Joseph Seligmann Kohn
Der jüdische Gil Blas
Joseph Seligmann Kohn

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Fünfzehntes Kapitel

Das Judenamt in Wien

Weil der Zweck meiner Reise in die Residenz kein anderer war, als mit meinem, vom Glücke begünstigten Eleven, wegen der, von ihm mir als künftigen Commissionär seiner Waaren-Vorräthe für Prag anzubietenden Vortheile, mündlich zu unterhandeln, hatte ich meinen ersten Ausgang nach Kalmans Wollmagazinen beschlossen, mußte aber von den daselbst beschäftigten Dienstpersonen erfahren, daß ihr Brodherr vorgestern einen Abstecher nach Preßburg unternommen, was wegen der bestehenden Judenverordnung für Wien nach jedesmaligem Ablaufe von sechs Wochen geschehe. Der redselige Inspector, ein geborner Wiener, bemühte sich, mir diese meinen Glaubensverwandten aufgelastete Beschwerlichkeit, von einer zu billigenden Seite vorzustellen. »Die in der Residenz ansäßigen Israeliten«, – erzählte er – »deren Voreltern für sich und ihre Nachkommenschaft das Recht der Ansiedelung – daselbst Toleranz genannt – mit großen Summen einst erkaufen mußten, hatten mit Betrübniß erfahren, wie die mit jedem neuen Tage aus allen Richtungen der Monarchie zu den Thoren Wiens hereinströmenden Schaaren jüdischer Kaufleute, ihnen, als den Eingebornen, jeden Erwerb zu schmälern, oft ganz zu entziehen wußten. Diesem Unfuge zu wehren, hatte die Wiener israelitische Gemeinde bei der Hofstelle ihre Beschwerde über den schädlichen Einfluß der fremden Handelsjuden eingebracht, und zu diesem Ende die Errichtung eines besondern Paß-Büreau's für israelitische Fremde vorgeschlagen, und diese sollten ihre an der Stadt-Barrière ihnen abgeforderten Reise-Legitimationen an dem bezeichneten Orte binnen vier und zwanzig Stunden wieder erhalten, oder den längern, – jedoch auf zwei Wochen beschränkten, – Aufenthalt in Wien, welcher nur zweimal prolongirt werden darf, mit einer dem Polizeifonde zugewendeten, nicht unbedeutenden Abgabe erkaufen. Eine vierte Karte wird Niemandem ausgefolgt, und die Abreise ist unvermeidlich, jedoch bleibt es dem Fremden unbenommen, nach zwei Tagen wieder einzutreffen, und abermals einen halben Monat hindurch, oder, im Wege der zweimaligen Prolongation seiner Aufenthaltskarte sechs Wochen, seine Existenz in Wien zu fristen. In diesem Falle befände sich gegenwärtig auch sein Brodherr – verständigte mich der Magazin-Inspicient, – und würde Herr Spiegel bereits wieder eingetroffen seyn, wenn nicht die junge, liebenswürdige Gattin, deren Geburtstagsfeier in der nächsten Woche falle, den thätigen Geschäftsmann diesmal einige Tage länger in den traulichen Familienzirkel fest bannen möchte.

Diese Nachricht bestimmte mich, mein Reiseziel an dem folgenden Tage zu erweitern, und meinen ehemaligen Eleven im Kreise der Häuslichkeit zu überraschen. Die verletzenden Empfindungen mir zu ersparen, welche der Anblick eines Juden-Polizei-Büreau's auf einen fühlenden Menschen hervorbringen mußte, sandte ich, Behufs der Ausfolgung meines dort deponirten Reisepasses, einen Lohnbedienten dahin ab, und am folgenden Abende schon sollte ich die Erde Ungarns begrüßen.

Die matte Herbstsonne hatte die ihres Blätterschmucks entkleidete Gegend bereits mit trügerischem Dämmerschein übergossen. Die Stille der Gegend wurde nur durch das monotone Gerassel der Reisekutsche und ihrer ewig klirrenden Fensterscheiben unterbrochen. Den darinsitzenden konnte sich erst hinter Wolfsthal angenehme Abwechslung für die in die Landschaft hinaus schweifenden Blicke bieten. Endlich kam der majestätische Donaustrom, der unweit der Kaiserstadt meinem Auge entschwunden war, wieder zwischen lachenden Ufern zum Vorschein. Aus nebliger Ferne tauchte ein Felsrücken hervor, die halb in orientalischem Style geformte Behausung der alten Könige Ungarns auf seinem Gipfel tragend. Am Fuße des Berges blickte im dämmernden Zwielichte die nach allen Richtungen hinfließende Hütten- und Häusermasse, die, gleich Vogelnestern, an den steilen Felswänden zu hangen schienen. Rascher flogen die Rosse von dem mahnenden Rufe ihres beschnurbarteten Gebieters beflügelt, über die Preßburger Ebene dahin, die breite Schiffbrücke knatterte unter dem Gewichte der hinsausenden Kutschenräder, und wir befanden uns in der Krönungsstadt der magyarischen Könige.


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