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Der Fall Jacobsohn

Es gibt im Literaturleben Materien, die sich scheinbar der polemischen Befassung darbieten, aber jedem Versuch, sie anzugreifen, durch eben jene Vertracktheit entziehen, die den Angriff rechtfertigt. Schließlich stellt sich heraus, daß der Widerwille, den sie erregen, stärker ist als die Lust, mit ihnen fertig zu werden, und ihnen die unverdiente Schonung sichert. Mit der Persönlichkeit, die solche Fälle deckt oder vielmehr von ihnen gedeckt wird, hängt es eben zusammen, daß der Tatsachengehalt, der bloßzulegen wäre, umfänglicher ist als der Humor davon, und das ist immer eine zuwidere Sache. Aus Großmann konnte ich Romanzen und Elegien schöpfen, denn er hat Saft; von dem winzigen Anlaß, den er bietet, läßt sich gestaltlich etwas Gültiges, Bleibendes, in sich und durch alle Zeiten Verständliches abziehen, ohne Erdenrest einer Voraussetzung, des Sachverhaltes oder der Information. Das Geschöpf bewegt sich auf eigenen Füßen, ohne Noten, durch die Welt. Wie anders Herr Siegfried Jacobsohn, der ein Einzelfall ist, ein Fall Jacobsohn, den es zwar immer wieder gibt, aber immer von neuem: als Person ohne den vorangestellten Herrn und selbst ohne die heroische Nuance des Vornamens nicht denkbar, während ich bloß »Großmann« zu sagen brauche, um allenthalben auf Verständnis und jenes heitere Begreifen einer Intimität zu stoßen, die die Gestalt von Natur anspricht, so daß ich an ihr nur als Entdecker beteiligt erscheine. Im Wesentlichen wäre solcher Unterschied schlechthin der Gegensatz zwischen Polemik und Satire, aber der Fall Jacobsohn hat noch das individuelle Minus für sich, daß die polemisch unerläßliche Fundierung und Grundierung wenig lustbetont wäre und die Umständlichkeit größer als das Format. Man geriete viel zu tief in das Gehege der allerspezifischesten Literaturinteressen, also in die geistige Einöde des Massenbetriebs und jenes Berlin der Verlegerklüngel, und hätte zu wenig Lohn der polemischen Einfallslust, mit dem unsereinen doch selbst die geringste Stofflichkeit schadlos hält. Ich bekenne offen, daß ich eine alte Schuld fühle, aber daß es einfach nicht geht, daß ich dem Fall nicht gewachsen bin und nicht mehr tun kann als der Pflicht genügen, jene Leser in Deutschland, die aus den Zitierungen und Lobpreisungen der Fackel in der ›Weltbühne‹ die Beziehung freundnachbarlichen Anschlusses zu entnehmen glauben, auf den Irrtum aufmerksam zu machen. Herr Siegfried Jacobsohn, der immer wieder in der Lage ist, einen Fall gehabt zu haben und als Stehaufmännchen eine Position einzunehmen, die er soeben geräumt hat, dürfte in dieser nur schwanken, ob er sie auf die Dauer mehr der Relativität der deutschen Literaturdinge verdankt und einer Wurstigkeit, die sich bei der Vermutung, daß es noch weit Ärgere gibt, beruhigt, oder meiner Toleranz, die sich aus der Erwägung begreift, daß ich ja kein Register der publizistischen Verfehlungen führe und daß sich im täglichen Ansturm der Motive die Unerbittlichkeit Landesgrenzen setzen darf. Er weiß länger als jene, denen es einmal zu sagen er mich zwingt, wie viel Geduld ich mit ihm gehabt, wie gern ich ihm die Gelegenheit gewährt habe, sich aus seinen Niederlagen zu einer besseren geistigen Führung zu ertüchtigen, und wie ich, ihn mehr durch mein Vorbild bestärkend als durch mein Beispiel verlockend, bemüht war, ihm zu helfen, sich mit dem Verzicht auf eine polemische Übung, der er nicht gewachsen ist, auf seine eigentlichen Qualitäten zurückzuziehen. Ich fürchte – ohne es für mich fürchten zu müssen –, er wird die Unwirksamkeit meiner Zusprache nun durch den Versuch übertreiben, den unbestreitbaren polemischen Drang, dem die Natur eine bestreitbare Gabe der Ausführung gesellt hat, an mir zu beweisen und sich als abgedankter Verehrer der Fackel vor seinen Lesern jene Haltung zu geben, von der er glaubt, daß man sie sich zulegen kann, wenn man sie nicht hat, wie er ja den polemischen Betrieb, in dem er heillos verstrickt ist, als die Erledigung der Aufgabe erkennt, sich den und jenen »mal vorzuknöpfen«. Ich fürchte, er wird es tun, wiewohl er weiß, daß mir, einem polemischen Gourmand, der sein Gelüst auf eine weniger mechanische Art befriedigt, durch solche Zutat auch das unschmackhafteste Gericht bekömmlich werden könnte. Er weiß, in welche Schwierigkeiten und Mißverständnisse ich durch ihn und seine Verehrung für die Fackel schon geriet und daß ich berechtigt und verpflichtet bin, zu sagen, wie gut ichs mit ihm gemeint habe, aber daß ich den Anschein nicht länger dulden kann, es mit ihm zu meinen. Ich mußte mich immer wieder auf den Glücksfall berufen, daß ich im Krieg von der Schau- oder Weltbühne nur jene Hefte zu Gesicht bekommen habe, in denen mich seine anständige, ja mutige Haltung, eben in seinem Einstehen für mich und mein Berliner Wagnis, überrascht hat, und nicht jene, welche die Kriegsanleihe-Inserate und die üblen Artikel seines Politikers enthielten. Ich habe wirklich diesem Zufall die Annehmlichkeit der an mit so häufig vermißten Gabe, an einem Menschen nur das Gute zu sehen, verdankt und selbst ein Anhänger der optimistischen Weltbetrachtung wie Herr Salten müßte, so schwer sie mir ihm gegenüber wird, zugeben, daß ich im Fall Jacobsohn positiv war, und zwar durch eine ganze Reihe von Fällen hindurch, wo ich durch Nachsicht und Zuspruch zum Wiederaufbau beigetragen habe. Denn ich hatte immer wieder die beste Seite im Aug, die des Theaterkritikers, der in guten Zeiten ein Schriftsteller gewesen ist und ein weit besserer als jene, deren Vorurteil stark genug war, sein Urteil in Abhängigkeit zu bringen, und ihn ermutigt hat, die erbärmliche Wendung gegen das einzige Theaternaturell mitzumachen, das berufen schien, mit dem Schwindel aus Doktrin und Impotenz aufzuräumen. An diesem Punkt angelangt, erfuhr er, daß ich mit ihm persönlich nichts mehr zu schaffen hatte. Es war klar, daß in dem Wirrsal der Agenden und Affären eines publizistischen Amtes, das seinen Träger überwuchs, nicht nur die polemische Autorität, sondern auch der literarische Wert zu Schaden gekommen war. Immer unerträglicher wurde das Mißurteil, das jede Narretei eines völlig verdrehten Saisongeschmacks sanktionierte und den widerlichen Bergner-Rummel, bis zur Kreierung des Adjektivs »bergnerhaft«, befestigt hat. (Denn die Berliner wissen nicht, was die Brigittenau ist, und sind von der Vorstellung einer Brigitten-Au befangen, wenn sie die heilige Johanna anschwärmen.) Immer peinlicher die Humorigkeit dieser Briefkastenonkelei, die etwa eine Buchhändlerbörse mit »du« anspricht (»Du schreibst mir«); immer magenumdrehender die Anwendung eines hinweisenden Fürworts »zu diesem Deutschland«, »zu diesem Seeckt«, »zu dieser Revolution«, wenngleich gewiß nicht geleugnet werden soll, daß die ›Weltbühne‹ sachlich diesen Erscheinungen gegenüber einen gewissen Mut bewiesen hat, dessen Wahrnehmung mich noch zu einer Toleranz gegenüber so vielen mit Mißbehagen bemerkten Dingen verleiten konnte. Immer deutlicher aber auch der Gesichtspunkt einer als Objektivität verkappten redaktionellen Gewandtheit, die sich nicht bedachte, Herrn Horthy und dem südtiroler Fascismus anstatt des Faustschlags jene Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, in deren Antlitz sie ihn bedeuten. Dies alles aber würde noch keinen jener Fälle Jacobsohn ergeben, in denen das Unzulängliche nur darum nicht Ereignis wurde, weil in einer Geistigkeit der Quantität sich nirgends ein Durchblick in die Persönlichkeit öffnet und dort, wo schon ein einziger Fall zur Erkenntnis der Unmöglichkeit genügte, höchstens ein Abstrich erfolgt und selbst dieser unwirksam bleibt, da statt des guten Instinkts nur ein schlechtes Gedächtnis die Kontrolle der öffentlichen Dinge besorgt. Daß es Herrn Jacobsohn gelungen ist, einen Großmann in Berlin möglich zu machen – der aus einem Ehrengericht, wo man sich mit ihm Rendezvous gab, geradezu »hervorging« –, dürfte eine der stärksten Siegfriedstaten in der Geschichte der deutschen Polemik bleiben. Das kommt davon, wenn man von einem an Morphinismus grenzenden Drang nach »Vorknöpfen« besessen ist, der, ohne die Totalität des Objektes zu erfassen, die zunächst liegenden Tatsachen ergreift, die immer die falschen sind. Ich, den Informiertheit behindern würde, habe gemalt, was jener nur tat, geahnt, was er nur kannte; und es ergab sich, daß ihm nichts bekannt war. Man mag sich vorstellen, wie schwer ich es danach hatte, einen so materialisierten Großmann zu vergeistigen. Es gibt kein so sicheres Vergreifen, wie wenn man aus nächster Nähe polemisiert, und wahrlich, der versündigt sich, der sich an Großmann vergreift.

Die Hoffnung, daß einer, dem solches gelang, polemisch abrüsten werde, ist leider nicht eingetreten; im Gegenteil. Die Siegfriedstellung wurde ausgebaut und vertieft und eine Großmannssucht, die die Beute jener Niederlage war, führte zu einem Kleinkrieg der Revanche gegen alle, die die Aufmerksamkeit eines Unbesiegbaren durch ihre Wehrlosigkeit erregt hatten, wobei ihm immerhin die Wahrung des berechtigten Interesses zuerkannt werden muß, daß sie eben ein solches hatten, sich von ihm abzusondern. Da hatte zum Beispiel einer der wenigen anständigen, feinnervigen und der Kunst nahestehenden Menschen, die es im Berliner Literaturleben gibt, Heinrich Fischer, mit begreiflichem Unbehagen wahrgenommen, daß ein Versbeitrag von ihm lange nach seiner aus dem Motiv der Treue bewirkten Abkehr von der ›Weltbühne‹ und vier Jahre, nachdem er ihn ihr überlassen hatte, dortselbst erschien. Mochte er seiner vergessen haben oder die Rauheit nicht aufgebracht, ihn zurückzufordern, jedenfalls war er nicht darauf gefaßt, daß Herr Jacobsohn, der nichts unerwogen läßt außer den Folgen seiner polemischen Vorstöße, ihn nach so vielen Jahren herzeigen würde und ohne vom Zeitpunkt der Überlassung (der ja dem Autor auch als der des Entstehens wichtig sein konnte) Notiz zu nehmen. Daß das Erscheinen die Vermutung wecken mußte, Herr Jacobsohn habe zu der von ihm verlassenen Sache Berthold Viertels zurückgefunden, weil ohne diese Wendung die Mitarbeit eines Ehrlichen nicht vorstellbar schien, kann ich selbst bezeugen, dem gar nicht der Gedanke kam, daß es sich um einen alten Beitrag handeln könnte und um die grobe Unanständigkeit, ihn jetzt herauszubringen, auf die Gefahr oder gar zu dem Zweck, den Verfasser wankelmütig erscheinen zu lassen. Somit war es dessen Recht und Pflicht zugleich, die Feststellung des Sachverhalts durchzusetzen, seinerseits auf die Gefahr, dem Verdacht Vorschub zu leisten, daß er nicht vom Ort der Publikation, sondern von dieser selbst, einer Verklärung des Andenkens an Rosa Luxemburg, abrücke. Das ohne jede literarische oder gesellschaftliche, sachliche oder persönliche Motivierung selbstverständliche Ersuchen des jungen Schriftstellers, dessen Ehrenhaftigkeit Herrn Jacobsohn bekannt und dessen verjährter Mitarbeit er zu Dank verpflichtet ist, beantwortet er auf eine Art, die weit eher jenen Verdacht der Verleugnung des Beitrags eröffnet, als daß sie den Wunsch des Autors nach Distanzierung vom Blatt erkennen ließe. Denn erwünschter als die Möglichkeit, die Feststellung ohne Schaden für seine Reputation vorzunehmen, ist dem Herausgeber selbst nun die Gelegenheit, nicht nur die politische, sondern auch die literarische Geltung des einstigen Mitarbeiters zu gefährden, indem er dessen begreifliches Bedauern, noch heute als solcher zu erscheinen, hämisch zu seinem eigenen macht: gestützt auf das zur rechten Zeit eingetroffene Aviso eines Mitarbeiters, der es heute noch ist, des Herrn Tucholsky, der Fischers Verse in »Technik und Reimart« als ein Plagiat an der Lyrik des schwäbischen Bauerndichters Christian Wagner erklärt, ohne durch Hinweis auch nur auf eine Zeile Wagners und eine Fischers die Verdächtigung zu begründen. Man wird nicht leugnen können, daß dieser schlichte Tatbestand weit eher einen andern Anschein wecken mußte: den des erbärmlichen Versuches, einen jungen Schriftsteller, der zum eigenen Schutz der krampfhaft gehaltenen Autorität des Herrn Jacobsohn nahegetreten war, abzuwürgen. Aber nicht genug daran und an der Tollkühnheit, daß im Hause des Gehängten dieser selbst vom Strick spricht (wenngleich er seinerzeit gewiß mit Unrecht gehängt wurde). Fischer wendet sich an einen Rechtsanwalt, der von dem oft gebrannten Herrn Jacobsohn sofort die Zusage erlangt, daß das Feuer gelöscht, das elende Manöver durch eine Berichtigung abgeblasen werde, in der der Autor die sprachkritische Taubheit, die hier auch nur die Spur eines Gleichklangs wittern könne, darstellt und seine Kenntnis Wagners von einem Zeitpunkt nach der Entstehung, ja Einsendung der Verse datiert; einem Zeitpunkt, der aus der Erwähnung dieses echten Lyrikers in der Fackel für ihn so sicher beweisbar ist wie für einen Entdecker, der so tut, als wäre er aufgewachsen bei Christian Wagner. Herr Jacobsohn, dem bei Bezahlung jeder polemischen Schuld noch Kleingeld herausgekommen ist, druckt die Erklärung, die den Stempel der anwaltlichen Intervention zu tragen hatte, so, als ob sie eine vom Autor an ihn gerichtete Zuschrift und Bereicherung seines Briefkastens wäre, für die er immer empfänglich ist, fern jeder Möglichkeit eines gerichtlichen Ernstes, und setzt eine Bemerkung hinzu, die ein Kompliment für seine herausgeberische Objektivität fischt, welche ja nur die Meinung eines Mitarbeiters weitergegeben hat, nicht seine eigene, er selbst habe den Vorwurf des Plagiats »weder gemacht noch machen wollen«, sondern nur an eine »Doublette« gedacht; wenn nun hier auch keine solche vorliege – »umso besser«. Da es aber dem Autor noch nicht gut genug ist und er nunmehr auch die Aufnahme der Berichtigung verlangt, daß er Herrn Jacobsohn keine Zuschrift geschickt habe, richtet der so schwer schikanierte Herausgeber, der doch alles getan hat, um beiden Parteien gerecht zu werden, und es sogar besser findet, wenn der letzte Giftpfeil kraftlos seinen Händen entrann, doch noch einen allerletzten zu versenden habend, einen komisch verzweifelten Appell an einen »lrrenwärter«, seine eigene Lage, verglichen mit der eines Herausgebers, rosig zu finden. Wochenlang währe nun »diese Debatte«, der Leser müsse sich schon »vom Wahnsinn leise umfächelt fühlen«, und noch immer kein Ende! Mit einem Wort, dieser Fischer hat Herrn Jacobsohn einen Brief zugezogen, in dem er, Fischer, des Plagiats beschuldigt wird, wiewohl doch offenbar bloß eine Doublette vorliegt und vielleicht nicht einmal eine solche, und gibt noch immer keine Ruh! Wiewohl ich nur Journalistenwärter bin, war mein Mitleid mit dem Opfer solchen literarischen Kesseltreibens doch so stark, daß ich noch schnell vor dem Verlassen der Gebiete, in denen deutsch geschrieben wird, mein gebrochenes Herz durch einen Hinauswurf erleichterte, indem ich nämlich den geplagten Inhaber der ›Weltbühne‹ ersuchen ließ, sich wenigstens mit der weiteren Zusendung des Blattes an mich nicht zu bemühen. Ich hatte mein Sach wieder auf den Glücksfall gestellt, nur jene Hefte zu Gesicht zu bekommen, in denen saubere Dinge stehen, um mein altes Vorurteil für Herrn Jacobsohn zu befestigen. Oder vielleicht solche, in denen er seine Leser mit der gleichen Begeisterung vor der Fackel warnen wird, mit der er sie ihnen zu empfehlen pflegte. Das Format dieser Angelegenheit war klein, aber der Inhalt sprengte es; und ich muß schon sagen, daß selbst im Berliner Bereich der Literaturranküne und der Meinungsmache kaum eine frechere Unsauberkeit gewagt werden dürfte. Noch blieb die Rolle zu untersuchen, die der Gewährsmann des Herrn Jacobsohn dabei gespielt hat, dessen Schützenhilfe den Giftpfeil dargeboten hatte, just als der Herausgeber der ›Weltbühne‹ etwas für seine bedrohte Haltung brauchte. Immerhin war noch die Möglichkeit offen, daß ein Privatbrief des Christian Wagner-Forschers, ohne Ahnung des Bedarfes abgefaßt, rechtzeitig gekommen und mißbräuchlich benützt worden war. Als ich nach Paris kam, wurde mir der Wunsch des dort weilenden Herrn Tucholsky nach einer Begegnung übermittelt, des Mannes, der die ›Weltbühne‹ mit vielfach pseudonymer Gewandtheit bedient, aber als Wrobel eine wirklich tüchtige und mutige Antikriegsleistung vollbracht hat und dem ich selbst auch für die Darbietung jenes von der Granate getroffenen Christus zu Dank verpflichtet bin. Ich hätte gegen dessen persönliche Abstattung, also gegen den Verkehr mit Herrn Wrobel nichts einzuwenden gehabt, ließ aber Herrn Tucholsky sagen, daß er, um jenem den Zutritt zu verschaffen, vorerst die Aufklärung schuldig sei, wie seine Ansicht von einem Plagiat Fischers an Wagner, über deren Berechtigung und Ernsthaftigkeit ich mit ihm nicht sprechen wolle, eine Publizität erlangt habe, deren Verwalter doch vor solcher Materie einen alten Schmerz verbeißen mußte, um neue Freude zu erleben. Ohne diese Rechtfertigung, ohne die Zusage einer öffentlichen Zurückziehung des Vorwurfs, ohne die öffentliche Erklärung, daß ein Privatbrief mißbraucht worden sei, oder das private Bedauern über die Bedienung der Ranküne des Herausgebers, kurz ohne zureichende Bereinigung einer so unsaubern Angelegenheit sei ein Verkehr nicht denkbar. Vom Mittelsmann befragt, ob er meine Ansicht Herrn Tucholsky bekanntgeben dürfe, erwiderte ich, daß er es müsse, weil anders dessen Wunsch doch nicht erfüllbar sei. Hierauf wurde mir die Geneigtheit des Herrn Tucholsky zu jeder Aufklärung, die mich befriedigen würde, versichert und sie sollte mir nach der ersten Pariser Vorlesung, auf die er sich freue, zuteil werden. Ob mir diese Zusicherung mit Recht gemacht wurde, kann ich nicht wissen, da ich nur weiß, daß Herr Tucholsky vor, nach und bei keiner der drei Vorlesungen, für die doch bei Herrn Wrobel ein gewisses Interesse vorauszusetzen war, erschienen ist. Ich kann aus diesem Umstand nur entnehmen, daß ihm meine Ansicht bekannt wurde, wie ich es gewünscht und für unerläßlich befunden hatte. Andere Ansichten von mir hat er später noch in der ›Weltbühne‹ zitiert. Die eigenen immer zu äußern, mag die Beengt- und Bedingtheit der publizistischen Verhältnisse auch dem äußersten Drang nach Unabhängigkeit verwehren; hoffentlich erlaubt sie in Hinkunft, wenigstens die schlechten zu unterdrücken.

Was Herrn Jacobsohn anlangt und sein Haßgetändel, das im Briefkasten der ›Weltbühne‹ den gegenwärtig unsympathischesten publizistischen Typus vorstellt, so bin ich, als ich nach Berlin kam, Zeuge einer Handlung geworden, die der Geduld jenen Rest gab, mit dem er allzu lange gewuchert hatte. Durch Jahre hat er den Herausgeber der ›Republik‹ und des ›Forum‹, Wilhelm Herzog, der »Unterschlagung von Arbeitergeldern« beschuldigt und bei solchen, welche die Deutlichkeit der Beschuldigung der Unhörbarkeit des Beschuldigten entgegenhielten, den Glauben befestigt, daß Herzog den Gerichtssaal zu scheuen habe. Man hat wohl von dem Entschluß zur Beleidigungsklage etwas vernommen, aber die rechtssozialistische und die andere bürgerliche Presse nimmt von der Tatsache, daß der Kläger auf der gerichtlichen Austragung besteht und der Beklagte mit allen Mitteln die Entscheidung hinausschleppt – was nebst einer Fortsetzung des Schimpfs die deutsche Gerichtsordnung ermöglicht – keine Notiz. Ich selbst erfahre erst durch persönliche Mitteilung des Klägers, der in heftigster Erregung einen Zufall zur Aussprache benützt und mir noch das zugedrückte Auge zu öffnen bestrebt ist, von der Unbill, die ihm widerfährt, und lasse – kurz bevor ich die Bekanntschaft mit Herrn Jacobsohn meiner eigenen Erfahrung in seinem theaterkritischen Revier zum Opfer bringe – ihn an die Unabweislichkeit und Unaufschiebbarkeit einer Erledigung der Affäre Herzog mahnen. Er antwortet im Ton des Mannes, der seiner Sache sicher ist, und scheint seine herzhafteste Lache über die Köpfe, die sich von einem Herzog dumm machen lassen, anzuschlagen. Da auch ihm solche Wirkung von Fall zu Fall glückt und ich selbst den Prozeß nicht leite, kann ich zunächst zu keinem Urteil über Herrn Jacobsohn gelangen und mache es von seinem Entschluß abhängig, mit jenem einmal Ernst zu machen. Nun, lange nachdem es aus anderen Gründen gefällt ist, findet der Gerichtstermin endlich statt. Der Angeklagte nimmt alle Angriffe gegen den unermüdlich geschmähten »Jobber der Republik« als »völlig haltlos« und mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück, verpflichtet sich zu einer Buße, zur Publikation dieser Erklärung in seinem eigenen und vier anderen Blättern und zur Tragung sämtlicher Kosten. Nach einer Verschleppung durch drei Jahre, die der Vorsitzende festgestellt und dem Angeklagten vorgehalten hat.

Das könnte schließlich noch immer, und gerade weil es mit einem Anklang an den Ritter Blaubart das Motiv der Häufigkeit für sich hat – wieder mal ist es gekommen –, als Betriebsunfall auf das Konto eines Polemiker-Risiko gebucht werden. Aber es ist von allen Fällen Jacobsohn der stärkste und alles kommt nun auf die Art an, wie die Persönlichkeit, sollte von ihr noch etwas übrig geblieben sein, die innere Deckung finden wird und den Mut, den Glauben des Lesers durch ein weiteres Wort anzusprechen. Das erste nach diesem Ausgang zu sprechende muß das überzeugende sein, sonst sind alle späteren verloren. Was also wäre da die menschliche Konsequenz des Gebieters einer entwerteten Publizität? Haltung zu zeigen, oder sie zu haben und durch Menschlichkeit zu bewähren? So wenig vorhanden könnte die gar nicht sein, um nicht vom Takt oder von der primitivsten Einsicht gerufen zu werden. Herr Jacobsohn wählt die Haltung. Statt des Bekenntnisses, gefehlt zu haben, und des Gelöbnisses, das man doch würdiger vor den vielen als vor einem einzigen Zuchtmeister ablegt: es nie wieder und keinem andern zu tun, tut er es wieder, und zwar dem Herzog, der nach muß, wenn der Mantel der redaktionellen Autorität fällt. In bürgerlichen Blättern, die dem Kommunisten, wenn ihm schon die deutsche Justiz schließlich das Recht nicht versagt hat, doch das Wort versagen, erhält es Herr Jacobsohn zu Erklärungen, die seine Unschuld an der Beschuldigung dartun und eine solche, die doch nicht ganz auf sie verzichten möchte. Und vor seinem eigenen Publikum, das solches Theater für eine Weltbühne hält, spielt er sich als den Gerechten auf mit einer Darstellung, wie sie wohl noch nie von einem Abbittsteller geboten wurde, und als den Sieger eines strategischen Rückzugs, um den ihn Ludendorff zu beneiden hätte. Man gewinnt keinen andern Eindruck als den, daß Herr Jacobsohn, dem in diesem Fall nicht bloß Kleingeld, sondern die Noten sämtlicher Edelvaluten moralischer Geltung herauskommen, sich im letzten Augenblick entschlossen habe, Gnade für Recht ergehen zu lassen und einem Gegner, der es nicht verdient hat, auch etwas zukommen zu lassen. Er hat ihm drei Jahre Zeit vergönnt, fern vom Gerichtssaal darüber nachzudenken, ob er sich nicht doch an Arbeitergeldern vergriffen habe, und, wenn es wider Erwarten nicht der Fall wäre, sich seelisch zu läutern, um einem so unerbittlichen Angeklagten wie Herrn Jacobsohn, der aber als Menschenfreund Entgegenkommen zeigt, gewachsen zu sein. Es ist das Zeugnis einer verfolgenden Unschuld, wie sie reiner noch aus keiner Ehrenerklärung hervorgegangen ist. Wie der Lyriker, der Christian Wagner nicht geplündert hat, ihm durch den Anspruch, es bestätigt zu bekommen, Schikanen zufügte, so hat der Mann, der ihm zuerst durch die Geschichte mit den Arbeitergeldern zu schaffen gab und dann noch aufbegehrte, durch drei Jahre den Herausgeber einer ›Weltbühne‹, die doch noch andere polemische Sorgen hat, unter dem Damoklesschwert einer Gerichtssache gehalten, bis er ihm endlich Gelegenheit gab, sich von seiner Unschuld zu überzeugen und zwar durch den menschlichen Anteil an der Erregung, in die der Beschuldigte dabei geriet. Das war ganz mein Eindruck, als ich, der freilich in neutralerer Position war, Herrn Herzog hörte, und siehe, Herr Jacobsohn, dem ich diesen Eindruck übermitteln ließ, approbierte ihn und bestimmte danach seine Haltung. Ein Mensch, der so in Wallung gerät, wenn so schwere Anwürfe gegen ihn erhoben werden, hat mindestens den Verdacht für sich, daß er nichts angestellt haben dürfte, und Herr Jacobsohn, der dieser Abwicklung mit gespanntester Aufmerksamkeit, ja mit weit größerer Objektivität als ich selbst folgte, konnte demnach auch nicht mehr zögern, es ihm zu bestätigen und die Kosten zu ersetzen – nicht zehn Pferde hätten ihn davon abbringen können. Er hatte ein Erlebnis, und er kann nicht umhin, auch durchblicken zu lassen, daß er etwas zugelernt habe. Vielleicht wird er nächstens etwas vorsichtiger sein, die Hauptsache aber ist: er genoß ein psychologisches Schauspiel. Wer's nicht glaubt, lese es. Herr Jacobsohn ist, aus Menschlichkeit, von vornherein zu einem Vergleich bereit. Aber die Gerechtigkeit gebietet ihm, unbeugsam zu sein. Da an seiner eigenen Unschuld vorweg nicht zu zweifeln ist, so bleibt ihm noch die Pflicht, das Gewissen des Gegners aufzurütteln und sodann zu erforschen. Es ist offenbar ein Prozeß, in dem dieser beweisen soll, daß er nicht Arbeitergelder unterschlagen hat, wenn er schon deswegen nicht angeklagt ist. Herr Jacobsohn sieht als Richter der Entwicklung zu und dringt auf die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Hat er die, läßt er über einen Ausgleich mit sich reden. Ohne Verhandlung will er mit dem Gegner nicht verhandeln. Wenn der dann den Vergleich ablehnt? Pah!

Diese Gefahr, die keine ist, will ich laufen. Verhandeln wir los!

Wenn's auf sein persönliches Interesse ankäme, stände er ja nicht hier.

Aber ich habe die furchtbar schwere Beschuldigung, um die es geht, ja keineswegs zum Vergnügen aus dem Protokoll der Reichskonferenz einer politischen Partei und der Darstellung einer Parteizeitung übernommen. Ich war von der Triftigkeit dieser Beschuldigung überzeugt. Ich bin es noch.

(Natürlich ein historisches Präsens, nur für den flüchtigen Leser ein Beharren auf der Verleumdung.)

Und darf nicht früher in einen Vergleich einwilligen, als bis ich zu einer andern Überzeugung gelangt bin ...

Mein Geburtsfehler, daß ich keinerlei Sinn für Pathos habe und auch als Akteur immer Zuschauer bin und bleibe. Mein artistisches Hauptinteresse richtet sich auf den Gegenanwalt ...

Sein Klient bebt drei Stunden lang bis in die Fingerspitzen vor wirklichem Haß auf mich. Den aufzuspeichern, habe ich ihm drei Jahre Anlaß über Anlaß gegeben. Nach diesen drei Jahren hat er endlich geklagt. Und das ist jetzt wieder drei Jahre her. Und Beleidigungsprozesse kommen selten früher zum Austrag, als bis mindestens für die eine Partei die Beleidigungen innerlich verjährt sind.

Eben dies hat Herr Jacobsohn abwarten wollen.

Und so hege ich keine mehr von den Empfindungen, die mich zu meiner Campagne getrieben haben. Ich schaue verwundert auf ihren Stärkegrad. Ich begreife kaum noch, daß ich imstande war, Menschen mit solchem Grimm zu verfolgen. Brauchte es nichts als diese meine Stimmung zu einem Vergleich: er wäre schon zu Fritz Grünspachs Lebzeiten, der ihn immer wieder außergerichtlich angestrebt hat, er wäre spätestens heut, bei Beginn der Verhandlung, geschlossen worden.

Er hegt keinen Groll mehr. Daß er aber dem Wilhelm Herzog nichts mehr nachträgt, ja ihm die Diebstahlsbeschuldigung verzeiht, die er gegen ihn erhoben hat, genügt noch beiweitem nicht, um sie zurückzuziehen. Nun ja, die Stimmung wäre vorhanden, denn die Empfindungen sind dahin.

Aber ohne daß ich mich von der Unschuld des Gegners überzeugt hätte? Undiskutierbar. Wie war diese Überzeugung mir beizubringen?

Man sieht, Herr Jacobsohn begehrt es, so soll ihm der Kläger doch ein bißchen entgegenkommen. In der Regel wünschen die Angeklagten ihre eigene Unschuld zu beweisen, indem sie Beweise beibringen, daß die Beleidigung mit Recht erfolgt sei. Davon kann hier nicht die Rede sein:

Drei Belastungszeugen fehlen. Der Hauptbelastungszeuge war tot. Der Beweis für die Schuld des Gegners war also überhaupt nicht zu führen.

Ein wahres Glück für einen Angeklagten, der nur die Rehabilitierung des Klägers ersehnt und für die Überzeugung von dessen Unschuld alle Kosten übernehmen wird. Er hätte sich ohneweiters verurteilen lassen. Noch war ja aber dem Gegner eine Möglichkeit offen, seine Vergleichsbereitschaft zu nützen.

Für die entschied, ob der Gegner seine Unschuld bewies oder nicht.

Wie gelingt ihm das aber, da er schließlich doch nicht wegen Unterschlagung von Arbeitergeldern angeklagt ist? Er hatte es nicht leicht.

Sie wäre in jedem derartigen Fall zu beweisen, wenn man einen Ton vor Gericht stellen könnte. Hier stand der Ton vor Gericht. Und schien mir echt. So erregt sich nicht, so verzweifelt kämpft nicht das schlechte Gewissen. Aber ich bin von jeher auf so viele Töne hineingefallen, daß ich wohl daran tue, mißtrauisch gegen mich selber zu sein.

Also jetzt heißts sein Mißtrauen zusammen nehmen und scharf aufpassen.

Ich zögere und horche angespannt. Ich suche mit dem Auge Sukkurs. Das Auge des Gegners verschleiert die Wut. Der Ton muß genügen. Der hämmert sich mir ins Gehirn. Ich warte, bis er sich mir ins Herz hämmert.

Jetzt! Hat ihn schon:

Und sowie das geschehen ist, sowie ich mich außer Stand gesetzt sehe, noch einen Zeugen zu befragen, weil ich nicht mehr von meinem Recht überzeugt bin: in dem Augenblick trete ich vor und biete Vergleich an.

Und warum? Aus angeborener Vornehmheit vastehste. Weil er dem »vorbildlich objektiven Richter die Bürde des Urteilsspruchs abnehmen will«. Ferner, weil er die Rehabilitierung eines zu grausam behandelten Gegners, die er sich schuldig sei, »wirksamer zu gestalten hofft« als durch eine Verurteilung. Und last not least wegen der Kasteiung: weil er »den Schein der größern Niederlage aus Gründen und zum Zwecke der Selbsterziehung herbeiwünscht«. Ihr erstes Ergebnis ist der Artikel »Gerichtstag«, die Kritik eines psychologischen Schauspiels, das ihn in Spannung hielt nach der langen Weile, die er bis zur Aufführung hatte verstreichen lassen. Er hat keinen Sinn für Pathos, aber er konnte bei dieser Gelegenheit beobachten, daß sein eigener Anwalt, »das Genie Alsberg«, »wie aus tausendjährigen Augen auf die Komödie blickte«, während er vom gegnerischen Anwalt, Paul Levi, enttäuscht war.

In meinem Fall bedarfs keiner Advokatenkünste. Ob Alsberg in andern Fällen ihrer fähig ist? Dann bin ich sicher, daß seine Dämonie sie reinglüht, seine Besessenheit sie heiligt.

Das ist aber im Fall Jacobsohn unmöglich; weil überflüssig. Umso schlechter spielt der Gegenanwalt. Dem fehlts nämlich an Gesinnung.

Der Kollege da drüben ist ein Vernünftling, der sich künstlich erhitzt.

... Er möchte mich demütigen. Nicht ein Nebensätzchen zu meinen Gunsten! Einverstanden. Eine Bußzahlung! Einverstanden. Befugnis der Publikation in fünf Blättern! Einverstanden. Ach, die Armen haben bis hieher nicht geahnt, was in mir vorging, und ahnen es jetzt erst recht nicht. Sie könnten noch zehnmal so viel von mir erreichen.

Sie nützen die Chance nicht aus, aus Furcht vor seiner »Rache«, über die er sie aber »lachend beruhigt«. Kann man sich für das dreijährige Gezerre, das einem der Gegner angetan hat, nobler revanchieren? Nein, man wird nicht leicht einen Herausgeber finden, der so rein hält. Und der gleichermaßen keusche wie rührende Zug, den Kindermund des eigenen Söhnchens, das um diese Dinge noch nicht weiß, aber sie versteht, zu dem Wirrsal dieser Gerechtigkeit ein Wörtchen sprechen zu lassen! Vater legts zu dem Übrigen und knöpft sich einen neuen vor.

Berlin hats gelesen, aber wußte am andern Tag nichts davon, und die Ehre einer Leserschaft kann selbst durch die Duldung der berufsmäßigen Prozedur nicht abgeschnitten werden und ihr Verstand nicht von einer Darstellung, die eine schändlich verschuldete und schmählich verlorene Gerichtssache zur Ehre ihres Urhebers macht. Und kein Leser wird nach einer Ehrenerklärung, wie sie sich wohl noch kein Angeklagter je ausgestellt hat, Herrn Jacobsohn fragen, warum er, wenn er darauf erpicht war, sich vom echten Ton des Beschuldigten sein Beweismaterial entwinden zu lassen und von dessen Unschuld überzeugt zu werden, die Gelegenheit zu solchem ästhetisch-psychologischen Hochgenuß nicht beschleunigt oder nicht außergerichtlich herbeigeführt hat. Warum ihm die Geduld nicht gerissen ist, da Beleidigungsprozesse erfahrungsgemäß so spät zum Austrag kommen. Aber er würde einwenden, daß die Beleidigungen für ihn noch nicht innerlich verjährt waren; daß es zunächst auf die Läuterung des Gegners und dann erst auf die seinige ankam, daß ihm kein Preis hoch genug sei, um, wenn's an der Zeit ist, so etwas Interessantes zu erleben, und daß der Gegner noch zehnmal so viel von ihm erreichen könne, wenn er nur Geduld hat und auf den Gerichtstag wartet. Denn nur der schafft Gelegenheit, einem geborenen Optimisten, der schon auf so viele Töne hineingefallen ist, die Überzeugung von der Echtheit zu verschaffen und einen, der von Geburt keinen Sinn für Pathos hat, zu erschüttern. Ganz abgesehen davon, daß doch das artistische Hauptinteresse ohne einen Gegenanwalt nur schwer zu befriedigen wäre.

Daß solche Toga der Selbstgerechtigkeit, die fast schon als Talar wirkt, aus Druckpapier hergestellt sein kann, ohne den Träger zu enthüllen, ist überraschend. Daß im moralischen Umkreis der Fackel und vor der ständigen Besinnung eines dem eigenen Forum empfohlenen Vorbilds solches Possenspiel sich entwickeln konnte, ist tragisch. Es reflektiert auf mich, der nach solchem Ausgang keine Haltung sucht, sondern ehrlich den Irrtum bekundet, einen falschen Sachverhalt nicht früher erkannt oder bekannt zu haben. Wenn diese Praxis einer für alle geistige Gerichtsbarkeit unzuständigen polemischen Instanz, diese positivste aller Tätigkeiten, die das Übel vermehrt, nicht durch den bloßen Gedanken an meine Existenz zu hemmen war, dann ist es meine Schuld, statt die Absonderung deutlich zu machen, durch Duldung dem Betrieb ein Ansehen geborgt zu haben oder den moralischen Rückhalt des Anscheins einer Zustimmung. Ich kann es, am verspäteten Gerichtstag, nur ohne den Übermut, der einen Verlierer anwandeln darf, damit erklären, daß ich eben beiweitem kein so prinzipieller Polemiker bin wie Herr Jacobsohn und ein menschliches Rühren eher vor dem Kampf mich anwandeln lasse als nach der Niederlage. Die Erklärung mag auch das Unerklärliche berücksichtigen, daß doch mit so viel geistig und sittlich Minushaftem immer wieder eine Qualität verbunden schien, die schließlich innerhalb eines verschmutzten Kritikterrains die erfreuliche Ausnahme der literarischen Leistung gewährte, trotz einem Pickelhering der Doktrin, in dessen Befangenschaft sein Urteil geriet. Ob sich da ein ungesunder Zusammenhang mit einem Schmutztrieb der eigenen Natur offenbart, die nicht anders gegen ihre Grenze zu protestieren vermag, und wie dieselbe Feder, die den wertvollen Nachruf auf Sarah Bernhardt geschrieben hat, Schauspielerinnen in ihrer privatesten Weiblichkeit bespritzen konnte, ist mir so rätselhaft, wie ich bestimmt weiß, daß ich in Kenntnis der Fälle, die der künstlich erhitzte Gegenanwalt zur Sprache gebracht hat, nie geduldet hätte, daß in der ›Weltbühne‹ auch nur eine Annonce meiner Vorlesungen erscheine, wenn ich deren Lob schon nicht verhindern konnte. Unter den Aktivposten der ›Weltbühne‹, die keinen moralischen Fundus hat, ist nicht einmal mehr der geistige der›Schaubühne‹ vorhanden. Herr Jacobsohn ist mein Entlastungszeuge, der bestätigen kann, daß ich durch mehr als drei Jahre den Prozeß hinausgeschleppt habe. In der Erwartung, daß der Gegner sich läutern werde, aber auch in der berechtigten Furcht vor einem Tatsachenmaterial, hinter dem eine Persönlichkeit verschwindet, die noch schlechter zu meiner Polemik taugt als zu der eigenen. Ein Siegfried, der noch keinen Regenwurm überwunden hat; aber mit dicker Haut.


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