Joseph Seligmann Kohn
Der jüdische Gil Blas
Joseph Seligmann Kohn

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Erstes Kapitel

Womit meine Lebensgeschichte eingeleitet wird

Ich ward in Trebitsch einem mährischen Städtchen geboren. Mein Vater stand im Rufe ein vorzüglicher SchächterDeutsch: Schlächter genannt; ein solches Amt wird nur Demjenigen anvertraut, welcher Zeugnisse volljährigen Unterrichts bei einem Veteran dieser Kunst, dem Orts-Rabbiner vorzulegen vermag. Der Talmud hat über die Regeln des Viehschlachtens allein einen ganzen Folianten (den Tractat Chulin) geliefert. Milder Sinn und Pietät gegen die Thiere, deren Todeskampf man abzukürzen beabsichtigt, hat diese Maßregeln in's Leben gerufen. Wird an dem Schlachtmesser nur die geringste Zacke bemerkt, darf das geschlachtete Vieh nicht genossen werden, weil anzunehmen, daß es erst nach vielen Zuckungen den Lebensgeist verhaucht, und folglich in krankhaftem Zustande gefallen sey. Aus dieser Quelle leitet man das Verbot der Fleischspeisen bei Nicht-Juden zu genießen. zu sein. Der Gehalt, welchen ihm die Gemeinde ausgesetzt hatte, war demungeachtet so wenig beträchtlich, daß er nebenbei noch das Amt eines KorehSo nennt man denjenigen, welcher in der Synagoge die Abschnitte aus dem Pentateuch der Gemeinde am Sabbat und andern Festtagen vorliest. und LeichenbetersDie Juden halten dafür, daß jede Leiche, solange sie nicht zur Erde bestattet ist, von bösen Geistern beunruhigt werde. Daher eilt man an vielen Orten so sehr mit dem Begraben, daß namentlich in dem bigotten Polen die Beispiele von Lebendigbegrabenen am häufigsten vorkommen. Weil nun die Ortsobrigkeiten diesem Unfuge zu wehren streben, helfen sich die Verwandten des Verstorbenen damit, daß sie, so lange die Leiche noch im Hause sich befindet, mehrere im Rufe der Frömmigkeit stehende Männer im Sterbezimmer einige Abschnitte aus der Mischna vornehmen lassen, weil durch diese gottgefällige Beschäftigung die Dämonen verscheucht werden. verwalten mußte. Diese verschiedenen Geldzuflüsse vereinigten sich allenfalls zu einem ziemlichen Strome, welcher durch die Semestralspenden der wohlhabendern Gemeindeglieder vor Eintritt des Neujahr- und des Purimfestes heftiger anschwellend, wie der Nil über Aegypten, sich befruchtend über seinen Haushalt ergoß. Sechs Kinder waren die Kanäle, welche diesen Geldfluß in mehrere kleine Arme theilten, bis er allmählich in den Sand der häuslichen Bedürfnisse verrinnend, sich ganz verlor.

Als ich nun den dreizehnten Geburtstag gefeiert hatte, rief mich mein Vater in seine Schlafkammer, was er gewöhnlich that, so oft er ein Geschäft unter nicht mehr als vier Augen vornehmen wollte, und sprach: »Mein Kind! Gestern bist du ein Bar MizwaDieses Wort bedeutet zu Deutsch: Einen Sohn des Gesetzes, weil mit dem Beginnen des dreizehnten Jahres die Verantwortlichkeit für begangene Sünden oder Unterlassung der Religionspflichten nicht mehr auf den Vater des Knaben zurückfällt. Es tritt gewissermaßen ein neuer Lebensabschnitt ein, und der aus dem Knabenalter heraustretende Jüngling kann nun bei den meisten religiösen Functionen mitwirken. Daher wird der 13te Geburtstag eines Knaben festlich von der Familie begangen; doch wird die Feierlichkeit immer auf den nächstfolgenden Sabbat hinausgeschoben, wo Freunde und Verwandten sich im Hause des Vaters einfinden, und den Eltern des Knaben Glückwünsche darbringen, daß dieses Alter des Knaben zu erleben ihnen durch die Güte des Himmels vergönnt worden sey. Jedoch thun Tanten und Muhmen bei ähnlichen Gelegenheiten des Guten lieber zu viel, als zu wenig, und wünschen den frohen Eltern dieses Glück auch an den Kindern ihres Söhnchens zu erleben. Weil diese Festlichkeit bei Töchtern nicht statt findet, so geht auch daraus der Verweis hervor, daß das andere Geschlecht bei den Juden, wie bei allen orientalischen Völkern, eine sehr untergeordnete, oder vielmehr eine wahrhaft passive Stellung einnimmt. Auch wird es der Uebernahme der meisten religiösen Pflichten und Gebote unwürdig gehalten, woraus schon zur Genüge errathen wird, warum die hier erwähnte Festlichkeit ausschließlich bei Knaben stattfinden kann. geworden. Du hast also das Kindesalter überschritten, und meine Pflicht für dich zu sorgen hat hiermit aufgehört. Halte dich daher bereit zur Reise, denn nur die Fremde bildet junge Leute zu Männern aus.«

Meine kindische Einfalt ahnte nichts von den Schwierigkeiten, welche dem Fortkommen eines unerfahrnen Knaben unter fremden Leuten sich entgegen thürmen. Ich freute mich nur der Aussicht, nun endlich auf eigene Faust zu leben, den Despotismus eines strengen Vaters nicht mehr fürchten zu müssen und dergleichen mehr, wie die beschränkten Weltansichten eines Knaben es nicht anders erwarten lassen. Freudentoll geberdete ich mich nun vollends, als ich aus der fortgesetzten Rede meines Vaters erfuhr, daß er mir auch ein kleines Reisegeld und einige neue Kleidungsstücke mitzugeben Willens sey.

Die Absichten, welche mein Vater mit mir hatte, gingen darauf hinaus, daß ich, wie in seiner Jugend er selbst gethan, eine in gutem Rufe stehende talmudische Lehranstalt beziehen sollte, um dort meine Studien in der Mischna und Gemara fortzusetzen; wo es bloß von meinem Fleiße und musterhafter Aufführung abhängen dürfte, in der Folgezeit die Würde eines More ZedekNur jene Ortschaften, wo zahlreiche Judenfamilien ansäßig sind, gestatten einen Rabbi als religiöses Oberhaupt. Die kleinern Gemeinden, welche einen bedeutenden Jahresgehalt, wie er sich für einen Religionsvorsteher von Ruf und Gelehrsamkeit ziemt, nicht zu erschwingen vermögen, behelfen sich mit einem More Zedek, der denselben kirchlichen Functionen, Entscheidung schwieriger Rechtsfragen, insofern sie auf das religiöse Leben der Gemeindeglieder Bezug nehmen, u. dgl. m. sich unterzieht, ohne auf die hohen Honorare Anspruch zu machen, welche förmlich installirte Rabbinen, von der Ortsobrigkeit unterstützt, zu beziehen pflegen. zu usurpiren, oder vielmehr den weit einträglichern Posten eines Orts-Rabbinen zu erringen. Prag, seit Jahrhunderten schon der Sitz der ausgezeichnetsten Talmudisten, jene altberühmte Stadt, in welcher der eingeführten Sitte zufolge jeder Talmudist von einigem Rufe einen Abschnitt seines Lebens zugebracht haben mußte, Prag sollte auch mein Reiseziel werden. Einige Bekannte meines Vaters, welche die Brünner Messe zu besuchen pflegten, gelobten ihm, mich unentgeldlich dahin zu schaffen, und in Brünn wiederum Sorge zu tragen, wie sie einen Prager Handelsfreund, der ebenfalls diese Messe bezöge, zu meinem Transporte nach Prag bewegen wollten, was er aus Rücksichten gegen sie gewiß um ein Billiges zu thun sich geneigt finden lassen werde.


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