Egon Erwin Kisch
Paradies Amerika
Egon Erwin Kisch

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Hilfe! Grundstücke sind verrückt geworden

Das ist das Erstaunlichste, Überraschendste, unvorbereitet sind wir, da es niederprasselt.

Und doch: deckt es sich nicht am ehesten mit dem Begriff »Amerika«, den wir knabenweise empfingen, als wir lasen von Prärie und Sierra Nevada und Grand Cañon und Colorado, von Indianern und Goldgräbern und Trappern?

Fieber, Rausch, Abenteuer, Urwald, Wildnis, Jagd dringt auf uns ein . . .

Wo? Auf den gutgepflasterten, von Straßenbahnen durchfahrenen Straßen der zivilisierten Stadt Los Angeles, Cal.

Vor jedem Hauseingang auf Main Street steht eine ältere Dame oder ein elegant gekleideter Herr, der mit einem Krayon spielt. Sie halten einen Stoß Papier in der Hand und winken, reden, rufen, schreien allen halbwegs kreditfähig aussehenden Passanten zu, einen Zettel von ihnen anzunehmen.

Wozu verpflichtet die so eindringlich erbetene Annahme eines Zettels? Sie verpflichtet zu nichts, sie berechtigt, berechtigt zu einem ganztägigen unentgeltlichen Ausflug in wunderbare, wilde Gegenden Kaliforniens mit silbernen, goldenen, diamantenen, paradiesischen, rivierischen, miramarischen, venezianischen Namen.

Und wozu verpflichtet die Teilnahme an dieser unentgeltlichen, romantischen Fahrt in den Autobussen, die an der Straßenecke bereitstehen? Sie verpflichtet zu nichts, sie berechtigt zu einem guten Mittagessen und einem guten Abendbrot und zum Anhören von Vorträgen.

Das Ganze ist Propaganda für irgendeine subdivision, ein von subdividers gekauftes Gebiet, dessen Parzellen, »lots«, sie nun einzeln verkaufen wollen. Sie haben viel dafür getan, das Grundstück vielleicht schon als Stadt angemeldet (entweder als town, wozu es der durchgeführten Kanalisierung, Beleuchtung und Straßeneinteilung bedarf, oder als city mit Wasserwerk), vielleicht aber sogar als county.

Die Spekulanten haben den Alderman gewählt oder einen Stadtrat konstituiert, mit einem Mayor an der Spitze; sie haben natürlich auf dem Grundstück die zehn Familien ansässig gemacht, ohne die sie die behördliche Bewilligung zur Gründung des Ortes nicht bekämen; sie haben ihre künftige Großstadt in Bezirke eingeteilt: in diesem Bezirk des Bezirks wird Handel getrieben werden, in jenem die Industrie blühen, in jenem jedermann in seinem Heim glücklich sein, dort die internationalen Fußballmeisterschaften ausgefochten werden, hier der Prachtbau der Oper stehen, und dort kann man sich begraben lassen.

Es ist alles da, die Straßen sind asphaltiert und tragen Straßentafeln, Kandelaber des elektrischen Lichts erheben sich, Rinnsteine säumen das Gebiet ein – es fehlen nur die Häuser.

Ein einziges Haus erhebt sich bereits, eine Farm, auf der Hühner gezüchtet werden. Gleichzeitig dient es als Tract Office, man kriegt Auskünfte oder Grundstücke darin, und hier hält auch der besagte Autobus, auf das seine Insassen die Mahlzeit mitsamt lobpreisendem Vortrag einnehmen können.

Das Spießrutenlaufen durch das dichte, lückenlose Spalier der Schlepper und die Werbung durch Landpartien, das ist nur ein geringfügiger Teil der Grundstückspropaganda, die den ahnungslosen Besucher von Los Angeles mit trommelfeuerartiger Vehemenz überfällt. Die subdividers unterhalten in der Stadt riesige Läden, in deren Schaufenstern Fische schwimmen, Affen ihre Akrobatenkunststücke treiben, Goldfasane umherhuschen, Ameisenbären einen Ausgang durch die Glasscheibe finden möchten, Biberratten in einem Rad vorwärts zu laufen versuchen, ohne andere Wirkung, als daß das Rad kreist und sie selbst immerfort an der gleichen Stelle bleiben . . . Im Innern des Ladens: plastische Karten der morgigen Weltstadt, an den Wänden hängen Lagepläne, Preistabellen nach acre und lot, und es besagen Ankündigungstafeln: »Wir veräußern dieses Paradies als rohe Wüste« oder »Verschlaft nicht wieder eure Chance! Jetzt ist's an der Zeit.«

Exzesse führt das Radio auf. In Amerika gehören die Sendestationen (ebenso wie Telegraf und Eisenbahn) privaten Firmen, der Empfänger zahlt nichts fürs Abhören. Die gesprochene Annonce gestaltet das Broadcasting zu einem lukrativen Unternehmen, und überall hört man – zwischen den Sätzen einer Symphonie – Gebrauchsartikel anpreisen, von Zigarettensorten bis zu Staubsaugern. Nur in Kalifornien ist dafür fast gar kein Raum. Vierzig Prozent der Reklamesprüche sind von der Automobilindustrie gepachtet und vierzig Prozent von der Terrainspekulation. Da wird stundenlang für Zukunftsland animiert, dieses geschildert, bis sich der Äther biegt. Nun ist es zwar strafbar, in einem Privatbrief zu lügen (Mißbrauch der Post, also einer staatlichen Institution), nicht aber ist es strafbar, durchs Radio zu lügen, Millionen von Menschen irreführend und betrügend. Von diesem amerikanischen Recht macht die Realitätenvermittlung des Südwestens einen derartig ausgiebigen Gebrauch, daß von Kalifornien aus die Bewegung für ein Gesetz gegen Verbreitung falscher Nachrichten durch den Rundfunk eingesetzt hat.

Das alles, diesen ganzen Wirbel erzeugen die subdividers, die Unternehmergesellschaften, die Eigner der Grundstücke. Aber die Agenturen, die den persönlichen Kontakt mit dem Käufer suchen und am Geschäft nur prozentweise beteiligt sind, die machen noch viel, viel mehr. Kalifornien allein hat zweiundsechzigtausend Licensed Real Estate Brokers, behördlich zugelassene Grundstücksmakler, von denen wiederum viele ein stattliches Personal haben. In winzigen Bungalows und in pompösen Eckläden hausen sie; proklamieren, daß sie Käufe, Verkäufe, Mieten, Pachten, Anleihen, Investitionen, Hypotheken, Eintragungen, Kündigungen, Beaufsichtigungen, Abschätzungen, Steuerfatierungen und Zulagenkontrolle durchführen; mit Kreide auf schwarzen Tafeln zeigen sie an, was sie an »stuccos«, Kalkhäusern, an »frames«, Holzhäusern, und an »acres« von unbebautem Terrain zu verkaufen haben; City Hall und Hall of Records sind Sehenswürdigkeiten von Los Angeles, dort drängen sich in einem unbeschreiblichen Chaos die Heerscharen der Real Estators um die Grundbücher; man kann mit keinem Menschen ins Gespräch kommen, ohne ein lot angepriesen zu bekommen, gehört er auch nicht selbst zum Real Estate Business, so gehören doch mindestens zwei seiner Schwestern oder zwei seiner Väter dazu.

Mit einem der Agenten in sein Spezialrevier zu fahren ist äußerst lohnend. (Wenn auch nicht für den Agenten.) Er fühlt sich als Städtegründer, gegen ihn ist Peter der Große ein kleiner Realitätenmakler, er liebt seine Heimat mit ihren wunderbaren Parks und ihren Wolkenkratzern, unbeschadet der Tatsache, daß sie noch nicht vorhanden sind. Wohlweislich lenkt er sein Kleinauto zunächst durch andere Bezirke im Süden von Los Angeles, durch Huntington Park, Bell, Maywood und Southgate, wo wirklich schon Haus an Haus steht und Straßenbahnen verkehren, obwohl das alles vor fünf, sechs Jahren Brachland war und man einen acre, der heute 1500 Dollar kostet, für achtzig Dollar kaufen konnte. Dann erst fährt er in seine Residenz.

So öde und leer sie ist – das Wichtigste ist bereits getan. Jawohl, das Wichtigste: die Chinesen, die noch im vorigen Jahr hier Gemüse anbauten, sind vertrieben, haha! Wir haben nämlich ein Gesetz, das die Pachtung von Grund und Boden durch Ausländer verbietet, und ein Chinese kann ja nicht Staatsbürger werden, haha! Und da drüben, jenseits des Feldes, haben Mexikaner gewohnt, die haben wir auch glücklich weggeekelt, haha! Sie wissen doch, wo Farbige leben, siedelt sich kein Weißer an, und die ganze Gegend wäre nichts wert . . .!

Das Reich des Maklers beginnt. Über die Straße ist ein Banner gespannt: »Hier lebe!« Auf den Feldern sprossen bunte Fähnchen und Reklametafeln. Die größte besagt: »Hier ist der Rathausplatz.« Und ein Pfeil weist zu einem Fabrikneubau außerhalb des Komplexes: »Dort! Dreitausend Menschen beschäftigt.«

Ja. Die Fabrik. Die ist das große Aktivum, und deshalb wird hier wirklich die Stadt erstehen, die der kleine Makler von seinem Fordwagen aus gründet. Er erzählt mir:

»Das Grundstück hat der Fabrikant von der Grundstücksgesellschaft unentgeltlich bekommen. Zu bauen hat er nicht viel, denn es gibt weder Frost noch Wind. Holz ist billig, und die elektrische Leitung wird ihm von uns gelegt. Das macht sich bezahlt. Die Arbeiter müssen Häuschen beziehen oder Wohnungen mieten, wo Leute leben, entstehen Geschäfte und Gasthäuser – kaufen Sie, ich rate Ihnen gut, in einem Jahr können Sie zu dreifachem Preis verkaufen!«

Welch eine Lektion! Die Preistreiberei der Spekulanten fordert als Opfer den Fabrikarbeiter, der hierherverlegt wird. Von seiner Miete wird das Grundstück der Fabrik bezahlt, mit seinem Lohn bauen Realitätengesellschaften und Makler, auf seine Lohntüte hin etablieren sich Geschäftshäuser und Gastwirtschaften.

Das (von hemmungsloser Propaganda unterstützte) Klima ist es, das den Zug nach dem Westen befehligt, wie früher das Gold und später das Öl die Welt in Scharen nach Kalifornien trieb. Wird auch dieses ungeheure Grundstücksgeschäft als »boom« enden, als Spekulationsmanöver mit nachfolgendem Riesenkrach?

Bisher ist die Stadt um so größer geworden, je kleiner ihr Name wurde: das zwerghafte Pueblo de Nuestra Señora la Reina de Los Angeles de Porciuncula ist zur riesigen Stadt Los Angeles emporgewachsen. Aber von dem Namen Los Angeles ist nicht mehr viel zu kürzen.

Außer dem Massengeschäft mit Häuserparzellen und Wohnstätten gibt es noch ein anderes, ein noch ungeheureres, eines, das das flache Land ergriffen hat und mit einem Regierungsprojekt zusammenhängt.

Gesperrt gedruckt seien die beiden Worte »BOULDER DAM«, die schon während der Präsidentenwahl Anlaß zu Kontroversen der beiden Kandidaten gaben und die man um so intensiver nennen hört, je weiter man nach dem Westen kommt.

Das vom Kongreß genehmigte Projekt, den Colorado River einzudämmen und ein gigantisches Reservoir anzulegen, wird einerseits Besiedlungsmöglichkeiten im bisherigen Überschwemmungsgebiet dieses Stromes, anderseits Bewässerung weiter Landstrecken in Arizona, Nevada und Kalifornien, dritterseits Wasserkräfte von einer Million PS schaffen; der zu erbauende Colorado-River-Aquädukt hat etwa siebeneinhalb Millionen Menschen des Südwestens mit Nutzwasser zu versorgen.

Damit soll das vierhundertjährige Bemühen um die Besiedlung Amerikas beendet, der Westen endgültig erobert werden. Die Romanze lockt, tu es den Pionieren gleich, versuche dich als Gründer einer neuen Generation von Millionären! Take a chance! Es war einmal ein Ire in New York, der kündigte an, er werde von der Brooklyn-Brücke in den Strom springen, um für seine Wirtsstube Reklame zu machen. Er hielt sein Wort und ertrank im East River. So nimmt der große Südwesten seine Chance wahr. Ein Rausch, der Rausch des Boulder Dam hat alles erfaßt, jeder Hausdiener, jeder Pikkolo spekuliert.

Man vergleicht das Projekt mit dem Panamakanal, und mit dem Börsenrausch der ersten Panama-Unternehmung, der Lessepsschen, hat die Stimmung wirklich manche Ähnlichkeit. Die Regierung warnt, aber sie warnt, indem sie animiert: die besten Grundstücke, die am Ufer des Lower Colorado River, seien den Kriegsveteranen vorbehalten. Was kann denn das anderes heißen, als daß die neuen Ländereien, von denen man einige Parzellen den Helden des Vaterlands überläßt, das reine Paradies seien! Auf diese »Warnung« des Department of Water and Power schoß die Flut der Spekulation so hoch empor, daß es schwer sein wird, einen genügend hohen und langen Damm dagegen aufzurichten.

 


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