Joseph Seligmann Kohn
Der jüdische Gil Blas
Joseph Seligmann Kohn

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Ein paar Worte über die Gil Blas-Literatur

Der spanische Stammvater des Gil Blas, welchen das gebildete Europa nur aus der französischen Umarbeitung des genialen Sittenmalers le Sage bewundern zu können, Gelegenheit erhielt, hatte diese ungewöhnlich günstige Aufnahme, weniger einem planmäßigen Bau des Sujets und der mit diesem verzweigten Episoden, (wie dies an Fieldings und Smollets Meisterwerken gelobt werden muß,) als der bunten Schilderung des spanischen Volkslebens und der verschiedenen Stände nach ihren mannigfaltigen Abstufungen, zu verdanken. Die bequeme Memoirenform, in welche jener Roman gegossen ist, lockte das Heer der Nachahmer in Frankreich und andern Ländern. Es entstand »Henry Lencon, der französische Gil Blas«; ihm folgte »der englische Gil Blas« (den ich jedoch nur aus einer französischen Uebersetzung kenne). »Les trois Gil Blas«, ein anderes Glied dieser Familie, trat 1802 zu Paris ins Leben. Man begnügte sich jetzt nicht mehr, die Gil Blas-Form zum Rahmen eines Nationalgemäldes zu verwenden, sondern auch einzelne Zeitepochen und Stände mußten im Gil Blas einen Repräsentanten ihrer Bedeutsamkeit finden. So trat der fruchtbare Picard 1824 zu Paris mit einem »Gil Blas de la Révolution« hervor, und erst das verwichene Jahr sah die Gil Blas-Familie durch Michaud mit einem »Gil Blas du Théâtre« verstärkt. Im vorletzten Decennium war es, wo der durch seine Reisen im Orient bekannte englische Autor Jakob Morier mit seinem »Hagi Baba, dem persischen Gil Blas« die Aufmerksamkeit aller Literaturfreunde auf sich zu ziehen vermochte. Dies bewies die bald darauf erschienene, nicht minder beliebte Fortsetzung: »Hagi Baba in England.« Eines solchen Erfolgs hatte sich »der deutsche Gil Blas« (Tübingen 1807) nicht zu erfreuen vermocht, obgleich er von Cotta gedruckt und von einer Vorrede von Göthe begleitet, in die Lesewelt geschickt worden war. Den feurigsten Enthusiasmus mochte jedoch in der neuesten Zeit Thaddäus Bulgarin mit seinem »Iwan Wyschighin, dem russischen Gil Blas« verbreitet haben, von welchem schon im ersten Jahre seines Erscheinens eine französische Uebersetzung zu Paris und gleichzeitig zu Leipzig zwei deutsche Uebertragungen erschienen sind. Einer dieser deutschen Speculanten (C. H. F. Hartmann) hat kürzlich auch die von Bulgarin mit gleichem Glücke ausgeführte Fortsetzung jenes beliebten Romans, unter dem mit dem russischen Originale gleichlautenden Titel: »Peter Iwanowitsch« aus seiner Officin hervorgehen lassen.

Der Verfasser des »jüdischen Gil Blas« hat aus dem vorzugsweise günstigen Erfolge, dessen sich der russische und persische Gil Blas vor den andern Nachahmungen des Le Sage'schen Originals erfreuten, den nicht so ganz unrichtigen Schluß gezogen, daß die uns fremdartigern Sitten und Eigenthümlichkeiten jener Völker aus dem Osten wesentlich zu dem Gefallen der beiden Werke beigetragen haben dürften. Die Sitten und Eigenthümlichkeiten der indischen Nation sind es für die Bewohner aller Staaten, in welchen sie leben, nicht minder. Um so zweckmäßiger däuchte daher dem Verfasser, sich an die Ausarbeitung einer solchen Aufgabe zu wagen, überdies in einer Zeit, wo die vielen Streitfragen »über die Fähigkeit der Juden zur Emancipation« das Interesse an ähnlichen Werken, welche das jüdische Volksleben mit allen seinen Eigenthümlichkeiten, wie Bilder einer laterna magica dem Auge des Lesers vorüberführen, bedeutend erhöhen müssen.


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