Egon Erwin Kisch
Paradies Amerika
Egon Erwin Kisch

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Vierzehn Dinge in Sing Sing

Wir wissen nicht, warum das Gittertor, das von den Kanzleiräumen aus abwärts führt, goldgestrichen ist, wir treten ein durch das goldgestrichene Tor und sind starr vor Entsetzen. Schon allerhand haben wir gesehen, gelesen und gehört – aber das da!

Das da ist die Main Cell Hall, jetzt »Old Cellhouse« genannt.

Man stelle sich einen rechtwinkligen Felsblock vor, etwa achtzig Meter lang, zehn Meter hoch, fünf Meter breit.

In diese achtzig Meter Seitenlänge sind vorne fünfundsiebzig Löcher gehackt und hinten auch fünfundsiebzig, obwohl der Block nur fünf Meter breit ist.

In die zehn Meter Höhe sind sechs Stockwerke gebohrt, jedes mit ungefähr zweimal fünfundsiebzig Höhlen.

Der Felsen ist kein natürlicher Felsen: vor hundert Jahren wurde er aus grauem Stein aufgerichtet, solcherart, daß die Höhlungen frei blieben, nicht erst gehackt werden mußten.

Diese Arbeit leisteten Sträflinge, vielleicht Diebe, vielleicht Räuber, vielleicht Betrüger und vielleicht Meuchelmörder, an jener Stelle des Hudsonufers, wo einst die Sinck-Sinck-Indianer bestohlen, beraubt, betrogen und gemeuchelt worden waren von Menschen, die sich und ihren Nachkommen dadurch Reichtum, Macht, Ehre und Standesbewußtsein und vor allem das Recht errungen hatten, Verbrecher unnachsichtig zu strafen.

Die Sträflinge aber bauten für sich und ihre Nachkommen diese steinerne Wabe.

Drei Jahre arbeiteten sie, von 1825 bis zum Jahre 1828.

Fünfzig Jahre später, 1878, wurde der Bau als untauglich und gesundheitsschädlich erklärt, weil die Menschen in diesen Kerkerhöhlen unweigerlich an Lungenschwindsucht und Gicht zugrunde gingen.

Nach weiteren fünfzig Jahren sind diese 930 feuchten, kalten, niedrigen, engen Steinlöcher noch im Gebrauch und 930 Menschen darin.

Manche für ein Jahr (Sing Sings kürzeste Mieter) und viele für zehn Jahre, für fünfzehn, für Lebensdauer. (Sing Sing hat unter seinen 1730 Insassen nicht weniger als 128 Lebenslängliche, abgesehen von jenen, die jeweils im Totenhaus darauf warten, bis eine Partie Verurteilter beisammen ist und die Einschaltung des elektrischen Stroms sich lohnt . . .)

Die amtlichen Maße der Zellen lauten: 6 Fuß (180 cm) Höhe, an der Tür 18 Zoll (45 cm) und im Innern 3 Fuß (90 cm) Breite, 7 Fuß (210 cm) Länge.

Darin ist tagsüber ein Klappbett und ein Schemel, in der Nacht auch ein mit Exkrementen gefüllter Eimer und ein Mensch.

Das Kopfende des Bettes stößt an die Querwand, hinter der das Kopfende der jenseitigen Zelle ist, die Beine jedes Häftlings sind gegen die Tür gerichtet.

Eine gußeiserne Platte bildet die untere Hälfte der Tür, ein Gitter die obere. Diese Klapptür, von innen nicht zu öffnen, wird außerdem vom Gefängniswärter mit einem Schlüssel versperrt, und nachdem dies überall geschehen, senkt der Oberschließer noch eine Stahlstange herab, die sich als Riegel vor je fünfundsiebzig menschliche Obdache schiebt.

Auch waschen muß man sich auf dem Gang. Wo wäre denn in der Zelle Platz dazu?

Rings um den Zellenblock und über ihn ist ein Haus gestülpt. Der gemauerte Deckel ist größer als der Inhalt, und als Zwischenraum bleibt ein Korridor, auf dem die Wärter patrouillieren und die Gefangenen sich morgens in Reih und Glied stellen, um gemeinsam ihre Eimer zur Senkgrube zu tragen.

Auf einem der Höfe ist etwas zu sehen, was es in keinem anderen Gefängnis der Welt gibt: ein Vogelhaus.

In bunten Käfigen hüpfen, zwitschern und plappern Zeisige, Kanarienvögel, Papageien und sogar Kolibris.

Auf die Frage, wie sie herkommen, erfahren wir, es seien Geschenke an die Gefangenen. Ja, aber warum sind die Vögel dann nicht in den Zellen?

»Wo? Im alten Zellhaus? Binnen drei Tagen würden sie sterben. Oft richten Gefangene Mäuse oder Ratten ab, doch selbst diese Tiere krepieren schnell, sie halten die Luft dort nicht aus.«

Der Mensch, der diese Luft aushalten, in diesem hundertjährigen Dumpf Nacht für Nacht schlafen muß – was Wunder, daß er morgens froh ist, herauszukommen, und sei es auch nur in die shops, in die unhygienischen und mit längst überholten Maschinen versehenen Arbeitssäle.

In der Weberei, die die Armen- und Krankenhäuser des Staates New York mit Strümpfen und Unterwäsche beliefert, geht alles drunter und drüber, doch wird uns erklärt, vor acht Tagen habe in der Versandabteilung eine Feuersbrunst gewütet, wodurch der Betrieb desorganisiert sei.

Gleichfalls nur für den Staatsgebrauch gearbeitet wird in der Schuhwarenfabrik, der Blechschmiede, der Bürstenbinderei, der Druckerei und in der Matratzenfabrik von Sing Sing und jährlich für zweimal hunderttausend Dollar Fertigware geliefert, abgesehen von den Arbeiten, die man für die Instandhaltung der Gefängnisanlage, der Sträflingskleidung und dergleichen leistet. 185 verschiedene Artikel werden hier erzeugt.

Die Arbeitszeit beginnt mit dem achten Glockenschlag. Mittags um zwölf Uhr rangieren sich die Arbeiter in Reihen und marschieren in den Speisesaal – unter den lustigen Klängen einer zwölfgliedrigen, im Hof postierten Sträflingsmusikkapelle, was ein alter Brauch von Sing Sing ist. Von ein bis vier Uhr wird die Arbeit fortgesetzt.

Bezahlt wird sie – und das ist die vom nutznießenden Staat verübte Ungeheuerlichkeit – mit anderthalb Cent für den siebenstündigen Arbeitstag.

Das Projekt, den Sklavenlohn auf zehn Cent zu erhöhen, eine noch immer menschenunwürdige Bezahlung menschlicher Kraft, ist nicht Wirklichkeit geworden. Ohne Penny verläßt der Sträfling nach jahrelanger regelmäßiger und fruchtbarer Arbeit das Gefängnis. Und vorher, in der Zeit seiner Haft, kann er die im Wert von drei Dollar per Woche bewilligte Menagezubuße und Zigaretten nicht kaufen, die sich der von Haus aus wohlhabende Zellennachbar leistet.

Der Häftling, der während der Arbeitszeit raucht oder sich sonst gegen eine Anstaltsregel vergeht, wird in eine Korrektionszelle des Old Cellhouse gesteckt und aus der A-Klasse, zu der jeder bei der Aufnahme in die Anstalt automatisch gehört, in eine niedrigere versetzt. Dadurch verliert er das Recht, jeden Monat an vier Werktagen und einem Sonntag Besuch zu empfangen, monatlich einen Wochentags- und vier Sonntagsbriefe zu schreiben und Gebrauch zu machen von dem Warenkauf bis zu drei Dollar wöchentlich.

Nicht weit vom Speisesaal ist das Vorstandszimmer der Mutual Welfare League, der Gefangenenorganisation von Sing Sing. Jeder eingelieferte Sträfling ist als solcher Mitglied der Liga und darf an den Wahlen seiner Werkstätte oder seiner Arbeitsgruppe teilnehmen; je fünfundvierzig Mann werden von einem Delegierten vertreten.

Die Delegiertenversammlung konstituiert einen Vollzugsausschuß, an dessen Spitze ein gewählter Sekretär steht und ein Sergeant-at-arms, der den Ordnerdienst bei allen von den Sträflingen veranstalteten Aufführungen und Spielen sowie bei den Mahlzeiten versieht. Die Liga wahrt die Interessen der Häftlinge gegenüber der Direktion und schlichtet Streitigkeiten unter den Gefangenen.

Es ist wohl nur dieser Organisation zuzuschreiben, daß in Sing Sing kein Beamter oder Wärter eine Waffe bei sich hat. (Wogegen zum Beispiel in den Tombs, dem Stadtgefängnis von New York, die Aufseher mit Revolver, Schlagring und Schließeisen ausgerüstet sind, ohne dadurch verhindern zu können, daß in regelmäßigen Zeitabständen einige von ihnen erschossen werden.)

Die Baseballmannschaften der M. W. L. trainieren täglich nach vier Uhr nachmittags auf dem von Tribünen umsäumten Spielplatz am Ufer des Hudson, aber nur einmal im Jahr haben sie das sportliche Vergnügen, ein Wettspiel gegen einen Klub auszutragen: alljährlich kommen die »New York Giants« nach Ossining und schlagen die »M. W. L.«.

Während die streitbare Jugend baseballt, geht der gesetztere Mann spazieren oder liest die Tagesblätter, auf die er oder ein Kollege abonniert ist; Austräger und Zeitungsstand sind in diesem Gefängnis nicht geduldet.

Bei Beginn der Abenddämmerung ertönt das Signal »Kübel holen«. Mit diesem Gefäß in der Hand treten nun alle den Weg zu ihrer Wohnung an. Die Bretter, die das Bett bedeuten, sind aber noch nicht heruntergeklappt, da die im Alten Zellhaus wahrhaft eingelochten Sträflinge nach zwei Stunden wieder geholt werden: sie müssen in die Kapelle zur – Kinovorstellung. Sie müssen, auch wenn sie den faden Film schon vier- oder fünfmal gesehen haben, sie müssen bis halb zehn Uhr nachts hinaus aus ihren Felsenlöchern, denn jede Stunde des Aufenthalts darin erhöht die Sterblichkeitsziffer von Sing Sing!

Das Spital beherbergt eben zweiundsechzig Kranke, Leute, die fast erblindet sind, Leute, die Gichtknoten an den Knöcheln der Zehen und Finger haben, Tuberkulöse.

In drei Längsschiffe ist die Kirche geteilt, das mittlere dient dem katholischen Gottesdienst, das linke dem protestantischen, das rechte dem jüdischen, auch Andachtsübungen der Heilsarmee und der Christian Science werden hier abgehalten, und jeder Sträfling kann in den Worten seiner Religion vernehmen, daß Gottes Gnade unerschöpflich strahlt. Oder er lenkt seinen Blick verstohlen durchs Fenster und sieht dann den roten Ziegelbau des Totenhauses, in dem die Toten leben, bis man sie zum elektrischen Stuhl schleppt . . .

Kein Verlaß ist auf die Gnade Gottes! Anscheinend vermag sie ebensowenig durch Zuchthauswälle einzudringen, wie man aus ihnen hinausdringen kann.

Wer denkt nicht an Flucht, wer träumt nicht von Freiheit! Aber überall dort, wo sich die Mauern kreuzen, lugen gläserne Türme über Strom und Land. Die Türmer haben Dienst bei Tag und bei Nacht; ein Griff, und der Scheinwerfer schießt los, um die Spur eines entwichenen Wildes zu suchen.

Der Jagdruf erschallt. Die Bedeutung seines Klanges ist an allen Wänden angeschlagen:

»Im Falle einer Flucht ertönen aus der Alarmsirene durch zehn Minuten Pfiffe von dreißig Sekunden in Abständen von je dreißig Sekunden, während im Falle einer Meuterei fünf kurze Pfiffe von je zwei Sekunden Dauer mit einer Sekunde Intervall ertönen; bei diesen Signalen haben sich sämtliche Wärter eiligst in den Dienstraum des Oberwärters (principal keeper) zu begeben und zu dessen Verfügung zu halten.«

Im vorigen Sommer kenterte auf dem Hudson, etwa dreihundert Schritte von der Ufermauer des Zuchthauses entfernt, ein Ruderboot. Die Verunglückten, ein Mann und eine Frau, hielten sich über Wasser und schrien um Hilfe. Fast alle Gefangenen boten sich an, flehten darum, hinausschwimmen, Rettung bringen zu dürfen. (Es gibt im Zuchthaus selbstverständlich keinen Kahn.) Die Wärter gaben die Erlaubnis nicht, und vor den Augen von Hunderten rettungsbereiten Menschen mußte das Paar ertrinken.

Vor kurzem fand man in einem Heizraum das Skelett eines Sträflings, der sich vor zehn Jahren hier versteckte, um bei passender Gelegenheit zu entkommen. In seinem Schlupfwinkel war er lieber Hungers gestorben, als daß er sich entdeckt hätte und damit seinen Fluchtplan für immer vereitelt.

Wir passieren den Eingang zur Classification Prison Clinic, die zur kriminologischen Untersuchung der Verbrecher von ganz Amerika bestimmt ist und die Einteilung, Unterbringung und Erziehung der Gefangenen nach Alters-, Bildungs- und Neigungsgruppen vornehmen – wird. Vorläufig hat man damit nur viel Reklame gemacht. Ebenso wie für die außerhalb des alten Komplexes aufgeführten sechsstöckigen Zellentrakte mit 680 beziehungsweise 704 Käfigen; der kleinere Trakt ist nach dem Outside-System gebaut, also mit einem Fenster in jeder Zelle, der größere nach dem Inside-System – ein Block, von einem Haus umgeben.

Die Anlage, mit Wasserspülung und Wasserleitung in jedem Käfig, ist bereits fertig, eine dreifache Kirche im Bau; es fand auch schon eine Exkursion hierher statt, zwecks Verkündigung, mit diesem Neubau hätten die Greuel des alten Sing Sing aufgehört. Vorläufig sind nur 279 und 308 Sträflinge darin, mehr könne man nicht unterbringen, bevor eine Umfassungsmauer gelegt sei, und das wird lange dauern.

Das Old Cellhouse ist noch immer voll besetzt, und obwohl es als ein Schaustück gräßlicher Vergangenheit gezeigt werden sollte, wie die wenigstens geräumigeren Kasematten der Peter-Pauls-Festung, bleibt es ein Beweisstück gräßlicher Gegenwart.

Gehen wir weiter. Da ist ein funkelnagelneues Ziegelgebäude in freundlichem Rot; hat dreihunderttausend Dollar gekostet und ist sein Geld wert. Offiziell heißt es »Condemned Cells«, die Leute von Sing Sing nennen es das Schlachthaus.

Siebenundzwanzig Zellen der Verdammten: ein Dutzend für Männer (drei sind eben besetzt!), ein Vierteldutzend für Frauen, ein halbes Dutzend Hospitalzellen (für die, die erkrankten und nun geheilt werden, damit man sie hinrichten kann) und ein halbes Dutzend »Zellen der letzten Minute«, auch »der Tanzsaal« geheißen, wohin man die Opfer am Morgen des Hinrichtungstages bringt. An diesen siebenundzwanzig Käfigen vorbei führt der Korridor zu dem Raum, der scheu nur »Dahinten« genannt wird . . .

Hier, meine Herren, sehen Sie den berühmten Stuhl, der den Geist des Mittelalters mit der größten Erfindung der Neuzeit, der Elektrizität, vereinigt. Auf diesem Stuhl – bitte, Sie können ruhig darauf Platz nehmen, der Strom ist nicht eingeschaltet – auf diesem Stuhl haben schon viele Männer und Frauen gesessen.

Am 7. Juli 1891 wurde als erster Harry A. Smiler in Sing Sing hingerichtet, seither haben die hierorts exekutierten Exekutionen die Zahl zweihundertdreiundneunzig erreicht; ein Blinder war darunter, zwei Einbeinige (von denen der eine seine Prothese einem besonders feindseligen Gerichtssaalberichterstatter mit dem Wunsche vermachte, er möge sie bald tragen müssen), mehrere Frauen (vor kurzem Mrs. Snyder mit ihrem Geliebten Grey), ein deutscher Priester namens Hans Schmidt, die Brüder Morris und Joseph Diamond und ihr Komplice Giovanni Farina, die in Brooklyn zwei Kassenbeamte einer Bank erschossen und vierundvierzigtausend Dollar erbeuteten, die märchenhaft schöne Gattenmörderin Marta Place. Der prominenteste Delinquent war der New Yorker Kriminalchef Leutnant Charles Becker, der vier Bravi gedungen hatte, um am 13. Juli 1913 den Spielklubbesitzer Rosenthal erschießen zu lassen, weil er an diesem Tage in der »World« eine eidesstattliche Erklärung veröffentlicht hatte, daß der Herr Kriminalchef an den Einnahmen der verbotenen hazard saloons mit zwanzig Prozent beteiligt sei . . .

Über der Tür zum »Tanzsaal« sehen Sie das Wort »Silence«. Es ist das einzige Wort, das in diesem Saal zu sehen ist, und es ist auch keines zu hören. Dort in den vier polierten Bankreihen sitzen die zwölf Zeugen, die großen goldglänzenden Spucknäpfe sind für den Fall da, daß einem der Zeugen zum Bewußtsein käme, er lebe im zwanzigsten Jahrhundert . . .

Die Elektrifizierungen finden hier um elf Uhr nachts statt, und zwar am Donnerstag, damit, wenn ein Zwischenfall sie verhindert, noch drei Tage übrigbleiben zur Vollstreckung des Gerichtsurteils: ». . . in der am Montag, dem . . ., beginnenden Woche vom Leben zum Tode zu bringen.«

Der Delinquent nimmt so auf dem Stuhle Platz, wie Sie jetzt dasitzen. Die Lederriemen sind daran befestigt, sie müssen nur noch über den Brustkorb, die Beine und die Arme des Mannes geschnallt werden, was kaum eine Minute dauert, da drei erfahrene Gefängniswärter am Werke sind. Ebenso schnell wird ein Kontakt auf seinem rechten Bein befestigt; ein zweiter legt sich, wenn man die in Salzwasser getauchte Ledermaske über sein Gesicht drückt, auf den heute geschorenen Hinterkopf.

Dann gibt unser Chefarzt, Dr. Sweet, dem Mann am Schalter das Zeichen.

Der Mann am Schalter ist Mr. Robert Elliot aus Long Island. Der hat einen feinen Job – hundertfünfzig Dollar für jede Hinrichtung, für einen einzigen Griff am Hebel. Dabei ist er Executioner für mehrere Staaten. Sacco und Vanzetti hat er auch umgebracht. Das war aber ein schlechter Job, denn vor einigen Monaten hat man dafür sein Haus mit Bomben beworfen, und alles ist vernichtet worden.

Er hat also den Hebel nur herunterzudrücken, so daß ein Strom von zweitausend Volt entsteht, der auf fünfhundert Volt herabgesetzt und wieder auf zweitausend Volt erhöht wird. Nach zwei Minuten nickt Dr. Sweet dem Mr. Elliot zu, und der schaltet aus.

Wer das erfunden hat, die Electrocution? Wer anders soll's denn erfunden haben als Edison, der alte Zauberer? Aber wie sie von Staats wegen eingeführt wurde, das ist eine echt amerikanische Geschichte, haha, ein Konkurrenzmanöver. In den achtziger Jahren propagierte Edison die elektrische Beleuchtung durch Schwachstrom, dessen Leitung große Kosten verursachte; das von George Westinghouse angewandte Stark- und Wechselstromverfahren kam bedeutend billiger.

Die bedrohte Edison-Gesellschaft wies nun auf die Gefahren der Starkstromleitungen hin und trat für deren Verbot ein. Sie entsandte auch einen Angestellten, Harald P. Brown, nach Albany, dem Regierungssitz des Staates New York. Dort tötete Mr. Brown in öffentlichen Schaustellungen Pferde, Hunde, Katzen und Kaninchen durch Berührung mit dem Apparat der Konkurrenz. Und schließlich drückte die Edison-Company ein Gesetz durch, demzufolge alle Hinrichtungen im Staate New York nicht mehr durch den Strang, sondern durch Starkstrom vorgenommen werden sollten; damit war die Gefährlichkeit des Westinghouse-Systems allen Leuten vor Augen geführt. Business as usual.

Der Delinquent ist tot und wird in den Anatomiesaal geschafft, wo die Ärzte konstatieren, was aus einem lebendigen gesunden Menschen binnen zwei Minuten werden kann.

Daneben, meine Herren, ist die Leichenkammer mit sechs Regalen. Was diese kleine Kiste ist? Das ist ein Sarg. Die Verwandten des Hingerichteten können den Leichnam abholen; wenn sie es nicht tun, bestatten wir ihn in Ossining ohne Kreuz und ohne Namen.

Das ist alles, was in Sing Sing sehenswert ist. Ich empfehle Ihnen, draußen noch einen Blick zu werfen auf den majestätischen Hudson, der mit funkelnden Opalen Fangball spielt, während drüben hinter den herrlichen Felsenpalisaden die Sonne untergeht, die Forste strahlen, alles Frieden und Freiheit atmet. Es ist eine Lust zu leben.

 


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