Egon Erwin Kisch
Paradies Amerika
Egon Erwin Kisch

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Baggermaschinen baggern Gold

Auf die Frage eines San Franciscoer Interviewers, was dem Doktor Becker in Kalifornien mißfallen habe, gab dieser zur Antwort: die Tätigkeit der Goldbagger. Zwei Tage nach der Veröffentlichung des Interviews wurden Zuschriften abgedruckt: Einheimische gaben dem Doktor Becker recht und fanden es »geradezu verblüffend«, daß ein Fremder als erster den Finger auf diese schwärende Wunde gelegt . . .

Ob weitere Briefe an die Redaktion erschienen, erfuhr der Doktor Becker nicht mehr. Sicherlich aber ist die Behandlung dieser Wunde alsbald durch einen anderen Finger beendet worden, durch den an den Mund gelegten Finger der betroffenen Kapitalistengruppe: schweigen!

An den Ufern des Sacramento und an den Hängen dahinter, wohin vor achtzig Jahren die Abenteurer aller Länder zogen, wo einer den anderen belauerte und einer den anderen umbrachte, in diesem Bezirk wird noch immer nach Gold gegraben und um des Goldes willen getötet – ach, wie biedermeierisch war jene wilde Zeit des Schürfens und Grabens und Erschlagens gegen den heutigen Massenraubmord. Meilenweite, meilenbreite Landstrecken, von denen Mensch und Vieh leben, tötet man. Die Leichname der Opfer kann man überall sehen, wenn man kreuz und quer die Täler des Sacramento durchzieht. An den Mörder selbst kommt man nicht leicht heran. Er hat sich mit Felsenwällen und Wassergräben umgeben, und vom Söller der Feste lugt ein bewaffneter Wächter über Land.

Inmitten all dieser mittelalterlichen Vorkehrungen haust das Ungetüm der Neuzeit, ein Lindwurm mit Krallen aus Pittsburghstahl, mit einem von Elektromotoren bewegten Gebiß, mit einem elektrolytischen Greifer . . .

Das ist der Bagger.

Man kennt Baggerschiffe in den Seen, in den Hafenbecken, in den Strömen. Auf dem Festland kann sich ein Schiff unmöglich bewegen – o doch, es kann. Wo es sich um Gold handelt, gibt es kein Unmöglich, die Baggerschiffe Kaliforniens schwimmen auf dem Land.

Vom Strom, von den Deichen wird das Wasser hierhergeleitet, anderthalb Meter hoch ringsum das Erdreich überschwemmt, anderthalb Meter hebt sich der Ponton. Und schon schwimmt das Ungeheuer los auf seine Beute.

Stählerne Eimer, an eine ohrenbetäubend rasselnde Raupenkette gefesselt, zerren sich und den Bagger vorwärts. Beißen das Erdreich auf. Schlucken es. Rollen zurück in den Kotter. Speien es aus. Stürzen zum nächsten Bissen. Endlos ist die Kette und hemmungslos und unersättlich.

Auf dem Dach des Baggers sind Winden und Maschinen und ein Wächter, bereit, Alarm zu blasen, wenn eine Bande käme, die Goldsucher zu berauben.

Das Stockwerk darunter ist der »mud floor«, wohin die Eimer ihre Beute kotzen. Hier werden die Steine losgelöst vom Erdreich und hinter den Bagger in sein Kielwasser gestürzt.

Vom Schlamm aber, vom kostbaren Schlamm geht kein Klümpchen mit über Bord, alles wird durch Sandsiebe und Konzentratoren gepreßt, auf Tischen geschüttelt, bis sich das letzte Körnchen eines darin enthaltenen schweren Metalls hinabgesenkt hat in die Stahlretorten, in denen Quecksilber es beleckt und als das bloßlegt, um was es geht: Gold.

Vorwärts frißt sich der Bagger mit seinem Gebiß aus Eimern, seiner Magensäure aus Quecksilber und seinem Darm aus Stahl, der Schütte für das Gestein. Verschlingt die blühenden Wiesen, die Felder, die Obstgärten, die Weinberge von Sacramento County mit Haut und Haar, mit Stumpf und Stiel, mit Halm und Acker.

Die Farmer, denen der Landstrich gehört, verkaufen ihn an Natomas Consolidated Gold Dredging Company, eine englische Gesellschaft. Die gibt ihnen als Abfindung so viel, wie das Land in zehn Jahren tragen könnte. Bezahlt werden also zehn Jahre, vernichtet wird auf Ewigkeit. Das, was wir die Leichname der Opfer nannten, ist das steinerne, kahle Gerölle hinter dem Bagger, Kieselhaufen, zwischen denen tausend Jahre lang kein Grashälmchen sprießen wird.

Wirklicher Wert, geopfert um eines fiktiven Wertes willen, um Gold.

Gold für nahezu zwölf Millionen Dollar wird in Kalifornien jährlich von den englischen Konzessionären gefördert. Überall im Distrikt von Sacramento, in Mother Love, El Dorado, Placer County, Sierra, Butte, Nevada, Shasta, Siskiyou, Trinity, stehen auf unzugänglich gewordenem Boden, umgeben von Hügelwellen hervorgezerrter Ziegel und von unheimlich blutroten Pfützen, die »dredgers«, die Baggermaschinen.

Und auf jeder von ihnen arbeiten – lehmbeschmiert, verstohlen hüstelnd und von verleugnetem Rheumatismus geplagt – in drei Schichten je zwanzig Menschen für fünf Dollar Tagelohn.

Im Sommer, wenn das Fahrwasser stinkend verdunstet, im Winter, wenn der Boden dem stählernen Kiefer des Baggers trotzt.

Nicht nur bei Tag. In dreihundertfünfundsechzig Nächten des Jahres beugt sich gierig und geizig und geil der Reflektor über die Wackeltische, ob nicht ein Stäubchen metallisch aufblinkt.

Nachtarbeit wird sogar in USA nur dort geleistet, wo sich's um lebenswichtige Betriebe handelt oder wo (bei Bauten) die Verkehrsstörung rasch beseitigt werden soll. Die Gewinnung von Gold für England ist ein so lebenswichtiger Betrieb, daß seit Jahrzehnten die Nacht zum Tag gemacht wird.

Schon 1885, nach dem Zusammenbruch der privaten Goldgräberei, begannen Gesellschaften auf hydraulischem Weg das Unterste zuoberst zu kehren. Was in weitem Umkreis strömte, rieselte und tropfte, wurde in Schläuche gezwungen und gegen Hänge gespritzt, die des Goldgehalts verdächtig waren. Die armdicken Strahlen wühlten sich ins Erdreich, zermalmten und gemanschten pflanzigen Boden, rissen Minerale los, ganze Gesteinsblöcke aus ihrem Grund und wälzten in trübem Strom Lehm, Sand, Erde, Kies und Geröll zu tiefer gelegenen Rinnen.

Dort wurden an engmaschigen Sieben die großen Steine ausgeklaubt, um dem Wasser Abfluß zu schaffen, und der Schwemmsand in Pfannen nach funkelndem Gelb durchsucht. Das trug man zu den Aufsichtspersonen der Unternehmergesellschaft.

Die Arbeiter, die jahraus, jahrein mit nackten Füßen gebeugt im Wasser standen, waren die Söhne der Goldgräber von 1848.

Auch heute arbeiten an den Elektroturbinen und Konzentratoren des Baggers für fünf Dollar bei Tag oder bei Nacht nur Leute aus der Umgebung von Sacramento: nicht mehr Söhne, sondern bereits Enkel der Goldgräber, Enkel derer, die aus unendlichen Fernen unter unsäglichen Mühen hierherkamen, um ergiebige Stellen zu finden und den Ihren Reichtum zu hinterlassen, Gold!

 


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