Joseph Seligmann Kohn
Der jüdische Gil Blas
Joseph Seligmann Kohn

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Monate hindurch pflegte ich, was früher ausser den bestimmten Rasirtagen nie der Fall gewesen, den Barbier meines Brodherrn fast täglich in unserm Hause zu sehen. Der Ruf hatte ihn schon längst einen SchadchanDieses Wort bedeutet einen Ehekuppler, der gegen bedeutendes Honorar das ehrenvolle Geschäft übernimmt, mit abwechselndem Gebrauche von List und Beredsamkeit, (an welchen Eigenschaften ein Individuum dieser Art bedeutende Vorräthe haben muß,) zwei Familien, die nie von einander gehört, zu beschwatzen, daß sie ihre Kinder einander in die Ehe geben. Auf beiden Seiten denkt man in solchen Fällen an Nichts als die Schwere der Geldsäcke zu prüfen, und nach befundenem Gleichgewichte ist der Handel abgeschlossen. Diese Ehekuppler, welche einiger Gulden halber, bereit sind, das Lebensglück zweier Menschen, von denen sie nie gekränkt worden, in der Wurzel zu vernichten, halten ihr scheußliches Gewerbe für ein gottgefälliges Werk, welcher Wahn aus der jedem Juden auferlegten Erfüllung des Ehegebotes entstanden seyn mag. genannt, und ich schöpfte aus seinen nun häufigern Besuchen die Vermuthung, daß man mit Kalman, dem ältesten Sohne des Hauses, Heirathsabsichten habe, welcher als Geschäftsführer der Handlung dieselbe durch eine zu erhaltende ansehnliche Mitgift sehr zu erweitern hoffte. Auch bestärkte mich in dieser Meinung ein von Lea gegen Herrn Fauber – so hieß der Ehekuppler – gebrauchtes Reimlein: Ich hab Thore, ich hab SchoreThora, die heil. Schrift, begreift in der weitern Ausdehnung dieses Wortes auch den Talmud, als die Exegese des Pentateuchs; Schora, sprich Sachora, heißt Waare, womit Lea auf die Geschäftskenntniß ihres ältern Sohnes anspielt., womit sie andeuten wollte, daß jene Klasse von Leuten, welche ihre Töchter gern an tüchtige Talmudisten vermählt wissen, in ihrem jüngern Sohne den gesuchten Mann fänden, Andere jedoch, welche einen routinirten Geschäftsmenschen vorziehen, die Augen auf ihren Kalman lenken müßten. Nichts desto weniger galten die Visiten Faubers nicht meinem ElevenDie Jugend Liebmans, der kaum das 17te Jahr erreicht hatte, war, der jüdischen Sitte zufolge, die eine frühe Ausheirathung gestattet, als kein genügender Grund anzunehmen, daß Faubers Gewinnsucht den dem Knabenalter kaum noch entwachsenen Liebmann nicht hätte ebenfalls zum Gegenstande seiner Speculation wählen können. Obgleich den Rabbinen zufolge erst das achtzehnte Lebensjahr den Jüngling für die Ehe reif finden läßt, giebt es, namentlich in Polen, zahlreiche Beispiele von Männern, die schon im sechszehnten Jahre ihres Alters das Ehejoch sich auflasteten; das weibliche Geschlecht wird sogar schon im 14ten Jahre verspeculirt. oder seinem ältern Bruder, sondern Zipora, was ich daraus abmerken konnte, daß an einem Abende, wo man zum Empfange eines fremden Gastes mit besonderer Sorgfalt des Tages über schon Vorkehrungen getroffen hatte, der Erwartete, ein schlichter Landbewohner am Arme Faubers in die Stube trat, und in seinem unbeholfenen linkischen Wesen nichts errathen ließ, was ihn der ungewöhnlichen Aufmerksamkeit von Seiten der Familie Spiegel hätte werth machen sollen, wenn nicht andere Absichten, die aus Faubers Begleitung des Fremden sich leicht ahnen ließen, eine so unverdient ehrenvolle Aufnahme erforderlich gemacht hätten.

Am andern Morgen trat Lea in meine Stube mit einem sarkastischen Lächeln mich befragend, was ich von dem Fremden hielte, welchen ich bei der gestrigen Abendmahlzeit zu beobachten, wohl Gelegenheit gefunden? Mein Urtheil, das, weniger aus Ueberzeugung als aus politischen Rücksichten gegen die Familie, befriedigend klang, öffnete schnell die Schleusen ihrer Rede. Ich erfuhr demnach, daß der Gast vom Lande ihr Tochtermann werden solle, bedeutende Geschäfte mit rohen Häuten mache, Bezirks-SteuereinnehmerUnter der Regierung der Kaiserin Maria Theresia war einer gegen die Prager Judenschaft erhobenen erdichteten Beschuldigung halber der grausame Befehl erlassen worden, daß die ganze Gemeinde binnen drei Tagen die Stadt auf immer geräumt haben müsse. In dieser Bedrängniß ward von den Gemeinde-Aeltesten beschlossen, einen Eilboten nach Wien zu senden, der dem Hofe ihr Anerbieten kund machen sollte, welches darin bestand: jährlich eine sehr bedeutende Summe als Judensteuer an die kais. Schatzkammer abzutragen, wofern die Monarchie das Edict aufheben wollte. Während dies unterhandelt wurde, hatte Maria Theresia, von dem Ungrunde der Anklage durch einen edlen Menschenfreund unterrichtet, erklärt, daß sie ihr hartes Edict wieder ausser Kraft setze. Allein einen Tag vor der Publication desselben, war der von der Judenschaft abgeordnete Courier in Wien angelangt, und die Kaiserin trug nicht Bedenken aus diesem voreiligen Anerbieten der Prager Gemeinde Nutzen zu ziehen. So ist die Judensteuer bis auf diesen Tag in ihrer Kraft geblieben. Als jedoch in der Folgezeit die Unmöglichkeit, eine so große Summe aus einer einzigen Gemeinde zu entheben, wohl eingesehen worden, wußten schlaue Köpfe es auszuspinnen, daß die übrigen Gemeinden Böhmens diese Last mit tragen sollten. Zu diesem Behufe wurden in allen 16 Kreisen des Landes sogenannte Kreissteuereinnehmer angestellt, die wiederum das Regiment über die kleinen Bezirkssteuereinnehmer haben, welche wie die Ersteren unter dem Haupt-Steueramte in Prag stehen. Mehrere reiche Particuliers in der Hauptstadt und auf dem Lande schießen die Hauptsumme aus ihren Mitteln zusammen, bringen sie aber durch strenge Maßregeln gegen die steuerfähigen Individuen – die Armen schwören sich mittelst eines gerichtlichen Eides los – so reichlich ein, daß ihnen noch ein bedeutender Ueberschuß bleibt, welchen sie als Gewinn unter sich theilen, und daher den Namen Steuerpächter angenommen haben. Die ganze Steuerlast fällt daherauf die minder bemittelte Klasse, denn die Reichen sind theils Mitpächter, und eine Krähe hackt der andern kein Auge aus; oder Leute von lockeren Rufe in religiöser Beziehung, welche, sobald man in Erfahrung gebracht, daß sie an Wohlstand zugenommen haben, und in ihrer Steuer erhöht werden dürften, zu verstehen geben, daß sie zur christl. Kirche übertreten werden, wodurch sie von der Steuer ganz frei werden. Diese Individuen dürfen daher nicht gereitzt werden, und zahlen im Verhältnisse ihrer Kräfte kaum den zehnten Theil dessen, was die religiös gesinnten Contribuenten abtragen. Die Pächter müssen schon aus diesem Umstande gegen die Freidenker sehr milde verfahren, weil, wenn auch die Hälfte der jüdischen Population Böhmens durch die Taufe jener Steuer entginge, der jährliche Judentribut an die kais. Kammer dennoch nicht vermindert werden kann. Als vor mehrern Jahren die Prager Judengemeinde Abgeordnete aus ihrer Mitte nach Wien schickte, um vom Kaiser einen Nachlaß von dem Tribute zu erbitten; und um es doch zu erlangen, daß die Renegaten nicht mehr von der Steuer befreit würden, deren Religionswechsel doch nur geschehe, um steuerfrei zu seyn, beschwichtigte sie der Kaiser und sagte vertrauungsvoll: »Aber ihre Kinder werden doch gute Christen seyn.« sey; und was diese Parthie insbesondere vorziehbar erscheinen lasse, wäre der Ruf, welchen sein Vater als gelehrter Talmudist im ganzen Lande habe, von welchem selbst die Kreisrabbinen vor Entscheidung schwieriger Gesetzfragen (Schaeloth genannt) nicht selten sich Raths zu erholen pflegen. – »Können diese Vorzüge« – fragte ich Lea – »Ziporen auch bestimmen diesem Manne Ihrer Wahl mit Liebe entgegen zu kommen?« – »Die ist Nebensache« – meinte die Frau – »ein sittsames Mädchen darf nicht selbst wählen, ich« – fügte sie hinzu – »bin von meinen Eltern ebenfalls nicht befragt worden, als ich meinem Asriel verlobt wurde.«

Asriel hatte in dieser Unterhandlung, welche die Zukunft seiner Tochter betraf, einen bloß passiven Charakter gezeigt, und den Ansichten seiner Gattin beigestimmt. Den projectirten Eidam im Gange des Gespräches zu sondiren, war nicht seine Sache gewesen. Er begnügte sich mit der erhaltenen Gewißheit, daß Ruben – dies war der Vornahme des Brautwerbers – sein Geschäft aus dem Grunde verstehe, auf der Pilsner Messe bedeutende Verkäufe mache, und von allen Metzgern über ihn Klage geführt werde, daß er sie mit den Kaufpreisen so übermäßig drücke, was als ein kräftiger Beweis für seine Geschäftskenntniß gelten sollte. Ruben war als Gesellschafter sehr einsylbig, und sollte seine Zunge gelöst werden, mußte man die Conversation auf commercielle Gegenstände hinleiten. An der Abendtafel hatte er Ziporen gegenüber seinen Platz angewiesen erhalten, aber die Gelegenheit verschmäht, sein vis-à-vis nur mit einem Blicke zu beachten. Er fühlte eben so wenig eine Herzensregung für die Tochter des Hauses, als diese für ihn. Bei der Letztern schien vielmehr unverhohlne Abneigung gegen den ihr aufzudringenden Verlobten merkbar zu werden, was jedoch die Eltern eben so wenig als Ruben verfing; und es ward beschlossen, daß eine Woche nach dem PfingstfesteVon den Juden: Schebuoth, Wochenfest genannt, weil vom Oster- oder Passahfest bis zu diesem Feste sieben Wochen verfließen. die Vermählung statt finden solle, wofern bis dahin die von dem Kreisamte zu erhaltende HeirathsbewilligungIn Böhmen und Mähren ist wie in Frankfurt am Main die Zahl der an einem Orte ansäßigen jüdischen Familien sehr beschränkt. Nur der Erstgeborne Sohn erbt das Heirathsrecht seines Vaters, und stirbt dieser ohne männliche Erben, fällt die erledigte Familie – so nennt man eine Heirathsbewilligung – als Eigenthum dem Stadtmagistrat oder der Ortsherrschaft, in Prag den Gemeindevorstehern zu, welche nach Verhältniß der mehr oder minder großen Zahl der Kauflustigen den ganz von ihrer Willkühr abhängenden Verkaufspreis festsetzen. Die Kauflustigen sind begreiflicher Weise, Zweite und drittgeborne Söhne. Auf dem Lande, wo man das religiöse Gesetz der Ehevollziehung noch streng beobachtet, überdies die Familie von einer fremden Ortsobrigkeit nicht gekauft werden darf, wird der Handel mit den Familienrechten am einträglichsten betrieben. Mehr noch als der Gutsbesitzer und die Beamten füllt der jüdische Unterhändler, auch Familienmäkler genannt, seinen Säckel. Dergleichen Geschöpfe, die von diesem Gewerbe ausschließlich einen bedeutenden Haushalt (überdies glänzend) bestreiten, sind wegen ihrer Bekanntschaft mit den Beamten, die stets bestochen werden müssen, nicht aber sich jedem Fremden decouvriren, daher bei solchen Verhandlungen ganz unentbehrlich, und sie schaden demjenigen leicht, der ihren Beistand verschmäht, weil sie nur im Wege der Speculation die gesuchte Familie im Preise zu überbieten brauchen, und, stets bevorzugt, sie zugeschlagen bekommen. Einen andern Käufer für ihre Waare finden sie bald. Aus diesem Grunde nimmt man bei einer Bräutigamswahl wesentlich Rücksicht auf den Umstand, daß der Gewählte ein Erstgeborner sey, weil in diesem Falle ein sehr bedeutendes Kapital gerettet bleibt, das sonst in die Hände jener geldsaugenden Beamten und Mäkler fallen würde. Noch giebt es auf dem Lande – in der Hauptstadt nimmt unter der nun freier denkenden jüngern Generation das ehelose Leben sichtbar zu – frommgläubige Thoren, welche sich durch Ankauf einer Heirathsbewilligung an den Bettelstab bringen, oder wenn sie nichts zu bieten haben, sich mit der Braut von einem Rabbi in Anwesenheit von zehn Männern, ohne Vorwissen der Behörde, heimlich trauen lassen, und sich wenig darum kümmern, ihre Kinder als unehelich im Amtsregister verzeichnet zu wissen. ebensowie das von Seiten Zipora's einzubringende ReligionszeugnißEine andere, jedoch minder kostspielige Manier des Gelderpressens. Herz Homberg, ein Schüler Mendelssohns, hatte zu Anfange dieses Jahrhunderts ein ethisches Werk, betitelt: »Von Zion«, zum Gebrauche der jüdischen Jugend, zusammengeschrieben, worin eine weitläufige Auseinandersetzung der zehn Gebote, der Eigenschaften Gottes u.s.f. die jungen Leser und Leserinnen – denn es ist für beide Geschlechter vom Verf. bestimmt worden – beschäftigen soll. Der bei dem Kaiser in Gunst stehende Landrabbiner von Mähren, Markus Benedict in Nikolsburg war bald dafür gewonnen worden, daß ein Ausspruch der Studien-Hof-Commission in Wien das Ben-Zion für alle die Gymnasien und Landesschulen besuchenden Israeliten als Lehrbuch zur Beförderung der Religion und Moral einzuführen befahl. Hiermit war ein anderes Gebot verknüpft, daß ohne vorhergegangene Prüfung aus diesem Buche keine Heirathsbewilligung erfolgen sollte. Diese Prüfungen werden für sämmtliche in Böhmen ansäßigen Juden von Hrn.  Homberg im Beiseyn eines Kreisrabbiners und einer christl. Amtsperson, nicht selten in Gegenwart des Kreishauptmanns selbst vorgenommen. Die Parteien, welche so klug sind, sich zuvor mit dem Lehrer und dem Rabbi abzufinden, werden auf die Fragen, welche während der Prüfung vorgelegt werden sollen, früher aufmerksam gemacht; und die Antworten ihnen in den Mund gelegt. Denen, welche nicht diese Vorkehrungen treffen mögen, ergeht es schlimm, und sie werden in ihren Prüfungen geworfen, wie man in Böhmen zu sagen pflegt. Obgleich Hr. Homberg in der Eigenschaft eines kais. Schulraths einen sehr bedeutenden Jahresgehalt von der Prager Gemeinde bezieht, obgleich der bei Gelderpressungen dieser Art längst ergraute Geitzhals so manchen Seufzer armer Brautleute einst vor einem strengen Richter als seinen Ankläger zu fürchten hat, so fährt er demungeachtet auch jetzt noch in seiner Bedrückung armer Schüler ungescheut fort, und wer dürfte es wagen, gegen solchen Unfug eines von hohen Amtspersonen begünstigten Mannes Klage zu erheben? bereits ausgefertigt seyn würde.


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