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31. Kapitel.
Das Hausgeistchen

Während für alle Glieder des jugendlichen Kreises, der sich in glücklicher Zeit in Wendenburg zusammengefunden hatte, das Leben sich noch stetig veränderte, jedem einzelnen neue bedeutsame Aufgaben brachte, schien es für Ursula immer in den gleichen Bahnen sich zu bewegen.

Sie war eine Haustochter. Nichts weiter!

Aber sie war es im schönsten Sinne des Worts. Das Elternhaus war ihre Welt, der sie sich mit aller Liebe, allen Kräften widmete. Durch Inges Heirat war ja ein Platz im Hause leer geworden; deren Pflichten fielen Ursel von selber zu, aber sie erfand sich selbst noch tausenderlei dazu!

Wenn ihre Freundinnen sie fragten: »Woher nimmst du nur die Zeit zu allem, was du leistest?« wußte sie ihnen nicht recht zu antworten; aber der Grund war, daß sie nicht jeden Tag mehrere Stunden auf Besuche und allerlei überflüssige Gänge verwandte, wie die anderen es so gern taten. Gewiß machte sie auch Spaziergänge, lief auch Schlittschuh und besuchte Bekannte; aber es war nicht ein beständiges Hin und Her, jetzt eine Plauderminute, nun wieder eine kleine Besorgung, dann noch etwas Vergessenes nachzuholen. Ursel hatte etwas Stetiges in ihrem Wesen und das machte sie allen im Hause zur lieben, unentbehrlichen Vertrauensperson.

Elfi und ihre zahlreichen Freundinnen schwärmten für sie, die kleinen Brüder plagten sie tüchtig, konnten aber gar nicht ohne sie fertig werden; Mama besprach jegliches mit ihr in einer beratenden Weise, und Papa konnte man unzähligemal am Tage rufen hören: »Wo ist Ursel?« Und dann war sie immer gleich da! Wie ein richtiges Hausgeistchen wußte sie jeden Augenblick, wann man sie brauchte.

Der Landgerichtsrat, der immer auf seine schöne Älteste so stolz gewesen war, sagte jetzt mitunter zu seiner Frau: »Ich glaub', unser bestes Kind haben wir doch behalten!« Und Mama dachte dann wohl nach Mutterart: »Ja, werden wir es denn behalten?«

Es schien so. Niemand schien es ihnen nehmen zu wollen und auch Ursels Sinnen gehörte noch ungeteilt den Ihren. Wenn ihre Freundinnen von Bällen und Festen sprachen, bei denen sie sich »himmlisch« und »königlich« vergnügten, konnte Ursel nicht mittun.

Natürlich besuchte sie auch mit ihren Eltern Gesellschaften und hin und wieder einen Ball. Sie »saß« dann auch nicht, sondern war mitten dazwischen, denn sie tanzte leicht und anmutig und galt für ein »liebes Mädchen«. Aber sie hatte in Gesellschaft etwas Stilles, Zurückhaltendes, daß man nicht leicht mit ihr in Zug kam. Jedermann war »nett« zu ihr, und das war ihr genug, nach Auszeichnung und Bewunderung sehnte sie sich nicht.

Zu Hause war's doch allemal am schönsten! Wie konnte es Mädchen geben, die sich im Hause langweilten, die nicht zufrieden waren, wenn sie nicht wenigstens drei Abende in der Woche »aus« sein konnten?

Gerade die Abende waren doch so schön! Dann war der Vater so gemütlich zur Unterhaltung aufgelegt, oder er ließ sich von Ursel vorlesen, was sie besonders gern tat; dann war es heimlich im Wohnzimmer und es sprach sich so gut von den fernen Lieben! Zu Hause war Ursel nie mehr »still« zu nennen, da war sie unbefangen und beredt.

Dann hatte sie eine große Korrespondenz zu führen, die riß eigentlich nie ab. Mama war in Wahrheit nie sehr fürs Schreiben gewesen; jetzt übertrug sie allmählich alles an Ursel, wenn sie auch mit ihr besprach, was den Geschwistern mitgeteilt werden sollte. Und Papa, der in letzter Zeit etwas über seine Augen klagte, diktierte ihr sogar öfter geschäftliche Sachen.

Ja, Ursel, obwohl sie keine Talente pflegte, nicht malte, noch Klavier spielte, war immer vollauf beschäftigt. Die alte Muschbergen in ihrer Gradheit sagte einmal: »Nee, Ursching, wat hest du di eenmal rutmakt! Dor möt ick mi doch alle Dag' äwer wunnern. Du wirst ümmer so still un sinnig un nich recht tau bruken, äwer nu hest du di hellschen rutmakt! Du kriegst ook noch 'nen Mann, paß man up, wat ick di segg! Möst bloß 'n beten täuwen. Äwer ward mi nich ook utländ'sch, as bin Swester, dat segg ick di! Wat hett'n denn dorvon!«

Über diese lange Rede lachte Ursula herzlich und versicherte Musching, daß sie noch gar keine Lust zum »Frigen« hätte und vor allen Dingen nicht für das »Ausländsche«!

Nein, Ursel war kaum zum Reisen zu bewegen. Einmal hatte sie Inge in Göstaborg besucht und auch Freude daran gehabt; aber die Eltern brauchten nicht zu fürchten, auch diese Tochter an das fremde Land zu verlieren. Ursel lebte sich nach dieser Trennung nur umso fester zu Hause ein.

Ihre schönste Zeit des Jahres war und blieb immer die Mittsommerzeit, wenn all die geliebten Ferienkinder einrückten. Axel kam dann gewöhnlich von einer großen Seereise zurück und hatte immer Neues und Wunderbares zu erzählen. Wilhelm, jetzt wirklich Hauslehrer in Wehrburg, erschien als regelmäßiger Gast in der Schloßgärtnerei, und Franzi? Die kam wie das »Mädchen aus der Fremde«! Man wußte nie genau, wann und auf wie lange? Aber »sie brachte Blumen mit und Früchte«!

Ja, auch Früchte! Und glücklich sah Ursel ihrer ersten goldenen Ernte zu.

Seitdem Franzi mit Fräulein Elsner zusammengezogen, waren nun zwei Jahre vergangen. Ihre Ausbildung wurde als abgeschlossen angesehen und alle Erwartungen, die man in Bezug auf sie gehegt, schienen sich glänzend zu erfüllen; nun durfte sie sich mit ihrem Können in die Welt wagen! Nun sollte sie auch in der Heimat sich zum ersten Male als Künstlerin zeigen: Franzi Trautmann war zur Mitwirkung beim großen Landesmusikfest engagiert!


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