Joseph Seligmann Kohn
Der jüdische Gil Blas
Joseph Seligmann Kohn

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Fünftes Kapitel

Die Familie Spiegel

Rabbi Asriel Spiegel war der volle Name meines neuen Brodherrn. Obgleich nicht Rabbi von Profession, hörte er sich doch gar zu gern mit diesem Titelchen angeredet, und er war in seinen Ansprüchen nicht zu weit gegangen, denn er besaß einen größern Fond talmudischer Kenntnisse als Viele, welche ihr Wissen in diesem Fache bei ihren wohlhabendern Glaubensbrüdern zu verzinsen suchen. Vielleicht hätte Spiegel denselben Weg eingeschlagen, wäre das Glück ihm minder günstig gewesen. Fortuna ihm stets wohlwollend, hatte in seiner Jugend einen reichen Filz auf ihn aufmerksam gemacht, welcher sich stets mit der erhabenen Idee getragen, seine Tochter nur an einen tüchtigen Talmudisten zu verheirathen, wodurch er die rächende Gottheit, einiger schwer verantwortlichen Wuchergeschäfte halber, wieder mit sich auszusöhnen gehofft hatte. Auch gehörte es in jener Zeit noch zum guten Tone, sich einen sogenannten feinen Bocher zum Eidam auszuwählen, dessen künftige Bestimmung von den frühern wenig verschieden war; denn der Herr Gemahl überließ die Sorgen des Geschäftes stets seiner weiblichen Hälfte, weshalb die Jüdinnen in Prag schon von Kindesbeinen an der Handelswelt angehören, und sich so schnell in ihren Wirkungskreis zu finden wissen, daß man dafür halten muß, diese zarten Wesen seyen schon im Mutterleibe wechselfähig gewesen. Obgleich die Frau das Ruder des Geschäftes führt, und der Gatte bloß seinen Namen zur Firma und zu Wechselunterschriften herborgt, überhebet sich die Erstere doch niemals, behandelt ihren Gemahl mit seltener Hochachtung, und weiß sich viel, einen gottgefälligen Mann ihren Gatten nennen zu dürfen. Die neueste Zeit hat bei der zunehmenden Lauheit in den religiösen Gesinnungen der Juden auch diese Sitte bedeutend abnehmen lassen, und Wenige entschließen sich noch ihre Töchter an fromme Faullenzer zu vermählen. Eben dieser Umstand sprach für die Behauptung, daß Spiegel ein Kind des Glückes sey, weil er noch auf einen der wenigen getroffen, welche in eine Talmudisten-Mariage einen Werth setzen.

Wer von den Lebensverhältnissen des alten Zapp, Spiegels Schwiegervater sich vollkommen unterrichtet hatte, sah die Sache allerdings aus einem klaren Gesichtspunkte. Zapp war in seiner Jugend ein schlichter – Wasserträger gewesen. Eines Morgens fand er in seiner Butte einen kostbaren Edelstein. Weil dessen Eigenthümer nicht zu erforschen war, wanderte das Pretiosum in die Boutique eines Juweliers, und mit dem daraus gelösten Gelde begann Zapp, welcher nichts Besseres zu unternehmen wußte, ein kleines Wuchergeschäft, das in kurzer Zeit dermaßen prosperrirte, daß die Namen bedeutender Cavaliere sich ebenfalls bald in die schmuzige Strazza Zapps verirrten. Point d'honneur, dies wußte Zapp, war ein Besitzthum, welches allein den hohen Herrschaften nicht abgelockt werden durfte; und so gab er in seinem Umgange mit den stets geldbedürftigen Landesedeln die befriedigendsten Beweise vom Nichtbesitze eines point d'honneur. Gegen Anbot einer kleinen Summe hatte sich Zapp bereitfinden lassen, zur Belustigung der bei einem Familienschmause des Grafen C. anwesenden hochgebornen Gäste, von einem der Domestiken auf einen Schubkarren gestreckt, im Hofraume einige Minuten herumgefahren, und zum Beschlusse des Schwankes auf einen in der Ecke befindlichen Düngerhaufen ausgeworfen zu werden. Alle Hochgebornen gaben durch unmäßiges Gelächter ihre Zufriedenheit über diesen Triumph der Menschenwürde zu erkennen. Wer jedoch am stärksten lachte, war Zapp, der stolz seine Perücke in Ordnung brachte, hohnneckend an seine Taschen klopfte, und meinte, das Geld wäre doch reell, und wenn der Herr Graf insolvent würde, bliebe dem Juden Zapp das Recht unbenommen, die Güter Sr. Excell. an den Meistbietenden zu veräußern. Dergleichen Scherze verloren, wenn sie aus Zapps Munde kamen, ihre gräßliche Bedeutung, und die allgemeine Zufriedenheit der hohen Herrschaften konnte nur durch solche Anmerkungen Zapps erhöhet werden. In der That hatte eine der anwesenden Comtessen an jenem Schwanke so viel Behagen gefunden, daß sie schon am andern Tage Zapp in ihr Palais berufen ließ, und ihn gegen Erfüllung zweier wichtigen Bedingnisse in die Würde eines HausjudenIn Prag hat vom hohen Adel bis zum ärmsten Handwerksmanne herab, jede Familie ihren Hausjuden, dessen Amt es ist, auf Borg die verschiedenen Bedürfnisse für das Haus herbeizuschaffen, als baares Geld, Kleidungsstoffe u. a. Dinge. Ein Hausjude genießt in der Regel das unbeschränkte Vertrauen seines Patrons, und ist so klug, es nur selten arg zu mißbrauchen. Ein Bürgersmann, welcher im Bierhause gegen einen Bekannten die unerschütterliche Redlichkeit seines Hausjuden rühmte, eine Tugend, die seiner Meinung zufolge bei den Ebräern nicht gesucht werden dürfte, ärgerte sich sehr, daß sein Zuhörer, dessen Glückwünschung er erwartet hatte, hartnäckig behauptete, dieser Vorzug käme nicht dem erwähnten, sondern seinem Hausjuden zu; und suchte diesen Ausspruch durch Beweise zu unterstützen. Ein Jude, welcher diesen Wortwechsel behorcht hatte, drängte sich zu den beiden mit der Frage, »wie es wohl geglaubt werden könne, daß die Ebräer ein sitten- und gesetzloses Volk gescholten werden dürfen? denn« – fügte er hinzu – »sowie sie beide die ausnahmsweise Moralität ihrer Hausjuden gegenseitig zu behaupten wagen, thun dies mit gleichem Eifer alle andern Bürger und Familienväter der Stadt. Demnach wäre das Volk in der Gesammtmasse schlecht, jeder Einzelne aber lobenswerth zu nennen, oder beweiset dies vielmehr zum Vortheile einer Nation, bei welcher der Religionshaß durchaus keine gute Seite finden will?« alsogleich einzusetzen versprach. Die an Zapp gestellten Forderungen wären für manchen Andern auszuführen unmöglich gewesen, denn sie bestanden erstlich in einer sehr bedeutenden Geldanleihe, um die Kosten eines für den nächsten Carneval angesetzten glänzenden Ballfestes zu bestreiten; ferner sollte Zapp sich an jenem Abende gleichfalls unter den Gästen einfinden, um den Reigen der Tänzer an der Hand der Königin des Festes zu eröffnen. Jedoch war bedungen worden, daß Zapp in seinem gewöhnlichen Anzuge, der über den Bauch herabfließenden Sammtweste, dem altväterischen Fracke mit großen Stahlknöpfen und den kurzen bloß vom Nabel bis zu den Knieen sichtbaren, grünen Sammthosen vor der Comtesse erscheinen sollte. Den Grund dieses seltsamen Verlangens mochte Zapp vielleicht nicht errathen haben, allein er hielt Wort, und den beabsichtigten Zweck hatte man vollkommen erreicht. Ein rascher Walzer war es, womit der Ball seinen Anfang nahm. Weil Zapp nach damaliger Sitte seines Volkes noch nicht den Gebrauch der Hosenträger kannte, und das Beinkleid nur durch viele Knöpfe mit dem Leibe zusammen hielt, mußte dieses Kleidungsstück bei ununterbrochener starker Körperbewegung nothwendiger Weise mehr und mehr sich herabziehen, somit lockerer werden; sollte es nicht ganz den Boden berühren, mußte dessen Besitzer, des schnellen Wirbeltanzes ungeachtet, auf das mehr und mehr herabsinkende Beinkleid sehr acht haben, und mit der Hand festhaltend es vor gänzlichem Abfall von seinem Herrn bewahren. In dieser Attitüde an dem Arme einer reitz- und reichgeschmückten Comtesse durch die zierlich geputzten Reihen der Tänzer hinzufliegen, dies gewährte ein Bild, welches selbst dem weinerlichen Philosophen Heraklit ein Lächeln abzulocken vermocht hätte. Zapp jedoch lachte mit den Lachenden, denn er gedachte der ertanzten Geldsumme, die, auf gute Zinsen verinteressirt, binnen zwei Jahren mehr als das Doppelte des Kapitals betragen würde. Aehnliche Züge seines Characters hatten sich schnell unter seinen Glaubensgenossen verbreitet, und ihm auch die Achtung jener Klasse entzogen, welche seine Ignoranz und niedere Herkunft übergehend, ihn seines Wohlstandes halber beachtet haben würde. Dieses Zurückziehen aller Bessern von den Orten, die er zu besuchen pflegte, merkte er wohl, und glaubte die Achtung der Welt damit zu erbeuten, wenn er seine einzige Tochter an einen armen des Talmuds und eines frommen Wandels beflissenen Jüngling verheirathen würde, wodurch er seine Schuld gegen den Himmel sowohl, als seine Glaubensbrüder mit einem Male abzutragen hoffte. Der alte Spiegel zeigte keine Schwierigkeit ein Familienband mit einem Manne anzuknüpfen, der obschon von aller Welt mißgeachtet, doch seinem Eidam eine sorgenfreie Zukunft versprach, wofern nur dieser geloben wollte, Tage und Nächte unablässig dem Studium des Talmuds zu widmen; eine Klausel, welche die Spiegels gern eingingen, weil dies nicht nur eine ihnen zur Gewohnheit gewordene Lieblingsbeschäftigung betraf, sondern auch zur Förderung des Seelenheils einwirkt.

Nach dem Ableben des alten Zapp hatte der Erbe seiner Grundsätze und Lebensweise, sein Sohn Abigdor die ganze Hinterlassenschaft an sich gebracht und der Schwester Lea, des jungen Spiegels Ehefrau, nur die im Testamente des Erblassers dotirte Summe ausgezahlt, ein immer noch bedeutendes Kapital, so sehr es zu verdünnen der geizige Bruder durch öfteres Zureden bei dem geistesschwach gewordenen Alten sich beflissen gezeigt hatte. Lea vergrößerte ihr Waarenlager, begann nun auch die Pilsner Messen zu beziehen, und brüstete sich gegen die andern Weiber, daß ihr Mann – zu Hause sitze und lerne.Unter diesem Worte begreift man meistentheils das Studium des Talmuds.

Aus dieser Ehe waren eine Tochter und zwei Söhne hervor gegangen. Die beiden Letztern unterschieden sich in ihrer Sinnesrichtung auffallend. Kalman hatte schon in den frühesten Jugendjahren sich wechselfähig gefühlt, und half, als ich ihn kennen lernte, obgleich kaum zwei Jahrzehende alt, im Geschäfte seiner Mutter schon tüchtig mit. Liebman der jüngere, neigte sich mehr zur Lieblingsbeschäftigung seines Vaters hin; und ich war der Auserlesene, unter dessen Leitung seine frommen Studien weitere Ausbreitung gewinnen sollten.

Zipora, eine lieblich aufblühende Jungfrau von achtzehn Sommern, besorgte, mehr zur Häuslichkeit als zum commerziellen Treiben sich hinneigend, die Wirthschaftsangelegenheiten, insbesondere das Küchenwesen, weil man nur eines weiblichen Domestiken bedurfte, und in solchen Fällen einen christlichen Dienstboten einer Religionsverwandten stets vorzieht; aus dem leicht begreiflichen Grunde, indem eine christliche Magd am Sabbat alle den Juden verbotenen Verrichtungen, wie Anzünden und Auslöschen der Lichter, Wärmen und Kochen bei plötzlicher Erkrankung einer Hausperson u.s.w. vornehmen kann. Allein da man ihr in der Küchenverwaltung nicht trauen darf, und man, sey es nun von ihrer Seite absichtlich oder aus Unkenntniß des Verbotes, eine Vermischung der Milch-, Butter- und Fleischgeräthe besorgen muß, so besorgte Zipora, (wie dies in allen Familien, wo eine jüdische Magd vermißt wird, Sitte ist,) das Küchenwesen. – Leser, welche bei Erwähnung eines jungen Frauenzimmers eine Personalbeschreibung gleich mitverlangen, erfahren durch diese Zeilen, daß Zipora eine schlanke, zephyrartige Gestalt war, welche ihrem orientalischen Teint zufolge billig in die Klasse der Brünetten zu zählen war, und deren Haupthaar zwischen braun und schwarz sich verlor. Ein männerscheues Befangenthun, das sie nie ablegen konnte, wenn Fremde unseres Geschlechts die Familie besuchten, erhöhte ihren wahrhaft weiblichen Werth in meinen Augen, und ich mochte wohl ein volles Jahr in ihrem Vaterhause docirt haben, ohne meine Empfindungen für sie, wie ich wähnte, auch nur durch einen freundlichen Blick erwiedert zu sehen. Eine Krankheit, welche ich mir späterhin durch Erkältung zugezogen, und die auf mehrere Tage hin einen ernsten Charakter angenommen hatte, bot mir die ersten angenehmen Beweise, welche mich auf eine stille Erwiederung meiner Gefühle schließen ließen; denn in Stunden der Mitternacht, wo das ganze Hausgesinde schon in die tiefste Ruhe vergraben war, stand sie noch unermüdet, bald die Kohlen in der Gluthpfanne anfachend, und die Wärme der Kampfersäckchen an ihren Wangen prüfend, bald wieder den Thee bereitend, immer geschäftig den Weg von der Küche zum Krankenbette und wieder an den Heerd zurück ausmessend.

Seitdem suchten wir öfter ohne Zeugen ein Gespräch anzuknüpfen; doch zu einem Geständnisse unserer Wünsche wollte sich in den verschiedenen Gängen, welche unsere Conversation einschlug, niemals ein Weg auffinden lassen. Unsere Dialoge berührten nur die gleichgültigsten Dinge. Diese in der letzten Zeit häufigem Zusammenkünfte waren dem beobachtenden Späherblicke der Hausfrau keineswegs entgangen. Eines Tages, als Zipora mit der Nath eines neuen Hemdes sich beschäftigte, und während der Arbeit mich um die Erklärung einiger religiösen Gebräuche ersuchte, deren Ausübung sie nie ohne Lachen mit ansehen könnte, war Lea barsch auf sie zugegangen, mit den doppelsinnigen Worten: »Ziperl, Ziperl, weißt du's, die Nath muß getrennt werden!« und riß ihr die Leinwand aus den Händen, ihr mit einem Winke bedeutend, daß sie ihr in das Nebenzimmer folgen möchte.

Am andern Morgen belehrten mich Zipora's verweinte Augen, daß eine Veränderung in dem Hause vorgehen würde. Ich quälte mich mit Vermuthungen, worin diese bestehen könnte, wohl gegen eine Woche ab, ohne durch meine Zweifel mir einen Ausweg zu bahnen. Zipora um den Grund ihres Betrübnisses zu befragen, gebrach es mir an Muth; und so nagte ich an meinen Muthmaßungen unermüdlich, bis ich eines Abends unvorbereitet die Decke vor meinen Augen aufrollen sehen sollte, welche das Familiengeheimniß bis jetzt verborgen gehalten.


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