Joseph Seligmann Kohn
Der jüdische Gil Blas
Joseph Seligmann Kohn

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Achtes Kapitel

Die Ladendienerinnen

Nur die Tuch- und Lederhandlungen entbehren der dienstbaren Geister aus dem schwächern Geschlechte; alle andern Commerzwege hingegen sind auch und zwar vorzugsweise mit den Töchtern Eva's besäet. Die Wechslergewölbe, wie die Buden der AntiquarbuchhändlerNur mit alten Büchern und altem Eisen ist den Prager Juden Handel zu treiben gestattet. dienen den zarten Wesen gleichfalls zum vierzehnstündigen Aufenthaltsorte mit Ausnahme der Festtage. Fühlt der Vorübergehende sein Mitleid aufgeregt durch den kläglichen Anblick, welchen ein schwachgebautes Mädchen, unter der Last eines zwischen den Schultern festgehaltenen Geldsacks daherkeuchend, nothwendig erregen muß, so wandelt ihn wieder ein nicht zu bezähmendes Lachen an, wenn er vor einem Bücherkrame still haltend, ein strickendes Weibchen nach einem Werke theologischen oder juridischen Inhalts befragt, und sogleich in einem süßlichen Tone nachzufolgen aufgemuntert wird. Das Strickzeug wird bei Seite gelegt, eine Nachbarin zum einstweiligen Bewachen des Krams herbeigerufen, der Schawl um die Schulter geworfen, und durch das Gewühle der Käufer und Verkäufer sich drängend, fliegt sie rasch die morschen Treppen viele Stockwerke hinan, rasselt mit dem Schlüsselbunde an der Thüre ihres Vorrathkämmerchens, setzt die Leiter an, und der ihr nachgefolgte Bücherfreund gewinnt sowohl während ihres Nachsuchens Zeit, tiefsinnige Betrachtungen über die Waden eines Frauenzimmers anzustellen, oder sich auf den möglichen Fall vorzubereiten, wo die Suchende durch einen Fehltritt die Leiter herabstürzen und von seinen Armen aufgefangen werden könnte.

Die adeligen Damen, welche vorüberschreitend dieses Heer von Ladendienerinnen mit aus Mitleid und Verachtung gemischten Blicken begaffen, ahnen nicht, wie sie der Mehrzahl nach an intellectueller Bildung tief hinter jenen Geschöpfen zurückstehen. Am Freitagabend, sobald die nun geschlossenen Laden eine zweitägigeAuch am Sonntage und christlichen Feiertagen sind die Gewölbe geschlossen. Bemerkenswerth bleibt es, daß am Feste des heil. Nepomuk, wo der vielen Wallfahrer wegen, die christlichen Kaufleute feil haben dürfen, dies den Juden aber streng verboten ist. Feier versprechen, hüpft mit dem Schlüsselbunde im Strickbeutel die von den hochgebornen Fräuleins übersehene Ladendienerin in die benachbarte Leihbibliothek, und holt sich Futter für den Abend und den darauf folgenden Tag. Schillers Gedichte und Dramen leben den Meisten dieser Mädchenklasse im Gedächtnisse und sie citiren Stellen und Verse aus diesem ihren Lieblingsdichter mit überraschender Sicherheit. Das Favorit-Trauerspiel der Meisten – denn ein Geschmack lenkt sie alle – ist Don Carlos. Die Vorliebe für diese Tragödie dürfte man von der Mutter auf die Tochter vererbt nennen. Bietet man ihnen ein Taschenbuch oder einen flachen Romanschriftsteller des Tages, werfen sie das Buch verächtlich bei Seite mit der Bemerkung: Es gebe darin nur trockenes Mährchengeschwätze, sie aber wollten lieber ErhabenesDieses Ausdrucks bedienen sich Alle, wenn sie nach einem Buche verlangen, dessen Inhalt ihnen noch unbekannt ist..

Leicht dürfte die geneigte Leserin jene Geschöpfe, wegen einer ihrem untergeordneten Standpunkte nicht anpassender Ueberbildung, vornehm mitleidig belächeln; und so glaube ich zur Vertheidigung ihrer, vom Glücke stiefmütterlich behandelten Geschlechtsverwandten, anführen zu müssen, daß die Lectüre am Sabbat, wo jede Handarbeit durch ein religiöses Verbot wegfällt, als die einzige Abwehr gegen Müssiggang und Langeweile gefunden wird, der Sonntag hingegen, wie alle andere christlichen Festtage, den Angelegenheiten in der Hauswirthschaft gewidmet ist. Die Schwestern, an den Wochentagen unter ihre verschiedenen Gebieterinnen vertheilt, schließen am Sonntage einen Kreis um die geschäftige Hausmutter, und so bietet jede Familie, wo Mädchen sind, das Bild einer großen Näh- oder Schneider-Werkstatt.

Schon in früher Jugend, kaum noch dem zartesten Alter entwachsen, werden die Töchter zum Schacher angehalten; die Kinder wohlhabender Eltern bleiben unter der Leitung ihrer Mutter; die Mittellosen nehmen Dienste in einer fremden Handlung, ohne deshalb in ihrem Wirkungskreise tiefer gestellt zu seyn. Das kärgliche Ersparniß einer Reihe bitter verlebter Dienstjahre wird, wenn es nicht zur Unterstützung dürftiger Eltern verwendet worden, von diesen als künftige Mitgift für einen Heirathslustigen Talmudisten aufgespart, denn die Freierwahl bleibt stets den Eltern vorbehalten.

Judith, deren ich im frühern Kapitel gedachte, daß sie ihrer größern Brauchbarkeit wegen von meiner Prinzipalin einen höhern Gehalt als ihre Amtsgenossinnen bezog, sah sich in den hier geschilderten Verhältnissen. Ihr Vater, ein SopherEin Mann, welcher die Gesetzrollen schreibt, und Gebetriemen fertiget. , hatte sich keinen andern Tochtermann gewünscht, als Musje Itzig, der allenfalls ein feiner Bocher, aber ein grober Junge war. Judith, welche des Tages über mit Standespersonen aller Art verkehrend, feine Sitte kannte und übte, sah sich an den Winterabenden der Aufmerksamkeit ihres ungehobelten Itzig Preis gegeben, der sie Stundenlang angähnte, wenn der Alte aus dem Hause war, und sich dann entfernte, wie er gekommen. Lieber sah er es daher, fand er den Vater als die Tochter vor; dann brachte man die Conversation schnell ins Leben. Gemeinde-Streitigkeiten, die er fleißig sammelte, weil er wußte, daß sie für seinen Zuhörer die beliebtesten Ingredienzien des Gespräches abgaben, wurden als pikante Einleitung geboten. Sodann folgte ein pèl mél von Stoffen, die nicht wohl in eine bestimmte Klasse zu bringen waren. Und es hätten boshafte Dämonen ihre Hand im Spiele haben müssen, wenn unter einem so gemischten Vorrathe sich nicht stets ein Thema vorgefunden haben sollte, das als Uebergang in eine talmudische Disputation dienen konnte. Diese ward von beiden Streitern alsbald mit solcher Hitze fortgeführt, daß die giftigen Blicke, welche sich Beide zuwarfen, da Keiner nachgeben und jedes Recht behalten wollte, Judithen für den Ausgang des Wortstreits besorgt und froh zugleich machten, besorgt, weil sie von der Hitze des Vaters ein Ausstoßen von Beleidigungen fürchtete, froh, wenn sie von der Hoffnung belebt ward, Itzigs Rechthaberei werde ihn mit ihrem Vater gar bald entzweien. Zum Aerger Judiths nahmen diese Zungenkämpfe stets einen friedlichen Ausgang und dem jüngern Kämpen wurde bei dem Nachtessen von seinem Wirthe stets der beste Theil aus der Schüssel vorgelegt. Wenn nun Judith gegen den Vater ihre Verwunderung zu erkennen gab, daß er einem so unbescheidenen Jungen, welcher dem künftigen Schwäher so gänzlichen Mangel an Achtung fühlen lasse, gut bleiben könne, gab der Alte lächelnd zur Antwort: Dies ist es, was mir an Itzig gefällt, daß er sein Recht behauptet und alle Nebenrücksichten bei ihm schwinden, wenn es die Entscheidung einer Gesetzesfrage gilt.

Eines Abends als ich, in Rechnungen versenkt, einsam in meinem Zimmer saß, meldete man Judith. Ueberrascht wegen des zu dieser späten Stunde gegebenen ungewöhnlichen Besuches, fragte ich sie nach der Ursache desselben, zugleich bedauernd, daß die Familie Spiegel zu dem Hochzeitschmause eines Verwandten geladen, vor Mitternacht schwerlich nach Hause käme, und ihr Anliegen wohl auf den morgenden Tag hinaus geschoben werden müßte. Während ich diesen Bescheid ertheilte, däuchte mir, als wären die Augen des Mädchens verweint, und als ich meine Entdeckung ihres Gemüthszustandes und mein Befremden darüber gegen sie merken ließ, brach die Unglückliche in einen Thränenstrom aus. Die unarticulirten Laute, welche sich über ihre Lippe den Weg bahnten, gaben, in einen muthmaßlichen Zusammenhang gebracht, ihren Vorsatz zu erkennen, daß sie in unserm Hause die Nacht zuzubringen entschlossen sey; und daß, wollte man sie von ihrem Entschlusse abbringen, sie jeden andern Weg eher, als den nach ihrer Wohnung einschlagen werde.

Meine vielfachen Bitten, mir die Angabe der Ursache zu einer an ihr vorher nie bemerkten Gemüthsaufregung nicht länger vorzuenthalten, fanden nach langem Widerstande Eingang in ihr Ohr, und ich erfuhr Folgendes: daß ihr Verlobter ihr am Morgen begegnet habe, als sie von einer Standesperson aus unserer Kundschaft auf dem Wege Behufs neuer Bestellungen angesprochen worden. Die linkische Weise, womit Itzig durch einen Gruß seine Nähe hatte ankündigen wollen, konnte die Lachmuskeln der fremden Dame in Bewegung setzen, Judith selbst habe unwillkührlich diesem Beispiele folgen müssen, und Itzig, welcher aus diesem ungezwungenen Benehmen seiner Braut, im Gefühle seines gekränkten Stolzes, noch auf einen für ihn weit empfindlichern Grund ihres Lachens schließen mochte, hätte ihrem Vater sogleich den ärgerlichen Vorfall berichtet, und zwar mit dem Nachsatze, daß er diese Verbindung als aufgelöst betrachte, wenn nicht eine körperliche Züchtigung der schmählichsten Art in seinem Beiseyn an der Beleidigerin verübt, seinen Zorn sühnen würde. Der schwache Alte gelobte dies, und zur Abendstunde, ungefähr um die Zeit, wo Judiths Nachhausekunft erwartet wurde, hatte sich Itzig racheschnaubend bei ihrem Vater wieder eingefunden, um Zeuge ihres heutigen Empfanges zu seyn. Das harmlose Mädchen hatte kaum die Stube betreten, als der Alte, ohne die Gründe seiner rohen Behandlung zuvor anzudeuten, mit den Fäusten auf die Erschrockene lostrommelte, und der Nachbarschaft unfehlbar ein Fest gegeben haben würde, wenn Judith nicht zu der noch offen stehenden Thüre hinausgestürzt, und durch die Flucht auf die Gasse, wo sie bald in der Menschenmenge sich verlor, fernern Insultationen sich entzogen hätte. Sie schloß ihre durch Schluchzen oft unterbrochene Erzählung mit dem Ausrufe, wenn Lea ihr die Aufnahme unter ihrem Dache verweigere, und auf eine Wiedervereinigung mit ihrem Vater dringen wollte, sie leicht Schritte thun würde, welche nur die Verzweiflung gut heißen könnte.

Judith hatte, nachdem sie ihrem Kummer durch Klagen Luft verschafft und ihr gepreßtes Herz somit erleichtert worden, in einem Sessel mir gegenüber Platz genommen, um die Nachhausekunft ihrer Gebieterin abzuwarten. Wohl waren gegen zwanzig Minuten des tiefsten Stillschweigens zwischen uns Beiden dahin gestrichen, und noch dachte ich nicht diese seltsame Pause zu unterbrechen, denn Judiths seelenvolles blaues Auge starrte noch immer erwartungsvoll in das meinige, ängstlich lesend, ob ich nicht Kraft genug besäße, den düstern Schleier von ihrem geistigen Blicke wegzuziehen, der vielleicht die Aussicht in eine freundlichere lachende Zukunft neidisch benahm. Zudem perlte eine Thräne auf den lebensblühenden Wangen der schönen Dulderin. Und wem ist die Macht einer Weibesthräne unbekannt? Sie ist die letzte und siegreichste Waffe, wenn alle andern Vorräthe aus dem Arsenale des Liebesgottes einen nur ungewissen Erfolg bewährten. In diesem Augenblicke kam mir Judith reitzgeschmückter als jemals vor; unsre Einsamkeit, die noch lange kein unwillkommner Dritter zu unterbrechen drohte, so wie die Stille der Nacht, wirkte mächtig ein, mein Puls schlug heftiger und Judith, die fortwährend in meinen Zügen las, hatte nur zu wohl bemerkt, wie meine Wangen sich plötzlich mit einer Glut überzogen, zu Verräthern meiner Empfindungen wurden. Ein Engels-Lächeln spielte auf ihrem lieblichen Gesichtchen und erschloß einen Himmel von Hoffnungen. Meine zitternde Hand erfaßte die des Mädchens, mein Auge starrte fester in das ihrige und eine Frage entwand sich meiner Brust, die jener Theil meiner Leser, dem ähnliche Stunden in die Einförmigkeit des Menschenlebens angenehmen Wechsel brachten, leicht entziffern wird. Judith antwortete nicht mit einem leeren Silberklange, sondern weit beredeter, indem sie verschämt ihr Köpfchen an meine Brust barg. Ich weihte unsern schönen Bund mit einem Kusse, und sprach: »Fassen Sie Vertrauen zu mir, liebe Judith! Ich habe in dieser Stunde die Pflichten Ihres harten Vaters übernommen. Gönnen Sie mir das angenehme Geschäft, Ihrer Zukunft eine freundlichere Gestalt zu verschaffen. Ihr bisheriges Loos war kein neidenswerthes, und wie sehr hat Ihre schöne Seele ein besseres verdient!« – Judith blickte vertrauungsvoll nach mir auf, und die Hoffnung malte sich auf ihren Wangen. Ich aber fuhr in meiner Rede fort: »Doch unklug wäre es, unser Herzensbündniß vor der Zeit zu verrathen, denn würden die Leute, welche nur erfinderisch sind, wenn es gilt, ihren Nebenmenschen zu kränken, nicht Ihre Entweichung aus dem Vaterhause lieber für die Wirkung, als für die Ursache zu Ihrer Annahme meines Schutzes, und zu unserer Liebe überhaupt deuten wollen?«

Judith fand diese Gründe unwiderlegbar und ehrte meine Vorsicht. Mich bewog jedoch ein nicht minder wichtiges Motiv die Verheimlichung meines Verhältnisses mit Judith zu sichern, denn wie hätte ich sonst vor die Tochter des Hauses hinzutreten vermocht? Von dem Vorwurfe der Flatterhaftigkeit fühlte ich mich frei; denn die Heirathsbewilligung der Verlobten war bereits vom Landes-Guvernium als gestattet in die Hände des Familien-Sensalen gelangt. Der Vermählungstag war schon anbestimmt, und der Gegenstand meiner ersten Liebe sah sich schon als das unerrettbare Opfer einer merkantilischen Speculation. Auch hatte ich von dieser Seite nie ein bestimmteres Zeichen der Erwiederung meiner Gefühle erhalten. Wie leicht würde eine deutliche Erklärung meiner Wünsche nicht nur von Seiten der Eltern, sondern auch von ihrem Kinde mit Indignation aufgenommen worden seyn?

Auf diese Art half ich mir gewisse Skrupel aus dem Herzen sophistisiren, um den Austausch eines geliebten Gegenstandes gegen den andern billigungswerth zu finden; und weil ich stets ein lebhafter Vertheidiger der Lehre von der Prädestination gewesen, so deutete ich meine erste Liebe als ein von einem mir gewogenen Schicksalsgotte zugesandtes Vehikel, mein niederes Lehramt mit dem Gewinnbringendern Commerzleben zu vertauschen, zu welcher Wahl mich ja nur die Hoffnung verleitet hatte, in der Folgezeit ein Recht zu erhalten, mich meinem Brodherrn als Schwiegersohn anbieten zu dürfen.


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