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10. Kapitel.
Die Spitzendecke

In den nächsten Tagen machte Ursula immer einen kleinen Umweg, wenn sie aus der Schule kam. Königs- und Schloßstraße schienen es ihr jetzt auch angetan zu haben, wie den meisten ihrer Mitschülerinnen.

»Du willst wohl auch zu Kranz?« fragte Olga Rettich, als sie Ursula in der Nähe der berühmten Konditorei traf. »Die Erdbeertörtchen sind auch geradezu ideal augenblicklich. Oder langt's bei dir gar zu Eis?«

»Zu beiden nicht,« sagte Ursel und ging eilig weiter.

Olga traf auf Vicky von Sontheim und fand bei dieser mehr Verständnis. »Die Ursel Dahland ist doch zu komisch,« meinten beide, »mit der ist gar nichts anzufangen.« Und dann schmausten sie um die Wette am Eckfenster der Konditorei, nahmen Grüße entgegen und machten sich wichtig.

Ursel aber suchte inzwischen ein gewisses Schaufenster, sicher nicht das großartigste in der Residenz; es war eigentlich recht bescheiden, Handarbeiten lagen dort aus, und zwar oft recht einfache: gestrickte und gehäkelte Röcke, von kränklichen alten Damen gefertigt, die zu nichts anderem mehr recht sehen konnten, feine Weißstickereien von jungen Mädchen, die wohl Zeit und gute Augen hatten, aber kein Geld zu teurem Handarbeitsmaterial.

Es war die Verkaufsstelle des Frauenvereins, von dem Ursel ihrer Freundin erzählt hatte, und in diesen Tagen prangte Franzis schöne Filetgipüredecke im Fenster.

Ursula hätte viertelstundenlang davor auf und ab gehen mögen, um zu beobachten, welchen Eindruck die schöne Arbeit auf die Vorübergehenden machte; aber das ging doch nicht gut an. So begnügte sie sich damit, sich täglich zu überzeugen, ob sie noch da sei. Leider ja, eine ganze Woche lang leuchtete sie Ursel schon von fern entgegen und sie konnte umkehren.

Am achten Tage aber war die Decke verschwunden! Beinahe erschrak Ursel nun, dann ging sie schnell entschlossen in den Laden und sagte zu dem alten Fräulein, das dort den Verkauf besorgte: »Ich möchte mich nach der schönen Gipüredecke erkundigen, die hier im Fenster hing.«

»Ja, da kommen Sie zu spät,« sagte die alte Dame wichtig, »die Decke ist heute verkauft und schon abgeholt worden. Die Verfertigerin kann sich freuen, denn der Arbeit wurde hohe Anerkennung zu teil.«

»Von der Frau Fürstin?« platzte Ursula heraus.

»Das nun gerade nicht, aber von der Frau Hofmarschallin. Es kann also immerhin sein, daß Ihre Hoheit auch die Arbeit zu sehen bekommt – wenn Sie das interessiert, mein kleines Fräulein.«

»O danke, ja, sehr,« stotterte Ursula erfreut. »Dann wurde die Decke auch wohl gut bezahlt?«

»O ja, ich habe lange keinen so guten Preis bekommen. Aber da Frau Rätin Dahland selbst hier war, um mich für die Stickerei zu interessieren, habe ich recht hoch gefordert und es ist mir geglückt,« schloß sie stolz.

Ursula war überglücklich. Also Mama war selbst hier gewesen.

»Hat die – die Stickerin schon das Geld?«

»Nein, ich war eben schon daran, ihr zu schreiben, daß sie es in Empfang nehmen kann.«

»Könnte ich es ihr wohl bringen? Ich bin Ursula Dahland.«

Das alte Fräulein knickste. »Bedaure sehr, aber das ist gegen die Regel; Fräulein Trautmann muß selbst quittieren.«

Das sah Ursel ein, das war geschäftsmäßig. Aber die Nachricht konnte sie Franzi doch bringen – welch Entzücken! Ob Franzi sich wohl noch mehr freuen konnte als sie selbst?

Ja, Franzi geriet ordentlich ein bißchen außer sich. »Das hätt' ich nicht gedacht,« rief sie einmal übers andere, »die Hofmarschallin, sagst du? Das freut mich! Die kenn' ich schon!«

»Sie wohnt drüben in der hübschen Villa am See, in Westeck; eine Tochter ist in unserer Schule, die andere ist schon verlobt.«

»Vielleicht bekommt die Braut die Decke! Vielleicht bestellt sie noch mehr Sachen! O Ursel, wie wundervoll hast du mir geraten, wie dank' ich dir!«

Ursel glühte vor Stolz: sie hatte jemand raten können!

»Komm, ich will es Mutter erzählen, und dann will ich sehen, daß ich gleich zur Stadt gehen kann. Aber ach – es ist noch ein großer Korb Strümpfe zu stopfen, dabei kann ich Mutter nicht allein lassen.«

»O weh! Um sieben Uhr schließt das alte Fräulein den Laden; wenn du jetzt nicht gehst, wird's für heute zu spät. Und wir sind doch so neugierig!«

Ursula saß auf einem lauschigen Platze und beschäftigte sich mit Strümpfestopfen.

»Ja, neugierig wie ein paar Elstern, und nun bis morgen warten? Und dann ist's noch ebenso schlimm – morgen wird geplättet.«

»Also,« entschied Ursel, »du gehst heute und ich stopfe die Strümpfe!«

»Aber Ursel!«

»Meinst du, ich kann's nicht? Besser als manches andere, sage ich dir. Ich hab' es von Muschbergen gelernt, die sagt immer: Ursching, ick segg' di, lihr du Strümp' stoppen, dat is beter as Engelsch un Französch parlieren!«

Sie lachten, aber Franzi blieb dabei: »Denk mal, die groben Strümpfe! Es sind nicht nur Kinderstrümpfe, sondern auch welche von den Gärtnerburschen dabei.«

»Schad't nicht; für die werd' ich's wohl erst recht gut genug machen.«

»Ursel, du Engel, du willst wirklich?«

»Gib mir mal schnell deine Stopfnadel und mach, daß du fortkommst!«

Wirklich war zehn Minuten später Franzi auf dem Wege zur Stadt und Ursula saß seitwärts vom Hause auf dem lauschig versteckten Platz und stopfte Strümpfe für die Gärtnerburschen! Das waren aber Löcher! Da kamen die ihrer kleinen Vagabunden daheim nicht dagegen auf. Sie wußte gar nicht, wie sie die klaffenden Strumpfsocken auf der Hand straff ziehen sollte. Aber da lag ja in Franzis nettem Körbchen ein riesiger Stopfpilz, Franzi wußte schon mit dergleichen umzugehen; nun ging's anders.

Ursel geriet in großen Eifer, belustigte sich über die manchmal in allen Farben spielenden Strümpfe und hatte ein großes Gefühl der Befriedigung. Manchmal sah sie auf und wunderte sich über die vielen Spaziergänger. Ihr war in dieser Stunde, als könne es wahrlich kein großes Vergnügen sein, dort auf den schattigen Wegen am Seeufer zu wandern, mehr befriedigt war sie, hier mit grober Wolle gegen die Riesenlöcher zu Felde zu ziehen.

Sie saß ziemlich verborgen und brauchte nicht zu fürchten, gesehen zu werden. Aber wenn auch! Was hätte sie sich daraus gemacht, wenn Olga und Vicky sie wieder ›komisch‹ gefunden hätten?

Sie nützte jemand! Und sie wollte das mehr und mehr lernen. Große Heldentaten zu verrichten, ach, dazu war wohl selten Gelegenheit in solchem kleinen Mädchenleben. Aber auf das Kleine konnte sie achten, auch im Hause. Sicher konnte sie da viel mehr kleine Gefälligkeiten und Dienste erweisen, ohne daß man es ihr erst sagte, ihr nahelegte.

Es kam ihr wirklich so vor, als traute Mama ihr schon etwas mehr zu, und – Papa hatte sich entschieden ein paarmal gefreut über kleine Aufmerksamkeiten, wie sie sonst nur Inge für ihn hatte.

So grübelte Ursel, und stopfte und grübelte, bis ihre Wangen glühten. Da fühlte sie sich von hinten umschlungen und Franzis Stimme jubelte ihr zu: »Fünfzehn Mark, Ursel, fünfzehn Mark! Ein ganzes Vierteljahr Klavierstunden – und der Klapperkasten kann obendrein gestimmt werden! – Und wen traf ich dort? Die Hofmarschallin selbst. Ist das eine entzückende Frau! Gleich bestellte sie noch eine ebensolche Decke – fragte mich allerlei – hatte gehört, daß wir auch Weißnäherei machen – sagte, daß sie bei der Aussteuer ihrer verlobten Tochter an uns denken wolle!«

Erschöpft von Hitze und glücklicher Erregung sank sie neben Ursel auf die Bank; da geriet sie auf ein weiches Polster von fertig gestopften Strümpfen, und des Freuens und der Dankbarkeit war kein Ende.

Dann ging's mit der großen Nachricht zur Mutter, und der wurde keine Ruhe gelassen, sie mußte gleich ihre Filetnadel und das Garn hervorholen und unter den Augen der Mädchen das feine Gitter zu der neuen Decke beginnen.

»Du kannst's unbesorgt, Mutter,« rief Franzi, »denn unsere Strümpfe haben inzwischen die Heinzelmännchen gestopft!«


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