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Zum Empfang

Im Leitartikel der »Daily News« heißt es: Dr. Schober wird allgemein als »der beste Polizeimann außerhalb Londons gezeichnet, der den Scotland Yard der österreichischen Hauptstadt auf eine ungeahnte Höhe gebracht hat. Er ähnelt im Charakter Hindenburg, mit dem er auch im Aussehen eine gewisse Ähnlichkeit aufweist.

Für die Glosse »Transzendentales bei Lippowitz« erfordert Ersatz die Stimmung des Tages. Es ziemt nicht, sich bei Ludendorff aufzuhalten, wenn man von Hindenburg zu sprechen hat. Wir haben auch die andere englische Stimme gehört, die Schober den Hindenburg Österreichs mit der Begründung nennt, er sei »der Typus des loyalen Staatsdieners, der seinem Kaiser treu gedient hat, solange das Kaisertum stand, und der in gleicher Hingabe auch der Republik dient«. Wobei vergessen wurde, hinzuzufügen, daß er nicht weniger treu auch dem Kaisertum dienen würde, wenn's wieder auferstünde. Nicht geringeres Verständnis für diese Vollendung des Begriffes der Treue hat man in Frankreich bewiesen und diesem Verständnis durch Verleihung des Großkreuzes der Ehrenlegion sinnfälligen Ausdruck gegeben. Mit einem Wort, es ist nicht zu leugnen und wir dürfen uns darüber keiner Täuschung hingeben, daß die Figuren meines satirischen Reiches, wiewohl unverrückbar diesem zuständig, doch zeitweise Urlaub in die Wirklichkeit nehmen, ja in dieser sogar zu europäischen Figuren werden können. Wie immer sie nun da wirken mögen und auch wenn sie durch eine Vertretung, zu der jeder Figurant tüchtig wäre, sich scheinbar nützlich machten, und obgleich auf ihr Konto Erfolge gebucht werden, die vorweg beschlossen sind, wer immer sie davonzutragen hätte – wie sollte es nur im Geringsten ein Werturteil über sittliche und insbesondere intellektuelle Qualitäten berühren können, durch das die Figur eindeutig und unabänderlich bezeichnet ist und bleibt? Leider bin ich ja der einzige Faktor dieses öffentlichen Lebens, bei dem man es sich nicht richten kann. Und nicht einmal durch ein Gericht; denn diesem ist zwar ein Ziel aufs innigste zu wünschen, aber nicht zu erstreben. Herr Schober bemüht sich jetzt sichtlich, alle Versäumnisse des Geschworenen-Zeitalters wettzumachen: bis auf ein einziges. Er ließ sogar das junge Mädchen anklagen, das »Nieder mit der Schober-Regierung!« gerufen hatte. Ein vernünftiger Richter war der Ansicht, daß die Meinungsdifferenz innerhalb der Möglichkeit, auf die Schober-Regierung ein Hoch oder ein Nieder auszubringen, nicht judiziell zu betrachten sei. Leider gibt es aber keinen Gerichtshof, vor dem ich mich darüber beschweren könnte, daß Herr Schober ausgerechnet auf mein Urteil so wenig Wert legt, welches sich doch gerade in den Ländern, aus denen er jetzt heimkehrt, einer gewissen Achtung erfreut. Freilich, man sagt von ihm – und nach der Unterwerfung der Sozialdemokraten hat es ja seine Richtigkeit –, daß er keinen Feind hat, und der eine zählt nicht. Der ist der einzige, den man, wenn man zur Tagesordnung schreitet, getrost dort liegen lassen kann, wo er liegt, nämlich links. Und habe ich es mir nicht selbst zuzuschreiben, wenn ich nicht an Schober glaube? Österreich erneuert sich zusehends und ich sehe zu. Darum finde ich auch die folgende Lokalnotiz weit beträchtlicher als alles, was aus der großen Welt berichtet wird, denn hier bietet sich wirklich ein Bild der Befriedung, das mit allen kontrastierenden Mächten dieses Landes sogar noch die Gestalt Seipels einbezieht. Ja, es handelt sich um den seltenen Fall, daß Seipel segnet, was Schober gespendet hat:

Das dem Gesangverein österreichischer Eisenbahner am Samstag vom Bundeskanzler Dr. Schober überreichte Banner der Bundesregierung erhielt gestern in der Stephanskirche seine kirchliche Weihe. Zu dieser Feier waren zahlreiche Ehrengäste erschienen, darunter die Gattinnen der Minister Hainisch, Srbik, Hussarek-Heinlein, Frau Exzellenz Banhans, die Gattin des Landeshauptmannes Buresch, die Minister Dr. Innitzer und Schumy, General Knaus, Generalmajor Wiesinger, Vizebürgermeister Hoß, der Leiter der Generaldirektionen der Bundesbahnen Ingenieur Sedlak, Präsident Lipschütz der »Concordia« und viele andere. – Den Weiheakt nahm Altbundeskanzler Dr. Ignaz Seipel vor. – Unter Orgelgebraus bewegte sich der Zug feierlich aus dem Dom.

Wie man sieht, kommen die österreichischen Dinge meiner Perspektive doch näher als diese ihnen. Man spielt noch mit Bannern und Fahnen, und Juden sind auch dabei. An Schober glaube ich trotzdem nicht, wohl aber sehe ich ihn so: Er ist hinreichend schlau, um sich selbst hineinzulegen, und so schlicht, daß er sich hereinfällt. Er hält sich ganz bestimmt nicht bloß für den besten Polizeimann außerhalb Londons, sondern auch für den größten Staatsmann Europas. Ich habe die Absicht, seine Reden zu sammeln und seine Gedanken und Erinnerungen herauszugeben. Eine weitere Konzession werde ich nicht machen. Für mich, der heute noch das Gedächtnis des Polizeikriegs wie des Weltkriegs bewahrt (wo wir doch »die berühmte Formel: Schwamm drüber« kennen hat sich ja nicht das geringste geändert. Mir übertönt die Anklage von neunzig Toten, der Wehruf eines einzigen Schattens wie jenes Apothekerlehrlings Hans Erwin Kiesler alles Hosianna einer politischen Wirklichkeit. Und für mich bleibt die offene Lücke: Wenn Herr Schober in London, wo ihm die Genossen unserer Schmach entgegenkamen, auf den ruhmreichen Beginn seiner Polizeikarriere verwiesen hat: er habe seinerzeit in Marienbad die Sicherheit des Königs Eduard verbürgt – warum hat er in Paris nicht auf ein analoges Verdienst um den Bekessy hingewiesen? Mit einem Wort, ich will sagen, ich habe ihn noch gekannt, wie er Polizeipräsident war, und ich finde es ganz in Ordnung, daß er zwischen den großen Staatsagenden, von denen er in Haag, Rom, Berlin, Paris und London nach deren jeweiligen Abschluß erfährt, die engeren Fachkollegen aufsucht und Polizeikasernen visitiert, ähnlich dem Cabriolo in der »Prinzessin von Trapezunt«, der als Schloßherr heimlich Feuer schlucken geht. (Anm.: In Pest hat er Parade abgehalten und die wohltuende Wirkung auf sein »Polizeiherz« betont – also ganz jener Fall von Nostalgie.) Man darf sich die Haupt- und Staatsaktionen, die Herr Schober im Ausland durchführt, überhaupt nicht so staatlich vorstellen, wie seine Presse es darstellt. Im Gegenteil kann ich deren Lesern verraten, daß sich an einem der Hauptknotenpunkte des diplomatischen Verkehrs die Tischgespräche der österreichischen Legation, die tagsüber Sehenswürdigkeiten und Naturschönheiten besichtigen konnte, durch drei Wochen ausschließlich um Mittelschulerinnerungen gedreht haben: so in der Art, was denn aus dem Doleschal geworden sei, der immer eing'sagt hat, und daß der Geschichtsprofessor Vogelhuber diese und jene unvergeßliche Gewohnheit hatte. Die Neue Freie Presse würde es mir ja nicht glauben, denn sie schäkert:

Das sieht so gemütlich und gradlinig aus: der Bundeskanzler fährt nach Rom, er fährt nach Berlin, er fährt nach Paris und in die Hauptstadt des britischen Reiches. Der gewöhnliche Staatsbürger glaubt wahrscheinlich, mit einem Rundreisebillett bringe er das ebensogut zustande, ja er wird vielleicht solche Aktionen mit jenem Lächeln begleiten, mit jener Kunst der Selbstverkleinerung –

Ich präsentiere mich der Neuen Freien Presse als diesen gewöhnlichen Staatsbürger, welcher zuallerletzt ihr hereinfällt, wenn schon irgendetwas in mir dazu inklinierte, dem österreichischen Humbug als solchem zu erliegen, der jetzt aus der leibhaftigen Mediokrität nicht bloß den Hindenburg macht – wozu ja wohl wirklich nichts als ein landesväterliches Profil benötigt wird –, sondern den Bismarck selbst. Gewiß, ich »brächte es ebensogut zustande«, aber ich würde mich nie zu der Strapaze von Besuchen herbeilassen, deren jeder die Entschuldigung des vorhergehenden zu sein hat, auch wenn ich jeweils sprechen könnte, wie dem andern der Schnabel gewachsen ist, und dafür »Formeln« fände. Ein Volk und zwei Staaten – ein Mund und zwei Zungen, oder nach Bedarf noch mehr! Da bin ich anders. Ich gebe die bindende Erklärung ab, daß ich die Erneuerung Osterreichs nicht zur Kenntnis nehme, selbst wenn es mir zum Schaden gereichen sollte. Dagegen will ich zugestehen, daß ich hier singen und sagen gelernt habe, wenn schon nicht bei den Babenbergern, so doch bei den Habsburgern, und so sehe ich nicht ein, weshalb ich den Wienern die Zusatzstrophe zur »Prinzessin von Trapezunt« vorenthalten sollte, die mir kürzlich – knapp vor einer Vorlesung in Prag – unter dem zwingenden Eindruck der Pariser Triumphnachrichten eingefallen ist. Um ihr Gehör zu verschaffen, ist aber der Vortrag der lieblichen Grundstrophe unerläßlich, und Offenbachs Musik entschädigt ja hoffentlich nicht bloß mich für mancherlei, was wir nicht mögen.

In Trapezunt einst hausete
Die schönste Maid vom Orient.
Die Fürsten all' in Fern' und Näh'
Von Liebe waren heiß entbrennt.
Doch leider sie geschworen hat,
Zu leben stets im Zölibat,
Sie lachte über alle nur,
Die töricht machten ihr die Kur.
Und hatte keinen andern Grund,
Als weil sie war aus Trapezunt.
Und hatte keinen andern Grund,
Als weil sie war aus Trapezunt.
[: Nur herein, nur hereinspaziert, wollt ihr das Wunder schaun,
Die schönste, die schönste von allen Fraun! :]
[: Tschingbum dadera :]
[[: Tschingbum :]]

Aus Frankreich kehrt der Schober heim,
er hat erfüllt dort seine Pflicht.
Europa geht ihm auf den Leim
ich aber tu's noch immer nicht.
Denn ich kenn ihn noch aus dem Jahr,
wo er beiweitem kleiner war,
und zwar vor Bekessy, den dies-
bezüglich er entwischen ließ:
ja nach Paris, von wo davon
er trägt die Ehrenlegion.
Durch mich jedoch hat andrerseits
er nach wie vor das große Kreuz.
[: Und nach Pflicht spaziert er heute schon mit allen zu Gericht,
nur mit mir spaziert er noch immer nicht :]
[ Tschingbumdadera :]
[[: Tschingbum :]]


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