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19. Kapitel.
Ersehnten Zielen entgegen

In Heckendorf war Abschiedskneipe der glücklichen Gymnasiasten, die das Abiturientenexamen bestanden hatten. Und unter den fröhlichsten war Axel Dahland.

Als seine schriftlichen Arbeiten so gut ausgefallen waren, daß man ihn vom mündlichen Examen entband, hatte der Landgerichtsrat noch einmal gründlich die schwere Frage der Berufswahl erörtert, und Axel unter anderem gesagt: »Wenn ich Jurist werden sollte, statt zur Marine zu gehen, so wäre es für mich ebenso schlimm, wie für Wilhelm Trautmann, der einmal beinahe Gärtner werden sollte, statt Philologie zu studieren.«

»Oho,« meinte der Vater, »das ist doch noch ein Unterschied.«

»Ich weiß, wie du das meinst, Papa,« sagte Axel bescheiden, »aber – ganz unrecht hab' ich doch nicht. Trautmann ist von klein auf ein Bücherwurm und der geborene Lehrer gewesen, wie Franzi sagt, obgleich er in Feld und Wald aufwuchs, von allen ländlichen Beschäftigungen umgeben. Ich – obwohl dein Sohn, konnte mich nie für das juristische Studium begeistern. Ich kann nicht mein Leben lang in Akten wühlen und Gerichtssitzungen halten, Papa; ich muß mich rühren, ich muß mir die Welt ansehen, ich muß hinaus aus der Enge der Heimat in fremde Länder. In mir steckt vielleicht noch etwas Wikingerblut!«

»Fast scheint es so,« sagte Papa und sah lächelnd auf seinen blonden stattlichen Sohn, dem die Begeisterung aus den Augen strahlte, »Furcht hast du nicht! Und mich – das kann ich nicht leugnen – freut jede Entschiedenheit! Ich bin froh, daß du nicht zu den jungen Leuten gehörst, wie's heute so viele gibt, die mit zwanzig Jahren noch nicht wissen, was sie wollen. So laß dir denn sagen, Axel: Mama und ich sind darüber einig geworden, daß wir dir nichts mehr in den Weg legen wollen. Erkundigungen habe ich auch schon genugsam einge –«

Weiter kam der Rat nicht, denn sein großer Sohn, sein junger Wiking, umarmte ihn stürmisch.

Und er umarmte heute alles! Mama, die gute, zärtliche, mußte immer wieder bedankt und getröstet werden; die Kleinen zappelten mehr in der Luft, als daß sie den Erdboden berührten, und Muschbergen mußte wieder einen Angriff auf ihren Hut erleiden, als sie wie gerufen daherkam, um einmal rundum gedreht zu werden.

Ursel aber schüttete Axel sein Herz aus, und sie strahlte mit ihm. »Du und Franzi, ihr seid nun glücklich,« meinte sie, »ihr erreicht, was ihr euch so glühend gewünscht habt, und niemand gönnt es euch mehr als ich. Nur kommt es mir vor, als kämet ihr mir jetzt plötzlich weit, weit voraus, und ich bliebe allein als Kind zurück.«

»Ach, Ursche, eines muß doch auch zu Hause bleiben und – sich nach uns sehnen!« schloß er schlau, um sein eigenes Gerührtsein zu verbergen.

»Ach, das Sehnen, das wird Mama schon besorgen, auch Frau Trautmann; ich werde genug zu trösten haben.«

»Na also, dann bleibst du zum Trost, auch eine schöne Aufgabe! Und nun – mach mir das Herz nicht schwer – laß mich die Stunde genießen!

Die letzte Prüfungsnacht ist nun vorbei –
Welt, ich umarme dich, nun bin ich frei!«

zitierte er aus dem »Liederbuch eines alten Herrn«, das zum Jubiläum des Gymnasiums kürzlich herausgekommen, und aus dem die humorvollsten Perlen jubelnd von den heutigen Primanern in ihr Repertoir aufgenommen waren.

»Mensch, bei der Abschiedskneip' nimm dich in acht,
Kühl ist das Wasser und dunkel die Nacht,
Ferne liegt Heckendorf, weit ist der Weg,
Meide das Ufer und scheue den Steg!«

sang Axel und machte sich auf. Da lief ihm noch Franzi in den Weg. Sie hatte schon von allem gehört und wollte gratulieren.

»Also auf den künftigen Admiral!« rief sie schelmisch, und »auf die große Künstlerin!« erwiderte er ebenso und wagte zum ersten Male einen Handkuß!

Und nun war auch dieser große Entscheidungstag vorbei, näher und näher rückte die Trennung, und jede Stunde schien noch besonderen Inhalts voll.

Das war ein Korrespondieren, ein Besorgen, Packen und Abschiednehmen! Für Franzi war in Berlin durch Fräulein Elsners Hilfe eine gute Pension ausfindig gemacht und auch Komtesse Leontine Wehrburg war von ihrem Kommen benachrichtigt.

Diese hatte einen so erfreuten Brief geschrieben in der Aussicht auf das Wiedersehen mit der Jugendfreundin, daß Ursula beinahe schon wieder eifersüchtig wurde. Aber Franzi sagte bloß: »Und was wäre Treue und Dankbarkeit? Ein leerer Schall, wenn ich mich nicht auf Leontine freute! Und wie viel Zeit werd' ich denn auch haben, um Besuche zu machen! Fräulein Elsner schreibt, daß das Konservatorium eigentlich den ganzen Menschen beansprucht. Aber wenn ich mal einen Abend bei Leontine sein und mit ihr von Wehrburg sprechen kann, vermagst du das dir nicht als Freude für mich zu denken?«

»Ja, ja,« rief Ursel schon völlig beschämt, »geh nur recht oft hin – und schreib mir immer davon! Zum Schreiben wirst du doch Zeit haben?«

»O gewiß, den ganzen Tag kann man doch nicht Klavier spielen! Und da ich nun gar nichts im Hause zu tun habe, vielmehr mich wie eine Prinzessin bedienen lassen muß, da auch an meiner Kleidung fürs erste nichts zu nähen und zu flicken ist – ach, Ursel, wie ist das doch hübsch mit all den neuen Sachen, und wie engelsgut von deiner Mama, uns beide völlig gleich einzukleiden! Wie werd' ich mir vorkommen! Als ich neulich alles anpaßte, dacht' ich immer: Ist das Franzi Trautmann? Was werden die kleinen Hündchen sagen? wie es bei Andersen in einer Geschichte heißt.«

»Nun, die Berliner Hündchen sind wohl an andere Pracht gewöhnt,« meinte Ursel lachend, »aber sag mal – ist dir gar nicht bange vor dem großen Berlin?«

»Ja und nein! Ich kenne es ja nicht – ich weiß nicht, was ich zu fürchten hab'. Vor der Musik fürcht' ich mich mehr!«

»Aber Franzi, die kennst du doch?«

»Darum eben. Ich hab' jetzt eine Ahnung, was sie bedeutet, was dazu gehört. Herr Fritze hat mich noch gründlich eingeweiht in letzter Zeit, daß mir manchmal Hören und Sehen verging. Wenn ich nun in Berlin nicht mitkommen kann? Wenn ich als nicht talentvoll genug entlassen werde?«

»O Franzi, das wirst du uns doch nicht antun!«

»Nein, du Engel, eigentlich darf ich das nicht!« Und die Freundinnen umarmten sich und lachten, aber die Tränen saßen gefährlich lose dabei.

Endlich war's so weit. Am 3. Oktober reiste Franzi, am 5. Axel. Ursel blieb allein zurück, das Herz voll Betrübnis, aber auch voll guter, ernster Vorsätze.

Elfchen kam zur Schule, die kleinen Jungen in den Kindergarten – ja wirklich, das allgemeine große Streben erstreckte sich bis in die Kinderstube, schien alle aus dem Hause treiben zu wollen.


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