Joseph Seligmann Kohn
Der jüdische Gil Blas
Joseph Seligmann Kohn

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Neuntes Kapitel

Der Pilsner Jahrmarkt

Judiths Flucht aus dem Vaterhause hatte in unsrer Familie zwei Partheien gebildet. Rabbi Asriel schlug sich auf die Seite des Sophers und seines zum Eidam beabsichtigten Talmudisten, dessen Verdienste Judith, seiner Meinung zufolge, nicht zu erfassen vermochte, und ihren Unverstand durch ein verletzendes Betragen gegen den Schüler der WeisheitDies ist die Bedeutung des Ehrentitels: Talmid Ehacham, der jedem tüchtigen Talmudisten gespendet wird. geoffenbart habe. Madame Spiegel dachte bedeutend milder. Sie erklärte den vom Sopher sich erkornen Tochtermann für ein plumpes Thier, dessen rohe Sitte ihr längst schon mißfallen habe, und Judith verdiene ein besseres Loos; ihr feineres Gefühl lasse bei einem solchen ungleichen Ehepaare auf kein harmonisches Zusammenleben hoffen. Das Mädchen selbst tröstete die theilnehmende Frau damit, daß bei ihren guten Eigenschaften sie auf eine bessere Parthie gerechte Aussichten habe, und sie selbst bezeuge große Lust, sich nach einem würdigen Gatten für sie umzusehen. Das Mädchen dankte geziemend für so wohlmeinende Absichten und meinte: Damit hätte es wohl noch Zeit! Die geschwätzige Alte fuhr aber im Strome ihrer Rede, jeden Damm durchbrechend, wie folgt, fort: »Wisse denn auch dies, Judithchen! daß ich entschlossen bin, deinen Diensteifer zur Zeit der Ausheirathung mit einer tüchtigen Summe als Hochzeitgeschenk zu belohnen, welche mit deinem Ersparten ein hübsches Kapitälchen bilden könnte, um Freier in Schaaren herbeizulocken.« – Auch meinte die gute Frau, daß Judiths Entfernung vom Vater glücklicher Weise jetzt weniger, als zu einer andern Zeit bemerkt werden würde, weil der Pilsner Jahrmarkt vor der Schwelle sey, und die Nachbarn des Sophers wohl wissend, daß seine Tochter mit Spiegels alle Pilsner Märkte beziehe, in ihrem Ausbleiben die erste Woche hindurch keinen Grund zu Verdachte schöpfen könnten. Bis zur Rückkehr von Pilsen gewänne man beiderseitig die erforderliche Frist, um der Friedensunterhandlungen von Seiten des Sophers Anerbieten zu erwarten, im entgegengesetzten Falle aber Pläne für des Mädchens Zukunft zur Reife kommen zu lassen.

Seit der Abwesenheit Kalmans hatte ich als Nachfolger seines Amtes in der Spiegelschen Handlung in der Gesellschaft der Frau Spiegel und Judiths die Pilsner Märkte besucht. Liebmann, mein ehemaliger Eleve, erhielt, in diesen Zeiträumen supplirend die Regie über das auf mehrere Tage durch seines Leiters Abwesenheit so gut als verwaiste Geschäft in loco; denn der alte Asriel befaßte sich ausschließlich mit dem Studium des Talmuds und lebte von allem Welttreiben sich ängstlich absondernd; seine Tochter, nur in der Verwaltung der Hauswirthschaft an ihrem Platze, blieb zur Besorgung der Küche zurück. Der nahende Augusti-Markt sollte jedoch eine veränderte Besetzung vorfinden; denn es war beschlossen worden, des Töchterchens so lange hinausgeschobene Vermählungsfeier in dem wenige Meilen von Pilsen entfernten Wohnorte des Bräutigams zu begehen, und zu diesem Behufe vom Meßplatze directe dahin abzureisen. So fügte es sich denn, daß die ganze Familie diesmal in den Reisewagen stieg, und ich, anstatt meines Eleven, als supplirender Dirigent des Prager Geschäftes zurückgelassen wurde; wobei ich diesen Vortheil gewann, daß mir der verhaßte Anblick meines frühern Nebenbuhlers, der sich in Pilsen sein unglückliches Opfer abzuholen beschlossen, füglich erspart wurde.

Es war eine düstere Regen-Nacht, in welcher die beklagenswerthe Braut mit ihren Eltern in die Kutsche stieg, welche sie der geliebten Vaterstadt, aus welcher sie zahllose Erinnerungen an das harmlose Kindesalter und seine kleinen Freuden mit sich nahm, nun auf ewig vielleicht entführen sollte.

Bevor ich in der Aufzählung meiner fernern Lebens- fata fortfahre, glaube ich meinen geneigten Lesern und theilnahmsvollen Leserinnen, welche der unglücklichen Braut vielleicht in diesem Augenblicke eine Thräne weihen, die Erklärung schuldig zu seyn, weshalb die Reise zur Hochzeit des Nachts ihren Anfang nahm? Diese Schuld sey in den nachfolgenden Zeilen getilgt.

Der Pilsner JahrmarktDer bedeutendste in Böhmen und wird 4mal des Jahres abgehalten. Die Meßgerechtigkeit haben die Pilsner als ein vom Kaiser Ferdinand ihnen ertheiltes Privilegium erhalten, in Berücksichtigung ihrer Anhänglichkeit an das Haus Oestreich, zu einer Zeit, wo fast alle andern Städte dieser Provinz dem ehrsüchtigen Wallenstein ihre Thore öffneten. beginnt am Montag Morgen und endet mit dem dritten Tage. Indem die 13 Meilen vom Meßplatze entfernte Hauptstadt des Landes es unmöglich erscheinen läßt, die Reise in einem Tage zu vollenden, und überdies auch die Zeit abzugewinnen, welche zum Auspacken der Waarenvorräthe und reihenmäßiger Aufschichtung derselben erforderlich ist, das Verbot, am Sabbath sich auf eine Reise zu begeben, diesen Tag nicht zu benutzen gestattet, und die vorigen zwei Tage zu diesem Zwecke in Anspruch zu nehmen, zu großen Zeitverlust für das Localgeschäft herbeiführen würde, dem ohnehin in der Vorwoche des Marktes manche Stunde mit dem Einpacken der Meßwaaren entzogen wird, so tritt bei den meisten jüdischen Meßbesuchern die Nothwendigkeit ein, die auf den Sabbat folgende Nacht zur Reisezeit hinüber zu ziehen. Schon bei einbrechender Dämmerung füllen die das fünfte Stadtviertel begränzenden Strassen sich mit Reisekutschen von allen Gattungen und Formen. Domestiken, beiderlei Geschlechts, streifen in kleinen Divisionen, keuchend unter der ihrem Rücken aufgebürdeten Fracht von Pelzen und Bettdecken, zwischen den Pferden hindurch, das innere der Wagen mit diesen Reise-Utensilien auszustopfen. Gruppen von Lastträgern zeigen sich am Hintertheile des Wagens mit dem Befestigen der Koffer beschäftigt und ihre Burschen defiliren auf und ab, Jegliches eine Diebeslaterne in den Händen schwenkend. Kommando's erschallen von den Jungen der einen Parthei, Widersprüche schickt der widerspenstige Chor der Belehrten entgegen; Ehrentitel und Flüche, meist jedoch von scherzhafter Bedeutung, folgen hinterher, und der Chor der Lastträger ragt in diesem geräuschvollen Tutti vor den lungenschwächern Domestiken-Seelen ehrenvoll hervor. Die Nacht ist indeß am Horizonte heraufgezogen, und die Jahrmarkts-Besucher, von welchen die Mehrzahl aus dem schönen Geschlechte sind, stürzen nun aus allen Enden des fünften Hauptviertels herbei, besteigen die Kutschen und prüfen die Sitze, und ertheilen die letzten Hausbefehle den zurückbleibenden Domestiken. Segenswünsche zu der glücklichen Fahrt erschallen zur Rechten und Linken, von Mündigen und Unmündigen, als gälte es einer Expedition nach dem Nordpol. Die erste Kutsche fängt an sich zu bewegen, die andern folgen, und die große Karavane braust, wie ein mächtiger Winterstrom zwischen Thälern und Schluchten, durch die schweigenden Straßen der Hauptstadt über die stattliche von zahllosen Lampen besäumte Moldaubrücke, zu dem Augezder Thore hinaus. Erschreckt von dem herandonnernden Getöse stürzen die friedlichen Bewohner der Kleinseite an die Fenster und rufen bei dem Anblicke der wandernden Judenschaft beruhigend einander zu: in Pilsen haben sie also wieder Jahrmarkt, diese Woche!


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