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36. Kapitel.
Noch einmal am Strand

Nun, da Axel weiß, daß auch ihn »ein ruhiger Hafen nach stürmischer Fahrt« erwartet, kehrt ihm rasch die alte Lebensfreudigkeit zurück. Obwohl ihm schon der nächste Tag seine Braut wieder entführt, die ihre Mitwirkung an einem Berliner Wohltätigkeitsfest zugesagt hat, vergißt er alles Trübe, was hinter ihm liegt und streift mit »Schwester Ursche« wie ein übermütiger Kadett durch die Gärten um Heckendorf. Und seine freudige Stimmung teilt sich allen Verwandten mit; nur eine zeigt sich von dieser Verlobung enttäuscht, und diese ist Elfchen.

»Du willst auch heiraten?« sagt sie bedenklich zu Franzi, wie diese nach drei Tagen wieder heimkehrt, »das finde ich nun gar nicht nett. Dein freies Künstlerleben, das schien mir am allerschönsten.«

»Ja, Fräulein Schwägerin,« meint Franzi lachend, »es war auch schön! Aber wenn ich nun dächte, daß Ursels Leben doch noch beglückender ist?«

Elfi schüttelt den Kopf. »Ganz gewiß nicht!« beteuert sie. »Wilhelm ist zwar riesig nett und klug, aber Ursel muß doch entsetzlich viel kochen und nähen und flicken; willst du das denn auch tun?«

»Natürlich, ich will mich tüchtig plagen,« erklärt Franzi lachend, und Elfi bleibt beinahe der Mund offen vor Erstaunen.

Wie ein übermütiger Kadett streifte Axel mit Schwester Ursel durch den Park.

»Vor allem aber will ich Axel pflegen,« fährt Franzi fort. »Findest du das nicht nötig?«

»Ach, das könnte ja Mama tun; die mag doch nichts lieber!«

»Da hast du wohl recht; aber mir will scheinen, als habe Mama genug mit Papa und euch Jüngsten zu tun.«

»Mich wird sie nicht mehr lange haben,« meint Elfchen wichtig. »Du weißt doch, daß ich nach Berlin komme, um die Gymnasialkurse zu besuchen – ich hoffe es wenigstens! Ach, Franzi, ich hatte mich so darauf gefreut, bei dir zu wohnen!«

»Du kannst zu Fräulein Elsner gehen, Herzchen, und mein Zimmer nehmen. Sie wird sich sehr freuen.«

Das leuchtet Elfchen ein, und auch die Eltern finden diesen Gedanken sehr gut; denn das junge krausköpfige Elfenkind in eine fremde Damenpension zu geben, wie es damals mit Franzi geschehen mußte, dazu hätten sie sich schwer entschlossen.

Allmählich söhnt sich denn auch Elfchen mit der Verlobung aus, wenn sie auch gegen Ursel noch hin und wieder ihre Bedenken äußert.

Franzi, die vor Fürsten und berühmten Leuten gesungen hat und selbst eine junge Berühmtheit geworden ist, die will sich hier in ein stilles Landhaus in Heckendorf vergraben? Wird sie sich nicht langweilen? Wird sie sich nicht nach ihrer Kunst sehnen?

Ähnliche Fragen hat Ursel in vertraulicher Stunde auch von ihrem Bruder Axel gehört; doch sie weiß aus Franzis frischem Munde und warmem Herzen, wie man darauf antworten soll!

Nein, sie wird sich nicht langweilen, und sie braucht ja auch nicht von der Kunst zu scheiden; der bleibt sie treu bis ans Lebensende. Aber muß man darum die Kunst hauptsächlich vor fremden Menschen üben und treiben? Ist der Ruhm der Konzertsäle ihr letztes und höchstes Ziel?

Franzi gesteht ehrlich: Es hat sie beglückt und erhoben, wenn man ihr zujubelte und wenn sie selber fühlte, daß sie künstlerisch etwas leiste und mit großen und tüchtigen Leuten in die Schranken treten könne. Aber es ist nicht das Letzte und Äußerste. Immer wieder hat sie Gott gebeten, sie vor Eitelkeit und Ruhmsucht zu bewahren. Allen Schmeicheleien will sie künftig nur so viel Wert beilegen, als der flüchtige Augenblick erlaubt, und nur das Urteil ihrer Lehrer, die Anerkennung ihrer Kunstgenossen sollen ihr wirklich hochstehen. Und für wenige singen – für wenige, die sie kennen und lieben, wird es nicht das allerschönste sein?

So manches in dieser Art sucht Ursel der kleinen Schwester zu erklären; ja, sie deutet sogar im »tiefsten Vertrauen« (worauf Elfi immer besonders stolz ist) an, daß Bruder Axel am liebsten schon vor Jahren, damals nach dem Musikfest, sich mit Franzi verlobt hätte, aber nicht wagte, sie aus ihrer eben begonnenen Künstlerlaufbahn zu reißen und an sein unruhiges Leben zu binden.

»Das war edel!« ruft Elfchen feurig, und nun bekommt das Brautpaar einen neuen Charakter für sie, so ein wenig von Romantik. Es ist richtig, wie Schwester Ursel behauptete, ohne Illusionen gehe es bei Elfchen nicht ab. So sieht sie denn das Paar mit gnädigeren Augen an, und dieses behauptet scherzend, nur das habe noch zu seinem Glück gefehlt.

Jetzt gibt's natürlich ein eifriges Plänemachen hin und her. Mama möchte am liebsten, daß sich am Heckendorfer Strand ein von unsichtbaren Mächten gebautes Haus erhöbe, in dem sie ihren Axel lieber heute als morgen bergen könnte. Sie meint, ihn nun wirklich keinen Tag mehr missen zu können. Sie ist ja eine »alte Frau«, wer weiß – –

Bei solchen Seufzern wird sie freilich weidlich ausgelacht, die liebe »alte Frau«, auch setzt ihr Axel dann liebevoll auseinander, daß alles nicht so schnell gehen könne.

Er muß jetzt nach Kiel zurück, und wenn er auch sein Abschiedsgesuch gleich einreicht, so wird doch noch einige Zeit vergehen, bis alles geklärt und erledigt ist.

Leicht wird ihm der Abschied von seinem Beruf nicht, und doch freut er sich seines Hafens!

Ein Grundstück in Heckendorf ist glücklicherweise gerade käuflich, der Vertrag wird in diesen Tagen abgeschlossen, dann werden Pläne gezeichnet, verworfen und wieder neu gemacht, endlich das Ganze einem Baumeister übergeben, damit baldigst angefangen werde und die schönen Sommermonate noch dem Bau zu gute kommen.

Dann reist Axel nach Kiel zurück, und auch Franzi denkt daran, daß sie noch einige Verpflichtungen in Berlin hat. Mehrere Konzerte sind noch angesetzt, soll sie diese absagen?

Sie könnte es wohl; aber Axel hat es ihr völlig freigestellt, zu handeln, wie sie für gut findet. Er hofft sogar, wenn er bis dahin in Kiel alles abgewickelt hat, nach Berlin kommen zu können und sie einmal noch im Konzertsaal zu hören.

Aber noch ist es nicht so weit. Im Sommer schweigt ja mehr oder weniger die Konzertmusik. Franzi sieht also ein paar ruhige Wochen in Wendenburg vor sich, die sie zu allen möglichen praktischen Vorbereitungen benutzen will.

Die Freundinnen – nein, die Schwestern kann man ja jetzt von den beiden Schwarzbraunen sagen – sitzen nun wieder viel zusammen, nähend und stickend, und Mama Dahland klagt, daß ihr die beiden in diesen Aussteuerangelegenheiten zu selbständig und geschickt sind, daß sie beinahe nichts zu »bemuttern« findet.

»Aber von wem haben wir's gelernt?« wird sie dann schelmisch gefragt, und man erinnert an die erste Ausstattung für Franzi, an der sie sich damals so liebevoll beteiligte.

Mutter Trautmanns Augen vertragen jetzt nicht mehr viel; sie muß sich drein ergeben, nur noch für die Kinder zu stricken. Herr Bauer aber reibt sich manches Mal die Hände und schmunzelt: »Ist doch gut, Frau Trautmann, daß die Kammersängerin hier im Hause erst was Reelles gelernt und getan hat, ehe die Kunst an die Reihe kam. Später lernt sich das andere verflixt schwer. Und es muß doch sein für jede Frau, ob sie nun heiratet oder nicht!«

Frau Trautmann gibt ihm lächelnd recht und schaut sinnend ins Grün. Ihr ist so wohl und friedlich zu Mut, so recht nach sonnigem Lebensabend.

Mama Dahland ist nicht völlig so ruhig. Papa hat es ihr schon öfter mit liebevollem Ernst vorgehalten, daß sie sich das »Sorgen angewöhnt« habe.

»So warst du früher nicht,« meint er, »bei Krankheiten, bei Trennungen warst du immer mutig. Auch als unsere Älteste in das fremde Land ging, hat man dir's nicht angemerkt, ob es dir schwer wurde.«

»Wirklich nicht?« fragt Mama leise und ein wenig bedrückt. »Nun warte nur, ich werde wieder vollkommen ruhig, wenn das Haus in Heckendorf fertig und bewohnt ist.«

»Also dann erst? Ist dir auch Kiel gewissermaßen noch ein Ort mit schwankendem Boden?« neckt Papa.

Mama schweigt. Sie weiß, daß Axel noch eine Fahrt mitmachen will, die letzte als aktiver Offizier, nur bis England; eine kleine einfache Spritztour, wie alle sagen, dazu in so günstiger Jahreszeit, noch vor den Herbststürmen. Was ist da zu fürchten?

Sie soll es eigentlich nicht wissen, auf welche Tage diese Reise fällt, – aber es ist wunderbar: ihr ist nichts zu verbergen in dieser Beziehung! Sie weiß doch immer alles, was Axel betrifft.

An einem Nachmittag in der Woche, wo das Schiff abgegangen sein muß, sitzt sie bei Ursel im Vorgärtchen. Es ist warm und still, aber eine merkwürdig trübe Luft. Frau Trautmann, die auch mit ihrem Strickzeug gekommen ist, klagt, daß sie heute gar zu schlecht sehen kann.

Franzi ist nicht da, sondern mit Papa Dahland unterwegs, um den Bau in Heckendorf zu besichtigen. Auch sie, die beiden rüstigen Fußgänger, finden es ungewöhnlich drückend und still, und wie sie zwischen den Gärten heraus an den See kommen, wundern sie sich, daß vom »lieblichen Strand« drüben keine Spur zu sehen ist.

»Wie sonderbar, daß die Nebel schon steigen,« bemerkt Franzi. »Es ist doch noch früh am Tage.«

Papa schaut sich forschend um. »Das sind auch keine Abendnebel,« erwiderte er. »Ich habe schon ein paarmal solche Erscheinung beobachtet. Einmal drüben, am großen Wendenholz, da verdunkelte sich am hellen Tag die Luft, und wie Rauchstreifen zog's über den See. Noch ärger sah ich's in der alten Schwedenstadt – die ja dem Meer so viel näher –«

Er hält inne, denn Franzis Hand zuckt auf seinem Arm. »Du meinst – daß es – Seenebel ist, der sich bis hierher erstreckt?«

»Ruhig, ruhig, Töchterchen, ich meine nichts! Wir sind noch ziemlich weit von der See und gar vom Kanal, wo Axel schon schwimmen muß. Dort kann der schönste blaue Himmel sein.«

»Es kann sein,« sagt Franzi und nimmt sich mächtig zusammen; aber wie sie dann bald darauf die Baustelle in Heckendorf erreichen, will ihr das froh verständige Reden mit den Leuten nicht wie sonst gelingen.

Sie sprechen schon vom Richtfest, aber Franzi hört kaum hin, sondern ertappt sich plötzlich bei dem Stoßgebet: »Lieber Gott, laß uns noch glücklich einziehen!«

Wie sie zu Hause wieder anlangen, finden sie Mama sehr elend. Ursel sucht sie zu bewegen, daß sie sich niederlege, aber vergebens. Sie war vom Garten aus den schmalen Wiesenweg bis an den See gegangen und hatte den Nebel über dem Wasser gesehen; nun kann sie ihre Angstvorstellungen nicht mehr bezähmen. Zu oft hat sie Axel sagen hören, daß nicht Sturm der schlimmste Feind der Seeleute sei, sondern Nebel. Und Nebel im Kanal – sie weiß wohl, was das bedeutet!

Ruhelos wandert sie hin und her, schweigend und tränenlos, aber von niemand zu beeinflussen.

Franzi wandert mit ihr und versucht alles, sie zu beruhigen, aber Mama antwortet nur: »Sei du in Zukunft tapferer als ich, mein Kind, du wirst es brauchen.«

Da denkt auch Franzi an jene Verse, die Axel vor Jahren so kühn deklamierte, und von der ganzen schönen »Seefahrt« bleibt ihr nichts im Sinn als die Stelle: »Ach, warum ist er nicht hier geblieben!«

Sie stehen wieder gerade am Fenster und suchen die Sonne, ob sie vor Untergang nicht noch einmal zum Vorschein kommen will, da kommen gerade die Brüder Robert und Bertram aufs Haus zu, eilig und mit ernsten Gesichtern.

»Die wissen etwas!« sagt Mama bestimmt und sie hat recht. In der Expedition der Zeitung ist ein Extrablatt ausgehängt, das ein schweres Schiffsunglück anzeigt.

Im dichten Nebel sind im Kanal zwei Schiffe aufeinander gestoßen, ein holländisches und ein deutsches. Der Holländer ist dem Deutschen in die Flanke gerannt – es sinkt bereits. Es ist die Korvette »Seeadler«. Die deutsche Marine wird ein stolzes Schiff verlieren, wenn auch die Mannschaft mit Todesverachtung arbeitet, es zu retten. Verluste an Menschenleben sind noch nicht zu melden.

Das Letzte hört Mama noch, dann sinkt sie in eine wohltätige Ohnmacht; Franzi aber lernt nun mit einem Male, was es heißt, eine Seemannsbraut zu sein. In heißer Angst lernt sie es.

Fünf Tage später ist Axel bei den Seinen, todmüde von der ungeheuren Anstrengung, aber unverletzt.

Das schöne Schiff ist verloren, und schwer lasten noch die Eindrücke des furchtbaren Kampfes auf ihm. Ihn trifft zwar kein Vorwurf, keine Verantwortung; er hat das Schiff nicht geführt, und wenn auch – es trifft niemand eine Schuld. Es ist eine traurige Schickung.

Alle möchten recht viele Einzelheiten von Axel hören, Mama allein wehrt und bittet: »Laßt ihn doch erst zur Ruhe kommen!« Und auch Franzi meint, es habe Zeit genug, den Hergang zu erfahren: Axel müsse vor allem tüchtig ausruhen.

Und sie haben beide recht, daß keinerlei Anforderungen an ihn gestellt werden dürfen; das zeigt sich bald. Eine ernste Krankheit streckt ihren lieben blonden Wiking auf das Lager. Seine ohnehin so sehr geschwächte Gesundheit, die sich während der Sommerwochen in Ursels Heim kaum ein wenig erfrischt hatte, war den Strapazen dieser Katastrophe nicht gewachsen; ein schweres Nervenfieber kommt jetzt zum Ausbruch.

Das wird eine bange, sorgenvolle Zeit, ein schmerzlicher Gegensatz zu jenen fröhlichen Tagen, die seiner vorigen Heimkehr gefolgt waren.

Wenn er dies nur überwindet, dann keine »Ausfahrt« und keine »Heimkehr« mehr! Dann bleiben sie zusammen, alle, die so innig aneinander hängen, und das Leben wird noch einmal schön.

Wird es? Will der Himmel es zulassen?

Lange schwankt es auf und nieder, das Schifflein der Hoffnung kämpft auch einen schweren Kampf, aber endlich glättet sich die Flut: Axel ist genesen.

»Ich muß wohl leben,« sagt er mit dankbarem Lächeln, »wenn so viele liebe Hände mich halten.«

»Freilich mußt du!« entgegnet Franzi und schluckt tapfer die Tränen hinunter. »Unser Haus ist bereits unter Dach; das wartet auf seinen Herrn! Also darf der nicht fahnenflüchtig werden!«


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