Joseph Seligmann Kohn
Der jüdische Gil Blas
Joseph Seligmann Kohn

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Vorletztes Kapitel

Rabbi Feibisch. – Meinungen über den jüdischen Cultus-Tempel in Wien und die Zweckmäßigkeit des daselbst eingeführten Gottesdienstes in deutscher Sprache.

Am folgenden Tage hatte Buna, nach einem in meiner Gesellschaft eingenommenen Morgen-Imbiß, mich lächelnd an das Fenster geführt, welches mir eine unbegrenzte Aussicht in die am Sabbat wohl gesäuberte Judengasse verschaffte. Ich weidete meine Augen an dem Anblicke der ergötzlich costümirten Gestalten, welche um diese Stunde dem Bethause entströmten. In der That gewährten die vielfachen Gruppen schnatternder Mütterchen mit ihren, von Kunstblumen durchwirkten faltenreichen Gewändern, seidenen Jäckchen und Perlen besäeten Goldhäubchen einen eben so possierlichen Anblick als die nach den verschiedenen Hausthüren hin sich zerstreuenden männlichen Individuen mit den dickleibigen Andachtsbüchern unter dem Arme, in schwarzen Festtagskleidern und runden Filzdeckeln, mit blühend weißen Halskrausen, nach allen Richtungen hinhüpfend. Einzelne waren theilweise von dieser Art abgewichen, und schritten in runden Hüten und modernen Mänteln, aus welchen der, den Oberleib herabfließende Bet-Talar verstohlen hervorguckte, die lange schlecht gepflasterte Gasse herab. Diese kühne Abweichung von der Ortssitte, ließ auf Wohlhabenheit jener Individuen schließen, welchen die ärmern Gemeindeglieder dergleichen Freiheiten eher zugestehen mögen. Mehrere Greise, in dem oben geschilderten Sabbatanzuge prangend, trippelten, mit dem dicken Pentateuch-Quartanten unter dem Arme, von kleinen Jungen gefolgt, ihren Wohnungen zu, oder schritten mit einem Geistesverwandten in talmudischen Streitfragen begriffen, mit den Händen lebhaft gesticulirend, an den Straßenwänden auf und ab. In Aller Antlitz glänzte die freudige Behaglichkeit der stillen Sabbatfeier.

Eine dieser grotesken Gestalten war jetzt auf die Wohnung meines Wirthes, diesem folgend, zugeschritten. Alsogleich klappten die beiden Fensterflügel zu, und Buna beschwor mich jetzt, auf die bedrohliche Visite vorbereitend, daß ich mich aller spottenden Blicke und Aeußerungen über die Ortsgebräuche im Beiseyn des Alten klüglich enthalten wolle. Die Zimmerthüre gähnte langsam auf, und die schwarzbraune, schlanke Greisesgestalt hinkte mit dem üblichen Sabbatgrusse auf die Anwesenden zu. Hinter ihm folgte der junge Hausherr mit einem triumphirenden Lächeln, weil es ihm geglückt, den leutescheuen Rabbi in seine vier Pfähle zu locken. Ueberdies galt der Besuch jenes Mannes jedem Gemeinde-Mitglied für eine ungewöhnliche Ehrenbezeugung, denn Rabbi Feibisch stand dem religiösen Oberhaupte der Gemeinde am nächsten an talmudischem Wissen und frommem Wandel; und erfreute sich fast gleicher Hochachtung unter seinen Glaubensbrüdern. Kalman, welcher sonst nicht gut zur Klasse der Frömmler gezählt werden konnte, schien, da er die Denkweise der Meisten in seiner jetzigen Umgebung kannte, ihre Philosophie auch sich anpassen zu wollen, neigte sich daher zur Parthei der Frommen, beobachtete ängstlich die Ritualien, welche die Sitte des Ortes längst geheiligt, und dieses politische Anschmiegen hatte ihm in der Gemeinde jene allgemeine Achtung erworben, nach welcher er so sehr geitzte, und welche die Wohlhabenheit allein nicht zu erringen vermag. Rabbi Feibisch, dies hatte Kalman längst abgemerkt gehabt, erfreute sich eines größern Anhangs in der Gemeinde als selbst ihr religiöses Oberhaupt; und stand zu erfahren, daß der sonst so sehr die Einsamkeit liebende Feibisch, der ungern nur Besuche empfing, diesmal sogar das Haus eines Andern und überdies eines Jüngern betrat, so konnte dies als eine Begünstigung seltener Art für den Besuchten gedeutet werden.

Als Feibisch seinen Platz mir gegenüber eingenommen hatte, der ich von Kalman als ein Freund seiner Familie aus Prag dem Rabbi vorgestellt worden war, legte der Greis seinen runden Filzdeckel neben sich hin, nur das schwarze Sammtkäppchen aufbehaltend, weil baarhaupt zu erscheinen den frömmern Juden, gemäß der fortgeerbten orientalischen Sitte, unschicklich dünkt; und streckte die schwarzbestrümpften Füße, an welchen zierliche Silber-Schnallen funkelten, weit vor sich hin. Nachdem er einige Minuten mit den Fingern in den schwarzgrauen Barthaaren herumgewühlt, schien er gewahrt zu haben, daß meine Blicke fortwährend auf seinem Filzdeckel hafteten. Die Ursache errathend, bemerkte er mit lächelnder Miene, daß der Grund meines Hinstarrens auf einen an sich so unbedeutenden Gegenstand ihm nicht unbekannt sey, und glaubte mich versichern zu müssen, daß nur die seiner Stellung zufolge, unerläßlichen Rücksichten gegen die herrschende Ortssitte ihn zu dem Beibehalten dieser längst veralteten Tracht vermocht hätten; welche, so komisch sie auch der heutigen Generation dünken müsse, doch im sechszehnten und siebenzehnten Jahrhunderte von Deutschlands berühmtesten Gelehrten und Staatsmännern in dieser wunderlichen Kopfbedeckung getragen worden sey. Sodann fragte er mich, ob ich eine Gelegenheit gefunden, einige alte Oelgemälde aus dem Zeitalter Albrecht Dürer's zu besehen? Melanchthon, Calvin und viele nahmhafte Männer jener Periode, versicherte er mich, wären ihm nie anders abgebildet zu Gesichte gekommen, als in jenen sogenannten Nürnberger Barets, von unserm Volke in der gewöhnlichen Wortverstümmelung B'retl genannt.

Der Sprecher hatte das Erstaunen, welches sich auf meinem Gesichte malte, ob der von mir unerwarteten Bekanntschaft eines Talmudisten mit Gegenständen, die so weit von seinem Wirkungskreise entfernt lagen, und welche zu wissen, keinem Rabbi zugemuthet werden konnte, mit heimlichem Frohlocken bemerkt; und um meine Verwunderung noch mehr zu steigern, fuhr er in dem angenommenen Tone fort: »Es ist eine Eigenthümlichkeit unseres Volkes, länger als jede andere Klasse der bürgerlichen Gesellschaft am Alten und Verjährten fest zu hangen, dies findet sich auch in gewissen Wortstellungen und Redewendungen, wie: »Was ist die Mähre?« anstatt: »Was giebt es Neues?« die aus dem Mittelalter herstammende Anrede fremder wie bekannter Personen mit dem Wörtchen Ihr und Euch, anstatt des nach jetzigen Begriffen höflichern Sie und dgl. m. Die sicherste Bürgschaft für diese Behauptung ist der Kleiderschnitt der Meisten aus unserm Volke geblieben, welcher nebst dem kleinen dreispitzigen Hütchen auffallend an das Jahrhundert Ludwigs XIV. erinnert. Aber gleichwie die deutschen Juden so ängstlich an der Kleidersitte der christlichen Zeitgenossen ihrer Vorfahren festhalten, noch weit beharrlicher zeigen sich in diesem Stücke die polnischen Juden, deren eigenthümliche Tracht nicht ihre Erfindung, sondern den alten Sarmaten entlehnt ist; denn nicht nur die Polen, sondern auch die Böhmen, welche beide bekanntlich von den, aus dem Norden Asiens, in Europa eingewanderten Sarmaten abstammen, sollen jene Kaftane und Mützen getragen haben; und erst Kaiser Karl IV., welcher die Einwanderungen der Ausländer so sehr begünstigte, hat den Geschichtsschreibern jenes Landes zufolge, an ihre Stelle den schon damals die civilisirteren Provinzen Europa's beherrschenden Pariser Kleiderschnitt einzuführen vermocht.«

Kalman ließ sich hierauf einwendend vernehmen, daß mindestens die jüngere Generation von dem Vorwurfe des Festklebens an alten Gebräuchen wohl auszunehmen sey, weil in Hamburg und nun auch in Wien sie selbst an die zeitgemäße Umformung eines weit wesentlichern Gegenstandes, nämlich an eine Andersgestaltung des Gottesdienstes sich gewagt. Den allgemeinen Beifall, welchen der nun auch in Wien errichtete Cultus-Tempel gefunden, worin nach christlicher Weise der Gottesdienst mit Chören und Musikbegleitung abgehalten wird – meinte der Bemerker – dürfte wohl als der passendste Beleg für die Wahrheit seiner Behauptung gelten.

Auch ich verwickelte mich jetzt in den Faden des Gespräches und erklärte, daß diese Reform jüdischer Andachtsweise sehr zu mißbilligen sey, und nur der Reiz der Neuheit den Anhängern dieses Cultus Partheien werbe, wie überhaupt alle Besucher des neuen Tempeldienstes den dabei abzuhaltenden Gebräuchen mit denselben Empfindungen, wie einem fremdartigen ungewöhnlichen Specktakel, einem pomphaften Aufzuge u. dgl. beiwohnen. »Diese kirchlichen Ceremonien des Abendlandes« – fuhr ich mit Emphase fort – »werden sich nimmermehr mit der orientalischen Denkweise des Ebräers vereinigen, dessen Begriffe von Heiligkeit und Ehrfurcht selbst in unbedeutenden Dingen so auffallend von den Sitten des Christen abweichen, daß er das Abziehen des Hutes am Orte der Andacht eben so unschicklich und verletzend findet, als in Schuhen oder Stiefeln den Priester jenen Ort des Bethauses betreten zu lassen, von welchem herab dieser an Festtagen dem Volke seinen Segen ertheilt. Der müßige Pöbel ergötzt sich an den neuen Formen dieses Cultus, horcht mit affectirter Weihe den Tönen der Musik, will aber kaum sich selbst gestehen, daß jenes fromme Gefühl, welches den wahrhaft Andächtigen beseelt, sich an solchen Orten nimmermehr einstellen wird.«

Buna ließ sich hierauf entgegnend vernehmen, daß jenes unharmonische Zusammenstimmen der Andächtigen in den gewöhnlichen Bethäusern, das Feilbieten der heiligen Amtsverrichtungen, die während der Gebetpausen laut werdenden Schwätzer u. s. f. eine Verbesserung des Gottesdienstes und eine Andacht erweckende Form desselben längst wünschenswerth machten, zudem sie nur loben könne, daß in diesem Cultustempel, wie man ihr erzählte, die Gebete nicht in jenem den Weibern unverständlichen hebräischen Idiome, sondern in der Landessprache abgehalten werden, und daher ihrem Zwecke mehr entsprechen.

Diesen Vorzug meinte der gelehrte Rabbi in Zweifel ziehen zu müssen, und berief sich in dieser Sache auf die Autorität eines Christen, den Philosophen Montaigne, der es dem Gottesdienste der Katholiken nachgerühmt, die lateinische Sprache in den Gesängen des Priesters, bei den Meßopfern und sonstigen kirchlichen Functionen fortleben zu lassen; denn der fremdartige Klang jener unverständlichen Worte weckt in der Brust des Laien einen heiligen Andachtsschauer, welchen die im gewöhnlichen Leben zu den profanen Tagsgeschäften gebrauchten Worte nicht zu bewirken vermögen.

Kalman widerlegte dem Sprecher, daß dem von dem Rabbinen eingeführten ältern Gottesdienste, bei welchem die Masse der täglichen Gebete selbst dem Frömmsten eine ununterbrochene Aufmerksamkeit auf den Inhalt derselben unmöglich macht, und seine Andacht zu einem bedeutungslosen Geplärre herabzieht, eben so wenig das Wort zu reden sey, und er halte überhaupt eine kirchliche Radikal-Verbesserung des Judenthums für eine Idee, die nie realisirt werden könne.

Der Rabbi fragte lächelnd, welchen Grund man für die Unverbesserlichkeit des jüdischen Volkes anführen könnte? und erhielt zur Antwort, daß eines Theils das Kleben am herkömmlichen, andern Theils der Verfolgungsgeist gegen einige hellsehende Zeitgenossen, wie auch die durch Zerstreutleben in verschiedenen Ländern unmöglich zu bewirkende Sitten-Einheit der jüdischen Gemeinden die gutgemeinten Absichten der wenigen Reformatoren stets vereiteln werden. »Wünschenswerther« – setzte unser Wirth hinzu – »wäre es, in Glaubenssachen zeitgemäße Umänderungen vorzunehmen, anstatt in Nebendingen uns dem Zeitalter anpassen zu wollen.«

»Und worin bestehen diese Nebendinge?« fragte Buna ihren Gatten.

»In dem lächerlichen Streben« – lautete die Antwort – »der Meisten unseres Volkes, ihre jüdischen Namen gegen christlich lautende umzutauschen. So nennt sich der in den Stadtbüchern als Abraham eingeschriebene jüdische Stutzer im gewöhnlichen Leben Adolf, Moses wird zum Moritz, Bele meldet sich als Babette, u. s. w.«

»Und doch ist selbst Bele« – belehrte uns der Rabbi – »ein aus dem Mittelalter nur in verpfuschter Form auf uns überkommener christlicher Namen, lautet unverstümmelt: Bella und bedeutet schön. Ebenso ist Buna« – hier lächelte der Redner unserer Wirthin zu – »mittelalterlich christlichen Ursprungs, sollte Bona ausgesprochen werden, und lautet in der Uebersetzung: gut. Aber wie die beiden hier angeführten weiblichen Namen aus dem Lateinischen abstammen, leitet man den meinigen Feibisch aus dem Griechischen her; von seiner Verstümmelung befreit, würde er Phöbus klingen, und ich daher anstatt im Conscriptionsregister als Veit angemerkt, weit passender als Apollonius dort eingebucht seyn. Daß diese Verbesserung meines Namens die einzig richtige sey, beweiset der hebräische Name Schuragien (Licht), welcher mit Feibisch stets verbunden ist, bei den Griechen war bekanntlich Phöbus der Sonnengott, und so werden Sie meine etymologische Erklärung gewiß ungezwungen finden.«

»Woher« – fragte Buna – »mögen die griechischen und lateinischen Eigennamen zu uns übergegangen seyn? Der characteristische Absonderungsgeist unserer Nation scheint der Aufnahme derselben wohl nicht günstig gewesen zu seyn.«

»Dieser Absonderungsgeist« – erklärte Feibisch – »hat sich nur auf Wesentlichkeiten, wie den Gottesdienst und die Ehe beschränkt; in andern Dingen jedoch, deren Annahme die Nationalität der Juden weniger zu gefährden schien, haben wir zu allen Zeiten der Landessitte zu huldigen gesucht. Jene jüdischen Gemeinden, welche in Alexandrien und andern griechischen Städten ihre Wohnsitze hatten, mochten mit den Sitten ihrer Orts-Nachbarn zuweilen auch ihre Namen sich angeeignet haben. Diese Licenz hat, wie aus den angemerkten lateinischen Weibernamen zu ersehen, deren Einführung erst im christlichen Mittelalter statt fand, sich bis auf die gegenwärtige Zeit unter uns fortgeerbt.«

»Und doch« – ließ ich nach langer Pause mich wieder vernehmen – »scheinen die Behörden unser Anschmiegen an die Sitten des Volkes, unter welchem wir leben, mindestens in diesem Stücke nicht gut heißen zu wollen. So wurde kürzlich der Religionsvorsteher der Judengemeinde in Prag zu einem Staatsbeamten gerufen, um dessen Mißbilligung zu vernehmen, weil er dem unter der dortigen Judenschaft um sich greifenden Unwesen nicht zu wehren gedenke, indem die ganze jüngere Generation seines Glaubens ihre hebräischen Vornamen willkürlich mit solchen christlichen Ursprunges vertauschen.« Der Rabbi vertheidigte sich mit einem Witze, welcher auf einem geschichtlichen Factum basirt war. »Als der Welteroberer Alexander von Macedonien« – erzählte er – »auch in Jerusalem eingetroffen war, berathschlagten die Weisen Judäa's unter sich, welche Art von Ehrenbezeugung man dem großen Könige erweisen könnte, deren Werth in der Neuheit des Gedankens zu suchen sey; und man kam überein, alle an demselben Tage in der Stadt geborenen Knaben nach dem griechischen Helden zu benamen, um auf diese Art die Erinnerung an denselben bis auf die späteste Nachwelt in Israel festzuhalten; der Welteroberer soll über diese ihm erwiesene Aufmerksamkeit so eigenthümlicher Art sich sehr günstig geäußert haben. Wenn nun« – schloß der Rabbi seine Erzählung – »einer der mächtigsten Könige, dessen Namen die Geschichte noch jetzt mit Bewunderung ausspricht, einen Act von ehrender Auszeichnung darin finden wollte, daß sein Name auf die Kinder Juda's überginge; dürfte dann noch wohl ein von Wurzeln und Kräutern seine ärmliche Existenz fristender Heilige diese nun auch ihm zuweilen von einem Sprößling Jakobs erwiesene Huldigung so gar übel aufnehmen?«

Ein unisono angestimmtes Gelächter lohnte meinen Beitrag zu der Conversation, die sich noch lange fortgesponnen hätte, wenn nicht Feibisch durch einen seiner Domestiken abgerufen worden wäre, der ihm die Mahnung seiner Ehehälfte hinterbrachte, sie und das Hauspersonale nicht länger auf das Mittagessen warten zu lassen. Eilig, als gälte es die Rettung eines Menschenlebens, hüpfte der Greis von seinem Sitze auf, nur mit einer flüchtigen Verbeugung von uns Abschied nehmend.

Während des Mittagmahles unterließ Buna nicht, der Eigenschaften dieses Mannes ausführlich zu gedenken. Indem sie aber der ungewöhnlichen Gedächtnißstärke des Rabbi und seinem durch vielfache Studien genährten Scharfsinne, das verdiente Lob zugestand, konnte sie doch nicht unterlassen, Klagen über dessen Mangel an sittlicher Ausbildung vorzubringen. »Die Vernachlässigung seines Anzuges, die kecke nonchalence im Umgange mit unserm Geschlechte« setzte sie empfindlich hinzu – »die ununterbrochenen Tabak-Transporte, welche dieser Mann in nur kurzen Pausen mit eckelhaftem Geräusche seinen Nasenhöhlen zuführt, das Spritzen aus dem Munde, wenn er mehr als zwei Redesätze vorzutragen hat, diese häßlichen Angewohnheiten haben mir sein Ausbleiben längst wünschenswerther als seine Besuche gemacht.«

Ihr Gatte hingegen glaubte zum Ruhme des Angeklagten vorbringen zu müssen, daß ein Mann, der um nicht gegen die beschränkte Denkweise seiner Umgebung zu verstoßen, jedes Studium eines nicht religiösen Gegenstandes nur verstohlen vornehmen durfte, wegen seines Vertrautseyns mit den Wissenschaften auf größere Nachsicht mit ihm anklebenden sittlichen Mängeln Anspruch machen dürfte. Ueberhaupt – meinte Kalman – verdiene Rabbi Feibisch seines vielseitigen Wissens und toleranter Gesinnungen halber, größere Würdigung als Tausende seiner Standesgenossen, die jede andere Weisheit als die aus dem Talmud geschöpfte stolz verschmähen, weil sie ausschließlich die Gemara als den Born alles menschlichen Wissens angepriesen wünschen möchten.


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