Joseph Seligmann Kohn
Der jüdische Gil Blas
Joseph Seligmann Kohn

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Aus diesem Gespräche hatte sich eine Masse von Stoff zu vielen andern Thematen entwickelt. Der Wirthschaftsbeamte, bisher der schweigsamste, glaubte jetzt mich widerlegen zu müssen, daß, wenn sich auch kein Grund für die Entstehung jenes Volksglaubens angeben ließe, es jedoch nicht wohl zu bestreiten sey, daß die Juden von einem unvertilgbaren Hasse gegen ihre christlichen Mitbrüder beseelt seyen, und berief sich auf ihren entschiedenen Widerwillen gegen Ackerbau und Handwerk. – »Würden Sie wohl, mein Herr!« – fragte ich widerlegend – sich jemals bereit finden lassen, Geld und Mühe an den Aufbau eines Hauses zu verwenden, von welchem Sie im Voraus die Gewißheit haben, es in seinem vollendeten Zustande nicht bewohnen zu dürfen, ja sogar es einem Ihnen ganz Unbekannten als Eigenthum anheimfallen zu sehen?« – »Weshalb diese Frage, welche sich jeder selbst zu beantworten vermag?« versetzte der Antagonist überrascht. »Ganz in demselben Falle findet sich der Jude, welchem eine väterlich milde Regierung zwar im Schweiße seines Angesichtes den harten Boden urbar zu machen, gestattet; aber die Landtafel nennt einen andern Eigenthümer für diese Erdscholle, und die Früchte, welche ihr des jüdischen Bauers vieljähriger Fleiß abgedrungen, sie nähren einen Andern, und die Söhne des Mannes, welcher die unwirthbare Strecke in blühende Saatenstriche umgezaubert, werden mit ihren Ansprüchen auf die väterliche Erde vor dem Gesetze zurückgewiesen. Eure Toleranz« – fuhr ich mit steigender Bitterkeit im Ton und Miene fort – »euer vielbelobter christlicher Duldungssinn gestattet also dem Juden, den neidenswerthen Beruf eines Ackerknechts sich wählen zu dürfen, um nach gespendeten Mühen einer ungewissen Zukunft überliefert zu werden, und in dem zerschmetternden Gefühle zu vergehen, wie die Bienen, nur für Andere den Honig bereitet zu haben. Würde er, von der Schaar unversorgter Kinder umringt, vor eine gerechte Obrigkeit mit der Frage hintreten, warum er von Haus und Hof plötzlich verscheucht, und in eine ungewisse Zukunft hinausgestossen werde? so würde ihm der einfache Bescheid, er habe als Jude nie liegende Gründe besitzen dürfen, sey daher auch nicht derselben beraubt worden. Zwar könnte der Unglückliche, vom innern Grame gestachelt, hierauf entgegnend fragen: Ich bin also kein Sohn dieses Landes, das mich geboren werden sah, ihr nennt mich einen Fremdling unter euch, und dennoch dürft ihr diese Knaben von dem blutenden Vaterherzen reißen, ihnen durch die Drohungen des Haselstocks den Eid der Treue abzwingen, und den Deserteur als Uebertreter eines, obgleich gewaltsam erpreßten Schwures, zu schmachvoller Todesstrafe verdammen.«

»Die Heldenthaten Ihres Volkes haben der Weltgeschichte nur höchst sparsame Materialien geboten«, spottete der Bühnenkünstler, der bis jetzt sich schweigend verhalten hatte. – »Fordert Heldensinn von einer Nation, die zwei Jahrtausende aller Menschenwürde beraubt gewesen« widerlegte ich – »und fragt den Psychologen, ob er euern Ansprüchen beistimmen werde. Ein Mensch, dem kein anderes Eigenthum, als das nackte Leben geblieben, wird dieses einzige Gut, das sie ihm gelassen, um so ängstlicher bewahren und bewachen; und ein ganzes Volk denkt und empfindet, wie das Individuum. Von den Steuerlasten weit schwerer befrachtet und niedergedrückt als die andern Landeskinder, glaubt der Jude für die ihm einzuschlürfen vergönnte Lebenslust, die einzige Gleichstellung mit seinen christlichen Nachbarn, deren er sich nach dem Rechte rühmen darf, so ziemlich den Staat abgefunden zu haben. Wie? ihr verlangt, daß, wenn ein eroberungssüchtiges Heer in die Gränzen des Vaterlandes bedrohend einfällt, auch der Israelite seine einzige Habe, das kärglich gefristete Daseyn zum Opfer biete, einem Vaterlande der Heimatlose, mit seinem Blute eine Erde dünge, die er nicht seine Mutter nennen darf, welche er wohl bebauen mag, die Früchte jedoch Andern überlassen mußte, jene Scholle, deren Rücken wohl die Grundlage eines Gebäudes werden sollte, das mit dem Gelde des Erbauers aus dem Nichts hervorgerufen, doch nicht seinen Namen tragen darf? Zwar mein Herr! könnten Sie passend einwenden, daß die Schweitzer auch ihren Arm, ihr Blut dem Interesse eines fremden Landes verkaufen, aber die Hoffnung, einst in dem fremden Lande Bürgerrechte zu gewinnen, und der augenblickliche bessere Sold beflügelt ihren Muth. Der jüdische Unterthan des österreichischen Staates hingegen findet in dem kärglichen Solde, und in dem stets um seine Ohren sausenden Haselstock des judenfeindlichen Korporals nur schwache Reitzmittel zur Erweckung kriegerischer Gesinnungen; denn mit einer Offizier-Charge sind Wenige noch bedacht, und das Hauptmannspatent bisher nur einem Einzigen ausgefolgt worden. Wahrlich der Mann, welchem weder militairische Beförderungen noch Bürgerrechte gestattet sind, und nur die weniger erfreuliche Zukunft geöffnet bleibt, nach vierzehnjährigen, unter Entbehrungen und willkührlich an ihm verübten Mißhandlungen, verseufzter Dienstzeit als Krüppel mit kärglicher Invalidenlöhnung von wenigen Kreuzern für den Tag seinen Verwandten über den Hals geschickt zu werden, dieser Mann müßte sich seinen Patriotismus gewaltsam erkitzeln. Es wird aus diesem Umstande klar, warum selbst verhältnißmäßig so wenige Israeliten in der Uniform erscheinen, indem jeder die letzten Pfennige zusammenrafft, um sich von vieljähriger Sclaverei und endlicher Körperverstümmelung los zu kaufen.«
 

Hier wurde ich wieder von dem frühern Gegenkämpfer im Contexte unterbrochen, welcher mich erinnern zu müssen glaubte, daß ich auf die von ihm meinem Volke gemachte Beschuldigung der Arbeitscheu und allgemeinen Abneigung vor dem Handwerke noch nicht widerlegend geantwortet, und seiner Meinung zufolge, in unserm gegenwärtigen Wortkampfe wohl die weichende Parthei seyn werde. – Lächelnd entgegnete ich dem Zuversichtlichen, daß jetzt der Sieg um so gewisser sich auf meine Seite neigen werde, weil ich diese Materie des Gespräches selbst mit Thatsachen zu verfechten mich im Stande fühlte, und eilte mein Versprechen, wie folgt, zu lösen:

Ein Handelsfreund meines ehemaligen Prinzipals, aus der Stadt Bidschow, klagte diesem eines Tages, daß der einzige männliche Erbe seiner durch lebenslängliche Anstrengungen und Sorgen erworbenen Habe, bei einem ihm unbegreiflichen Widerwillen gegen das Geschäftsleben, sich von dem Vorsatze, das Bäckergewerbe zu erlernen, nicht abbringen lassen wolle. Mein Prinzipal beschönigte die Idee des jungen Menschen damit, daß der Handelsmann den Launen des Glückes mehr Preis gegeben, als der Bäcker, dessen Erzeugnisse auch von dem Aermsten gekauft werden müssen, daher gegen so reife practische Ansichten seines Sohnes ein kluger Vater nicht länger kämpfen müsse. Der alte Bodhanezky, welcher zu seinem vieljährigen Handelsfreunde, bei dem sich auch viele Fremde in schwierigen Fällen Rath zu holen pflegten, unbegrenztes Vertrauen hatte, beachtete diese Worte, ließ von jenem Tage an dem Sohne freie Neigung und brachte ihn bei einem christlichen Meister jenes Ortes in die Lehre. Weil dieser von dem wohlhabenden Vater des Lehrlings glänzend bezahlt wurde, vermieden die Gesellen ihren jungen Berufsgenossen auf irgend eine Weise zu kränken. Nach verstrichener Lehrzeit schnürte der Knabe sein Wanderbündel, um nach alter Sitte bei fremden Meistern Arbeit zu suchen. Die Rücksichten, welche der heimathliche Lehrherr gegen die Börse des alten Bodhanizky bezeugt, waren dessen Sohne nicht über die Gränzen seines Geburtslandes gefolgt. In dem Gesellenstande sollte er erst die Bitterkeiten schmecken, welche von seinem Berufe unzertrennlich waren. Die Neckereien und selbst die ernstern Kränkungen der Mitgesellen schien der Meister zu begünstigen, und wechselte der junge Dulder auch aus diesem Grunde häufig die Orte seiner Thätigkeit, schien doch niemals der Tausch zu seinem Vortheile sich zu entscheiden. Ja, in mancher Stadt sträubten sich sogar Meister und Gesellen, einen Israeliten in ihrer Mitte aufzunehmen. Als der jüdische Bäckergeselle nach verstrichener Wanderzeit die heimische Schwelle wieder betreten hatte, spähete sein Auge vergeblich nach dem guten Alten, welchem die verkehrten Wünsche seines einzigen Sohnes ein früheres Grab bereitet; und weil sich Niemand gefunden, welcher das Ruder des Geschäftes zu übernehmen vermochte, war das beträchtliche Erbe unter den Händen des diebischen Curators rasch zusammen geschmolzen. Die Trümmer seines Vermögens wendete der junge Mann an, einflußreiche Amtspersonen für seine Sache zu gewinnen, weil er jetzt um das Meisterrecht in seinem Geburtsorte zu erlangen, die amtlichen Wege einzuschlagen gedachte. Allein die trübste seiner Erfahrungen war dem Unglücklichen bis dahin aufgespart. Die sämmtlichen Meister in seinem Geburtsorte hatten sich gegen den neuen Zunft-Genossen vereinigt, und mit Klagen auf die durch Ueberzahl der Professionisten eingerissene Nahrungslosigkeit war es ihnen, den jungen Zunftgenossen zu überstimmen, gelungen. An einem fremden Orte konnte ihm die Niederlassung und Ausübung seines Meisterrechtes um so weniger gestattet werden; und so wandte der verzweifelnde die letzten Reste seines väterlichen Erbes auf die Anschaffung eines Trödelkrams an, um von dem kargen Ertrage seines nun erwählten Gewerbes, die durch seine Schuld verarmte, alte Mutter zu pflegen. Schon in den ersten zwei Jahren seines neuen Aufenthaltes in der Heimath hatte er es miterlebt, daß die Bäckerzunft des Ortes ihren Verein durch drei neue Mitglieder, von denen Eines aus fremdem Staate eingewandert, hatte willig anwachsen lassen, ohne Vorstellungen gegen die drohende Ueberzahl der Meister amtlich eingebracht zu haben.

Mit satanisch grinsendem Lächeln fragte am Schlusse meiner Erzählung der judenfeindliche Wirthschaftsbeamte: »So hätte sich das Unglaubliche wirklich begeben, und ein Jude wäre trotz seiner Bestechungskünste bei der sonst so leicht käuflichen Behörde mit seiner Petition ausnahmsweise durchgefallen? Dies ist sonst hierzu Lande nicht Beamten-Brauch.«

Mein nachbarlicher Confessionsverwandter schien jetzt zum ersten Male die Brauchbarkeit seiner Sprachwerkzeuge prüfen zu wollen. »Werther Herr!« – ließ er sich gegen unsern gemeinschaftlichen Gegner vernehmen – »allenfalls verdient unser Volk den Vorwurf, daß es die Behörden durch Bestechungsmittel sich zu gewinnen sucht; dies geschieht jedoch nur, um die Richter zu einem gerechten Ausspruch zu vermögen, denn wo jeder Andere nur das bessere Gewissen des Richters durch den Klang des Goldes übertäuben würde, muß der Jude selbst die gerechte Sache sich erkaufen, und den Beamten gut bezahlen, damit er nicht gegen den Buchstaben des Gesetzes einen Ausspruch thue. Der Jude ist's demnach, nächst dem Monarchen, welcher die Diener der Gerechtigkeit in der Absicht besoldet, daß sie nach Pflicht und Gewissen in ihren Rechts-Entscheidungen verfahren.«

Als mein Nachbar diese Wahrheit sich von der Brust gewälzt hatte, ermahnte er mich, die zweite Hälfte meines Versprechens nachzutragen, und ich nahm wieder das Wort:

»Sie kannten wohl auch den Steuerbeamten Fersak, eines unsrer geachtetsten Gemeinde-Mitglieder?« fragte ich meinen Confessions-Verwandten. – »Allerdings«, – versetzte der Angeredete – »man zählte ihn zu jener Klasse von Leuten, welche sich in die Anforderungen des Zeitgeistes zu fügen verstehen, ohne deshalb die religiöse Seite des Lebens minder zu beachten.« – »Ihre in wenigen Sylben entworfene Schilderung jenes Mannes ist ungeachtet ihrer Kürze dennoch wahr und treffend; und wer den Ehrenmann gekannt, wird ihrer Aussage seinen Beifall nicht versagen«, – fiel ich mit wehmüthiger Erinnerung meinem Nachbar ins Wort. »Sie erinnern sich dann eben so wohl« – fragte ich weiter – »seines Sohnes, der in einem Alter von etlichen und zwanzig Jahren, (obgleich mit bedeutendem Jahrgehalte als Buchhalter in einer achtbaren Seidenhandlung angestellt,) den seltsamen Entschluß gefaßt, das Drechslerhandwerk zu erlernen, und die Niederlegung seines eben so einträglichen, als ehrenvollen Amtes, zum Leidwesen des Chefs seinem künftigen Berufe als erstes Opfer anzubieten. Weder die Vorstellungen des Prinzipals, noch die warnenden Ermahnungen seines Vaters hatten den Unbesonnenen von seinem thörichten Vorhaben abzubringen vermocht; und so ließ sich der bereits in das Mannesalter tretende Jüngling bald hernach bei einem schlichten Drechslermeister unsrer Stadt als Lehrbursche alle von diesem Stande unzertrennlichen Demüthigungen mit bewundernswerthem Gleichmuth gefallen. – Als der junge Mann, nach verflossener Wanderzeit, wieder seine Vaterstadt besuchte, gelang es seinem unermüdlichen Eifer, das Meisterrecht in Prag zu erlangen, und in einer der belebtesten Straßen seine Werkstatt zu eröffnen. Bedeutende Summen an die verschiedenen Behörden gespendet, hatten ihm diese Gerechtsame auf – drei Jahre gesichert. Vor Ablauf dieser Frist um die Erneuerung seines Rechtes einschreitend, mußte er nun zu seiner Bestürzung erfahren, daß ihm diesmal die christlichen Meister zuvorgekommen und ihm zur Fortführung seines Gewerbes, einen Platz in dem winkligen Judenbezirke der Stadt großmüthig angewiesen hatten, wohin sich kein Liebhaber von Kunsterzeugnissen, als Kauflustiger, so leicht verirren konnte. Weniger das für sein Gewerbe ganz unbrauchbare Local, als die nach seinen Begriffen in einem solchen Rechtsspruche enthaltene Beschimpfung war es, was ihn in der ersten Hitze verleiten mußte, alle Handwerks-Utensilien und vorräthigen Erzeugnisse seines Fleißes eiligst zu veräußern, damit ihn ja nicht wieder die Lust beschleichen möge, ein Gewerbe fortzusetzen, das ihm ungeachtet so zahlreicher Opfer so arg gelohnt hatte.«

»Der Narr!« – lachte der Schauspieler spottend auf – »warum trat er nicht zum Christenthume über, der Märtyrer von der Drechslerbank?« Der Spötter hatte mit dieser Frage ahnungslos mich auf ein Terrain gelockt, wohin ich am ehesten ihn wünschen konnte, weil hier der Sieg entschieden sich auf meine Seite neigen mußte. »Allerdings« – versetzte ich, – »standen mit dem Uebertritt zur herrschenden Religion ihm das Bürgerrecht und alle damit verzweigten Vortheile offen, obgleich derjenige am wenigsten Begünstigungen vom Staate erwarten sollte, welcher mit Eiden spielt und daher diesen zu betrügen kein Bedenken trägt. Wer momentaner Vortheile halber das Heiligste verschachert, und die eigenen Eltern zugleich mit seinem Gott verläugnet, wer der edelsten Pflichten sich entäußert, kann er wohl ein guter Bürger werden? Nimmermehr! Und besser ist es, wenn man, obschon Nichts die Satzungen der Rabbinen achtend, dennoch zu dem angebornen Glauben zum Scheine sich bekennt, als das beißende Prädicat: Der Getaufte stets sich um die Ohren schwirren zu lassen. Die Erfahrung hat es gelehrt, daß bei einem solchen Tausche der Glaubensform am wenigsten für den Mann von Ehre zu gewinnen ist; und die Intoleranz verfolgt den Apostaten mit doppeltem Grimme, obgleich sie selbst am eifrigsten zur Bekehrung des neuen Christen vorher mitgewirkt. Niemand von euch will es bedenken, daß der Zufall der Geburt und nicht die eigene unkluge Wahl dem Beschimpften eine Jüdin zur Mutter erkoren, eben so wenig als der den Adelstolz verspottende Bürgerssohn es jemals über sich vermag, die von ihm als thörichte Institutionen verschrieenen Vorrechte der Geburt, auch hinsichtlich Seiner, steht er dem Juden gegenüber, nicht gelten lassen zu wollen.


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