlte man sich keineswegs erleichtert, denn nun erst nahm das Reinhardt-Geschmier – um eine Existenz herum, gegen die der Cagliostro ein Gimpel ist – seinen Aufschwung, wegen täglichen Abschieds, täglicher Wiederkehr und des zwischen London, Berlin und Wien betriebenen Helena-Schwindels. Großmann gibt dem von den Furien des Weltruhms Gepeitscht – Orestes ein Grazer Pensionist daneben – einen Rat. Er verordnet statt Furien: Ferien.

Max Reinhardt braucht drei Wochen Ferien in Berlin.

Diese drei Wochen

des freundlichen Kennenlernens der jüngeren, ihm entfremdeten Generationen

würden ihn retten. In drei Wochen wird er Generationen kennen lernen! Als ob das nicht erst eine Viechsarbeit wäre. Aber Großmann enthüllt, daß jener bisher immer etwas anderes gebraucht hat als Generationen. Reinhardt, der ..., Reinhardt, der ..., Reinhardt der ...,

Reinhardt, i mmer auf der Jagd nach großen Regiehonoraren

(haste Träumer!)

verlor zeitweilig sein Gleichgewicht.

Ausspannen! Nicht an die Güter soll er sein Herz hängen, nicht an die Welt soll er sich verlieren! In der Muttersprache wurzelt er! Er vergaß es wohl selbst:

Das Edelste an Max Reinhardt ist eben unübersetzbar.

Oh, man werde »Sehnsucht nach dem Zauberer« haben! Großmann rät, nicht zu unterschreiben, sondern zu zögern. (Um Gotteswillen, es soll weiter gezögert werden!) Er soll trachten, mit den beiden, den Versuchern, zu einer Gemeinschaftsarbeit zu kommen,

die ihm auf die Dauer mehr Freude und auch mehr Sicherheit geben könnte als dieser dürre Vertrag, der ihm nur eine hohe Miete zusichert, und was heißt heute : sichert?

Nach diesem ersten Naturlaut, ganz am Schluß, gibt Großmann noch der Befürchtung Ausdruck, daß »diese Mahnung eines alten Wiener Weggenossen« (das ist Großmann schon in vielen Fällen gewesen) zu spät kommen könnte, und er gelangt zu einer Pointe, die die Wirkung jenes Naturlautes leider aufhebt. Möge jener die Freuden der Welt genießen, man gönnt es ihm:

Aber sein deutsches Haus in dieser Stunde aufgeben ... ?

Das täte Großmann mit nichten, und wenn auch Wolken dräun, und wenn die Welt voll Teufel wär', und wenn selbst er zag würde vor der Pflicht, Freude zu erzeugen. Nein, Reinhardt, der ... muß bleiben! Und jetzt ein Schluß, der alles übergipfelt:

Er braucht Bindungen, dieser trunkene Schmetterlingsgeist, dem man den Flug in die Nacht verwehren soll und muß.

Hat man schon so etwas erlebt? Das ist nur im Tonfall einer jüdischen Anekdote zu entwirren: Erstens kann man einem Schmetterling einen Flug in die Nacht nicht verwehren, selbst wenn man wollte, sollte und müßte. Zweitens fliegt er nur dann in die Nacht, wenn er ein Nachtschmetterling ist, dem es aber nicht schadet. Drittens ist ein Nachtschmetterling nur trunken, wenn er nicht in die Nacht, sondern im Gegenteil aus der Nacht ins Licht fliegt, was ihm schadet. Viertens aber ist es eine so völlig verhatschte Metapher, daß eben das, womit verglichen wird, erst dazu tauglich erscheint, wenn man es vorher mit dem vergleicht, was verglichen wird, also zuerst den Schmetterling mit dem Reinhardt; nämlich so, und abermals im Tonfall: Wenn der Schmetterling der Reinhardt wär', so würde ihm der Flug in die Nacht so schaden wie dem Reinhardt, der wie der Schmetterling in die Nacht fliegt. Aber wie immer dem sei, die Hühner auf dem Mars lachen sich kaputt über eine irdische Journalistik, die nach zwölf Millionen Toten und im Angesicht von zwölf Millionen Arbeitslosen Sensation, Pathos, Lyrik für die Sorgen der Theaterkassiere aufbringt!


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