Joseph Seligmann Kohn
Der jüdische Gil Blas
Joseph Seligmann Kohn

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Vorwort
an die jüdischen Leser

Liebe Mitbrüder! Die Anzeige dieses neuesten Sittengemäldes hat euch gewiß erschreckt, und ich sehe es im Geiste, wie ihr durch die großen Titel-Buchstaben angezogen, vor dem Auslegkasten des Buchhändlers unwillkürlich stehen bleibt, als wären eure Füße an die Stelle gebannt, und glaube zu vernehmen, wie ihr im scheinbar gerechten Unwillen ausruft: »Abermals hat uns also ein hungriger, erfindungsarmer Scribent zur Ergötzung und Kurzweil des vornehmen und gemeinen Christenpöbels auf die Arena der Oeffentlichkeit gehetzt, um mit unsern grotesken Mienen und Bewegungen die mäßigen Gaffer zu belustigen. Es ist ja gleichsam, als wären wir nur für die Gewinnsucht der Buchhändler und Journalisten vom lieben Herrgott erschaffen worden. Da schreiben sie politische Schmähschriften, und in derselben Officin werden auch die antidota bereitet, nicht aus Liebe zu uns, sondern um auch auf unsre Börsen zu speculieren, denn das christliche Publicum kauft nur die Anklagen gegen uns. Glauben sie doch, wir wären nur dazu auf der Welt, daß, wenn es bei politischer Windstille an besseren Stoffe fehlt, sie mit der Besprechung unserer Angelegenheiten die Spalten ihrer Zeitblätter füllen; oder um in Romanen und Schauspielen mit unserm Judendeutsch Leser und Schauspieler zu amüsiren.«

Liebe Mitbrüder! So gegründet ich diese eure Klage finde, dürfte »der jüdische Gil Blas« doch eine bessere Meinung unter euch erwerben; denn schon das Motto auf dem Titelblatte läßt eine andere Tendenz, als die von euch befürchtete erwarten. Wenn die frühern Schriften dieser Gattung euern Beifall weniger erwarben, so lag es nicht am Stoffe, der die Ansprüche an ein in allen Theilen abgerundetes Kunstwerk gewiß eher erfüllte, als im hier benannten Gil Blas, sondern an der Autoren gänzlichen Unbekanntschaft mit den jüdischen Sitten und Gebräuchen, an deren Schilderung sie sich dem ungeachtet wagen konnten. Daher kommt, daß sie stets an Extreme streiften, und entweder einen Schewa, Nathan u. s. f. oder einen SchylokDas von Shakespeare dem Matheo Bandello abgeborgte Sujet zum »Kaufmann von Venedig« hat der Letztere aus einem orientalischen Mährchen geschöpft; und der christlich gesinnte Italiener fand es angemessener, den persischen Kaufmann als einen Juden zu repräsentiren, weil er die Erzählung seinen Lesern – man dachte im 16. Säculo, wie heute – genießbar machen wollte. schufen. Und so wie sie in den heroischen und sentimentalen Stoffen die Gränzen des Wahrscheinlichen überschritten, waren sie im Gebiete des Komischen noch weniger sorglich zu Werke gegangen. Davon lieferte die Posse: »Unser Verkehr« und ihre Fortsetzung: »Jakobs Kriegsthaten« die kräftigsten Belege. Aber der Pöbel nahm die Karrikaturen gern für Charactere, und Fratzen für Gebilde hin. Wenig besser fanden wir es in den Romanen. Zwar suchten Walter Scott im »Ivanhoe« und Spindler in seinem »Juden« mehr die edlern Empfindungen des Lesers für die Rebekkas, Esthers und ihre Angehörigen zu wecken; aber statt einer erwarteten Malerei jüdischer Charactere bieten sie gewöhnliche, abgenutzte Romanen- und Theater-Coups. Mindestens waren diese beiden Meister des Romans so klug gewesen, ihre Unkenntniß der jüdischen Nationalität hinter das uns zu entfernt liegende Zeitalter ihrer Handlungen zu verstecken; und selbst jüdische Leser wagen nicht leicht ein Urtheil über obschon verwandte Gestalten, wenn Zeit und Ort große Zwischenräume gezogen und die Letztern dem Gesichtskreise der Urtheilsfähigen allzusehr entrückt haben. Aber von welchem Standpunkte aus wird der Verf. des »Jom Kipur« (Leipzig, Leo. 1831) sein Werk beurtheilt wissen wollen, der sich kein würdigeres Ziel gesteckt, als das verbrauchte Thema von schönen Jüdinnen und ihren christlichen Schäfern mit obligater Sentimentalität in unerfreulichen Variationen neuerdings abzuspielen? Dieser Autor hat, indem er die Gebilde seiner Phantasie in Zeit und Ort uns bedeutend näher rückte, die Strenge der Kritik daher auffallender als seine großen Vorgänger herauszufordern gewagt. »Die Jüdin« (Meißen, Goedsche 1830) von Van Hall, gehört so ziemlich in die hier geschilderte Gattung sentimentaler Juden-Romane, und der von Hrn. Meyer sen. in Braunschweig neulich in den Intelligenzblättern angekündigte Roman »der polnische Jude«, als dessen Verfasser sich die, in Leihbibliotheken gepriesene Wilhelmine von Sostmann bekannt, spornt meine Erwartungen auf das jüngste Produkt jener vielschreibenden Dame überaus, denn noch kann ich mich nicht überreden, mit den künftigen Lesern des obengenannten Werkes zu glauben, daß die christlich fromme Frau mit polnischen Juden viel conversirt habe, um sich auch nur an die Characterschilderung eines einzigen Individuums aus jener Kaste mit einiger Zuversicht wagen zu können.

In allen bisher gedruckten Schauspielen und Romanen war der Jude nur in Conflict mit seiner christlichen Umgebung erschienen. Ein jüdisches Familienleben hat, meines Wissens, noch Niemand zum Gegenstande seiner Zeichnung gemacht. Die politischen, religiösen und häuslichen Verhältnisse des Israeliten so umfassend zu schildern, als es der begrenzte Raum der Romanform gestattet, war daher die Aufgabe gewesen, welche der Herausgeber dieser Schrift sich gesetzt, und insofern glaubt derselbe sich auch jenem Theile der christlichen Leser nicht ungünstig empfohlen zu haben, welche ermattet durch die ewigen Wiederholungen des oben erwähnten Thema's (von den schönen Judentöchtern, ihren christlichen, empfindsamen Freiern, und jenen, die Wünsche dieser zärtlichen Paare boshaft vernichtenden, garstigen, bärtigen, altgläubigen, Schinkenscheuenden, beim Gotte Abrahams schwörenden, übrigens mit Gold und Schätzen schwer belasteten Vätern der hyper-sentimentalen Zionsblumen,) nach einem Buche verlangen mögen, dessen romanhafte Ingredienzien nicht die Hauptsubstanz bilden, und worin die nach dem Beispiele des persischen und russischen Gil Blas eingestreuten Anmerkungen errathen lassen, von welchem Gesichtspunkte aus der Herausgeber des indischen Gil Blas diesen gern betrachtet und – beurtheilt wünschen möchte.


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