Joseph Seligmann Kohn
Der jüdische Gil Blas
Joseph Seligmann Kohn

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Sechstes Kapitel

Der Familienzwist

Der Geitzige zeugt den Verschwender und der Frömmler den Freidenker, denn die Extreme berühren sich. Auch in der Spiegel'schen Familie sollte diese Behauptung sich bewähren. Es war um die Mitte des Passahfestes, als die Hausjüdin im Gasthofe zum schwarzen Adler, (wo viele Fabrikanten vom Lande, die mit Spiegels in Geschäftsverbindung standen, ihr Absteigequartier zu nehmen pflegen,) den frommen Asriel in seinen talmudischen Studien unterbrach, mit dem Bemerken, daß sie ihn diesmal eines besondern Umstandes wegen ohne Zeugen zu sprechen wünsche. Beide verfügten sich in ein Seitenkabinett und Jochebed ging alsbald darein, den Stein, der auf ihrer Brust lastete, mittelst einer kräftigen Zunge wegzuschaffen.

»Rabbi Asriel« – begann sie ihre Mittheilung zu eröffnen – »so hart es mir auch wird, Ihr Herz durch eine unangenehme Botschaft zu betrüben, so darf ich doch nicht schweigen.« – »Was hat sich ereignet« – fragte durch diese Einleitung besorgt geworden, der Angeredete, und seine Miene sprach von sichtbarer Ungeduld, das Gräßliche zu vernehmen. Als Jochebed aus des Mannes Bewegungen abmerkte, daß er bereits für ihre Sache warm geworden, setzte sie, in ein Lamentabile über das jetzige verderbte Zeitalter ausbrechend, mit diesen Worten ihr schönes Conzept fort: »Als ich heute Morgens nach gewohnter Weise in den schwarzen Adler mich verfüge, und in die Gaststube trete, kömmt der Wirth auf mich mit einem schönen Regenschirm zu. »Frau Jochebed« – fragt er – »wissen Sie, wem dieser Schirm gehört?« »Ja, gnädigerDas gewöhnliche Prädicat, womit die gemeinere Judenklasse denjenigen Christen beschenkt, von dem man sich abhängig fühlt. Herr Riedel!« sage ich, »er gehört dem jungen Spiegel, der hier zuweilen von den Strumpfwirkern, die aus Dux herkommend, bei ihnen absteigen, Waaren kauft –« »Ganz richtig, so ists Jochebed, sie hats getroffen« lachte Herr Riedel. »Der junge Kalman war vorgestern hier.« – »Haben wir doch Feiertage gehabt, wo wir kein Geschäft machen, was sollte der junge Mann bei ihnen gesucht haben?« fragte ich verwundert, und erfuhr, daß ihr Sohn zu Abend dort ein Glas BierDas Bier wie alle andern starken Getränke, mit Ausnahme des Weines, gehört in die Rubrik der am Passahfeste verbotenen Magengenüsse, deren Befriedigung nach dem mosaischen Gesetze mit dem Tode bestraft werden müßte. getrunken hat. Ein Fremder, welcher früher wegging, hatte im Versehen den Regenschirm verwechselt, und Kalmans statt den Seinen mitgenommen, aber am andern Morgen dem fremden Schirm Herrn Riedel für den rechtmäßigen Eigenthümer wieder zustellen lassen. Wie gefällt Ihnen die Geschichte, Rabbi Asriel?« schloß die Geschwätzige mit einem frommen Seufzer ihren Bericht.

Der Gekränkte hatte seinen ältesten Sohn sogleich rufen lassen, und in der ersten Aufwallung seines Zornes dem Jünglinge, ohne die Anwesenheit des fremden Weibes zu berücksichtigen, zwei kräftige Backenstreiche gespendet. Kalman, den Zusammenhang, durch die ohne Geschäftsveranlassung abgestattete Visite der Hausjüdin, wohl errathend, hatte, (im gekränkten Bewußtseyn die Beleidigung von einem Vater erlitten zu haben, welcher sich von ihm als dem Führer des Geschäfts ernähren lasse, und das Gefühl der Abhängigkeit demnach so ganz verläugnete) schnell das Zimmer und bald darauf auch die Vaterstadt verlassen, ohne daß zu ermitteln gewesen, welches Land er zu seinem künftigen Aufenthaltsorte erwählt haben könnte, denn alle Nachforschungen nach ihm waren vergeblich. Weil Kalman die Seele des Geschäftes war, ist sein Verlust von Lea lange gefühlt worden; und viel zu bedenklich einen Fremden, dessen Gesinnungen und moralische Grundsätze vor seiner Aufnahme eines Bürgen bedurften, in ihre vielfachen Handelsgeheimnisse einzuweihen, fand sie es vorziehbarer, mich durch eine vortheilhafte Schilderung des Kaufmannstandes für ihren Zweck zu gewinnen. Der bedeutendere Jahrsgehalt, welcher mit dem neuen Amtsposten verbunden war, als auch die Aussicht durch ein Streben, der Familie Spiegel mittelst meiner Thätigkeit in dem veränderten Wirkungskreise für die Folgezeit leicht unentbehrlich zu werden, ließen mich nicht lange wählen. Was meine Bedenkzeit bedeutend abkürzte, war die noch nicht ganz erloschene Hoffnung, Zipora's Widerwille gegen den ihr aufgedrungenen Verlobten dürfte die gehaßte Verbindung wohl noch rückgängig machen, und meine Absichten auf den Besitz der Tochter vom Hause sodann in den Augen der Alten minder kühn erscheinen lassen.


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