Joseph Seligmann Kohn
Der jüdische Gil Blas
Joseph Seligmann Kohn

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Vierzehntes Kapitel

Die Wegemauth-Verpachtung

Der zweite Tag unserer Fahrt hatte die Reisegesellschaft um eines ihrer Mitglieder ärmer gefunden; denn der Wirthschaftsbeamte war in dem Städtchen, wo wir unser Morgenbrod verzehren sollten, zurückgeblieben, um von dort seinen, kaum eine Meile abwärts von der Landstraße gelegenen Wohnort zu Fuße zu erreichen. Nichts desto weniger hatten wir den Faden des Gespräches mit gleicher Regsamkeit, wie am vorigen Tage, fortgesponnen, und ich sowohl als mein Confessions-Verwandter gewann kaum Athem genug, um alle an uns gerichteten Fragen des Schauspielers, die sowohl politische als sittliche und religiöse Verhältnisse unseres Volkes berührten, nach der Reihe zu beantworten. Der Eifer, mit welchem er, (der gestern fast ganz lautlos sich verhalten,) heute inquirirte, hätte, wenn sein Stand uns noch unbekannt geblieben wäre, in diesem Manne einen Buchmacher vermuthen lassen, welcher eben im Begriffe »Eisenmengers neuentdecktes Judenthum« in verbesserter Form einem wißbegierigen Publicum anzubieten, und das große Lügengewebe, welches sich durch jenes abgeschmackte Werk hinzieht, als ein Eiferer der Wahrheit muthig zu zerstören.

Die Kutsche hielt nun wieder vor einem gelb- und schwarzstreifigen Schlagbaum, der uns an die abermalige Erlegung des Mauthgroschens mahnte, als wir über den unerwarteten Anblick mehrerer das Zöllnerhäuschen belagernden leeren Kabriolets und Landwagen, deren Eigenthümer nicht zu finden waren, mit Recht verwundert, den die Mauth-Kreuzer abfordernden Jungen um die Ursache befragten. Wir erfuhren demnach, daß heute die Versteigerung dieses Mauthpostens zur großen Betrübniß seines bisherigen Pächters werde abgehalten werden, der zwei gleich schlimme Wege, aber keinen freundlichern dritten sich geöffnet sehe, nämlich entweder mit Gattin und Kindern eine ungewisse Heimath in einem andern Winkel der Provinz ausforschen zu müssen, oder den Sieg über seine Neider nur mit einer Abtretungssumme sich zu vergewissern, die jedoch seine pecuniären Kräfte ganz übersteige.

Dieser Umstand hatte dem einmal im Zuge begriffenen Frager abermals reichhaltigen Nahrungsstoff für seine Wißbegier entwickelt, und ich glaubte, meinen Erörterungen eine gedrängte Geschichte der böhmischen Landmauthe vorausschicken zu müssen. Ich belehrte meinen Kutschgenossen, daß ehedem der Monarch die Wegmauthe als eine Art Sinecure an invalide Offiziere und andere im Staatsdienste ergraute Individuen zu vertheilen pflegte, welche für die Verwaltung ihres kleinen Postens einen bestimmten, aber doch so sehr mäßigen Jahresgehalt beziehen, daß man aus den winzigen Summen, die sie jährlich dem Aerarium einlieferten, entnehmen konnte, wie diese Herren auf ihre Schadloshaltung insbesondere beflissen waren. Man glaubte daher, zur Verbesserung der Finanzen, den sichersten Schritt zu thun, wenn man die bisherigen Innhaber der Wegmäuthe mit kleinen Jahrspensionen abzufinden, und ihre Stellen, im Wege der Versteigerung, zu verpachten gedächte, ohne jedoch die Juden von dem Rechte der Concurrenz ausschließen zu wollen. Auf die Letztern war zumeist gerechnet worden, weil bei so wenigen Nahrungszweigen, die für unser Volk in den östreichischen Erbstaaten zur Benutzung gestattet sind, der Zuwachs eines einzigen neuen, schon sehr wichtig dünken mußte. Die Calculanten hatten sich in der That nicht verrechnet; denn Mäuthe, welche früher ganz unbedeutende Summen abwarfen – wie unglaublich dies dem Uneingeweihten dünken mag! – bringen jetzt, an jüdische Pächter überlassen, einen oft zwanzigfachen Ertrag. Wer hieraus auf zügellose Veruntreuungen der frühern christlichen Mauthner und auf eine in den österreichischen Provinzen überraschende Lebendigkeit der Commercialstraßen schließen wollte, würde in einem belachenswerthen Irrthume verharren. Den Schlüssel zu diesem Geheimnisse vermag nur derjenige zu finden, welcher mit den kläglichen Verhältnissen des jüdischen Volkes in unserm Staate genauer vertraut ist. Wer es weiß, daß in vielen böhmischen Ortschaften dem Israeliten das Niederlassungsrecht selten nur, oft auch nicht der momentane Aufenthalt von Wochen und Tagen gestattet ist, wird es sehr begreiflich finden, daß ein speculirender Ebräer, dessen kaufmännischer Geist, entweder wegen allzu starker Concurrenz seiner Religionsverwandten, oder wegen allzu großer Dürftigkeit der christlichen Bevölkerung seines Geburtsortes, keinen Wirkungskreis findet, willig für die Stelle eines Mauthners jährlich einen Pachtschilling erlegt, der die wahrscheinlichen Einkünfte, um mehrere hundert Gulden noch übersteigt, weil er sich diesen bedeutenden Verlust auf indirectem Wege reichlich wieder einzubringen hofft; denn als Mauthpächter genießt der Israelite vorläufig drei Jahre hindurch, – dies ist die gewöhnliche Dauer des Pacht-Termins – ungestört das Aufenthaltsrecht selbst in jenen Orten, wo unter andern Umständen seine Stammverwandten nicht zwei Dämmerungen weilen dürften. Die Einwohnerschaft des Ortes und der umliegenden Dörfer wird ihren Hausbedarf, um somehr, wenn sie auf Borg kaufen kann, nur von dem neuen Mauthner beziehen, dessen Waarenvorräthe in einer Kammer des Mauthgebäudes aufgespeichert, eine zu allen Stunden beliebige Auswahl gestatten. Dem Hausirjuden muß ein Vortheil dieser Art, daß ihm sein Profit von den Kauflustigen selbst in das Haus gebracht wird, unfehlbar entgehen. Auch darf dieser nur Baargeschäfte machen, weil er, nicht im Orte wohnhaft, seinen Beobachtungseifer auch nicht zur Prüfung der pecuniären Kräfte seiner Kunden und ihrer Wohlhabenheit überhaupt anzuschicken vermag. Dieses Hinderniß hat der Mauthpächter glücklich weggeräumt. Er darf daher seinen Waaren-Abnehmern auch Kredit antragen, und folglich willkürliche Preise ansetzen, ohne überdies, da er, durch seine Stellung als Mauthner Monopolist ist, die Concurrenz eines neidischen Berufsverwandten besorgen zu müssen. Die christlichen Handelsleute desselben Ortes bleiben ihm ganz unschädlich, weil sie alles Speculationsgeistes ermangelnd, nicht die Quellen aufzuspüren vermögen, durch welche der Ebräer seine Waaren weit wohlfeiler zu beziehen versteht; und können daher nicht gleichen Schritt mit jenem Manne halten, der, sollte er gerichtlich zur Rede gestellt werden, den im Voraus für sein Interesse gewonnenen Beamten versichern wird, daß er seinen Hausbedarf ausschließlich mit dem spärlichen Gewinnste seiner Mauth-Einkünfte bestreite; und die Waaren-Vorräthe, welche allenfalls gegen ihn zeugen würden, giebt er als ihm freiwillig angebotene Pfänder gewissenhafter Schuldner an. – Behält ein solcher Pächter seinen Posten zwei oder drei Termine hindurch, wirbt bei der nächsten Versteigerung der Neid einen Trupp vorgeblicher Concurrenten, welche, weil sie wohl wissen, daß der bisherige Mauthner seiner Handels-Verzweigungen halber, den so lange behaupteten Posten nicht leicht verlassen kann, ihn mit der Erklärung einschüchtern, daß nur mittelst der Austheilung bedeutender Abfindungssummen er sie von der Mitversteigerung abhalten werde. Der Geängstigte geht fast immer diese Bedingungen ein, und verleitet die Mehrzahl zu dem falschen Schlusse: Ein so hoher Pachtschilling würde gewiß nicht geboten werden, wenn der bisherige Mauthner im verflossenen Pacht-Termin seine Rechnung nicht gefunden haben sollte. Der Andrang so vieler jüdischen Licitanten, denen jedoch mehr die Erpressung einer Abtretungssumme am Herzen liegt, bestärkt die Unkundigern in ihrem Wahne, wie gewinnbringend ein Mauthposten sey, und so fällt mancher wohlhabende katholische Landwirth als ein Opfer giftigen Neides gegen den vermeintlich vom Mauthgroschen reich gewordenen Ebräer. Zwar labt ihn einen Monath hindurch der Gedanke, seinen Judenhaß befriedigt zu haben, – das Bewußtseyn jenen Israeliten wie einen Baumstamm von der Erde, aus welcher er Nahrung sog, mit der Wurzel abgesägt zu haben, – die Gewißheit, daß der Unglückliche mit Gattin und Kindern vielleicht obdachlos umherirre, – die Erinnerung, wie das Antlitz seines Rivalen Leichenblässe umzogen, als der Hammerschlag des Auctionärs den neuen Pächter bestimmt hatte; alles dies versenkt den Bethörten anfänglich in eine süße Trunkenheit, aus welcher er jedoch nur zu früh erwacht. Das Ersparniß seines vieljährigen Fleißes ist in die Staatskasse geflossen, und vergeblich sinnt der Betrogene nach dem Motive, was seinen Vorgänger, den die Erfahrung der ersten Pachtzeit wohl belehrt haben mußte, verleiten konnte, für den zweiten Termin einen noch erhöhetern Pachtschilling zu bieten? Aus dem hier Mitgetheilten ergiebt sich allenfalls, wie das Finanz-Ministerium gar wohl für die Bereicherung des Staatsschatzes gesorgt, eben so wahr ist's jedoch, daß die Verpachtung der Wegmäuthe wohlhabende Privaten zu Bettlern gemacht, und für speculirende Gimpel die gefahrbringende Leimruthe geworden ist.

Betrachtungen ähnlicher Art führten noch mehrere Gespräche verwandten Stoffes herbei, welche, wenn sie auch, (wie dies stets der Fall ist,) an dem bessern Christen einen Anflug von Wehmuth ob des kläglichen Looses, das unserm Volke zu Theil ward, bemerkbar werden lassen, dieser in dem nächsten Momente schon durch die angeborne Abneigung gegen die Juden wieder verscheucht worden ist.


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