Joseph Seligmann Kohn
Der jüdische Gil Blas
Joseph Seligmann Kohn

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Siebentes Kapitel

Bilder aus dem Prager Tandelmarkte

Wenige Wochen nur waren in meiner neuen Berufsweise verlebt, als ich den vortheilhaften Abstand eines Geschäftsmenschen von einem Kinder-Dressirer schon ziemlich bemerkte. Meinen Hausgenossen schien ich ein Anderer zu seyn als der frühere Erzieher Liebmanns. Dieses veränderte Benehmen entsprang aus dem herrschenden Volksbegriffe von dem sehr bescheidenen Wirkungskreise eines Lehrers, welcher nur die Stelle des ersten Domestiken in einer jüdischen Familie einnimmt. Ein Handlungs-Commis hingegen, vollends wenn er, wie ich, das Amt eines Buchhalters ebenfalls verwaltet, erscheint einer ausschließlich Handeltreibenden Nation von höherer Bedeutung; schon aus dem Grunde, weil der Prinzipal, in dessen Commerz-Geheimnisse er nunmehr eingeweiht, ihn zu fürchten beginnt, und geringfügiger Ursachen halber ihn gewiß nicht mehr entläßt, während der Erzieher und Lehrer wenig höher im Range als die Köchin steht; daher das noch in manchen Familien übliche Sprichwort: Der Lehrer und die Magd halten stets zu einander, ihrem Herrn zum Nachtheile, was eigentlich so viel bedeutet, als Beide lassen sich Lauheit in ihren Berufspflichten zu Schulden kommen, ohne gegenseitig einen Verrath zu befürchten.

Ein Buchhalter und Geschäftsleiter ist demnach der Erste nach dem Prinzipal, seine Winke werden von dem Gesinde nicht weniger beachtet, und die ersten Glieder der Familie behandeln ihn gleich einem Verwandten des Hauses. Diese dem Geschäftspersonal günstige Meinung ist längst auch auf das weibliche Dienstpersonal übertragen worden, daher namentlich in Prag, wo die eingeführte Sitte meist dem Weibe das Ruder der Geschäfte in die Hand gab, die auffallende Ueberzahl der Ladendiener innen. Auch die ärmsten Familien tragen in dieser Stadt Bedenken, ihre Töchter die Küchenschürze umbinden zu lassen, und den Bedarf an jüdischen Köchinnen muß das Land versorgen.

Lea hatte wegen ihres bedeutenden Ausschnitthandels drei gewandte Priesterinnen des Merkurs. Jeglicher war ein anderer Wirkungskreis angewiesen. So hatte Miriam bloß vor der Gewölbsthüre die Kauflustigen, – für einen Solchen hielt sie jeden Vorübergehenden – anzufragen, jeden auf andre Weise. Bekenner des christlichen Glaubens hörten sich, waren es wohlgekleidete Bürgersleute, mit: Gnädiger Herr! gnädige Frau! gnädiges Fräulein! angeredet; böhmische Krämer vom Lande bekamen ein »Platne, Panna Mamma, Platne« (zu Deutsch: Leinwand, Mütterchen, Leinwand!) oder »Schatki Pan Tata Schatki« (Tüchelchen, Väterchen, Tüchel) an das Ohr; Bündeljuden wurden befragt: »Vetter (oder), Muhme! mit zu Rabb' Asriel Spiegel?« Hatte sich ein Tölpel gefangen, so ward er fest gehalten, von ihr in den Laden gezerrt, und der Rachel in die Arme geworfen, die dann den Verblüfften weiter bearbeitete, eine Masse der an Qualität und Preis verschiedenen Artikel nach einander auf den Tisch warf, und den Käufer so wirre machte, daß er betäubt, den Zufall entscheiden ließ, anstatt selbst die Wahl zu treffen. Während dies im Innern der Halle vorging, und in nöthigen Fällen auch Lea mit ihrer Suada das Opfer von der andern Seite zu umringen suchte, krächzte Miriam vor dem Eingange ihre Parole wie früher. Ging ein Krämer aus dem Laden, ohne das Mark seiner Taschen daselbst ausgeleert zu haben, half man sich mit ohnmächtigem Spotte, der, sollte er einem Anhänger der Lehre Christi gelten, stets in die Muttersprache des Messias eingekleidet wurde. Judith, die dritte der Schocher-Schwestern, war ungleich vornehmer placirt, denn wegen ihres Talentes, sich Standespersonen wohl zu präsentiren, und ihrer einnehmenden Sprache halber, hatte man sie am fähigsten befunden, die von den hohen Herrschaften und vornehmen Bürgerfamilien gemachten Bestellungen zu besorgen und in deren Wohnungen die verlangten Gegenstände in eigner Person hinzutragen. Ihr wohlgestaltetes Aeußere, durch eine stets reinliche Kleidung vortheilhaft erhöhet, kam ihrer Ueberredungsgabe namentlich bei Kunden unseres Geschlechtes bedeutend zu statten. Dies hatte Lea längst bemerkt, und ihren Monatsgehalt um das Dreifache im Verhältnisse zu der Löhnung der Andern erhöhet.

Obschon die drei Amtsschwestern in der Art ihres Wirkens sehr von einander abwichen, vereinigte sie doch wieder das an Geschäftstagen bei Keiner vermißte lange Ordensband, welches von der Brust die weiße Schürze herabfloß und an dessen Ende eine Scheere von mittler Größe sichtbar werden ließ. Diese bezeichnende Tracht aller Prager Ladendienerinnen ward in den Stunden der Amtsthätigkeit niemals abgelegt, selbst nicht, wenn sie, das Gewölbe verlassend, ihren Botengang durch einen ziemlichen Theil der Stadt machten, in welchem Falle sie eines solchen Werkzeuges gewiß nicht bedurften.

Noch glaube ich mit einigen Worten jenes großen Tummelplatzes für das Talent von mehrern Hunderten solcher Scheerenträgerinnen, des sogenannten Tandelmarktes gedenken zu müssen, welcher in seiner ganzen Ausdehnung kaum drei Gassen bildend, demungeachtet mehr als tausend Familien zum einzigen Nahrungsorte dient. Leicht könnte ich hier dem Vorwurfe verfallen, daß der Autobiograph in den Ton eines Reisebeschreibers oder Topographen, sich selber unbemerkt, hinein gerathen sey; allein die eigenthümlichen Sitten, welche der Chorus von mehrern tausend Schachergeistern in der Länge der Zeit unter sich wohl bilden mußte, sind es, deren Abschilderung die Mehrzahl der Leser von mir als einem mehrjährigen Beobachter derselben muthmaßlich erwartet.

Der Tandelmarkt besteht schon so lange als die Intoleranz der Prager Bürgerschaft gegen die Erbfeinde Christi, nämlich Jahrhunderte. Weil nun die böhmischen Juden nicht im Besitze bürgerlicher Rechte sind, dürfen nur die bemittelten Individuen eine Wohnung oder einen Kaufladen ausserhalb des Judenbezirks und des Tandelmarktes miethen, d. h. wenn sie mit den Magistratsbeamten und den Viertelsmeistern zuvor sich verständigt haben. Indem nun eine Amtsperson gar viele Dinge des Jahres über vorzunehmen hat, und die Aktenstöße das kleine Gehirn gar bald voll machen, vergessen die Herren nicht selten die an die einzelnen Individuen aus dem Stamme Jakobs ertheilten Vorrechte; daher ist es eine längst bestehende Sitte, Vierteljahrweise die sogenannten Verständigungen zu erneuern. Kaiser Joseph II. meinte zwar, auch der Jude sey ein Sohn des Vaterlands und sollte daher, wie billig, auch sein Blut für die heimathliche Erde verspritzen. Seit jener Zeit wird auch dem jüdischen Greise der sein Alter pflegende Sohn aus den Armen gerissen, und kann, wenn er Roland'sche Bravouren unternimmt, bis zum – Offizier graduiren. Seine Brüder dürfen deshalb, weil sie bloß Landeskinder aber keine Bürger sind, noch nicht wohnen und Geschäfte machen, wo es ihnen beliebt. Sie dürfen ein Haus kaufen, aber nicht auf ihren Namen das Grundstück einbüchern lassen, es sey denn, sie sind Fabriksbesitzer. Der größere Theil der Prager Judenschaft denkt wenig nach, über die ihm verweigerten Menschenrechte, läßt seine Söhne ihr Blut für ein Vaterland vergießen, das sie nie hatten, und läßt sie es wieder nicht vergießen, so lange noch ein Gulden in seinem Säkel ist, um den Militärarzt, Visitator, Conscriptionsbeamten und ConsortenDarunter sind die jüdischen Conscriptionsbedienten, die einen Tag vor der Berufung des Militärpflichtigen ihm oder dessen Eltern, die nöthigen Winke ertheilen, und wie brauchbar diese Mittelspersonen sind, beweist der Umstand, daß im Verhältnisse 30mal mehr jüdische als christliche Landeskinder dem Haselstocke und allen mit ihm verknüpften Annehmlichkeiten entkommen. zu bestechen, welche als gute Patrioten, sobald sie das Porträt ihres geliebten Landesvaters in mehrern Exemplaren von gediegenem Silber vor die Augen bekommen, ihre Sehnerven mit dem Beschauen der niedlichen Brustbilder dermaßen anstrengen, daß auch die ihnen vorgeführten Jünglinge von der kräftigsten Natur, als Schwächlinge, Commisbrod zu kauen, unfähig erscheinen. Der Losgekaufte eilt freudig nach Hause, empfängt die Glückwünsche seiner Verwandten, und dessen vom Gelde ausgeschälter Papa steht im Tandelmarkte vor seiner Gewölbthüre, reibt sich die Hände, denkt: Geld verloren, nichts verloren, räth seinen Nachbarn wie sie es anzufangen haben, wenn an ihre Kinder die Reihe kommen sollte u.s.f. So verstreicht ein Decennium nach dem andern.

Geschlechter entstehen, Geschlechter vergehen,
Der Tandelmarkt aber wird ewig bestehen
Und Juden im Drucke man immer sehen.

Der Tandelmarkt dürfte füglich den Pragern die Stelle der Börse vertreten, welche eine Krämerstadt leicht entbehrt; denn an jüdischen Feiertagen, wo die Tausende geschlossener Gewölbe diesem Platze das Ansehen einer von der Pest verödeten Stadt verschaffen, und Grabesstille sich auf diesem geräuschvollsten Terrain der Hauptstadt gelagert hat, an jenen Tagen stocken die Pulse des Geschäftslebens auch unter den christlichen Kaufleuten, deren Gewölbe von dem Kauflustigen nur gelegenheitlich besucht werden, folglich am wenigsten den Landmann zu einer Reise in die Hauptstadt vermögen werden. Das den Juden günstige Vorurtheil, daß ihre Waarenvorräthe reichhaltiger, eleganter und vorzüglich auch billiger, bewirkt, daß in einem finstern unscheinbaren Kämmerchen im dritten oder vierten StockwerkeHier ist von den bloß aus Waaren-Depots bestehenden Gebäuden des Tandelmarktes die Rede., welches der Fremde beinahe mit Lebensgefahr hinanklettern muß, viel bedeutendere Geschäfte als in den mit schimmernden Glanze ausgestatteten Kaufmannsläden der angesehensten Bürger des Tages über vorgenommen werden. Der Einheimische wie der Fremde, welchen sein Weg in das Theater oder nach dem Universitätsgebäude führt, findet sich gleich sehr überrascht, in der Nachbarschaft dieser den Musen geweihter Häuser, Feldlagerartig einen unübersehbaren Menschenhaufen mit Kramen, Waarenständen, Boutiken u. s. f. vor sich zu erblicken, ohne das Geräusche und Getöse einer campirenden Armee zu vermissen. Alte Weiber, auf deren von Runzeln entstellten Gesichtern die ewige Klage über Nahrungslose Zeiten zu lesen, sind mit ihren Männern im lebhaften Wortwechsel begriffen, der Gegenstand ihres Zwistes ist ein entsprungener Landtölpel, mit welchem man schon einen Handel abgeschlossen wähnte, Männlein entschuldigt sich mit Beweisen, Weiblein aber ist nicht zu besänftigen, und klagt der Nachbarin, wie sie nicht Minutenlang von ihrer Kramstelle weichen dürfe, ohne Schaden im Geschäfte zu erfahren. Denselben Prozeß führt gegenüber eine Krämersfrau fast zu gleicher Zeit mit ihrer Ladendienerin; nur unterscheidet sich der Wortstreit insofern, als sie die Vorwürfe wegen der allzuniedrigen Preise ertheilt, welche dem glücklichen Käufer gemacht worden. Weiter nach dem Ende dieses Platzes zu, fallen sich zwei Weiber in die Haare, wegen eines abgelockten Käufers, die Umstehenden werfen sich als Friedensvermittler auf, scheitern jedoch an der Erbitterung der streitenden Partheien. Ein Heer müßiger Ladendienerinnen bietet den Vorbeiwandelnden mannigfache Waaren an, und kann dieser Unfug wohl den reitzgeschmücktenDie Natur, viel toleranter als die Bekenner des Christenthums, tat die seltsame Laune, zuweilen auch den Töchtern Zions schöne Formen zu ertheilen. Schreierinnen zur Last gelegt werden, die von ihrem Brodherrn eigends zu diesem Amte besoldet sind? Dieses Amt ist überdies aus dem Uebelstande herzuleiten, daß die drei bis vier Stockwerke hoch angebrachten Waaren-Depots von den auf der Straße Vorübergehenden begreiflicher Weise unbeachtet bleiben. Weil nun der Besitzer jener Gewölbe nicht geringere Gaben und Steuern, als sein beglückterer Nachbar in dem Erdgeschosse, zu entrichten hat, daher die Aufmerksamkeit der Kauflustigen auch auf seine unten nicht sichtbaren Waarenschätze hinlenken will, so wäre für den Unfug des Anfragens meines Erachtens weniger der vielfach bedrängte und bedrückte jüdische Handelsmann als die Behörde anzuklagen, welche ein so großes Heer von Verkäufern mit seinen zahllosen Gewölben, Depots und Kramstellen auf so engen Raum beschränkt; und überdieß muß man beklagen, daß das dem Schacher angewiesene Terrain in einem der belebtesten Stadttheile die benachbarten Häuser und Kunstgebäude sehr entstellt. Ob dieses auf einen Fleck zusammengedrängte Heer von Trödlern einen angenehmen oder eckelhaften Eindruck auf die Vorübergehenden hervorbringe, ob die sonst so schöne Hauptstadt dabei an Wohlgestalt einbüße, und die malerische Ansicht ihrer Strassen sehr dabei verliere, wird nicht befragt. Die löbliche Bürgerschaft übersieht diesen Uebelstand gern, und denkt im Stillen: »Ihr jüdischen Banquiers, Fabrikanten und Großhändler, welche ihr den Commerz des Landes ausschließlich leitet, und mit euerm Gelde zuweilen auch Adelsdiplome erkauft, blickt hin auf diesen Tandelmarkt, wenn ihr in euern glänzenden Karossen vorbeisauset; blickt hin auf diesen Ort, in dessen düstern feuchten Mauern eure vom Glücke minder geliebten Verwandten nebst ihren Waaren verschimmeln; blickt hin auf diese euern Stolz demüthigenden Gebäude, und labt euch, wenn ihr es noch vermöget, an dem Gedanken zu Edelleuten erhoben zu seyn, aber demungeachtet nicht auf die Vorrechte eines bürgerlichen Schuhmachers Anspruch machen zu können.«


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