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17. Kapitel.
Vorbereitungen und Veränderungen

Als die ungeheure Aufregung infolge der großen Entscheidung durch die Güte der Fürstin sich etwas gelegt hatte, geriet Franzi Trautmann in einen eigentümlichen Zustand. Wie Ursel »nach der Gefahr erschrocken« und krank geworden war, nicht nur durch Erkältung, sondern von der hohen Anspannung und Erregung, so wandelte Franzi nach aller Begeisterung, allem sehnsüchtigen Streben eine Art Kleinmut an.

War es auch nicht vermessen, was sie vorhatte? War sie wirklich talentvoll genug?

In Herrnhausen vor der Fürstin hatte sie gut gespielt, einzig in dem Gedanken: ich muß Ursula Ehre machen, daß sie sich nicht zu schämen braucht, für mich gebeten zu haben.

Der Hofkapellmeister hatte direkt zu ihr ja nicht viel gesagt, aber sie hatte ihm seine Zufriedenheit doch angemerkt und sein Urteil der Fürstin gegenüber mußte wohl sehr entschieden und warm ausgefallen sein. Ihr lieber alter Lehrer war glücklich, als sie ihm alles erzählte, aber froh, nicht dabei gewesen zu sein.

»Viel besser, viel besser,« wiederholte er mehrmals, »daß Sie unbeeinflußt von meiner Gegenwart waren, und das Zeugnis des Hofkapellmeisters, der Sie gar nicht gekannt hat, fällt auch mehr ins Gewicht. Nur ruhig und mutig, die Sache geht jetzt von selbst ihren Gang.«

Der Lehreifer und die Vielseitigkeit des alten Herrn schienen nun täglich zuzunehmen, Franzi mußte sich in den Stunden anstrengen, ihm zu folgen. Aber das war gut, sie wollte diese Anstrengung, denn sie hatte oft wunderliche Gefühle.

In Haus und Garten brauchte sie jetzt nur noch so viel zu arbeiten, als sie wollte. Herr Bauer hatte feierlich erklärt, er beanspruche ihre Dienste nicht mehr, Frau Trautmann sollte die letzten paar Wochen ihre Tochter als Gast bei sich sehen.

Damit waren aber beide nicht einverstanden, und Franzi half nach wie vor überall. Nur hatten Mutter und Tochter freilich mit der Ausstattung für letztere zu tun, die Arbeit für das Weißwarengeschäft mußte einstweilen abgesagt werden. Nun saßen sie wirklich und nähten Wäsche für Franzi selbst, und die Stickerei und Häkelei zum Ausputz lieferte diesmal Ursula.

Auch Inge erbot sich zu einer Beisteuer und schenkte von ihren feinsten neuen Taschentüchern ein Dutzend. Und Mama – ja, die tat natürlich das Beste.

In den Tagen, als die großen Entscheidungen fielen, hatte Frau Dahland einen Besuch in der Gärtnerei gemacht und mit Franzis Mutter eine herzlich teilnehmende Aussprache gehabt. Die beiden Frauen in so verschiedener Lebensstellung, die zarte, aber willensstarke Frau Trautmann und die frische, warmherzige Rätin Dahland, hatten das gleiche Gefallen aneinander gefunden wie ihre Söhne und Töchter; ja, es war für die alleinstehende Frau Trautmann etwas Großes, sich einmal mit einer feinfühlenden Frau aussprechen zu können, über alles, was ihr Leben im letzten Jahr so wechselvoll erfüllte.

Und als die Rätin dann in aller Zartheit bat, auch etwas für Franzis Ausstattung beitragen zu dürfen, nahm Frau Trautmann mit der ihr eigenen Einfachheit und Gradheit an. Sie war sich ja bewußt, daß sie selbst tat, was sie konnte, – fand sie eine freundliche Menschenhilfe, so sah sie darin eine höhere Hand und nahm an mit Dankbarkeit und ohne falsche Scham.

Die Rätin sagte nun, daß sie Ursel, die so sehr gewachsen sei, zum Winter völlig neu ausstatten müsse, zum ersten Male auch mit längeren Kleidern; da habe sie gedacht, alles doppelt und ganz gleich anzuschaffen, damit die Freundinnen, wenn künftig getrennt, auch durch ihre Kleider immer aneinander erinnert würden.

Die Mädchen jubelten über diese Idee und zum ersten Male interessierte sich Ursel lebhaft für Kleider, Mäntel und Hüte. Es mußte alles ausgesucht werden, wie es Franzi am besten stand, und Axel neckte sie: »In diesem Fall hast du's gut, Ursche, weil euch beiden dasselbe paßt, euch beiden Schwarzbraunen!«

Ursel war verdutzt, diese Berechnung hatte ihr völlig fern gelegen. Franzi aber meinte: »Dein Bruder hat immer so nette Einfälle, Wilhelm würde gar nie darauf kommen; der sieht überhaupt nicht, was wir tragen.« – O ja, Wilhelm sah es doch, daß seine Schwester immer noch das abgetragene und zu kurz gewordene Trauerkleidchen trug, während Ursula wenn auch einfach, doch immer als das sorgfältig und hübsch gekleidete Kind aus gutem Hause erschien.

Aber es machte ihm nicht viel aus! Franzi in ihrer Frische war immer hübsch in den brüderlichen Augen, und die sanfte Ursula mit dem so verinnerlichten Ausdruck ihres nur etwas zu blassen Gesichts konnte für ihn nicht hübscher werden, ob sie ein Kattunkleidchen trug oder ein sogenanntes »modernes Kostüm«, wie Axel sich ausdrückte.

Dieser hatte mehr Sinn für dergleichen, aber im Grunde waren sie alle viel zu sehr für das Natürliche und Bequeme, um jemals der »Eleganz« wegen sich beengt zu fühlen. Wenn man ruderte – die Mädchen lernten es auch – mußte man sich rühren und kräftig ausholen können und es durfte nicht darauf ankommen, daß die Kleider einmal Spritzwasser erhielten. Bei Wanderungen mußte man ungehindert klettern können, denn es gab in der Umgebung von Wendenburg auch sogenannte Berge; und wenn Regen drohte, durfte nicht immer ängstlich nach den Wolken geschielt werden!

O die schönen, schönen Sommertage! Franzi sang noch oft das Lied von den wilden Rosen, wie damals auf dem Rohrwerder; aber die waren verblüht, die Ernte längst im vollen Gange – hie und da sogar schon ein Stoppelfeld zu sehen.

Die weißen Sommerfäden flogen und fingen sich in den schwarzbraunen Zöpfen der Mädchen, die Beeren der Eberesche schimmerten purpurrot und die Gärten bekamen ein herbstliches Aussehen. Auf den berühmten Spargelbeeten der Schloßgärtnerei, wo der Grund zu der großen Freundschaft gelegt worden war, wuchs ein Wald von grünem Kraut; Erbsen und Bohnen wurden zum Trocknen gepflückt, mächtige Kürbisse geschleppt und die frühen Obstsorten schon abgenommen.

Blumen gab's immer noch, und je später im Jahr, desto bunter und prangender erschien der Flor. Zwischen den hohen Malven und Sonnenblumen gingen die Mädchen gern hin und her, redeten vom nahen Herbst und freuten sich und – fürchteten sich.

Eine große Veränderung stand in beiden Häusern bevor. Der erste, der aus dem so vertraut gewordenen Kreise schied, war Wilhelm, obwohl aus den acht Tagen, welche die Mutter sich erbeten hatte, gerade vier Wochen geworden waren.

Der Obergärtner hatte in letzter Zeit große Gutmütigkeit gezeigt. Die Familie Trautmann in allen ihren Gliedern nötigte ihm Respekt ab; er wollte nicht zurückstehen an guter, feiner Gesinnung.

Anfang September aber reiste Wilhelm doch ab; die Mutter selbst bestand darauf.

Die nächste, die dann ging, war Inge. Sie reiste nach Schweden! Von den dortigen Verwandten schon lange eingeladen, sollte sie möglichst bis zum Frühling dort bleiben, und sie freute sich außerordentlich auf diesen nordischen Winter.

Ursula dachte mit gemischten Gefühlen an diese bevorstehende Trennung. Vor einem Vierteljahr hätte sie sich nur gefreut, jetzt fand sie einen solchen Gedanken unrecht, ja verwerflich. Nur so viel gestand sie sich im stillen zu: Wenn Inge wiederkommt, wird alles anders sein; der so lange betonte Unterschied zwischen groß und klein, der in letzter Zeit schon ein wenig im Schwinden war, wird dann keine Bedeutung mehr besitzen.

Und was war aus ihrem Quälgeist, ihrem »Feind« geworden, wie sie Axel damals im Tagebuch bezeichnet? Der beste, vertrauteste Bruder! Nicht immer Kavalier ihr gegenüber, das hätte sie auch nicht erwartet, aber er war ihr ein lieber guter Kamerad.

Die Spannung vor dem Examen machte ihn unwillkürlich ernster, und für alles, was dazu gehörte, traute er diesmal Ursel mehr Verständnis zu als Inge. Große Vorträge hielt er ihr, die darüber beglückt und stolz war, und sich gern zum »Überhören« erboten hätte, wenn ihr das nicht zu kindlich erschienen wäre gegenüber dem künftigen – – ja, was wurde eigentlich aus Axel? Ging er auf die Universität oder zur Marine?

Im Familienkreise war wenig davon die Rede, aber man fühlte es den Eltern an, daß sie unter sich mit wichtigen Erörterungen und Erwägungen beschäftigt waren.

So hatten sie alle ihre Gedanken, ihr reichbewegtes inneres Leben, und die sogenannten »Kleinen«, die sonst eine große Hauptrolle spielten, fühlten sich beinahe zurückgesetzt in dieser Zeit.


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