Joseph Seligmann Kohn
Der jüdische Gil Blas
Joseph Seligmann Kohn

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Viertes Kapitel

Thomar verkehrt!

Um jene Zeit war ein Rabbi aus Russisch-Polen in Prag angekommen, welcher durch einige talmudische Dissertationen Geld und Aufsehen zu erlangen hoffte, jedes von einer andern Parthei, denn die zahlungsfähigen Hausväter, welche der Pole zu besteuern gedachte, und deren Namen er sich von dem guten Benjamin, meinem frühern Brodherrn, in einem Auszuge aus dem, wegen der wöchentlichen Billetten-Vertheilung, stets vorliegenden Contribuenten-Register mittheilen ließ, waren es nicht, die seine Fähigkeiten zu prüfen verstanden; die Kenner, aus dem Rabbinen-Corps bestehend, sind hingegen meist von der Dame Fortuna ignorirte Geschöpfe, die weder geben wollen noch können. Zu den Letztern gehörte ich. Das Gerücht lautete: der fremde Rabbi werde dreimal, und zwar in verschiedenen Synagogen, seine Disputationen halten. Ich bediene mich dieses hier sehr passenden Wortes, weil es jedem Zuhörer unbenommen bleibt, die seiner Meinung nach von dem Redner vorgebrachte falsche Auslegung einer Bibel- oder Talmudstelle ungescheut zu bekämpfen, und wer die meiste sophistische Gewandtheit an Tag zu bringen versteht, der behält Recht. Daher besuchen weniger die ältern Personen, als die jungen Studiosen des Talmuds, ähnliche Vorträge, um das Aufsehen des Auditoriums von dem bewunderten Debütanten auf sich selbst hinzulenken; denn, schließt man, wer mit einem solchen Matador es aufzunehmen wagt, an dem muß selbst etwas seyn. Nun liefert bekanntlich Polen nicht nur das beste Rindvieh, sondern auch die vorzüglichsten Talmudisten, was die Statistiker vielleicht weniger wissen; und ein Pole hat daher schon im Voraus ein günstiges Vorurtheil für sich. In der That hatte sich erwartungsvoll ein zahlreiches Auditorium schon am ersten AbendeDie Dissertationen werden von den Rabbinen meist in der Dämmerungszeit zwischen dem Abendgebete (Minche genannt) und dem Nachtgebete (Maariw) abgehalten. Nur am Sabbat und Feiertagen finden diese auch am Nachmittage statt, weil kein Geschäft die Menge von der Theilnahme an diesen Unterhaltungen abhält. eingefunden. Das zu behandelnde Thema war diesmal der Bibel, und zwar dem Kap. 18 der Genesis entnommen. Der Fremde mühte sich kläglich ab, zu beweisen, aus welchem Grunde Sara zu dem Kuchen, den sie zur Bewirthung der Engel buk, feines Mehl (Soleth) genommen hatte, obgleich Abraham nur gewöhnliches ordinäres Mehl herbeizuschaffen anbefohlen. Wenn die heil. Schrift, meinte der Pole, einen so unbedeutenden Umstand, wie die Angabe eines Kuchenstoffes, mit diplomatischer Genauigkeit erzählt, müsse wohl ein tieferer Sinn zu Grunde liegen, welchen herauszufinden ja das würdige Geschäft eines Schriftgelehrten sey. Nach vielfachem Benagen seiner Materie hoffte er durch einen schlagenden Witz, welchen er im Voraus belächelte, die eingelangweilte Versammlung aus ihrem lethargischen Zustande zu wecken. Er gab demnach zu verstehen, daß Sara die lobenswerthe Ausnahme von andern Weibern gewesen, welche ungern Fremde bewirthen, und wenn sie nicht ganz ausweichen können, dem Gaste lieber eine schlechtere Speise, als das vom Wirthe versprochene feinere Gericht, vorsetzen; die Frau des Patriarchen habe jedoch Besseres aufgetischt, als ihr herbeizubringen vom Manne war anbefohlen worden. Diesen schönen Charakterzug Sara's anzudeuten, sey also die Absicht Mosis gewesen. Ich besann mich nicht lange, diesen Schluß als falsch zu verwerfen. »Vielleicht umgekehrt!«Uebliche Redeformel der Talmudisten, womit sie ihre Widerlegungen gegen den Dissertator einzuleiten pflegen. Wörtlich lautet es: »Thomar (zu deutsch: Sage) verkehrt.« Der Dissertator wird Baal Darschan, dessen Gegner Baal Mephalpel genannt. rief ich dem Redner hin. Alle Welt blickte nach mir, begierig, was ich gegen diese ungezwungene Auslegung einzuwenden wüßte. »Laß hören, Bocher!«Zu deutsch: Jüngling, ein Wort das für alle Celibateurs gebraucht wird. Ein alter Bocher ist daher ein Titelchen, in welchem alle Bitterkeiten des Wörtchens: Alter Junggeselle wieder enthalten sind. schrie der Dissertator von seinem Rednergerüste herab aufmunternd mir zu. Ich suchte ihm also begreiflich zu machen, daß die heil. Schrift den wahrhaft weiblichen Charakter Sara's habe andeuten wollen, indem sie, wie alle ihre Schwestern, vom Widerspruchsgeiste und trotzigem Sinne getrieben war, stets das Gegentheil von dem zu sagen und zu thun, was der Mann gebietet, sollte es auch mit Schaden oder Geldverlust verbunden seyn, daher sie ein theuereres Mehl zu ihrem Kuchen genommen, als ihr von Abraham geheißen worden. Meine Aeußerung fand eine dankbarere Aufnahme, was bei meiner Jugend den ergrauten Redner sehr demüthigen mußte. Durch die allgemeine Beifallsbezeugung kühner geworden, ließ ich meinen Thomar verkehrt! nun häufiger erschallen, stützte mich bei meinen Einwürfen auf die Autoritäten berühmter Commentatoren (Maphorschim genannt) die ich mit einem Aufwande von Gelehrsamkeit zur nicht geringen Ueberraschung der Umstehenden citirte. Der Neid des Polen und der bisher mühsam verhaltene Aerger brach bei meinem vielen Anlauf gegen seine rabbinische Weisheit endlich unverstellt hervor, und wie er sich nun in die Enge getrieben sah, antwortete er nicht mehr mit ruhigen Beweisen, sondern mit einem seinen Ausruf begleitenden Basiliskenblicke schrie er mich ab: »Hab Tharbis klaaner Choozif!«Zu Deutsch: Habe Respect kleiner Unverschämter! »Thomar verkehrt!« rief ich, wie vorher, ganz phlegmatisch aus. Schallendes Gelächter war der Erfolg, denn die beispiellos kleine Statur des Polen hatte in meiner Replik einen satirischen Doppelsinn auffinden lassen. Wutherfüllt brach der Dissertator die talmudische Abend-Unterhaltung ab, und als er beim Herabsteigen von den Rednerstufen üblicher Weise die DanksagungenDiese lauten: Jejascher Koach. Der Begrüßte dankt mit denselben Worten, jedoch in einem υξερον πρωτερον (Hysteron proteron). der Umstehenden empfing, welche er schicklich erwiedern muß, klangen diese ihm zugerufenen Worte wie Persifflage, in welcher Bedeutung sie ihm von den Meisten auch geboten worden waren. Gewinnbringender war dieser Abend mir geworden; einer der anwesenden reichen Particulier's, der wie Viele seines gleichen eine Ehre darin fand, sich in der Gemeinde brüsten zu dürfen, daß er den feinsten BocherEine übliche Redeweise, welche so viel sagen will, als ein guter Kopf, ein trefflicher Scholar! Die Sylbe fein gewinnt jedoch eine ganz andere, obgleich ebenfalls lobende Bedeutung, wenn sie dem Wörtchen Jud vorgesetzt wird, dann wird es als die Frömmigkeit des Mannes bezeichnend, gebraucht. im Futter habe, erkundigte sich durch eine Mittelsperson nach meinen Verhältnissen, und ließ mir gar vortheilhafte Anerbietungen machen, wenn ich die Erziehung seines Sohnes zu übernehmen mich geneigt erklären wollte.


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