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33. Kapitel.
Auf dem See

Das Musikfest war zu Ende. Alles verrauscht und verklungen. Von dem geschmückten Bahnhof, dessen Girlanden allmählich welk geworden waren, entführte Zug auf Zug die fremden Gäste, aber sie nahmen einen Schatz von schönen Eindrücken und unvergeßlichen Erinnerungen mit.

Franzi blieb noch in Wendenburg, denn das Pfingstfest war vor der Tür, da hatte sie Zeit. Auch Wilhelm hatte seine Rektorschule geschlossen und blieb noch, denn in den Tagen nach Pfingsten sollte in Wendenburg eine Versammlung von Philologen stattfinden; er hatte wieder einen Vortrag zu halten und das war seiner Mutter insgeheim fast ebenso wichtig wie Franzis Mitwirkung beim Musikfest.

Frau Trautmann kam sich augenblicklich wie eine beneidenswerte Mutter vor, und als Frau Rätin Dahland am Tage nach dem Fest einen Besuch in der Gärtnerei machte, meinte sie: »Wie hätte ich je gedacht, daß es mir noch einmal wieder so gut gehen würde! Manchmal denke ich, es ist zu viel!«

»Sie haben so viel Schweres hinter sich, liebe Frau Trautmann,« sagte die Rätin herzlich. »Hoffentlich ist das nun alles, was das Schicksal Ihnen an Leid zugedacht hatte. Jetzt freuen Sie sich ungestört an dem Glück, das Ihnen durch Ihre prächtigen Kinder wird, ohne Sorge, es könnte zu viel des Guten sein!«

Diese Kinder waren eben aus dem Hause getreten, und die Dahlandschen Geschwister kamen dazu.

»Wir gehen aufs Wasser,« rief Franzi munter. »Kann man anders, wenn man einen künftigen Admiral als Beschützer neben sich hat?«

»Geht nur,« sagte Mama. »Vor diesen heimischen Gewässern fürchte ich mich nicht.«

Sie nahmen ein Boot an der Halbinsel und fuhren hinaus. Noch blühten die roten Kastanien auf dem Festplatz, aber Fahnen- und Girlandenschmuck wurde abgenommen, im Saal klang statt der wogenden Musik das Klopfen, Schieben und Stoßen der Arbeiter, die den ganzen Festzauber verschwinden ließen. Vom See aus sah der Platz schon wieder leer und still aus, wie gewöhnlich.

»Ist's nicht wie ein Spuk?« sagte Franzi. »Kann man glauben, daß dort noch gestern Menschen aus allen Teilen des Landes sich drängten, daß in dem Saal die größten musikalischen Geister zu Wort gekommen sind und –«

»Und daß unter den Künstlern eine gewisse liebe Schwarzbraune war, die heute wieder wie eine gewöhnliche Sterbliche unter uns sitzt?« sagte Ursel.

»Du nimmst mir das Wort vom Munde weg,« sagte Axel, der sich ärgerte, daß er es immer noch nicht fertig gebracht hatte, Franzi etwas recht Schönes zu sagen; aber Franzi unterbrach schalkhaft: »So vorlaut war Ursel doch sonst nicht!«

»Sonst!« wiederholte Axel gedankenvoll, und einen Augenblick ruderten sie schweigend.

Aber lange litt Franzi das nicht. Jeder sollte erzählen, erzählen! Wilhelm von seiner Schule, seinen Aussichten für die Zukunft. »Ich denke mir dein künftiges Heim sehr idyllisch, ganz dem Großstadtleben entgegengesetzt. Dann komm' ich im Sommer immer zu dir,« verhieß Franzi, »und lasse mich pflegen, hole dir alle Eier aus dem Stall; denn darauf sind wir Sängerinnen sehr erpicht.«

»Wenn er nun keine Hühner hat?« meinte Ursel bedenklich.

»Natürlich hat er die! Ich denke mir Wilhelm immer in irgend einem kleinen Landstädtchen.«

»Das ist doch noch nicht ausgemacht! Solche Lehrer und Redner« – Ursel wurde dabei rot, sprach aber tapfer weiter – »werden doch auch vielleicht hier am Ort gewünscht.«

Wilhelm sah sie freundlich an, und Franzi rief: »Bist du so ein Redner, Wilhelm? Ich hab' dich ja noch nicht wieder gehört, seit der Kindheit nicht, wo du uns allerdings manchen erbaulichen Vortrag hieltest. Weißt du noch die sogenannte Baumkanzel im Wehrburger Park?«

»Nach Pfingsten kannst du ihn in der Aula des Gymnasiums hören,« sagte Ursel eifrig, »wir freuen uns alle schon.«

Nun sollte Axel das Wort haben. Sie fanden ihn alle zu schweigsam! Sie wollten von seiner weiten Reise hören, von den fremden Ländern, von seiner Beförderung, von Vorgesetzten und Kameraden, und er war froh, wenn sie es ihm durch Fragen leicht machten.

»Ich bin so von Heimatszauber umfangen,« sagte er, »daß mich augenblicklich die ganze weite Welt nichts angeht.«

»O –« sagte Franzi, »aber Sie lieben doch Ihren Beruf noch?«

»Sehr! Verstehen Sie mich nicht falsch! Ich möchte noch heute nichts anderes sein. Nur – ist mir gerade jetzt alles andere interessanter als meine eigenen Erlebnisse. Denken Sie sich mal aus, Franzi, wie abgetrennt unsereins so halbe Jahre lang ist! Wenn wir auch alle vier an verschiedenen Orten leben, so fremd kann doch keiner von euch den anderen inzwischen werden, wie ein Seemann dies manchmal empfindet.«

»Das ist wohl wahr,« sagte Franzi nachdenklich, »aber sind wir uns denn fremd? Ich fühle nichts davon.«

»Das ist sehr lieb von Ihnen, und ich muß nochmals bitten: Mißverstehen Sie mich nicht. Ich denke unwillkürlich, all das, was Sie inzwischen geworden sind, all die Interessen, in denen Sie leben, sind mir fremd; ich muß ein Barbar sein für eine Künstlerin!«

»Ach Unsinn!« rief Franzi hellauf lachend, »dann müssen wir ja dasselbe empfinden. Um Ihren Beruf zu verstehen, so wie auch den Wilhelms, dazu gehört für uns Mädchen viel mehr Anstrengung. Mir werden Sie schon folgen können, wenn wir erst ein paar Tage wieder zusammen sind.«

»Alle sprecht ihr von eurem Beruf,« meinte Ursel kleinlaut, »was soll ich denn sagen?«

»Du Engel,« sagte Franzi stürmisch, »was willst du noch? Du hast den Beruf der allgemeinen Unentbehrlichkeit! Ist das keiner?«

Ursel sah gerührt aus, und Wilhelm meinte: »Das hast du gut gesagt, Franzi!«

»Wie immer,« erwiderte sie übermütig lachend, und dann wollte Axel wieder wissen: »Aber Sie, Franzi, Sie sind doch auch wirklich befriedigt? Sie lieben Ihren Beruf?«

»Über alles!« sagte Franzi mit feierlicher Miene, und diese Antwort schien beinahe etwas Überwältigendes für den Frager zu haben, denn er schwieg darauf, bis Franzi lebhaft fortfuhr: »Ich höre keinen Tag auf, zu staunen und Gott zu danken für die Wendung, die mein Leben genommen hat, und du, Ursel, kannst dich auch bis ans Ende deines Lebens freuen über deine Tat! Die Fürstin war gestern himmlisch gut, ich habe ihr einmal fast mein Herz ausgeschüttet, als spräche ich gar nicht mit einem gekrönten Haupt! Und sie schien sich darüber zu freuen –«

»Das kann ich mir denken!«

»Und wünschte mir alles Gute. ›Erfolge!‹ heißt es dann immer, und es ist ja wahr, wir Künstler sind auf Erfolge angewiesen. Wenn sich niemand um uns kümmert, niemand uns mag – dann steht es schlimm mit unserer Kunst!«

»Ja, weil es kein eigenes Schaffen ist,« meinte Wilhelm sinnend, »weil ihr die Kunstwerke, die schon ewige Gültigkeit haben, nur für den Augenblick belebt.«

»Das ist's gerade,« rief Franzi, »und es ist das einzig Schmerzliche bei unserer Kunst: sie ist vergänglich. Wenn das Alter kommt – ach, schon eine ernste Krankheit – vorbei ist es mit uns Sängern!«

»Ach, Franzi!«

»Ja, Ursel, das hat etwas Trauriges, aber auch zugleich etwas Warnendes vor jeder Hoffart. In Demut mit unserem schönen Pfund wuchern, solange es uns verliehen ist, das sollen wir! – Aber,« fuhr sie sich wieder zum Frohmut aufraffend fort, »wenn einst die Kehl' ist ausgesungen – und wenn das letzte Lied verklungen, dann bau' ich mir ein Haus zum Altenteil in Heckendorf! Seht, da taucht er auf, der liebliche Strand!«

»Und da Rohrwerder, unsere Zauberinsel,« sagte Ursel.

»O du schöne Rosenzeit!« jauchzte Franzi.

»Und dort schimmert der Giebel von Herrnhausen – die Bank können wir leider nicht sehen. Aber es ist ein Abend wie damals. Seht, wie das Schloß sich wieder von dem goldhellen Hintergrund abhebt!«

Die Brüder zogen die Ruder ein und ließen das Boot treiben. Alle schwiegen. Immer röter wurde der Abendhimmel, immer ruhiger ward das Wasser, die dunklen Laubmassen der Wälder schienen fast die Flut zu berühren. Da hob Franzi an zu singen:

»Mitten im Schimmer der spiegelnden Wellen
Gleitet wie Schwäne der wankende Kahn,
Ach, auf der Freude sanft schimmernden Wellen
Gleitet die Seele dahin wie ein Schwan.
Denn von dem Himmel herab auf die Wellen
Tanzet das Abendrot rund um den Kahn.

Über den Wipfeln des westlichen Haines
Winket uns freundlich der rötliche Schein,
Unter den Zweigen des östlichen Haines
Säuselt der Kalmus im rötlichen Schein.
Freude des Himmels und Ruhe des Haines
Atmet die Seel' im errötenden Schein.

Ach, es entschwindet auf tauigem Flügel
Mir auf den wiegenden Wellen die Zeit,
Morgen entschwindet mit schimmerndem Flügel
Wieder wie gestern und heute die Zeit.
Bis ich auf höherem strahlenden Flügel
Selber entschwinde der wechselnden Zeit!«

Feierlich und schön klang es über den See, hochaufgerichtet, mit großen Augen saß Franzi da, und die jungen Bootsgenossen dachten vielleicht alle: »Ach, entschwinde du uns nur nicht!«

Später, wie Axel und Ursula durch den dämmernden Schloßgarten nach Hause gingen, wie früher so oft, sagte Axel ernsthaft: »Mir allein hast du vielleicht keinen Dienst getan, Ursche, mit deinem Gang zur Fürstin damals!«

»Axel!« rief Ursel schmerzlich, in halber Ahnung, aber er fuhr fort: »Ja, ja, die Jugendfreundin läßt uns alle weiter hinter sich zurück. Wir können sie nicht halten.«

Zu Ende der Pfingstwoche erhielt Franzi eines Tages einen schönen Strauß zugeschickt. »Ei,« dachte sie lächelnd, »noch eine Musikfesterinnerung? Noch nicht vergessen von den lieben Wendenburgern?« Aber wie sie sich nach einem Begleitbrief umsah, erkannte sie Axels Schrift und las:

»Geschmückt, umjubelt, glanzumflossen,
Stand'st du als Künstlerin im Saal,
Hast alle Herzen dir erschlossen
Mit deiner Stimme goldnem Strahl.

Nun ziehst du wieder in die Weiten,
Die kleine Heimat bleibt zurück,
Nur freundlich im Vorüberschreiten
Traf uns dein lieber warmer Blick.

Auch ich, ich schweif' auf fernen Meeren,
Verlaß des Vaterlandes Port;
Was es mir könnt' zum Heim verklären,
Das – nimmst du singend mit dir fort!«

Franzis Augen wurden feucht, sie sagte leise: »Mein Freund, wenn ich dir weh tu' – ich kann's nicht ändern. Ich muß singen! So wie du zur See mußtest, muß ich singen. Das Meer der Töne ist auch eine Flut, auf die wir immer wieder hinaus müssen! Aber wir kehren auch wieder an den heimischen Strand mit alter Treue!«


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