Joseph Seligmann Kohn
Der jüdische Gil Blas
Joseph Seligmann Kohn

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Zwölftes Kapitel

Das Leichenbegängniß

Dieses hatte man auf den zweiten Tag des Laubhüttenfestes angesetzt; denn Rabbi Asriel war an einem Freitage gestorben, am Sabbat aber darf bekanntlich kein Todter zur Erde bestattet werden. Die Feierlichkeit mußte demnach auf den Sonntag und zwar, in die Nachmittagsstunden verlegt werden, denn bis gegen die Tischzeit brachte das Volk, wie dies an Festtagen der Fall ist, in den Synagogen zu.

Das Thor des alten FreythofesJenes Leichenackers ist schon in einer Note zu den frühern Kapiteln dieses Buches gedacht worden. Er hat wegen seines hohen Alters sich oft zum Schauplatze vieler jüdischen Gespenstermährchen und anderer traditionalen Wunder hergeben müssen. So will man daselbst einen Leichenstein entdeckt haben, dessen Alter in die Jahrhunderte vor der Einwanderung Kroks (des Vaters der Libussa) nach Böhmen, hinauf reicht, und daraus folgern läßt, daß die Juden die frühesten Einwohner jenes Landes gewesen. Gründliche Nachweisung hierüber bot die in den Jahren 1819 – 22 zu Prag erscheinende Zeitschrift Hyllos. Welcher unter diesen Jahrgängen den erwünschten Aufschluß ertheilt, ist meinem Gedächtnisse leider entfallen. Auf diesem Leichen-Acker zeigt der gläubige Pöbel unter andern curiosis einen Grabstein, der an jedem Freitage Baumöl schwitzen soll, weil die Matrone, deren Name auf ihm verzeichnet ist, die Armen der Gemeinde aus ihren eigenen Mitteln an jedem Freitage mit Oel für den Bedarf der Sabbat-Lampe versorgte.

Zwischen zahllosen Hollunderbäumen erheben bemooste Denkmäler verschollener Talmuds-Herren ihre steinernen Häupter neugierig hervor, und erzählen von den Gottesfürchtigen entfernter Jahrhunderte.

Als Kaiser Joseph das fernere Begraben der Todten innerhalb der Stadtmauern mittelst eines Edictes untersagte, und demnach auch der Judenschaft vor den Stadtthoren ein Platz zum künftigen Leichen-Depot angewiesen wurde, galt diese Neuigkeit den Meisten als eine Schreckens-Botschaft. Einer dieser Schwärmer, Namens Rabbi Simche Porges soll beim Anhören dieser Kunde ausgerufen haben: »O möchte mir das Glück zutheil werden, noch auf dem alten Felde begraben zu seyn!« Und seltsam genug fügte es der Zufall, daß er, als die letzte Leiche innerhalb der Stadt zur Erde bestattet ward.

stand offen. Dies galt allen Vorübergehenden, ein Zeichen, daß es heute eine Leiche gebe. Auch hatten, als die dritte Nachmittagsstunde nahe war, an diesem Platze mehrere Mitglieder des Beerdigungs-Vereins, nebst einigen Halb-Rabinen Posto gefaßt und waren in mancherlei Gesprächen begriffen. Hier sollte, nach altherkömmlicher Sitte, der Vereinigungspunkt für die heilige Brüderschaft seyn, um von diesem Orte sich nach dem Hause der Leiche im stattlichen Zuge fortzubewegen. Man wartete nur auf den Ruf des Schamis, welcher, schreitend durch die verschiedenen Gassen des Judenbezirks, die männliche Einwohnerschaft zur Begleitung der Leiche einladen sollte.

Endlich erschallte der krächzende Ruf des langbärtigen Schamis in zitterndem Nachhalle durch die von der Festtags-Ruhe zeugenden Gassen und Plätze. Plötzlich schien Leben durch dieselben auszuströmen. Fensterflügel öffneten und schlossen sich abwechselnd. Vor den Thüren der Häuser standen Familienväter in ihren Klapphüten und schwarzem Festanzuge, die Feier dieses Tages verkündend, und bildeten zahllose kleine Gruppen, welche bald in eine einzige große Masse verschmelzen sollten.

Abermals ertönte die heisere Stimme des Leichen-Herolds, und der Zug setzte sich in Bewegung. Ein Pöbelhaufe gemischten Alters aus Verheiratheten und EhelosenDie Ehelosen gelten in der allgemeinen Achtung gar Nichts. Von allen religiösen Ehrenbezeugungen sind sie so gut als ausgeschlossen, gelten nur als Halbmänner, und bilden ungefähr das Medium zwischen Familienvätern und ihren Weibern; denn das andere Geschlecht steht noch um einige Grade tiefer in der Achtung. Diese Zurücksetzung mögen die Rabbinen verantworten, welche die Frauen der Ausübung der meisten religiösen Gebote für unwürdig und unfähig erklärten, und zu deren größerer Demüthigung jeden Mann in seinem Morgengebete Gott danken lassen, daß er ihn nicht als Weib erschaffen habe. bestehend, bildete den Vortrab. Der ChefIm vorletzten Kapitel hatte der Leser erfahren, daß Asriel im Besitze dieser Würde war. Es folgt demnach hieraus, daß der hier als Chef bezeichnete Zugführer der erste Vice-Vorsteher gewesen, und durch das Absterben seines Obern, dessen Amt an jenem Tage zum Erstenmale verwaltet habe. des Beerdigungs-Vereins, in einem großen dreieckigen Hute, schwarzen Frack nach altem Schnitte, kleinen seidenen Höschen, seidenen Strümpfen, gleichfalls von schwarzer Farbe, zierlichen Silberschnallen und als Zeichen seines Amtes, einen KammDas Werkzeug, womit die Haupthaare der Leiche nach dem Waschen geschlichtet werden, Risum teneatis, lectores! in der Rechten haltend, schritt, Ernst und Hochmuth in wunderbarer Vermischung auf seinem Gesichte abspiegelnd, feierlich langsam vorwärts. Ihm zur Seite gingen schweigend die Vice-Vorsteher des Vereins und hintendrein folgten die Aeltesten der Brüderschaft und sonstige Honoratioren der Gemeinde.

Man war nun vor der Wohnung des Verblichenen angelangt und die Brüderschaft strömte durch die enge Pforte des Hauses. Der übrige bei weitem größere Theil des Zuges, wohl aus mehrern hundert Köpfen bestehend, hatte sich die Gasse entlang hingepflanzt, und streckte seine Arme in mehrere Seitengassen aus, denn der Platz vermochte kaum die Hälfte der Leichen-Begleitung zu fassen. Die guten Leute vertrieben sich die Zeit des Harrens, mit Wechselgesprächen, und die in Bewegung gesetzten Zungen von Hunderten bewirkten ein Gesumme, welches den Beobachter mit einigem Schauer ob des Kommenden erfüllen konnte.

In dem Zimmer, worin die Leiche lag, standen auf den Fensterbrüstungen große Flaschen mit schlechtem Weine gefüllt. Dieser sollte zum Waschen des Leichnams versprengt werden. Der Schamis hatte sich auf den Schemmel gestellt und begann die Namen der Dienstleistenden zu verlesen. Diesmal konnte die Mehrzahl Beschäftigung erhalten; denn nun galt es nicht, nur den Todten von der Erde aufzurichten, sondern auch ihn zu entkleiden, neun Mal ihn zu besprengen. Jedesmal konnte ein Anderer die Ehre haben.

Ueberdies ward auch zur Reinigung eines jeglichen Körpergliedes ein besonderes Individuum aufgefordert. Ebenso verhielt es sich mit dem Anziehen der verschiedenen Stücke der Leichenkleidung. Zum Beschlusse wurden Andere angerufen, welche den Todten die Treppe hinab tragen sollten. Damit die wenigsten leer ausgingen, wurde nach wenigen Stufen den Trägern jedesmal zu wechseln geboten, um der Ehre dieses Amtes auch ihre Nächsten theilhaftig werden zu lassen.

Als wir die Hausthüre erreicht hatten, gab man mir zu verstehen, daß ich meinen einstigen Eleven, den Sohn des Verstorbenen vor der Bahre her an der Hand führen sollte. Die Verwandten bildeten einen Kreis um uns Beide. An der Bahre waren haushohe Stangen befestigt worden, um einer weit größern Anzahl von Menschen Gelegenheit zu bieten, dem Rabbi Asriel als Träger seiner irdischen Ueberreste die letzte Ehre zu erweisen.

Rabbi Samuel, das kirchliche Oberhaupt der Gemeinde, hatte vor der Schwelle seines Hauses am Eingange des Schlächtergäßchens emsig harrend gestanden, und nicht geachtet auf die Gespräche einiger ihn ehrfurchtsvoll umkreisenden Familienväter, die an diesem Tage gleichfalls an dem frommen Werke der Leichenbegleitung Theil zu nehmen beschlossen. Die guten Leute dachten, das mit dem Erwarten der Leiche auszufüllende Stündchen dem Rabbi durch ausführliche Mittheilungen von Streitigkeiten unter den Partheihäuptern der Gemeinde zu dessen Belustigung zu verkürzen, und die von ihm hierauf zu vermuthenden witzigen Repliken und salzigen Bemerkungen am morgenden Tage unter die Leute zu bringen. Die Augen des Rabbi waren jedoch unablässig nach der Gegend des Rathhauses gewendet, dessen stolz über die Häuser der Umgegend hervorguckender Uhrthurm, welchen ein geschmackvoll erbauter Altan umkreiset, vornehm auf das niedere Dach der benachbarten Altneuschule herabsah. Von dorther erwartete man den Zug. Dieser begann sich nun in Bewegung zu setzen. Dichtgedrängt, wie die Aehren der Kornfelder, wenn sie vom stürmischen Nordwinde getrieben, eine flutende Gestalt annehmen, ergoß sich jetzt eine unübersehbare Menschenmasse, Kopf an Kopf und Mann an Mann zwischen die Häuserreihen der engen Gassen hindurch. Inmitten der dunkeln Fläche, welche die Hüte der enge gereihten Leichenbegleiter, dem Auge des Schaulustigen bilden mußten, schwebte es von fernher wie ein weißer Punkt. Es war die Leiche, welche nur von dem gelbzeugenem Bet-Talar bedeckt, auf der Bahre ausgebreitet hingetragen wurde. Die Träger wechselten mit Andern in kurzen Pausen, und das unterdrückte Schluchzen vieler Hunderte, gemischt mit den Stimmen derer, welche ihren Nebenmännern manchen edlen Zug aus dem Leben des Verstorbenen in geschwätzigem Eifer mittheilten, bildete sich zu einem dumpfen Brausen, das dem Tosen eines über Klippen und Felsgestein dahinziehenden, vom Schnee der Gebirge angeschwollenen Winterstromes nicht unähnlich war. Manches Weiber-Antlitz, das schaulustig aus dem geöffneten Fenster der vorüber rauschenden Menschenflut nachblickte, klappte, sobald die unten auf der Strasse es bemerkten, auf den hinaufschallenden Drohruf: »Fenster zu!« erschrocken die Fensterflügel wieder zu, denn nach dem jüdischen Volksglauben mußte die Gegenwart eines weiblichen Wesens, in der Nähe einer Leiche, unfehlbar wie magnetisch den Engel des Todes herbeilocken, welcher durch die Ahnmutter Eva Macht über das Menschengeschlecht gewonnen, und welcher, jede Leiche als sein erbeutetes Opfer gierig umkreisend, bemerkte er einen Weiberkopf, leicht Kraft gewinnen würde, sein vernichtendes Schwert nach einem der wallenden Leichenbegleiter zu führen, und seiner Gefräßigkeit neue Speise zu bereiten. –

Die Menschenflut hatte endlich aus das Wohngebäude des Rabbi Samuel erreicht, und plötzlich in ihrem Zuge sich selbst unterbrochen, aus ehrerbietiger Scheu gegen ihr geistliches Oberhaupt, weil man wußte, daß der Rabbi im sogenannten Badhofe, bevor die Leiche in den Wagen geschoben würde, einige Worte zum Lobe des Verblichenen an die Versammlung richten wollte. Eine eigentliche Leichenrede erwartete man nicht an diesem Tage, da es ein Festtag war, und an diesem wie am Sabbat, es bei den Juden für Sünde gilt, die Gemüther in Betrübnis zu setzen.


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