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35. Kapitel.
In Ursels Heim

Es ist wieder einmal die Zeit der blühenden Kastanien und – der Spargel! Da ist auch Franzi wieder in Wendenburg eingerückt, früher als man zu hoffen wagte, und hat ihr altes Giebelstübchen bezogen, das noch immer Platz genug haben muß für die vielen hübschen Sachen, welche die junge Künstlerin umgeben.

Diese werden aber immer rasch weniger, wenn Franzi erst einige Tage da ist, denn sie kennt nichts Schöneres als Schenken. Man muß sich hüten, etwas in ihrem Besitz hübsch zu finden, gleich ist sie geneigt, es wegzugeben!

Ganz besonders sehnte sie sich diesmal nach den Ihrigen, denn sie hat die Hochzeit des Bruders nicht mitmachen können, weil eine sehr ausgedehnte Konzerttournee sie monatelang entführte.

Ja, Franzi ist eine große Künstlerin geworden! Die Ihrigen müssen's wohl glauben, denn es steht in allen Blättern zu lesen. Sie scheint jetzt recht auf der Höhe, und ihre frische Schönheit und Gesundheit lassen niemand an ihre eigenen ernsten Worte, damals auf dem See, über die Vergänglichkeit solchen Künstlertums denken.

»Der friedliche Strand von Heckendorf ist noch weit!« sagt Ursel und blickt die Freundin voll Bewunderung an.

»Für mich – ja! Aber hier bei euch ist Friede, ist Glück, Ursel – du meine Schwester!«

Es ist wieder wie immer: die Schwarzbraunen haben keine Ruhe, als bis sie zusammen sind, und noch immer können sie Schritt halten. Das Temperament bleibt verschieden, aber sie gleichen sich wundervoll aus; es ist noch immer ein »zu nettes Gespann«, wie Axel damals bei der ersten Bekanntschaft sagte.

»Frische Spargel gefällig, Frau Doktor?« ruft eines Morgens eine schalkhafte Stimme durchs offene Fenster von Ursels Wohnzimmer, und draußen steht die Kammersängerin mit einem Körbchen: »Selbst gestochen, Frau Doktor, zwei Pfund – zu je sechzig Pfennig, nicht zu vergessen!«

Ursel nickt, aber sie lächelt so eigen dabei und legt den Finger an den Mund.

»Nun?« fragt Franzi verwundert, »wer schläft denn noch bei euch?«

»Ein müder Mann,« sagt Ursel, »komm herein, Franzi.«

Da steht im Wohnzimmer noch der Frühstückstisch, an den man um diese Zeit sonst bei Doktor Trautmann nicht mehr denkt; und zwar ist er besonders festlich hergerichtet, freilich nur mit einem Kuvert, denn Ursel und Wilhelm, die Frühaufsteher, haben mit dem Kaffee nicht so lange warten können.

»Ich hole dir auch noch eine Tasse,« sagt Ursel und läuft hinaus. Da öffnet sich auf der anderen Seite die Tür, und: »Axel! Ach, Sie sind doch nicht krank?« ruft Franzi in Bestürzung und Freude zugleich.

»Jetzt nicht mehr, Franzi, jetzt ist alles wieder gut.«

»Aber es scheint Sie arg gefaßt zu haben!«

»O ja, diesmal – gelbes Fieber ist kein Spaß. Aber nun überwind' ich's schon.«

»O Axel, unser Wiking! Wann sind Sie gekommen?«

»Gestern abend spät.«

»Und die Doktorleute haben nicht einmal illuminiert, daß wir in der Gärtnerei das große Ereignis merken konnten?«

»Niemand hat es bis jetzt gemerkt, Franzi; es war mir gestern zu spät für die Eltern. Mein Schwager geht eben hin, um Mama vorzubereiten – denn ich bin ja nun einmal ihr Schmerzenskind, so daß ich sie nicht überrumpeln darf.«

»Mein Schwager,« wiederholt Franzi; »freilich, wir sind ja jetzt verwandt. Schwippschwägerschaft nennt man das ja wohl?«

»Da stehen sie noch,« eifert Ursel, die jetzt den Kaffee hereinbringt. »Franzi, laß ihn doch sitzen!«

»Wir machen eben den Grad unserer Verwandtschaft aus,« sagt Axel.

»Das könnt ihr auch im Sitzen tun, hier – ich schenke euch Kaffee ein – trinkt und stoßt an ›auf Du und Du‹! Das wäre das Gescheiteste!«

»Hat sie recht?« fragt Axel lächelnd und hält seine Tasse hin.

»Sie wird wohl,« ruft Franzi, »denn sie ist eine sehr rechthaberische Person geworden, die junge Frau.«

Sie stoßen an, versuchen's mit der neuen Anrede, versprechen sich ein paarmal – aber dann geht es sehr gut.

Jetzt kommt Wilhelm zurück und meldet: »Die Eltern erwarten dich, Axel; Mama wollte sofort mit mir hereilen, aber Papa litt es nicht. Aber – Beine hat mir Mama gemacht – – uff!« und Wilhelm sinkt erschöpft auf einen Stuhl.

Axel dagegen springt auf und macht sich fertig.

»Welche Seligkeit wird das wieder werden!« sagt Franzi ihm nachschauend. »Ursel, gegen die Söhne kommen wir Mädchen doch niemals auf!«

»Nein,« sagt Ursel ernsthaft, »und die Frauen haben es nachher so schwer mit diesen verzogenen Söhnen, das kannst du glauben.«

Die Geschwister lachen die kluge junge Frau aus, aber sie bleibt dabei, das könne wirklich nur sie wissen!

In den nächsten Tagen sind die Bewohner der drei Häuser an der schönsten Ecke von Wendenburg fast unzertrennlich. Ursel gibt ein Festmahl über das andere und die berühmten Spargel spielen dabei eine große Rolle.

Sie hat sich's auch flehentlich erbeten, Axel noch einige Zeit behalten zu dürfen. »Denkt doch, es ist mein erster Gast,« sagt sie. »Ihr sollt ihn auch so viel haben, wie ihr wollt, nur laßt mir seine Pflege noch ein Weilchen!«

Die Freunde sehen einander an und lachen. »Das sind die verzogenen Brüder der guten Schwestern!« heißt es, aber Ursel bekommt ihren Willen.

Sind das interessante Unterhaltungen, die jetzt den Kreis beleben! Die beiden Weitgereisten können es wirklich an Weltkenntnis miteinander aufnehmen.

Wenn Axel so gelegentlich von dem Krönungsfest des Vizekönigs von Indien und all der märchenhaften Glanz- und Prachtentfaltung dabei erzählt, wenn Franzi vom Hof der Königin von Rumänien spricht, wo sie einmal gesungen hat, oder von der Petersburger vornehmen Welt, in der deutsche Künstler so gut aufgenommen werden, wenn Axel wieder die Zustände in China schildert, oder die stille Erhabenheit des Landes der Mitternachtssonne – dann sagt wohl Ursel heimlich lachend zu ihrem Mann: »Die prahlen gut gegeneinander auf, nicht wahr, du?«

Und Wilhelm entgegnet ebenso heiter: »Aber wir beneiden sie nicht, oder meinst du etwa doch?«

»Nein,« beteuert Ursel. »Wer weiß, wie bald ein Tag kommt, wo sie uns beneiden!«

Und es zeigt sich, daß die sanfte Ursel wirklich eine rechthaberische Person geworden ist, wie Franzi sagt, oder vielmehr eine rechthabende.

Eines Tages sprechen die beiden Jugendgefährten sehr ernst über ihr Leben und ihre Zukunft.

»Ich bin noch immer mit Lust und Liebe bei der Kunst,« sagt Franzi, »nur –«

»Nur?« forscht Axel begierig, irgend welchen Schatten zu erfahren.

»Das Unstete,« bekennt sie, »das wird mir manchmal zu viel und das Äußerliche! Ich wünsche oft, mein Auftreten könne ohne Gepränge geschehen, ich könne mehr ›dem Vogel gleich, der in den Zweigen wohnet‹ meine Lieder singen.«

Das ist ein Wort nach Axels Sinn; aber er forscht weiter: »Doch angreifend sind diese ewigen Reisen und Aufregungen nicht für dich?«

»Nein – ich fühle mich sehr gesund.«

»Der Himmel erhalte dir das, Franzi, du stehst recht auf der Höhe! Während ich –« er wird etwas schwermütig – »schon an den Abstieg denken muß.«

»O Axel!«

»Ja – es ist so. Mein Gesundheitszustand wird sehr bald ein Hindernis sein, ich werde mich entschließen müssen, den Dienst zu quittieren. Mit dem Admiral wird's nichts mehr! – Und wenn's so weit ist – dann baue ich mich in Heckendorf an.«

»Am friedlichen Strand! Das war ja immer mein und Ursels Traum!« ruft Franzi. »Wir sagten uns, dort können nur glückliche Menschen wohnen.«

»Auch Gescheiterte mögen dort Frieden finden,« sagt Axel ernst.

»Aber was willst du dort tun?« ruft Franzi, der sein Ton ans Herz greift. »So ohne jede Beschäftigung hältst du das ja nicht aus!«

»Nein, vielleicht gehe ich bei Meister Helm in die Lehre; ich habe mich immer für die Bootbauerei interessiert, mich auch in Kiel und Wilhelmshaven viel auf den Schiffswerften herumgetrieben. Dann kann ich dir ja einmal eine Segeljacht bauen, Franzi, auf der du deine Konzertreisen vollführst.«

Franzi schweigt, und Axel fährt fort: »Oder ich kaufe mir ein Stück Land und lege Obstplantagen an, Gemüsezucht im großen –«

»Du, die Spargelbeete will ich dir anlegen helfen,« ruft Franzi nun lebhaft, »und wilde Rosen vom Rohrwerder kann ich dir okulieren, überhaupt – von Gärtnerei versteh' ich doch eigentlich mehr als du! – Wenn ich dann schließlich – wenn die Stimme dahin ist – auch mein Altenteil in Heckendorf baue, können wir ja dann gute Nachbarschaft halten.«

Es wird aber doch noch anders beschlossen!

Gebaut soll sogar jetzt schon werden, aber nur ein Haus, am friedlichen Strand von Heckendorf, »und,« sagt Axel, »daß es auch ein glücklicher Strand wird – dafür will meine gute Franzi sorgen!« Und ihre strahlenden Augen bestätigen dies vollauf.


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