Joseph Seligmann Kohn
Der jüdische Gil Blas
Joseph Seligmann Kohn

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Sechszehntes Kapitel

Freitag-Nachts-Idyll

Ich stand in dem, an einem Bergesabhange gelegenen Judenbezirke, wohin ich von meinem Gasthofe: »zur Sonne« nur wenige Schritte hatte. Aus allen Fenstermündungen flossen Lichtströme, von zahllosen Lampen und Kerzen gespendet, wie ein breites Meer durch die nun menschenleere Judengasse sich ergießend; denn drei an dem Horizonte bereits sichtbar gewordene Sterne hatten mit dem Anzuge der heraufdämmernden Nacht auch den Eingang des Sabbats verkündet.
 

Ich hatte einige Minuten spähend gestanden, die freundlich erleuchteten Häuschen der Reihe nach meiner Musterung unterwerfend, bis mein prüfendes Auge eines herausgefunden hatte, welches mir, der Form nach, in Wien als dasjenige bezeichnet worden, dessen Mauern den jungen Ehemann, welchen ich mit meinem Besuche zu überraschen gedachte, und seine glückliche Gattin einschlossen. Leise schlich ich die hölzernen Stufen der Treppe hinan, leise drückte ich die Thürklinke und geräuschlos öffnete sich die Pforte, und wie hereingeschneiet, stand ich mitten in dem, von einer astralförmig gebildeten messingnen HängelampeDas im Pentateuch (Exod. Kap. 35. V. 3.) enthaltene Verbot: »Du sollst am Sabbat kein Feuer in deiner Wohnung anzünden«, hat die Erfindung jener bloß in jüdischen Familien gebräuchlichen Lampen nothwendig gemacht. Ihre Form ist von den gebräuchlichen Utensilien dieser Art höchst abweichend. Im mittlern Theile gleichsam den dicken Stamm repräsentirend, aus welchem acht bis zwölf rinnenförmig gekünstelte Zweige hervor schießen, wie ein Strahlenkranz den Mittelsten umzingelnd, ist jede derselben auch mit Brennöl gefüllt, das den aus Baumwolle gezüngelten Docht reichlich tränkt, und dessen Anzünden eine der Hausfrau zu übertragende religiöse Handlung ist. – Diese zehn bis zwölf Flämmchen, sich zu einem Sternenzirkel gestaltend, erhellen das Zimmer auf ungemeine Weise, und bedürfen keine weitere Sorgfalt, welche ja an einem Freitagsabende dem oben angeführten Verbote zufolge nicht statt finden darf; und auch weil die Satzungen der Rabbinen nicht nur das Anzünden des Lichts am bereits eingetretenen Sabbat, sondern auch das Auslöschen desselben sträflich finden wollen. Wie wichtig jüdischen Familien dies Hausgeräthe erscheint, wird aus der alten, in der Prager Judenschaft sich bis jetzt erhaltenen Sage, ersichtlich, welcher zufolge, auf dem dortigen (schon von Seume in der »Reise nach Syrakus« der Erwähnung gewürdigten) alten Leichenacker – wie schon in einer frühern Stelle dieses Buches bemerkt worden – ein Grabstein sich vor den übrigen daselbst hingepflanzten dadurch auszeichne, daß er an jedem Freitage Baumöl schwitzt, weil die schon vor mehr als einem Jahrtausend verstorbene Frau, deren Denksäule er ist, die Armen mit Oel zur Füllung der Sabbatlampe beschenkte. stark beleuchteten Wohnung der kleinen Familie. Tisch und Kasten waren in blühend weiße Decken gehüllt; der ebene, aufgewaschene Fußboden vor jeder möglichen Beschmutzung vom Straßenkothe gesalbter Stiefelsohlen, durch eine über den Estrich gebreitete Zinche aus Sackleinwand geschützt. Neben dem großen, viereckigen Ofen, von dessen Glut einige zum Braten auf die Randfläche desselben gelegten Aepfel siedend aufzischten, saß in behaglicher Trägheit, die müden Glieder reckend, Lea, die alte Hausmagd, erschöpft von des Tages Mühen, denn sie hatte gescheuert, gewaschen, gekocht und gebacken zu Ehren des einziehenden Ruhetages, und selbst die letzte Nacht, durchmachend wegen der übervielen Arbeit zu Hülfe genommen. Jetzt hatte sie die schmutzige Kleiderhülle abgestreift, und schimmerte von weißer Wäsche, die den dürren Leichnam umglänzte. Auf dem Sopha saß gleichfalls mit in den Schoos gelegten Händen die jugendliche Hausfrau, unbeweglich und schweigsam in den Strahl der Lampe blickend. Der aus der kleinen SpitzenhaubeEin rabbinisches Gesetz verbietet den vermählten Frauenspersonen und selbst Wittwen nicht nur den Schmuck falscher Locken, sondern auch und weit strenger, das eigene Haupthaar unverdeckt zu tragen. Das Sprichwort »Unter die Haube kommen« ist daher für die Ehe der Judenfrauen am bezeichnendsten, deren Haare nach dem Hochzeittage keinen anderm Auge, als dem des Gatten mehr sichtbar werden dürfen. Diese Strenge dürfte vielleicht auf die, im Verhältnisse bei jüdischen Frauen weit häufiger vorfindliche eheliche Treue, einigen Einfluß bewähren, aus dem Grunde, weil das Verbot scheinbar unbedeutender Dinge auf den weit straffähigeren Grad der selbst von einer gesunden Moral anerkannten Vergehung schließen läßt. nur wenig sichtbare vordere Theil des Haupthaares glänzte noch von dem Naß des kurz zuvor zu Ehren des Sabbats genommenen Handbades, von dessen flüssigem Inhalte ein nicht geringer Theil auch zur Reinigung des Halses und Kopfes gespendet worden. Ein weißes Nachtcorset umhüllte den Oberleib, und eine brauntaffetene Schürze umfloß die übrigen Körpertheile des schlank gebildeten Weibchens.

Kaum hatte ich meinen Namen und Zweck des Besuches der freundlich mir entgegen getretenen Hausfrau kund gethan, als sie in ihrer unverstellten Herzlichkeit mir den Willkommen bot, den Reisemantel mir selbst vom Leibe zog, ihn nebst Hut und Mantelsack in eine anstossende Kammer zur Verwahrung brachte, und aus derselben nach vollendetem Geschäfte, wobei Lea träge nur mitgewirkt hatte, wieder hereintretend, mich in süßflötenden Worten ansprach, einen Platz neben ihr auf dem Sopha einzunehmen, um die noch halbstündige Pause bis zur erwarteten Nachhausekunft ihres Gatten mit Fragen an mich auszufüllen, welche meist die Familienverhältnisse des Letztern betrafen. Vorzugsweise schien sich ihre Wißbegier mit dem ihr ungewissen Eheloose ihrer Schwägerin zu beschäftigen, weil Kalman gegen seine Frau oft der liebenswürdigen Eigenschaften seiner Schwester gedachte, und von dem Charakter des ihr aufgedrungenen Eheconsorten nur solche Begriffe erhalten hatte, welche ihn in ewiger Besorgniß um die Schwester erhalten mußten.

Buna – dies war der Name meiner freundlichen Wirthin – glaubte das Schicksal ihrer Schwägerin schon des Umstandes halber beklagen zu müssen, weil sie nicht nur dem Kreise ihrer Eltern und Jugendgespielen entrissen worden, sondern auch die abwechselnden Zerstreuungen der großen Stadt, wie sie sich denke, mit dem farblosen Dorfleben habe vertauschen müssen, und dem quälenden Gefühle überliefert zu seyn, die ihr nun einförmig dahin schleichende Zeit an der Seite eines Landtölpels, der den Werth seiner Gattin nicht zu begreifen vermöge, dahin seufzen zu müssen. Ich beschwichtigte die Mitleidsvolle mit der Versicherung, daß der Schwager ihres Gatten eine der ersten seinem Stande zukommenden Eigenschaften nicht vermissen lasse, nämlich Regsamkeit und practischen Sinn in seinen Berufsgeschäften. »Tugenden dieser Art« – bemerkte ich ferner – »werden bei Ehemännern der großen Stadt häufiger vermißt; und wahrlich, es bildet Prag keine Ausnahme von dieser Behauptung. Meist sind es daselbst Verschwender und Wüstlinge, die entweder, weil sie aller Empfänglichkeit für die Freuden des Familienlebens ermangeln, in schlechter Gesellschaft ausser dem Hause den Erwerb des Tages verprassen; oder auch den ganzen Mahlschatz ihrer Frauen, statt auf solide Speculationen zu verwenden, an Schmuggelgeschäfte wagen, zwar einem größern aber auch häufig das Kapital selbst verschlingenden Gewinne nachjagend. Andere wieder, die jeden Ehebund, wie eine der gewöhnlichen kaufmännischen Unternehmungen betrachten, legen den im Bräutigamsstande sich aufgelegten Zwang und die Maske eines Liebhabers, die ihnen so schlecht paßte, schon in der Flitterwoche ab, und bereiten durch Herzlosigkeit und Knauserei der edlern Gattin, deren Werth sie nicht zu fassen vermögen, ein frühes Grab. Die Meisten setzen in Prag ungeachtet des von ihren Frauen ihnen zugebrachten Heiratsgutes, als Bedingung fest, daß diese ohnehin von den Lasten des Hauswesens niedergedrückten unglücklichen Geschöpfe ihnen noch den Karren der Geschäftssorgen mitziehen helfen; und daß die Hausmutter, welche vom frühen Morgen bis zur sinkenden Nacht, dem Froste und der Feuchtigkeit Trotz bietend, im dumpfigen Winkelgewölbe des Tandelmarkts ihre Lunge in Anpreisungen der verschiedenen Waaren-Artikel ungläubigem Krämervolke opferte, ermattet und durchkältet am späten Abende statt der bedürftigen Erholung beim Eintritte in die am frühen Morgen verlassene Wohnstube die nicht minder fühlbaren Lasten des Ehesegens empfinde. Das disharmonische Unisono der Kleinen, von denen jedes auf die schleunige Erfüllung seiner Wünsche dringt, muß dann ihr Ohr zerquälen, oder auch hat sie das während des Tages von jeder Aufsicht befreite Dienstgesinde wegen der erwiesenen Lauigkeit seiner Verrichtungen auszuschelten, die Nacht an der Wiege des zahnenden Kindes zu durchmachen, die Wirthschafts- und Garderobe-Angelegenheiten ihrer Musterung zu unterziehen; und weil aus ökonomischen Gründen sie eine förmliche Nähwerkstatt für ihren Privatbedarf errichten muß, strebt sie den größern Theil der Nachtzeit bei mattem Kerzenschein die Wäsche ihres Gemahles zu ergänzen, welcher, nachdem er die frühern Abendstunden in Kaffeehäusern oder Spielgesellschaften vergeudete, sich jetzt auf seinem Lager behaglich dehnt. Alle diese Uebelstände« – schloß ich meine Schilderung eines Prager jüdischen Ehelebens – »fallen bei den Landehen großentheils weg, denn es wird schon im frühen Knabenalter der künftige Ehestands-Kandidat zu seinem Berufe an- und von allen Zerstreuungen, da diese gänzlich fehlen, leichter abgehalten. Nur die Spielwuth findet viele Opfer unter dieser Klasse, glücklicher Weise gehört jedoch der Schwager ihres Gatten zu den lobenswerthen Ausnahmen, und seine Vorzüge als Geschäftsmann und Ehegemahl von seltener Gutmüthigkeit vermögen wohl eine so kluge und ernstgesinnte Frau wie Ihre Schwägerin genannt zu werden verdient, für die rohe Aussenseite dieses Menschen zu entschädigen. Insbesondere ist sie es, welche bei ihrer entschiedenen Abneigung gegen das commerzielle Leben einen Ehemann vom Lande vorziehen mußte, der noch nicht wie die Prager der Gattin das Joch der Geschäftssorgen mitzutragen befiehlt. Auf diese Art ist unsre Freundin, deren Schicksal Sie so sehr zu ergreifen scheint, nicht verurtheilt, die Werktage hindurch geduldig die Brutalitäten roher Hausirjuden zu verdauen, welche unter der Maske von Kauflustigen sich häufig von dem Zwange ausgenommen glauben, welchen die Gesetze des Anstandes jedem Andern auferlegen würden.«

»O, wie beklagenswerthe Wesen sind die Töchter unseres Volkes!« unterbrach Buna mit wehmüthigem Tone meine Rede. »Das Vorurtheil gegen Ehelose, dessen DruckAuch dieses Vorurtheil zeugt für die noch ganz orientalische Denkweise der Ebräer, die sich auf die spätesten Geschlechter fortgeerbt hat. Die Ehelosen beiderlei Geschlechts sehen sich von allen religiösen Ehrenbezeugungen ausgeschlossen, und auch im gesellschaftlichen Leben auf jegliche Weise hintenangesetzt. Selbst der Mammon als Universalglanzverleiher vermag mit seinem blendenden Schimmer nicht die Nacht des Vorurtheils zu lichten, die schwer auf dem Ehelosen lastet. Nicht das Alter räumt unter zwei Individuen, denen man nach jüdischer Sitte Achtung bezeugen will, dem einen vor dem andern einen Vorzug ein, sondern die längere Zeit der Verehelichung. Weit lebhaftere Theilnahme spricht sich für den, durch Noth oder andere trübe Verhältnisse bedrängten oder gar seiner Familie durch den Tod entrissenen Hausvater aus. Dieses Vorurtheil verfolgt den Ehelosen selbst bis ins Grab, denn den Celibateur geleitet ausser den Verwandten fast Niemand bis zur letzten Ruhestätte. Auch in der Leichenkleidung offenbart sich der Rangesunterschied des Verheiratheten von dem Ehelosen. Schon mit dem Heirathsgute bringt die Braut ihrem künftigen Gatten ein, aus feinen Linnen bestehendes, mit Borten von Silberdrahth verziertes Todtenhemd und eine Mütze von demselben Stoffe als wichtigste Bräutigamsgabe zu. Jenes Todtenhemd wird jährlich am Versöhnungstage (Jom Kipur), an einigen Orten auch an dem Neujahrsfeste über die schwarzen Festtagskleider angezogen. Ja in vielen Gemeinden verrichtet dieses Gewand schon Dienste am Hochzeitstage des Eigenthümers, auf daß er im Freudenrausche an das Ende des menschlichen Lebens gemahnt werde. Nach einer Glaubensmeinung der Juden, besitzt nicht nur der Sterbetag, sondern auch der Vermählungstag die Kraft, das Sündenregister eines Menschen zu vernichten. Das Brautpaar nimmt auch an diesem Tage weder Speise noch Trank zu sich, und sagt jenes Gebet ab, das sonst nur am Jom Kipur (Versöhnungs- oder Bußtage) und am Sterbetage abgelesen wird. Daher wird die Ehe bei den Israeliten mehr noch, als bei andern Völkern für den wichtigsten Act im menschlichen Leben angesehen; und Freunde wünschen den Eltern bei der Ausheirathung ihres ersten Kindes, das nach ihrer Meinung größte Glück der Sterblichen, nämlich, daß sie die Vermählungsfeier ihrer Enkel noch ersehen möchten. Arme Leute tragen ihren letzten Groschen in die Amtsstuben, in welchen die Heirathsbewilligung ausgefertigt wird; ja es ist ein Gewöhnliches, daß ein armer Hausirjude die ganze Aussteuer seiner Braut zum Preise bietet. Zwar erkennt er sich am Morgen nach der Heirath als einen Bettler, aber dieses bittere Gefühl wird durch den stolzen Gedanken versüßt: Man zählt mich nicht mehr zu den Ehelosen! man allenthalben fühlt, gestattet uns nicht, unsere Selbstständigkeit zu bewahren, wenn für deren Verlust sich keine Entschädigung findet, wie sie nur in der Wahl eines musterhaften Gatten gedacht werden kann. Das beklemmende Gefühl, kein anderes Lebensziel eröffne sich uns als die Ehe, das insbesondere bei unserm Geschlechte seine Kraft bewährt, verfolgt uns unglückliche Wesen so lange, bis wir an uns und der Welt verzweifelnd, fast willenlos dem ersten uns vorgeführten Fremden die Hand zum Ehebunde reichen, welchen ein verschmitzter EhesensalDie häufigen Betrügereien, welche sich jene Ehekuppler zur Last legen lassen, haben längst zur Heiligung der Sitte beigetragen, welcher zufolge in gar vielen Familien Verwandte einander heirathen, wie Oheim und Nichte, Vetter und Baase u. s. f., welches als entferntere Grade der Verwandtschaft nach dem mosaischen Gesetze nicht im Verbote der Blutschande mitbegriffen ist. – Immerhin genießen jene argen Seelenverkäufer, (welche Personen verschiedenen Alters, Characters und Standes ohne die mindeste Gewissensregung wie Hühner und Gänse an den Meistbietenden verhandeln, die fast immer das Glück von Familien, ja sogar ganzer Generationen untergraben,), in ihrer Gemeinde eine mindestens größere Achtung, als Leute, welche sich einer Kunst oder dem Handwerke widmen. von fern oder nahe aufgerafft hat.«


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