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16. Kapitel.
Wilhelm

Im zweiten Giebelstübchen der Schloßgärtnerei, seiner Schwester gegenüber, hauste nun also Wilhelm, der junge Student.

An das kleine Fenster war ein alter, etwas wackeliger, aber großer und frischgescheuerter Tisch gestellt, und an diesem saß Wilhelm und studierte und schrieb.

Prächtig war die Aussicht von diesem bescheidenen Raum aus, über See und Wiese hinweg, bis zu dem stolzen Fürstenschloß. Immer wieder schweiften die Augen des Studenten zu dem köstlichen Bauwerk hin, während er das Gelesene sinnend in sich erwog.

Er hatte sich gestern aus der Bibliothek ein großes Werk über die Geschichte des Landes geholt, in dem er jetzt zum ersten Male heimisch wurde, und vertiefte sich gerade in die Entstehung und die ferneren Schicksale des wundervollen Schlosses.

Wilhelm war eine sehr gründliche Natur. Nicht so schnell erfassend, so hell begeistert wie Franzi, aber ebenso wie sie von einer großen Wahrhaftigkeit der Empfindung und dann treu bis zur Zähigkeit.

Jetzt hatte die alte Stadt Wendenburg mit ihrer herrlichen Lage zwischen Wäldern und Seen es ihm angetan; nun ruhte er nicht, bis er sich genau über ihre Geschichte, ihre Grund- und Bodenverhältnisse und die Lebensbedingungen ihrer Bewohner unterrichtet hatte. Da genügte ihm nicht das große Buch, da mußte auch Herr Bauer heran und seiner Wißbegierde zu Hilfe kommen.

Und dieser wußte auch nicht übel Bescheid, und manche angeregten Gespräche hatten sich schon zwischen den beiden entsponnen.

Heute nachmittag studierte Wilhelm den Dom, als es klopfte und Axel Dahland bei ihm eintrat.

»Herzlich willkommen,« rief er froh, »das ist nett von Ihnen, daß Sie mich so bald aufsuchen. Darf ich Ihnen diesen ehrwürdigen Lehnstuhl anbieten? Über ein Sofa verfüge ich leider nicht.«

Sie machten es sich gemütlich, so gut es ging, und dann fragte Axel: »Sie studieren schon wieder? Hören Sie mal, Sie müssen doch auch mal faulenzen!«

»O dies ist auch nur Liebhaberei, kein Fachstudium. Landesgeschichte.«

»Aha, dies Werk kenne ich auch zum Teil – aber sonst bin ich ja weniger für das ›Land‹ als für das ›Wasser‹.«

»Ja, ich habe schon davon gehört, daß Sie zur Marine gehen wollen.«

»Wollen! Ach, so weit sind wir noch nicht; meine Eltern sind noch nicht einverstanden. Aber woher wissen Sie –?«

»Meine Schwester sagte es.«

»So! Die kluge Franzi merkt alles! Ich habe doch gar nicht direkt mit ihr darüber gesprochen?«

»Ja, Sie haben recht; meine Schwester merkt schnell manches den Menschen ab. Sie sagte einfach: Axel Dahland muß zur See! Für den ist das Wasser geradeso ein Lebenselement, wie für mich die Musik.«

»Da hat sie recht,« rief Axel strahlend, »und Sie, Trautmann, was ist Ihr eigentliches Element?«

»Deutschtum! Deutsche Geschichte, deutsche Sprache und deutsche Kunst.«

»Alle Achtung!«

»Natürlich muß ich als Philologe auch fremden Sprachen mich besonders widmen, aber mit dem Herzen wurzle ich ganz in dem, was ›Vaterland‹ heißt.«

»Also ›Germanist‹ im schönsten Sinne des Worts.«

»Wenn Sie es so nennen wollen –«

»Natürlich, jedes Ding muß einen Namen haben,« meinte Axel munter. »Aber nun sagen Sie mir doch – sind Sie auch ebenso ehrlich begeistert für das, was Sie als Philologe später leisten müssen?«

»Ja, ganz ehrlich!«

»Ist's möglich! Denken Sie sich das nett, eine Horde von bösen Buben in allen ›sieben freien Künsten‹ zu unterrichten?«

»Mehr als nett, lieber Dahland,« sagte Wilhelm lächelnd, »ich wünsche mir nichts anderes.«

»Na, gut, daß der Geschmack verschieden ist! Wenn's von mir abhinge, würde das junge Deutschland in der nächsten Generation sehr ungelehrt ausfallen! Potz Blitz! Ich weiß noch zu gut, was wir die Lehrer geplagt haben, ehe wir allmählich zur Vernunft kamen. Selbst in Prima ist es nicht ohne! – Sie lachen? Hören Sie, Trautmann, ich will nicht hoffen, daß Sie immer ein Musterknabe waren?«

Wilhelm lächelte etwas ernst und sagte dann: »Wenn Sie den ›Duckmäuser‹ damit meinen, nein, das war und bin ich wohl nicht, aber – ernst habe ich die Schule immer nehmen müssen; das können Sie mir glauben, lieber Axel.«

»O ich weiß, ich glaube es gern,« fiel dieser schnell ein, und sein hübsches, offenes Gesicht rötete sich leicht, »ich habe durch meine Schwester manches gehört aus Ihrer Familie, Ihrem Leben. Wahrhaftig, Sie haben's alle nicht leicht! Und sind so tapfer!«

»Dem Mutigen hilft Gott,« sagte Wilhelm freudig, »davon haben wir immer neue Beweise.«

Axel nickte und kam dann noch einmal auf Wilhelms Studien und Pläne zurück, und Wilhelm äußerte sich lebhaft über seine Neigungen und Interessen.

»Mit dem Lehren allein ist's ja nicht getan,« erwiderte Wilhelm, »der ganze Verkehr mit der Jugend zieht mich an, all der Einfluß, den man üben, all das schöne Werden und Wachsen, das man beobachten kann! Ich hatte einen solchen prächtigen alten Lehrer, ehe ich aufs Gymnasium kam. Der Lehrer in Wehrburg, der mich mit seinen jüngeren Söhnen unterrichtete, während die ältesten auf der Universität waren, der verstand's! Der hatte Weisheit und Humor, und das, glauben Sie mir, gibt eine gute Methode!«

Immer interessierter hörte Axel zu; Wilhelm Trautmann, dessen ernstes, stilles Gesicht und angenehmes Wesen ihm wohl gleich anfangs gefallen, wurde ihm doch jetzt ein ganz anderer! Die unscheinbaren Züge belebten sich, die tiefliegenden Augen bekamen hellen Glanz und der Mund, den schon ein dunkelblonder Bartflaum schmückte, lächelte so froh, wie die Erinnerungen an die Schulzeit im alten Schulhause droben in Wehrburg lebendig aufstiegen.

»Was haben wir geschwärmt und gewütet, für und wider unsere Helden, die unser Alter uns so leibhaftig vorführte! Was haben wir geleistet an eigenen Darstellungen, von Homer bis auf Schiller, bei denen wieder unser alter Lehrer das Hauptpublikum bildete und uns durch echte Tränen auszeichnete, die er ebensowohl vor Rührung als vor Lachen vergießen konnte.«

»Es ist ein Jammer,« rief jetzt Axel aufspringend, »daß die Mädchen derlei nicht hören können! Meine Schwester Ursel wäre Feuer und Flamme – – Sie lächeln? Glauben Sie, daß sie das nicht sein kann? Oho, stille Wasser sind tief, und bei Ursel fängt mit ›Schiller‹ die Begeisterung an.«

»Ich glaub's gern.«

»Nein, das können Sie sich doch nicht so denken! – Früher hab' ich mich fast krank gelacht, wenn ich sie manchmal in heimlichen Ecken deklamieren hörte, aber jetzt – na, man kommt ja allmählich zu Verstand und nimmt dann auch diese Backfische etwas ernster –«

»Wollt's Ihnen raten, Dahland,« drohte Wilhelm scherzhaft.

»Na ja, Ihre Schwester Franzi ist überhaupt schon eine junge Dame! Ich dachte dabei mehr an Ursel. Das kleine, scheue Ding kam mir so possierlich vor, wenn sie deklamierte:

Eilende Wolken, Segler der Lüfte!
Wer mit euch wanderte, wer mit euch schiffte!

Sie können sich das Pathos gar nicht vorstellen: als wäre sie selbst eine gefangene Königin!«

»Aber Sie sollten sie nicht necken, Axel. Solche Mädchen, wie Ihre Schwester, haben oft sehr zarte Seelen, die wirklich in einer Art von Gefangenschaft leben, weil sie zu scheu sind, sich zu äußern, und daher leicht verkannt werden.«

Axel sah den ernsthaften jungen Freund erstaunt an. »Da können Sie wohl recht haben,« sagte er dann, »ich habe dem kleinen Ding oft unrecht getan, es geradezu gequält; aber jetzt ist das alles anders, glauben Sie mir's! Und daran ist viel Ihre Schwester Franzi schuld! Ja, ja, ganz gewiß! Dies frische, offene Mädel hat solchen Einfluß auf unsere kleine Stille geübt, daß sie gar nicht wieder zu kennen ist.«

»So tun sie sich also gegenseitig ein Gutes; denn auch meine Schwester ist hochbeglückt durch diese Freundschaft und hat alle Ursache dazu.«

»Um nun noch einmal auf die Literatur zu kommen,« fing Axel jetzt wieder an, »so war es Ursels sehnlicher Wunsch, bei mir Verständnis für ihre Neigungen zu finden, und ich war so grob, ihr darin jedes Entgegenkommen abzuschlagen.«

»O, aber warum, Sie Barbar?«

»Ja, wirklich, Barbar! Wenigstens äußerlich. Ich unterschätze Schiller keineswegs, aber Goethe geht mir doch darüber.«

»Also so weit sind Sie schon. Die Periode der ›Räuber‹ überwunden?«

»Ach, überwinden will ich sie gar nicht! Wissen Sie, da steckt doch was drin, was einem immer noch durch Mark und Bein geht. Sie sollten das Stück mal hier in unserem Hoftheater aufgeführt sehen!«

»Das glaub' ich wohl, daß das ein Genuß ist. Ich komme leider fast nie ins Theater. Nun, Goethe kann man lesen und hat genug!«

»Wilhelm – Wilhelm!« tönte jetzt unter dem Giebelfenster Franzis helle Stimme, »wo steckst du denn den ganzen Nachmittag? Du studierst dich ja wohl stumm und dumm?«

»Im Gegenteil,« entgegnete Wilhelm heiter, »ich studiere gar nicht; ich habe Besuch, und mit dem zusammen wird man nicht stumm und dumm!«

Jetzt tauchte auch Axels blonder Kopf hinter Wilhelm an dem kleinen Fenster auf, und fröhliche Begrüßungsworte flogen hin und her.

Ursel war auch da. Die Mädchen hatten große Schürzen um und waren eifrig beim »Pflücken« beschäftigt gewesen; nun sollten sie Erbsen ausschoten und Johannisbeeren abstreifen, da suchten sie sich Gesellschaft zu dieser »seßhaften Tätigkeit«, wie Franzi sagte.

Die beiden jungen Leute stiegen dann auch in den Garten hinab, und in einer lauschigen stillen Ecke, unter einem großen alten Nußbaum setzten sie sich um den grünen Gartentisch.

»Wenn du wüßtest, Ursel,« fing Axel darauf pfiffig an, »was wir eben alles geredet haben! Du wärst paff vor Begeisterung!«

»Was kann das sein?« meinte Franzi neugierig, während Ursel mit großen Augen fragend aufblickte, bis Wilhelm einfiel: »Sie interessieren sich so sehr für Literatur, Fräulein Ursula, nicht wahr?«

»O – wer sagt das?« stotterte sie errötend.

»Ich!« rief Axel lachend und kniff sie brüderlich ins Ohr.

»Aber Axel! Wie kommst du darauf, so was zu erzählen!«

»Sehen Sie, Trautmann,« triumphierte Axel, »jetzt möchte sie's leugnen vor Verlegenheit!«

»Aber Axel, Sie sind grausam,« entrüstete sich Franzi, »natürlich mag Ursel nicht damit geneckt werden, wenn sie für Schiller oder Goethe schwärmt.«

»Ich habe auch gar nicht die Absicht, sie zu necken.«

»Na, das ist Ihr Glück!« drohte sie, »wirklich Wilhelm, du glaubst nicht, was Ursel alles auswendig weiß!«

»Ach Franzi, nicht, laß doch!« wehrte Ursel purpurrot.

Aber Franzi kehrte sich nicht daran und fuhr fort: »Sie hat mich auch schon angesteckt damit; ich habe ja nicht Zeit zum Auswendiglernen, aber wir lesen jetzt ›Iphigenie‹. Fein, nicht, Urselchen?«

»Das könnten wir ja mal mit verteilten Rollen machen,« schlug Wilhelm vor und fand Anklang.

Für heute ging es freilich nicht mehr, weil die Mädchen zu tun hatten, aber am nächsten freien Nachmittag sollte es stattfinden.

»Aber heute könnten wir etwas deklamieren!« rief Franzi. »Wilhelm, du kannst es so schön, und ich hörte es lange nicht.«

Wilhelm trat vor und begann zu deklamieren.

»Ja, ja,« rief auch Axel, »eine improvisierte Vorstellung! Dort der Platz zwischen den Taxusbüschen sei die Bühne! Die verschnittenen Hecken bilden die schönsten Kulissen!«

»Genau wie in Weimar,« sagte Wilhelm, »ein grünes Naturtheater wie im Park zu Belvedere!«

»O, erzählen Sie,« rief Ursel lebhaft, »waren Sie in Weimar?«

»Ach nein, ich kenne sie ja nur aus Büchern und Bildern, jene schöne Welt.«

»Aber Sie werden sie noch kennen lernen,« sagte Ursel mit zuversichtlichem Kopfnicken, und dann wie von selbst, ohne bewußtes Wollen, sprach sie die Goetheschen Worte:

»Wohl ist sie schön, die Welt,
In ihrer Weite bewegt sich so viel Gutes hin und her –«

Da klatschte Franzi in die Hände und Ursel erschrak nachträglich über ihre Kühnheit.

Aber der Anfang zu den eben geplanten literarischen Vorführungen war damit gemacht; nun wurde nicht nachgelassen – jeder sollte etwas Schönes sagen.

»Ich weiß aber nichts, so aus der Pistole geschossen,« wehrte sich Axel, »ich muß wenigstens erst maikäfern, soll heißen: mich vorbereiten!« und er setzte sich gedankenvoll neben die beiden Freundinnen.

Wilhelm aber trat rasch entschlossen vor die grüne Wand, verbeugte sich vor seinen Zuhörerinnen und begann, hauptsächlich seine Schwester ansehend, das Goethesche Gedicht:

» An Lottchen.

Mitten im Getümmel mancher Freuden,
Mancher Sorgen, mancher Herzensnot,
Denk' ich dein, o Lottchen, denken dein die Beiden,
Wie beim stillen Abendrot
Du die Hand uns freundlich reichtest,
Da du uns auf reich bebauter Flur,
In dem Schoße herrlicher Natur
Manche leicht verhüllte Spur
Einer lieben Seele zeigtest.

Wohl ist mir's, daß ich dich nicht verkannt,
Daß ich gleich dich in der ersten Stunde
Ganz den Herzensausdruck in dem Munde
Dich ein wahres gutes Kind genannt.

Still und eng und ruhig auferzogen,
Wirft man uns auf einmal in die Welt;
Uns umspülen hunderttausend Wogen,
Alles reizt uns, mancherlei gefällt.
Mancherlei verdrießt uns, und von Stund' zu Stunden
Schwankt das leichtunruhige Gefühl;
Wir empfinden, und was wir empfunden,
Spült hinweg das bunte Weltgewühl.

Wohl, ich weiß es, da durchschleicht uns innen
Manche Hoffnung, mancher Schmerz.
Lottchen, wer kennt unsre Sinnen,
Lottchen, wer kennt unser Herz?
Ach, es möchte gern gekannt sein, überfließen
In das Mitempfinden einer Kreatur,
Und vertrauend zwiefach neu genießen
Alles Leid und Freude der Natur.«

Hier mußte Wilhelm sich unterbrechen, denn die beiden Freundinnen konnten einen kleinen Jubellaut nicht unterdrücken. Die fleißigen Hände ruhten längst. Die Freundinnen hatten sich verstohlen angesehen und einander zugenickt; jetzt saßen sie mit verschlungenen Armen, bis Wilhelm schloß:

»So fand ich dich und ging dir frei entgegen.
›O sie ist wert, zu sein geliebt!‹
Rief ich, erflehte dir des Himmels reinsten Segen,
Den er dir nun in deiner Freundin gibt.«

»Er meint dich, er meint dich!« rief Franzi begeistert und drückte Ursels Hand; diese aber fiel ein: »Er kann ebensogut dich meinen! ja, er muß es!«

»Wir wollen nicht darüber streiten,« sagte Wilhelm, »ich glaube, jede von Ihnen fand in der anderen etwas Gutes, jede fand das andere Ich.«

»Ja, ja,« klang es wieder wie aus einem Munde, »und wie er uns kennt,« flüsterte Ursel bewundernd. »Und welch herrliches Gedicht! Ich kannte es nicht.«

»Nun ist's aber genug,« ließ sich Axel scheinbar unwirsch vernehmen, »nun sind andere Leute wohl gänzlich ausgestochen, gänzlich zu Schatten geworden! Und ich, der ich Ihnen zu dieser Glanzrolle verholfen, Trautmann –«

Alle drei brachen in fröhliches Lachen aus, und dann rief Franzi: »Rächen Sie sich! Kriegen Sie ihn unter mit einer neuen Deklamation! Auch möglichst etwas, das wir nicht kennen!«

Axel murrte noch etwas Unverständliches, dann sprang er auf und begann:

» Seefahrt.

Lange Tag' und Nächte stand mein Schiff befrachtet;
Günst'ger Winde harrend, saß mit treuen Freunden,
Mir Geduld und guten Mut erzechend,
Ich im Hafen.
Und sie waren doppelt ungeduldig:
Gerne gönnen wir die schnellste Reise,
Gern die hohe Fahrt dir; Güterfülle
Wartet drüben in den Welten deiner,
Wird Rückkehrendem in unsern Armen
Lieb' und Preis dir.
Und am frühen Morgen ward's Getümmel,
Und dem Schlaf entjauchzt uns der Matrose.
Alles wimmelt, alles lebet, webet,
Mit dem ersten Segenshauch zu schiffen.
Und die Segel blühen in dem Hause,
Und die Sonne lockt mit Feuerliebe,
Ziehn die Segel, ziehn die hohen Wolken,
Jauchzen an dem Ufer alle Freunde
Hoffnungslieder nach, im Freudetaumel
Reisefreuden wähnend, wie des Einschiffmorgens,
Wie der ersten hohen Sternennächte.
Aber gottgesandte Wechselwinde treiben
Seitwärts ihn der vorgesteckten Fahrt ab,
Und er scheint sich ihnen hinzugeben,
Strebet leise sie zu überlisten,
Treu dem Zweck auch auf dem schiefen Wege.
Aber aus der dumpfen grauen Ferne
Kündet leisewandelnd sich der Sturm an,
Drückt die Vögel nieder aufs Gewässer,
Drückt der Menschen schwellend Herz darnieder;
Und er kommt. Vor seinem starren Wüten
Streckt der Schiffer klug die Segel nieder;
Mit dem angsterfüllten Balle spielen
Wind und Wellen.
Und an jenem Ufer drüben stehen
Freund' und Lieben, beben auf dem Festen:
Ach, warum ist er nicht hier geblieben!
Ach, der Sturm! Verschlagen weg vom Glücke!
Soll der Gute so zu Grunde gehen?
Ach, er sollte, ach, er könnte! Götter!
Doch er stehet männlich an dem Steuer;
Mit dem Schiffe spielen Wind und Wellen,
Wind und Wellen nicht mit seinem Herzen:
Herrschend blickt er auf die grimme Tiefe
Und vertrauet, scheiternd oder landend,
Seinen Göttern.«

Axel sprang von seinem Baumstumpf herab und verbeugte sich.

Franzi, mit blitzenden Augen, rief: »Prachtvoll! Man sieht Sie am Steuer stehen, Axel, und mit den Elementen ringen! Ich – o, ich begreife Ihre Lust, zur See zu gehen!«

»Man sieht aber auch den ›angsterfüllten Ball‹, mit dem ›Wind und Wellen spielen‹,« klagte Ursel, »und ich weiß, wie oft wir denken werden: ›Ach, warum ist er nicht hier geblieben?‹«

Jetzt sah auch Franzi nachdenklich aus, aber dann meinte sie mit leisem Kopfschütteln: »Es wird doch alles nicht helfen! Axel ist ein Seefahrer, er kann nicht am friedlichen Strand bleiben.«

»Aber er wird heimkommen,« rief Axel froh, »und wohl ihm, wenn dann ›auf dem Festen‹ ›Freund und Lieben‹ ihn erwarten, nicht ›bebend‹, sondern vertrauend!«

»Wir werden heroisch,« bemerkte Wilhelm, und Ursel fiel wieder bedenklich ein: »Ach, ich denke nur an Mama; sie wird schrecklich leiden, wenn du es durchsetzest, zur See zu gehen, Axel.«

»Aber sie würde noch mehr leiden, wenn sie den Sohn in einem ungeliebten Beruf sähe,« meinte Wilhelm, »das ist doch die Art der Mütter; das wissen wir von der unserigen, nicht, Franzi?«

»Ja, und etwas Sorge würde sie auf alle Fälle um diesen Sohn haben,« rief Franzi lebhaft, »ich kann mir nicht denken, daß Sie sich glatt und gefahrlos durch das Leben schlagen!«

»Ich auch nicht!« rief Axel feurig.

Ursel aber sagte hastig: »Jetzt komme ich ans Deklamieren. Auf die Bühne aber steig' ich nicht; es geht auch im Sitzen.«

»Aber die Erbsen müssen fort,« meinte Franzi und machte ihr die Hände frei, und als das eben mutig erglühende Gesichtchen schon wieder schüchtern wurde, raunte Axel ihr lachend zu: »Jetzt schnell, eh die Brandung wiederkehrt!«

Da lächelte sie und begann:

»Denken die Himmlischen
Einem der Erdgeborenen
Viele Verwirrungen zu,
Und bereiten sie ihm
Von der Freude zu Schmerzen
Und von Schmerzen zur Freude
Tieferschütternden Übergang:
Dann erziehen sie ihm
In der Nähe der Stadt,
Oder am fernen Gestade,
Daß in Stunden der Not
Auch die Hilfe bereit sei,
Einen ruhigen Freund.
O segnet, Götter, unsern Pylades,
Und was er immer unternehmen mag!
Er ist der Arm des Jünglings in der Schlacht,
Des Greises leuchtend Aug' in der Versammlung:
Denn seine Seel' ist stille. Sie bewahrt
Der Ruhe heil'ges unerschöpftes Gut,
Und den Umhergetriebenen reichet er
Aus ihren Tiefen Rat und Hilfe.«

Diesmal war der Erfolg noch glänzender als bisher. Alle drei Zuhörer klatschten laut in die Hände, denn niemand hatte der schüchternen Ursula diese hübsche, ausdrucksvolle Art zu sprechen zugetraut.

Axel verstieg sich sogar dazu, vor aller Augen seine Schwester in den Arm zu nehmen und zu rufen: »Du kleiner Angsthase, du kluges Küken! Steht da wie ein kleines Heldenweib! Na warte, du wirst auch mein Schiff dereinst tapfer absegeln sehen! Und der ›ruhige Freund‹?«

Er unterbrach sich und blickte auf Wilhelm.

»Ich will's sein, wenn Sie mich annehmen, Axel! Haben Sie es so gemeint, Fräulein Ursula?«

Sie nickte, und die jungen Leute reichten sich die Hände. »Auf Du und Du!«

»Trinken müssen wir die Brüderschaft ein andermal,« meinte Axel lustig, »hier gibt's wohl Beeren um uns herum, aber keinen Beerenwein! Nun aber fix, Fräulein Franzi, Sie allein fehlen noch mit einer poetischen Produktion!«

»Ach, ich!« rief Franzi, sprang auf und reckte die Arme.

»Edel sei der Mensch,
Hilfreich und gut!
Denn das allein
Unterscheidet ihn
Von allen Wesen,
Die wir kennen.

Weiter weiß ich's nicht, und es genügt auch, mein' ich! Ich wenigstens bin von nichts mehr erfüllt und durchdrungen augenblicklich, als von dem Dank gegen all meine ›edlen‹ hilfreichen Menschen!«

Damit zog sie Ursel von der Bank auf und meinte weiter: »Komm, komm, wir dürfen hier nicht länger schwelgen. In der Küche wartet Mutter auf die Johannisbeeren. Aber es war eine herrliche Stunde! Nie vergessen, Kinder, hört ihr?«

Sie gingen dem Hause zu, die beiden Jünglinge auch beladen mit Körben und Schüsseln, alle angeregt und bewegt, wie selten.

Alles redete durcheinander, bis sich Franzis Stimme plötzlich jubelnd erhob in selbstgemachter Melodie: »Edel – edel sei der Mensch – hilfreich und gut – ja, gut!« Und dann wieder ernsthaft: »O was werd' ich abzutragen haben an Dank für alles, womit edle Menschen mir zu Hilfe kommen in meinem heißen Streben.«


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