Egon Erwin Kisch
Paradies Amerika
Egon Erwin Kisch

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Hollywoods Natur, Kultur und Skulptur

Dass Hollywood ein Paradies ist, ein Feengarten, ein Zauberland, das weiß jeder. Wir wollen eine so feststehende, allgemein bekannte Tatsache nicht einschränken und nicht abschwächen, denn dies würde uns nur in den Ruf prinzipieller Oppositionsmacherei oder Originalitätshascherei bringen. So begnügen wir uns, dem obigen Axiom eine kleine Ergänzung hinzuzufügen, nämlich die, daß keine Villenkolonie der ganzen Erdkugel auf einem unfreundlicheren, scheußlicheren, unfruchtbareren Fleck steht als Hollywood. Es war Wüstenland, bevor sich die Filmindustrie aus Gründen der Beleuchtungsstärke und des Regenmangels hier ansiedelte, und es ist Wüstenland geblieben.

Warum aber sollten Kunst und Reichtum in glücklichem Verein nicht imstande sein, auch auf ödem Grund jene geschmackvollen Kastelle mit farbenglühenden Gärten zu schaffen, die wir in den illustrierten Zeitschriften und auf kolorierten Ansichtskarten als die Heime unserer Lieblinge verzückt betrachten?

Das eine schließt das andere nicht aus, und so können wir es nur als einen unglückseligen Zufall verzeichnen, daß die Villen gleichfalls übelster Kitsch sind und die »Parkanlagen« aus Suppengrün bestehen.

Keine einzige Außenaufnahme kann in der Natur von Hollywood gemacht werden, Liebesspiele und Jagdszenen im Suppengrün wären kein box office, kein Kassenerfolg.

In Hollywood selbst wächst kein Gras. Aber in den Ateliers kann es der Regisseur natürlich anordnen, und dort, wo gestern noch der Ahnensaal eines mittelalterlichen Schlosses stand, wuchert heute Präriegras in gewünschtem Ausmaß. Solcherart eingegraben sind Rasenplätzchen auch vor einigen Villen; und auf den Landstraßen, welche hier – das ist doch klar! – »Boulevards« heißen, sind sogar Palmen und Eukalyptus und Pfefferbäume angebracht. Dieser Rasen und diese Bäume werden über Nacht niemals weggeräumt, das Wetter schadet ihnen ja ebensowenig, wie es ihnen nützt, und stehlen – wer sollte diese Flora stehlen?

Auf den Bergen die Burgen sind solide Gotik, Spätgotik aus der Zeit 1925 n. Chr., mitsamt Schießscharten für die Armbrustschützen, Zugbrücken für die Reisigen und Rundtürmen für die fanfarenblasenden Wächter, kurzum alles so, wie es der Filmherr braucht, wenn er am Abend aus der Welt des Scheins flüchtet, ihr entrückt sein will. Die Berge aber, auf denen diese edlen Felsennester stehen, sind echt: ihr Grau und ihre Höhe erinnern an Misthaufen und Abraumplätze.

Jedes Haus hat seine Garage, zu der von der Landstraße aus eine kleine Rampe hinaufführt. Aber mit den Autos ist es wie mit den Palmen und dem Gras: weil es hierorts weder schneit noch regnet, noch das Auto gestohlen wird (Stars stehlen einander selten die Autos, da das auch im Film nur selten vorkommt und jede sonstige Anregung fehlt), so fährt es vor die Garage, aber nicht in die Garage, in die es schwer zu navigieren ist. Nun stehen die Autos vor ihrem Heim, als hätte der Operateur eben abgeblendet.

Alles ist so provisorisch. Die Wohnhäuser zum Beispiel, einstöckig, mit Falzziegeln gedeckt, spanischer Stil, ein Blumentöpfchen unter jedem Rundbogenfenster und ein Balkönchen unter jedem zweiten, und die ebenerdigen, aus fertiggelieferten Holzfassaden bestehenden Geschäftshäuser. Quadratkilometergroße Lücken klaffen zwischen Haus und Haus. Wo soll man, bitte, die zu jedem besseren Boulevard gehörigen Plakate hinkleben, wenn keine Wände da sind? Nun, man füllt eben die Lücken in den Häuserfronten mit Plakatwänden aus, die von Hermen gehalten sind.

Noch ein neues Mittel der Anpreisung tritt von Hollywood aus seinen Eroberungszug durch die Staaten an: das Denkmal im Dienste der Reklame. Ansätze der weltumwälzenden Idee, die Skulptur zur Hebung des Kundenfangs zu verwenden, dieser Kunstgattung endlich einen praktischen Zweck zu geben, waren in Amerika schon vorhanden; bessere Firmen, besonders Aktiengesellschaften mit propagandawürdiger Ware, setzten ihren tüchtigsten Verwaltungsräten auf öffentlichen Plätzen Monumente. Immerhin mußten besagte Verwaltungsräte zu diesem Behufe tot sein.

In Los Angeles errichten sich die Kaufleute ihre Denkmäler bei Lebzeiten. Da steht ein überlebensgroßer Mann auf der Weltkugel. Wir treten näher und sehen, daß er eine Tasse zum Mund führt – Advertising für eine Kaffeesorte. Ein bronzener Rennfahrer jagt im bronzenen Rennauto, das seinerseits auf bronzenem Sockel fixiert ist – aus Gold ist der Name der Autofabrik. Das bezopfte Mädchen an der Büffelkuh melkt für das nächste Milchgeschäft. Rotjackige Hotelpagen, einen Koffer unter dem Arm, haben ihre Statuen – die Adresse des Hotels steht darunter. Ein Dampfer schwimmt auf Wellen eines Postaments – benutzen Sie nur diese Schiffahrtsgesellschaft. Von Donatello könnte das Reiterstandbild des heiligen Georg sein, der den Drachen ersticht – sinnige Propaganda für einen Drugstore, der heiße Würstchen, kalte Getränke und Schundromane führt.

Wenn die Skulptur, warum nicht auch die Architektur? Wir bauen Reklame. Vom Film haben wir's gelernt, vom Film, wie man baut. Konditoreien sind Windmühlen, deren Flügel sich drehen, ein Geschäft mit Eiscreme hat die Form einer riesigen Eismaschine mit rotierender Kurbel, das Kabarett ist eine getreue Nachbildung des Moulin rouge, ein Gasthaus, das frugale Kost ankündigen will, präsentiert sich als grauer Kerker mit Gitterfenstern, ein anderes zeigt an, daß es schnellen Imbiß gewährt, indem es in einem neugebauten Wrack wohnt, über dem die drei Buchstaben SOS zucken, in einem Eimer essen die Gäste der Milchhalle. Das alles keineswegs etwa in einem Lunapark, sondern auf dem »Boulevard«.

Nicht immer ist die bauliche Logik verständlich. Warum ein Restaurant die Form eines braunen harten Hutes hat, warum das größte Kino Hollywoods als chinesisches Theater eingerichtet ist, warum der jüdische Gottesdienst in einer kreuzgeschmückten Kirche mit der Aufschrift »Unitarian Church« . . . halt! Da hätten wir uns beinahe blamiert. Diese kreuzgeschmückte Kirche ist wirklich eine Kirche und keine Synagoge, nur verhängt sie an israelitischen Feiertagen ihre Heiligen und Altäre und Weihbecken und vermietet sich an die Frommen der Filmbranche. Bis vor einigen Jahren wurde sie bloß für den Versöhnungstag abgegeben, aber es stellte sich für beide Teile als rentabler heraus, für alle israelitischen Feiertage zu mieten beziehungsweise zu vermieten. Große Möglichkeiten für das nacheifernde Europa: in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche predigt der Berliner Oberrabbiner und in der Alt-Neusynagoge spendet der Fürst-Erzbischof von Prag allen Gläubigen den Apostolischen Segen. Natürlich gegen gute Dollars.

Es ist ein liebliches Plätzchen, dieses Hollywood, sowohl was natürliche Gaben als auch was architektonische Anlage, Skulptur und überhaupt Kultur anlangt, und wir sehen jetzt, woher die Geistigkeit seiner Filme quillt.

Ein Mehr ist über diese Örtlichkeit nicht auszusagen, über die mehr ausgesagt wird als über irgendeine andere der beiden Hemisphären, da sie – um die Charakterisierung Hamlets umzukehren – von Gebärdenträgern und Geschichtenspähern bevölkert wird.

 


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