Joseph Seligmann Kohn
Der jüdische Gil Blas
Joseph Seligmann Kohn

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Wir wurden jetzt durch den eintretenden Hausherrn in unserm Zweigespräche unterbrochen, welcher sich sehr freute, in dem neuen Wirkungskreise als Familienvater von mir überrascht worden zu seyn. Mit einem kräftigen Händedruck gab er seine ungeheuchelte Freude über meine Besuchsreise zu erkennen, wünschte mir zu der beabsichtigten Verbindung mit Judith Glück und Segen, und meinte, sein mir kürzlich angebotener Posten eines Commissionärs, für seine Wollversendungen nach Böhmen, dürfte mir unter den eingetretenen Umständen doppelt willkommen seyn, weil dieser Posten ein gewinnbringender sey, ohne das Wagniß meines eigenen Kapitals zu bedingen. Am Schlusse gestand er seine Freude über den seit seinem Verschwinden von mir ausgeführten Vorsatz, das Lehramt mit dem nutzbringendern und zugleich ehrenvollern Berufe eines Geschäftsmannes zu vertauschen.

Jetzt ward der Faden der Conversation durch die alte Lea abgerissen, welche die Erlaubniß nachsuchte, das Abendessen auftragen zu dürfen. Ihrer Versicherung zufolge, war bereits eine volle Stunde über die anbestimmte Zeit verstrichen. Kalman rückte zuerst seinen Stuhl, der Dienstperson als erwünschtes Zeichen, daß er mit ihrer Meinung vollkommen einverstanden sey. Wenige Minuten nachher bewährte er, der ehedem selbst an Glaubenspunkte sich nicht sonderlich zu binden pflegte, wie sehr die Ausheirathung, und mehr noch vielleicht die zugleich eingetretenen Rücksichten gegen die Wünsche der Anverwandten seiner Gattin auf seine Sprech- und Handlungsweise verändernd eingewirkt haben mochten; denn er breitete mit komischem Ernste ein weißes Tuch auf die, vor sein Gedeck hingelegten vom feinsten Weitzenmehle gebackenen Sabbatbrode, wusch sich sodann nach der von unserm Volke beibehaltenen orientalischen Sitte dreimal die Hände, faßte sodann, den mit Wein gefüllten Becher in der Rechten und sprach stehend den Segen über den eingetretenen Ruhetag mit den aus der Genesis entlehnten Worten in hebräischer Sprache:
 

»Und als Himmel und Erde erschaffen waren, da ruhte der Herr aus von seinem Schöpfungswerke am siebenten Tage, und der Ewige segnete diesen Tag und heiligte ihn: Gelobt seyst du, Ewiger, der den Sabbat geheiligt.«
 

Hierauf reichte er den, von ihm zuvor genippten Becher uns, der Reihe nach hin, daß jedes einige Tropfen Weines zu Ehren des Sabbats kosten möge. Buna sah mit andächtigen Blicken in die Strahlen der, das stark geheitzte Stübchen freundlich erhellenden Sabbatlampe, und fühlte sich aufgelöst in fromme Gedanken.

Mancherlei Gegenstände des Gespräches wechselten, während der Dunst aus dem gefüllten Suppen-Napfe aufstieg. Ich konnte mich einiger Bemerkungen über die auffallende Sabbatverehrung nicht erwehren, welche sich hier in einem noch bemerkbarern Grade ausspräche, als unter den Judengemeinden in großen Städten. Buna belehrte mich hierauf, daß der vollkommene Werth des unschätzbaren Geschenkes, welches Gott unserm Volke mit dem Gebote der Sabbatfeier zudachte, von den Bewohnern kleinerer Ortschaften oder solcher Städte wie Preßburg, wo der Israelite vergeblich gegen die Intoleranz der christlichen Nachbarn ankämpfend, sich auf die häuslichen Freuden beschränken muß, am ehesten begriffen werde. Aus diesem Grunde, meinte sie, hängen die vom Strome weltlicher Zerstreuungen und großstädtischer Belustigungen hingerissenen Wiener Juden am wenigsten noch an der Sitte ihrer Väter, und das Bedürfniß der Religion wird fast bei allen vermißt. Die von Nahrungssorgen weit mehr gedrückten Landbewohner, welche meist auf das armselige Krämergewerbe angewiesen, sind, nach sechs mühevoll verlebten Tagen die wohltäthige Einwirkung des stillen siebenten in seiner ernsten Feier mit aller von ihm ausgehenden Wonne zu empfinden, weit geeigneter. »Versetzen sie sich« – fuhr die nun in den Fluß der Rede gerathene Wirthin gegen mich gewendet, fort – »versetzen Sie sich im Geiste an die Stelle jener dürftigen Hausirer, welche vom Montag Morgen bis zum Sabbat-Eingang in den Dörfern und Flecken, unter der Last ihres Waarenbündels zu erliegen vermeinend, herumkeuchen, und Sie werden gewiß von den Mühen einer schwülen Woche entkräftet, mit gleicher Sehnsucht die Sabbatruhe herbei wünschen. Selbst das Loos der Wohlhabendern wird keine Neider wecken, denn jene kennen keine andere Bestimmung als die Jahrmärkte der kleinen Städtchen abwechselnd zu besuchen. Hockend zwischen Ballen, Kisten und Fässern, welche dem Frachtwagen zu seiner Größe verhelfen, werden diese genügsamen Leute in ihrem hölzernen Gehäuse abgerüttelt; und jeder im Wege liegende Feldstein droht auf der umgebauten holprigen Landstraße der Karavane den Tod der Zermalmung unter der Last der untereinander geschüttelten Frachtstücke. Schon um Mitternacht fährt die kleine Familie, Männer, Weiber und Kinder, als gelte es eine Auswanderung, auf diesen offenen Lastfuhren dem Jahrmarktsorte zu, allen Eindrücken der Witterung Trotz bietend. Nicht selten versinken die Räder der belasteten Maschine in den grundlosen Lehmboden; dann soll Jung und Alt, unfähig im Dunkel der Nacht die Stützpunkte zu prüfen, den halsbrechenden Sprung von dem Gipfel des Kistenberges auf die Erde machen, um mit vereinten Kräften die Räder aus dem Schlamme zu ziehen. Man preiset sich glücklich mit der Morgenröthe zugleich noch das Nest erreicht zu haben, wo der Jahrmarkt so eben durch das sich einstellende geräuschvolle Treiben den Antritt seiner wenige Stunden langen Herrschaft verkündet. Der sinkende Abend, welcher allen andern Leuten zur Ruhe dämmert, mahnt die Krämerfamilien an das Einpacken und Aufladen der Waarenstücke, und an die nächtliche Weiterfahrt, denn ein anderer Marktflecken heischt am nächsten Morgen ihre Gegenwart. Nach solchen fünf bis sechs von Schlaflosigkeit, Frost, HungerDer an seinen Glaubens-Normen festhaltende Jude ißt bekanntlich nicht aus christlicher Küche. Er begnügt sich auf Reisen, wo er nicht bei Glaubensverwandten einsprechen kann, mit Kaffee, Butterschnitten, Kartoffeln in der Schale und Eierspeise, wo die letztere er sich selbst in noch nicht zuvor gebrauchten Geschirren am Heerde seines Wirths auskocht. Der Grund zu dieser Absonderung liegt in der Bibelstelle: »Du sollst kein Böcklein in der Milch seiner Mutter kochen«, (Exod. Kap. 23. V. 19) woraus die Rabbinen den Schluß gezogen, daß Milch- und Fleischspeisen vermischt genossen, als göttliches Verbot zu betrachten, daher in jeder jüdischen Haushaltung für Fleisch- und Milch- oder Butterspeisen abgesondertes Geschirre angeschafft wird. und mancherlei mit Lebensgefahr durchwirkten Tagen, ladet der Freitagabend die von den Mühen der Woche Erschöpften versöhnend zur vier und zwanzigstündigen Ruhe. Hierin« – schloß Buna ihre Schilderung des Jammerlebens jüdischer Landbewohner, – »hierin liegt der mächtige Zauber, welchen dieser Abend der Woche auf alle frommen Gemüther unseres Glaubens auszuüben vermag. In diesem Augenblicke sitzt jeder Hausvater im Kreise der Seinen, und dankt schweigend der Vorsehung, die seinen Fleiß der Woche hinreichend gesegnet, um die Ausgaben für den Sabbat zu erschwingen.»Er hat nichts auf Schabbes« ist eine jüdische Redeweise, um den drückendsten Grad der Armuth zu bezeichnen, denn auch der Dürftigste muß am Freitagabend und am Sabbatmittag mindestens eine gute Fleischbrühe, Fleisch und Waitzenbrode haben, sollte er auch, um die Kosten zu den beiden Mahlzeiten zu erschwingen, die andern Wochentage mit ununterbrochenen Fasten belegen. Bettelnde Vagabunden und andere Heimathlose, geldarme Individuen, melden sich bei dem Gemeindevorsteher um eine Karte, bei deren Vorzeigung man gewiß sein kann, daß der Hausvater, dessen Namen sie enthält, den armen Teufel nicht abweisen, sondern ihn für den nächsten Sabbat oder Festtag gewiß an seinen Tisch ziehen wird, von welcher Pflicht sich viele Familienhäupter mit einem anständigen Almosen an den Vorzeiger der Karte loszukaufen pflegen. Der vom Kummer Niedergebeugte wirft, von der Kraft im Glauben gestärkt, die drückende Seelenlast von sich, und beschließt erst nach Ausgang des Ruhetages den Faden seiner Sorgen weiter zu verfolgen, weil es Sünde ist, am Sabbat gleichfalls sich der Betrübniß zu überlassen.«Der jüdischen Mythologie zufolge, genießen auch die Verdammten am Sabbat der Ruhe, und das Höllenfeuer erlischt am Freitagabend, um erst nach Sabbatausgang wieder zur Qual der Sünder und Lust der sie peinigenden Dämonen zu erwachen. Die um einen Abgeschiedenen durch Wildwachsen des Bartes und siebentägiges Sitzen auf der Erde ihre Trauer andeutenden Eltern, Kinder und Geschwister dürfen am Sabbat wie andere Leute, den Gebrauch eines Sessels sich erlauben, und sich an diesem Tage von ihren Besuchern einen guten Morgen oder Abend wünschen lassen, was an den Wochentagen der Trauerzeit nicht ziemlich wäre. Gram und Kummer sind am Sabbat förmlich untersagt, und jede mögliche Veranlassung desselben daher sorgfältig entfernt. Darum finden am Sonnabend keine Begräbnisse statt. Auch alle Gebete, die auf den Nothstand Israels Bezug nehmen, und die einen mehr flehenden als die Gottheit preisenden Inhalt verrathen, werden am Sabbat überschlagen. Ich kann nicht umhin, die Wahrheit dieser Bemerkung, durch Anführung einer rabbinischen Legende anschaulicher zu machen. Rabbi Meier- erzählt der Talmud – war am Freitag Abend von einer weiten Reise zurückgekehrt, und erklärte gegen seine Ehefrau sich verwundert, bei eintretendem Sabbat, die beiden Söhne vom Hause abwesend zu finden. Die Frau brachte dagegen vor, die jungen Leute wären bei einem wenige Meilen entfernt wohnenden Verwandten zu Besuche. Als nun der Sabbat zu Ende war, erbot sie sich in folgender Sache den Rath des Gatten. Sie gestand, vor längerer Zeit von einem Nachbar Kostbarkeiten zur zeitweiligen Aufbewahrung erhalten zu haben, und nun fordere jener sein Eigenthum zurück. Der Rabbi wunderte sich ob jener Frage, die ein tugendhaftes Gemüth sich selbst zu beantworten vermag. Hierauf führte ihn die Gattin in eine, bisher abgesperrte Kammer, zog ein langes Tuch, das einen auf der Erde ausgebreiteten Gegenstand zu bedecken schien, rasch hinweg und der unglückliche Vater erblickte die Leichen seiner Söhne, die am Freitage gestorben waren. »Diese sind die Kleinodien« – rief die standhafte Mutter aus – »die mir in Verwahrung gegeben worden. Gestern hat sie der Herr von mir zurück gefordert, und unedel wäre es, die Wiederstattung des Geliehenen, mit Klagen zu begleiten, die jeden Andern errathen ließen, wie schwer die Ausübung solcher Pflicht uns werden mag.«

»Dieses Gemälde« – bemerkte ich – »eignet sich keinesfalls dazu, die Meinung von den Annehmlichkeiten des Krämerlebens in mir zu befestigen, und die Wiener Judenschaft hat demnach triftigen Grund, auf ihre theuer erkauften Vorrechte eifersüchtig zu wachen, damit ihre auswärtigen Confessionsverwandten nicht allzuzahlreich in die Residenz hinfluten, um die daselbst weit leichter aufzufindenden Erwerbsquellen in ihre Kassen zu leiten.«

Hierdurch gewann ich Veranlassung, meinen Unwillen über die, jeden Israeliten entehrenden Bedingnisse, welche selbst ein noch so kurzer Aufenthalt in Wien mit sich führt, gegen meinen Wirth zur Sprache zu bringen. Dieser jedoch suchte mich zu belehren, daß jene seltsame Verordnung weniger zur Bereicherung des Polizeifonds dient, als um die Taschen der in Wien eingebornen Juden zu füllen. »Diese haben« – versicherte Kalman – »unter den Bewohnern der Residenz allein die Befugniß, ihre Confessionsverwandten aus der Fremde unter Anführung des Vorwandes, daß diese bei ihnen in Dienste treten, zu schützen, mit welchem Worte man daselbst die Befreiung eines Individuums von der Judensteuer nicht unpassend zu benennen liebt. Daß jene Herren dieses zu ertheilende Schutzrecht sich mit bedeutenden Summen jährlich von Leuten bezahlen lassen, die obgleich der Behörde als Domestiken gemeldet, doch großartige Geschäftsunternehmungen in Wien ausführen, und auf den Stand der Actien einen wichtigen Einfluß ausüben, gehört nicht in das Gebiet des Unbegreiflichen.«

Buna war unter diesen Gesprächen eingenickt, und dies mahnte uns an die stark anrückende Mitternacht; der freundliche Wirth bemerkte, daß ich, von den Beschwerlichkeiten und Entbehrungen einer mehrtätigen Reise ermüdet, wohl der endlichen Ruhe bedürfe, und geleitete mich selbst nach dem duftigen Bodenkämmerchen, wo das reinliche Lager bereitet worden, und die blühendweißen Bett-Linnen mir einladend entgegen lachten.


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