Egon Erwin Kisch
Paradies Amerika
Egon Erwin Kisch

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Menschenhandel in Hollywood

Und keineswegs nur das Elend der Statisten erschüttert den, dem es gelang, den inneren Wall von Gottes eigenem Filmland zu überschreiten. Auch das Elend der Stars ist oft groß.

Wir hatten das unbeschreibliche Glück, im Torgang einer Villa der weltberühmten Filmkönigin X. zu begegnen, die sich gerade entfernte.

»Sie wollte mich anpumpen«, sagte der Hausherr.

»An-pum-pen? Für wen? Wozu?«

»Sie kann die Miete nicht bezahlen.«

»Versteh ich nicht.«

»Sie haben eben keine Ahnung davon, was Verträge sind, Mr. Kisch.«

Doch! Verträge sind Fetzen Papier, so hat es Mr. Kisch im Krieg gelernt. Aber jetzt lernt Mr. Kisch, daß sie das nur im Völkerrecht sind, nur dort, wo man sie einfach zerreißen und ein paar Millionen Menschen opfern kann, wenn es der Vorteil einiger Menschen erfordert.

Sie sind mitnichten Fetzen Papier in einer Industrie wie der des Films. Hier kann kein Vertrag zerrissen werden, ob nun mit ihm offenkundig Menschenhandel und Sklaverei getrieben wird oder nicht.

Davon erfährt man selten etwas. Gerade die, die darunter leiden, wollen am wenigsten darüber verlauten lassen. Längst werden die Glashäuser nicht mehr zu Filmaufnahmen benötigt, jetzt wohnt man in Glashäusern. Außenaufnahmen sind rar geworden, aber das Privatleben vollzieht sich außen. Die Diva behält den Büstenhalter an, wenn sie schlafen geht. Weiß sie denn, ob nicht in der Zimmerecke eine Verehrerin oder ein Filmreporter versteckt ist oder zumindest eine Kamera?

»Was?« wurde erschreckt hervorgestoßen, »Sie wollen über Kontrakte schreiben, Mr. Kisch? Was geht das die Öffentlichkeit an! Und was hat das mit der Kunst zu tun?«

Nun, vielleicht geht das die Öffentlichkeit viel mehr an als das Ehe- und sonstige Privatleben der Filmdarsteller, und es hat mit der Kunst mindestens ebensoviel zu tun, wie der Hollywooder Film mit der Kunst zu tun hat! Wären nicht alle sozialen Verhältnisse hier verlogen, so würden auch die Produkte von Hollywood anders sein.

Mr. Kisch will über Kontrakte schreiben.

 

Spielte da in »Küß mich noch einmal«, dem Lubitsch-Film, ein junges Mädchen, hieß Clara Bow und machte sich gut. Ben Schulberg, damals ein kleiner Filmerzeuger, engagierte sie daraufhin mit geringer Gage und fünfjähriger Option (einseitiger seinerseitiger Option natürlich) für seine sehr billigen Filme. Ben Schulberg machte Karriere, wurde Produktionsleiter der Famous Players und hatte das Recht, für diese reiche Firma Menschen, d. h. Verträge zu kaufen. Wer kann dem jetzigen General Producer Schulberg näherstehen als der ehemalige Independent Producer Schulberg? Also kauft Schulberg von Schulberg den Vertrag auf Clara Bow. Der Verkäufer Schulberg macht ein gutes Geschäft, aber auch der Käufer fährt nicht schlecht dabei, er kann vor seiner Firma den Kauf glänzend verantworten. Clara Bow bekommt ja vier- bis fünftausend Verehrerbriefe wöchentlich, und diese »fan mail« (»fan« = Abkürzung von Fanatiker) besitzt als Beliebtheitssymptom auf der Hollywooder Menschenbörse Aktienwert. Noch wichtiger ist allerdings der Kassenrapport der Kinotheater. Aber auch das »box office« ist ausnahmslos fest auf Clara Bow.

Keinerlei materiellen Anteil an dem Geschäft hat Clara. Auch wenn sie kontraktbrüchig werden sollte, könnte sie nicht bei einer anderen Gesellschaft filmen, da diese untereinander kartelliert sind. Sie kriegt höchstens eine Gehaltszulage, »to be happy«, denn sonst würde sie zu den Gerichten laufen oder gar zur Presse, und Veröffentlichungen über Verträge sind die einzige Art von publicity, die man in Hollywood nicht liebt.

 

Sue Carrol, recte Fräulein Lederer aus Chicago, kam nach Hollywood und lernte MacLean kennen, einen jugendlichen Komiker, der Filme erzeugte. Er engagierte das Mädchen mit fünfjährigem Optionsvertrag, steigend von 150 bis 300 Dollar. Da seine Fabrikation nur eine äußerst schüttere war, verborgte er Sue Carrol in den Produktionspausen zu guten Preisen an andere Firmen und schließlich zu einer Monatsgage von 1500 Dollar auf die Dauer eines Jahres an Fox-Film. Fräulein Sue Carrols vertragliche Gage ist gerade von 150 auf 200 Dollar gestiegen. Sie bietet ihrem Besitzer 50 000 Dollar bar als Abstandssumme, aber er lehnt es ab, sie aus dem Vertrag zu entlassen. Nun klagt sie, und das Gericht wird entscheiden.

»Ja, Mr. Kisch, Vertrag ist Vertrag! Sie mußte ihn ja nicht unterschreiben!«

 

Wäre der vertragsgemäße Inhaber von Sue Carrol, jener MacLean, noch immer Producer, so könnte er für die Verborgung nicht achtmal soviel verlangen, als die Gage beträgt. Denn die Firmen haben ausgemacht, einander für die Verleihung von Menschen nur deren Gage plus fünfundzwanzig Prozent zu bezahlen. Da muß man schon andere Tricks anwenden, um diese klare Klausel zu umgehen und höhere Leihgebühren herauszuschlagen.

Zum Beispiel so: Lupe Velez hat 1250 Dollar Gage. Die Konkurrenz ruft an, sie möchte die Dame gern für einen Film haben, sechs bis acht Wochen lang, also für 10 000 Dollar. »Nee«, sagt der Prinzipal der Dame geistesgegenwärtig, »haben kannst du sie schon, aber nur für 35 000 Dollar.« – »Nanu?« erwidert die Konkurrenz in fließendem Englisch. »Tja, wir wollen in fünf Wochen mit ihr einen Film zu drehen anfangen«, lügt der Verkäufer, »und wenn sie bei euch spielen soll, geht das eben nicht. Dann könnte sie erst in fünf Monaten drankommen. Diese fünf Monate plus fünfundzwanzig Prozent müßtest du bezahlen.« Und der andere bezahlt.

»Gewiß, Mr. Kisch, das kommt sogar sehr oft vor. Schließlich zahlen doch die Gesellschaften ihren Schauspielern nicht das Gehalt, damit sich die Konkurrenz ihrer im Bedarfsfall bedient!«

 

Die Filmgesellschaft A. will einen Regisseur engagieren, der bei der Firma B. angestellt ist, aber auf seinen Wunsch hin austreten könnte.

Der Vorvertrag zwischen A. und dem Regisseur wird skizziert, 1500 Dollar die Woche.

»Und wieviel haben Sie jetzt Gage?« fragt A.

Zu lügen hätte keinen Zweck, denn A. wird ohnedies B. anrufen, und die Firmen sind einander zur wahrheitsgetreuen Auskunft über Menschenpreise verpflichtet, sogar über die Ziffern bereits abgelaufener Verträge. Also antwortet der Regisseur ehrlich: »Neunhundert.«

»Seien Sie nicht böse«, sagt daraufhin A. und zerreißt den Vorvertrag, »da werden wir Sie selbstredend von B. kaufen!«

 

Die Verträge laufen bis zu fünf Jahren, die jährliche oder halbjährliche Option ist einseitig, das heißt: nur die Firma kann verlängern.

Nicht einmal privat darf der Künstler mit einer anderen Firma verhandeln, nicht einmal privat darf eine Firma mit einem anderswo engagierten Künstler verhandeln. Das ist Kontraktbruch und wird mit fünf Jahren Engagementslosigkeit bestraft.

Mehr als einmal ereignet sich folgendes: in der letzten Novemberwoche richtet ein Schauspieler an seine Firma die Anfrage, ob er aus dem Vertrag austreten könne. Das möchte er gern, denn er weiß, eine andere Firma würde ihn engagieren; in ihrem neuen Film ist eine Rolle, bei der der Regisseur an ihn denkt. Also fragt er seine Chefs: »Kann ich aus dem Vertrag?« – »Nein.« Jedoch eine Woche später, am 30. November, nimmt seine Gesellschaft die Option nicht auf, sein Fach bei der anderen Firma ist bereits besetzt. Nun kann er schnorren gehen oder einen der »vierzehn Nothelfer« beauftragen, es für ihn zu tun.

Aber die vierzehn Hollywooder Agenten tun es nicht. Sie verschicken nur Listen an die Unternehmer. »Wir vertreten: . . .« Erfolgt auf dieses Angebot eine Nachfrage oder verschafft sich der Schauspieler selber ein Engagement, so kriegt der Agent zehn Prozent der Gage. Kein Gagenschacher erforderlich. Die Preise dürfen ja im interstaatlichen Verkehr der Firmen nicht als Geschäftsgeheimnis behandelt werden, und höchstens das, was der Schauspieler im vorigen Engagement bekam, bekommt er jetzt, da er stellungslos ist, ein freier Künstler, ein free lancer. Nur selten steigt jemand im ziffernmäßigen Wert: wenn er einen Erfolg errungen hat oder mehrere Firmen ihn gleichzeitig verlangen.

Erfolg errungen! Erfolg ist ein Rollenfach. Wer nicht für dieses Rollenfach engagiert ist, gilt zumeist nur als gut, sofern er dem Erfolgreichen gute Möglichkeiten schafft, weiterhin recht erfolgreich zu sein. Im allgemeinen haben die Chargenspieler unter bedeutend schlechteren Verhältnissen zu arbeiten als der Protagonist, sie müssen jede Rolle übernehmen, auch die des Bösewichts, wodurch manche ihr ganzes Kapital, die Popularität als sympathischer Junge, für immer zerstören. Denn durch den Film ist der Erdball zu jenem Tiroler Dorf geworden, das den Darsteller des Franz Moor verprügelte.

Eine Rolle ablehnen? Maurice Stiller weigerte sich, die Regie von »Weg allen Fleisches« zu führen, seine künstlerische Kraft, edle Schauspieler und Millionen Dollar auf die Lebendigmachung eines solchen Dreckmanuskripts zu verschwenden. »Wissen Sie«, sagte Schulberg überlegen, »daß Sie mit dieser Weigerung Ihre Gage verlieren, 25 000 Dollar?« – »Nu, wennschon«, erwiderte der Schwede berlinerisch.

Und Stiller fuhr aus Hollywood fort, fuhr nach Europa. Er ist gestorben.

 

Nicht jeder wird mit dem gleichen Strafausmaß in das Sing Sing der Filmbranche eingeliefert, mancher nimmt's leichter, mancher nimmt's schwerer, mancher hält sich für glücklich, weil seine Zelle aus Gold ist, mancher hält sich für glücklich, weil er seine Zelle für Gold hält, und mancher hält sich für glücklich, weil die Daheimgebliebenen seine Zelle für Gold halten . . .

Man kommt mit einer jungen Schauspielerin zusammen. Sie wohnt mehr als bescheiden, mehr als ärmlich. Stolz aber zeigt sie die Zeitschriften ihres Vaterlandes, sagen wir Spaniens. Ihr Porträt ist Titelblatt, Postkarten, die sie sendet, werden faksimiliert, jedes heimatliche Blatt kabelt um ihre Meinung für die Weihnachtsnummer, Mädchen und Jünglinge fragen sie brieflich, wie's anzustellen ist, auch im glücklichen Hollywood zu landen, sie bekommt Heiratsanträge. Sie bleibt in Hollywood, vielleicht deshalb, vielleicht in der Hoffnung, doch – einmal eine Rolle spielen zu dürfen.

Liebe und Ehe sind ehern geregelt. In jedem Vertrag steht, daß ihn die Firma auflösen kann, wenn das Benehmen des (der) Engagierten öffentlichen Anstoß erregt. Und das tut sie auch, denn so allgewaltig die Filmbranche ist, allgewaltiger ist der Klatsch, besonders der durch die Presse verbreitete, und noch allgewaltiger die Macht des Sexualneides auf diesem puritanischen, scheinheiligen Kontinent.

Ist ein Prominenter einer Dame auf den Leim gegangen, die sich bei ihm als Schülerin der Schauspielkunst eingeschlichen hat und nach erreichtem Ziel mit Heiratsansprüchen hervortritt, tut er gut daran, das Sechs-Uhr-Flugzeug von Los Angeles nach New York zu benutzen, um das nächste Schiff nach Europa zu erreichen. Die Kollegen helfen ihm bei der Abfahrt.

Nicht ohne Neid hören umschwärmte, vergötterte Kinogrößen zu, erwähnt der europäische Besucher ein mittelmäßiges Abenteuer. Sie können sich's nicht leisten. Geht man mit einem Liebling der Welt in Los Angeles bummeln, so verkleidet er sich und gibt dem Begleiter Maßregeln, ja keine Andeutungen zu machen, nichts vom Film zu sprechen; er hat Angst – eine harmlose Schäkerei kann Erpressung oder Skandalartikel gebären.

Was anderswo als Flirt gilt, hier ist es riskante Tat, was in Filmateliers der Alten Welt Selbstverständlichkeit ist, ist in denen der Neuen eine Ausnahme. Ein Regisseur in Hollywood unterläßt es, den Mädchen im Atelier hilfreich unter die Arme zu greifen.

Ehe und Liebe vollziehen sich am reibungslosesten in der gleichen Gagenklasse. Es ist am vernünftigsten, wenn Douglas Fairbanks die Mary Pickford heiratet und beide zusammenbleiben. Nur liegen leider die Verhältnisse nicht immer so klar. Oft genug wird einer Schauspielerin die Rolle wegen Unfähigkeit weggenommen, während ihr Gatte ein neues blendendes Engagement kriegt. Eine Woche später ist die zur Mesalliance gewordene Ehe geschieden. Er sucht sich einen Star zur Gattin.

Aber nicht alles, was das Publikum mit scheuem Raunen nennt, ist Star. Es gibt gefeierte Größen, die monatelang ohne Beschäftigung und ohne Gage sind und sich, wie wir gesehen, die Miete ausborgen müssen. Und selbst einer, der für den Verkauf seines Schattens fürstlicher bezahlt ist als Peter Schlemihl, verdient noch keinen Bruchteil von dem, was die Geschäftsleute der Branche verdienen; Mr. Irving Thalberg, achtundzwanzig Jahre alt, General Producer der Metro-Goldwyn, macht zum Beispiel eine Million Dollar im Jahr. Sehn Sie, das ist ein Geschäft, so was bringt was ein . . .

». . . jedoch ein jeder kann das nicht, das muß verstanden sein, Mr. Kisch!

 


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