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27.
Das Zauberlicht

Kehren wir nun zu den Männern zurück, die um den Ballon herumstanden und mit ungeduldigen Blicken zusahen, wie die Hülle sich langsam wieder füllte. Als die Dunkelheit hereinbrach, war sie kaum erst zur Hälfte voll, und es galt, wenigstens noch zwei Stunden Zeit zu gewinnen, ehe der Ballon zum Aufstieg bereit war. Immerhin konnte der Doktor jetzt schon den unermüdlichen Verteidigern seines Lagers ein wenig zu Hilfe kommen. Er kehrte auf den Gipfel des Cerro San Miguel zurück und ließ einen Teil des Starkstromes in den großen Scheinwerfer treten, der an der Vorderseite der Maschine angebracht war. Die Wirkung war fast augenblicklich.

Chiatzutak hatte tagsüber den Angriff absichtlich nicht mit allen Kräften einsetzen lassen. Er wußte, daß seine Leute gegen die weittragenden Büchsen der Weißen nicht aufzukommen vermochten, solange diese ungehindert zielen konnten, und richtete sein Augenmerk zunächst nur darauf, die Feinde so weit als möglich zu ermüden. Bei Nacht konnte er dann seine zurückbehaltenen Reserven mit voller Wucht und frischen Kräften gegen die abgehetzten Weißen loslassen, die in der Dunkelheit kein Ziel mehr unterschieden und im Handgemenge rasch erliegen mußten.

Sobald sich also die Sonne dem Untergange näherte, sahen die beiden Ingenieure auf der Spitze des Berges, wie wahrhaft erschreckend große Scharen aus dem Dunkel des Waldes hervorbrachen und dem Schlachtfelde zueilten. Aber da kam auch schon der Doktor herauf, der diese Entwicklung der Dinge vorausgeahnt hatte, und setzte den Scheinwerfer in Tätigkeit.

Mit grenzenlosem Entsetzen sahen nun die Indianer, die sich schon des Sieges sicher wähnten, plötzlich einen blendenden Lichtkegel in die Ebene herableuchten. Sie hielten ihn in dem ihnen angeborenen Aberglauben für den Ausfluß eines mächtigen bösen Dämons, der den weißen Feinden in ihrem Verzweiflungskampf zu Hilfe kam. Der Schreck fuhr ihnen durch alle Glieder; wie damals vor der unschuldigen Vermummung Miguel Rodillas, suchten sie wieder in regellosem, wildem Durcheinander das Weite, zumal sich das Feuer der Weißen, das schon merklich schwächer geworden war, nun wieder mit der größten Lebhaftigkeit auf jene Gruppen vereinigte, die sich gerade im Beleuchtungsfelde befanden.

Für eine halbe Stunde wollte es fast scheinen, als reiche der Scheinwerfer hin, sie endgültig in die Flucht zu schlagen. Aber Chiatzutak ließ sich nicht so leicht einschüchtern, und da Kapitän Artigas mit seinen ermüdeten Reitern den Feinden nicht wie früher kräftig nachdrängen konnte, gelang es jenem, seine Scharen allmählich wieder zu sammeln.

Dumpf und unheimlich tönten aus der Ferne die Hörner herüber, die er unausgesetzt blasen ließ, um den Seinen den Punkt zu bezeichnen, wo sie sich vereinigen sollten. Mit heftigen Vorwürfen und aufmunternden Reden gelang es ihm auch, ihren ersten Schrecken zu beschwichtigen und sie zur Umkehr zu bewegen; ja, er wußte sogar für jenes unheimliche Licht eine Erklärung zu finden, die sie wenigstens zum Teil begriffen.

Das verminderte ihre ungläubige Furcht. Bald lernten sie sogar den Vorteil auszunützen, der ihnen trotzdem blieb. Sie merkten von selber, daß sich das Feuer der Feinde nur auf jene Scharen richtete, die gerade im Lichte standen; diese brauchten sich bloß glatt auf den Boden zu werfen, um den Kugeln zu entgehen, während ihre Gefährten in dem Dunkel zu beiden Seiten ungehindert vorwärts dringen konnten.

So sahen die Grenzreiter, die schon erleichtert aufgeatmet hatten, plötzlich die Feinde wieder dicht vor sich und schoben zähneknirschend eine neue Ladung in die kaum abgekühlten Läufe. Aber weiter und weiter mußten sie sich zurückziehen; immer enger wurde ihr Kreis.

Endlich waren sie bis an die Schützengräben zurückgedrängt. Der Doktor brauchte den Reflektor nicht mehr zu bewegen; mitten in dem Lichtkreis lag das kleine Lager am Fuße des Berges, und ringsherum war das Schußfeld noch etwa auf dreihundert Schritte erleuchtet.

Sonderbar und für beide Offiziere geradezu unbegreiflich war der Umstand, daß die Roten all ihren Ingrimm nur gegen die Wagen am Fuße des Berges richteten, hingegen sich um die Beute oben auf dem Gipfel gar nicht zu kümmern schienen. Denn wären sie von allen Seiten gegen den Berg angestürmt, würde es den Verteidigern trotz aller Tapferkeit wohl nicht möglich gewesen sein, sich unten beim Tümpel zu halten.

Der Grund dafür war zweifach.

Zunächst trauten die Indianer trotz alles Zuredens ihrer Häuptlinge dem Scheinwerfer doch nicht recht und wollten es lieber nicht auf die Probe ankommen lassen, ob jenes Feuer nur von Menschenhänden oder doch von Dämonen entflammt war. Chiatzutak anderseits hatte diesmal keinen Gefangenen, der ihm die Schwächen seiner Gegner verriet. Da er nun von der Gefährlichkeit des Ballons bereits unterrichtet war und bemerkte, wie die fliegende Kugel von neuem gefüllt werden sollte, schloß er mit Unrecht, daß mit deren Zerstörung die Feinde dem Untergang verfallen seien. Darum der allgemeine Ansturm gegen die Wagenburg, der den Indianern verhängnisvoll werden sollte.

Vorläufig war die Lage der Weißen allerdings noch äußerst kritisch. Die Reiter kauerten noch nicht lange in den Schützengräben, da verstummte plötzlich ihr mächtiger Verbündeter, das Maschinengewehr, denn es war ihm die Munition ausgegangen. Auch waren die Indianer nunmehr schon so nahe gekommen, daß sie mit ihren Pfeilen die Tiere erreichen konnten, die hinter den Wagen angebunden standen; verschiedene von diesen wurden verletzt, schlugen wild um sich und erregten unter den anderen die größte Verwirrung, so daß die Leute um den Ballon in fortwährender Gefahr schwebten, durch die Hufe schwere Verletzungen zu erleiden.

Da entschloß sich Ingenieur Römer endlich, die Wasserzersetzung zu unterbrechen, obwohl der Ballon kaum erst zu zwei Dritteln gefüllt war. Er sagte sich jedoch, daß er in diesem Zustande wenigstens die Empfänger für die elektrischen Wellen in die Höhe tragen und für einige Stunden schwebend erhalten konnte, während es höchst zweifelhaft blieb, ob sie ihn überhaupt auf den Berg brachten, wenn sie noch länger an dieser gefährlichen Stelle verweilten.

Römer gab also dem Oberst seinen Beschluß kund und winkte den Peones, den Ballon mit seinem Seilwagen auf die Höhe des Berges zu bringen. Sie waren darauf schon eingeübt worden und gingen nun mit der ruhigen Kaltblütigkeit an Gefahren gewohnter Männer an die Arbeit.

Kaum sahen die Indianer, daß ihnen die gefürchtete fliegende Kugel zu entgehen drohte, ließen sie alle Scheu vor dem rätselhaften Lichte fallen und stürmten mit wildem Geschrei gegen die Schützengräben vor.

Rasch rief Kapitän Artigas die Seinen zum Rückzuge, die sich nun hinter den Wagen einnisteten und die heranrollende Woge der erbitterten Feinde noch einmal abwehren konnten. Aber ihr Führer begriff wohl, daß sie diese letzte Schanze nur noch für wenige Minuten zu halten vermochten.

Da ließ er schnell entschlossen einige Wagen aus der Reihe schieben; dann sprangen seine Leute zurück und hieben auf die Pferde ein, die nun vollends alle Zucht vergaßen und regelrecht ausbrachen. Sie stießen auf die Indianer, die sich bereits des Sieges sicher wähnten und mit einem ohrenbetäubenden Freudengeheul vorwärts drängten. Im nächsten Augenblick gab es rings um die Wagenburg ein unentwirrbares Chaos von scheu gewordenen Pferden und schreienden, wehklagenden oder fluchenden Männern, wie man es sich wilder und entsetzlicher kaum vorstellen konnte.

Für die Weißen war das eine höchst erwünschte Erholungspause, während welcher sie dem Ballon nacheilen konnten, der schon auf der halben Höhe des Cerro San Miguel angelangt war. Dort kauerten sie sich von neuem nieder, um die Indianer zu empfangen, sobald sie sich von ihrer Bestürzung erholt hatten und wieder vorwärts drängten.

Doch diese Pause dauerte länger, als sie gehofft hatten. Die Indianer stürzten sich nämlich zuallererst auf die Wagen und Geräte, die beim Tümpel zurückgeblieben waren, und schlugen dort wie Unsinnige alles kurz und klein. Selbst die Eisenplatten des Panzerwagens begannen langsam unter ihren wütenden Streichen nachzugeben. Erst als Chiatzutak einen Eilboten sandte und sie mit grimmigen Worten wegen ihres Säumens tadeln ließ, erinnerten sie sich wieder ihrer eigentlichen Aufgabe und rückten von neuem vor, den Abhang des Berges hinan.

Inzwischen war der Ballon glücklich auf dem Gipfel angelangt. Mit einem frohen Aufatmen befestigte der Doktor an dem unteren Ringe des Netzes die Empfängerapparate. Dann stieg der Ballon, während das Seil hurtig von der Trommel lief, in die Höhe und ließ sich bald nicht mehr von dem wolkenbedeckten Himmel unterscheiden.

Jetzt gab auch der Doktor das verabredete letzte Signal. Alle die tapferen Verteidiger, die vor Ermüdung kaum mehr atmen konnten, zogen sich auf die Platte des Berges zurück. Hier legten sie sich der Länge nach auf den Boden und schoben ihre Gewehrläufe über den Rand der Böschung vor, um den Indianern, die mit bewunderungswürdigem Todesmut nach aufwärts stürmten, ihre letzten Kugeln entgegen zu senden. Ja, mancher von den braven Reitern hatte sich schon völlig verschossen und hielt den schweren Falkon in der Hand, um sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen.

Doch den Wackeren sollte dieses letzte, vernichtende Ringen erspart bleiben.

Kaum war das Seil vollständig abgelaufen, an dem der Ballon hing, da schloß der Doktor den Schalthebel, der die Leitungsdrähte von den Empfängern herunter mit der Maschine verband. Dann neigten die drei Ingenieure wieder ihre Köpfe über den Voltmesser, dessen Zeiger sogleich mit einem scharfen Schwunge weiterschnellte und sich auf der Ziffer Hunderttausend einstellte. Fast die ganze ungeheure elektrische Energie, die man ihnen von den Anden herüberschickte, wurde in der Maschine aufgefangen!

Hastig öffnete und schloß Doktor Bergmann noch einige andere Schaltungen. Dann stieg aus der Mitte des geheimnisvollen Wagens eine Art zusammenschiebbarer eiserner Mast in die Höhe, der an seiner Spitze einen aufrechtstehenden bleiernen Hohlzylinder von etwa zwanzig Zentimetern Durchmesser und der dreifachen Länge trug. Dieser Zylinder schwebte, als die Röhre völlig auseinander herausgetreten war, in einer Höhe von ungefähr zwanzig Metern über dem Wagen. Um seine Mitte herum lief ein fingerbreiter Spalt, aus dem ein greller Lichtschein herausdrang, als der Doktor neuerdings einen Stromkreis geschlossen hatte.

Augenscheinlich befand sich im Innern des Doppelzylinders eine mächtige Bogenlampe, deren blendende Helle sich wie eine dünne Scheibe nach allen Seiten hin ausbreitete. Durch Drehen einer Schraube aber ließ sich der Spalt im Zylinder senken, und aus der Lichtscheibe wurde ein Lichtkegel, der seine Strahlen rings auf die Abhänge des Berges fluten ließ, während die Leute auf der Gipfelplatte im Dunkel blieben.

Nun schaute sich der Doktor aber sorgsam um, ob nicht etwa einer der Seinen von dem Lichte getroffen wurde. Erst als er sich in dieser Hinsicht beruhigt hatte, rief er ihnen mit lauter Stimme zu: »Nun rührt euch nicht mehr vom Fleck, so euch das Leben lieb ist!«

Mit diesen Worten tat er abermals einen Griff in seine Maschine. Der blendende Lichtkegel verschwand. Aber an seiner Stelle begann eine geheimnisvolle Kraft zu wirken, die den atemlos lauschenden Männern fast das Blut in den Adern erstarren ließ.

siehe Bildunterschrift

Wie vom Blitz getroffen, sank eine Reihe der roten Krieger nach der anderen nieder.

Noch beleuchtete der Scheinwerfer einen beträchtlichen Streifen von der Böschung des Berges und ließ erkennen, daß die Indianer schon zwei Drittel derselben erstiegen hatten. Da hielten die Vordersten plötzlich, wie von einer übernatürlichen Gewalt getroffen, mitten in ihren Bewegungen inne, öffneten die Arme und taumelten nach rückwärts zu Boden. Im nächsten Augenblick ereilte ihre Hintermänner das gleiche Schicksal, und wie vom Blitze erschlagen sank eine Reihe der roten Krieger nach der anderen nieder, um sich nicht mehr zu rühren. Immer weiter hinab lief die furchtbare, unbegreifliche Linie, die das Leben von dem Tode zu trennen schien; sie erreichte den Fuß des Berges und huschte dann eilig weiter über die Ebene hinaus, gefolgt von dem Lichtkegel des Scheinwerfers, der ihre unheimliche Wirkung den oben Harrenden sichtbar machte.

Keine Viertelstunde war verstrichen, da schien in der ganzen weiten Runde auch nicht ein roter Krieger mehr am Leben zu sein. In regellosem Wirrwarr lagen sie über die Abhänge des Berges und die Pampa hin zerstreut. Die Waffen waren ihren Händen entsunken; an Stelle der jubelnden Siegesschreie, die kurz zuvor noch die Luft hatten erzittern lassen, war das eisige Schweigen des Todes getreten.

»Entsetzlich!« hauchte der Oberst und schaute mit düsterem Grauen auf den Mann, der mit einem einzigen Hebeldruck Vernichtung über Tausende auszusäen vermochte. Auch Kapitän Artigas und alle anderen waren nicht minder erschüttert.

»Beruhigen Sie sich, meine Herren,« rief da der Doktor mit einem fröhlichen Lachen, »es geht nicht einem einzigen von unseren roten Freunden an den Kragen. Sie sind nur auf eine oder mehrere Stunden bewußtlos, je nachdem sie sich näher oder entfernter von meiner Maschine befanden.«

»Dem Himmel sei Dank, daß Sie uns diesen Trost geben,« erwiderte der Oberst und trocknete sich den kalten Schweiß auf seiner Stirne. »Ich bin ein alter Soldat, aber in meinem ganzen Leben werde ich diese schauerliche Viertelstunde nie wieder vergessen können.«

»In der Tat, ich kann Ihnen nur recht geben,« pflichtete Kapitän Artigas bei. »Ich bin doch von Jugend auf an Kampf und Streit gewöhnt und habe in den zahllosen Kämpfen gegen die Indianer manche Schreckensszene miterlebt; aber dieser Anblick hier war selbst für abgehärtete Pampaläufer kaum zu ertragen. Wie Garben unter der Sense des Schnitters sanken die Männer nieder, und dazu alles so lautlos, ohne jede sichtbare Ursache, als ob das Sterben des Jüngsten Tages über sie hereingebrochen wäre. Doch genug davon! Erklären Sie uns endlich, womit Sie diese riesenhafte Wirkung zu stande brachten. Sie können jetzt wohl damit herausrücken, denn ich glaube nicht, daß zu dieser Stunde noch jemand an Ihren Worten und Ihrem Genie zu zweifeln wagt.«

»O bitte, beschämen Sie mich nicht,« entgegnete der Doktor. »Ich habe nur einen guten Gedanken gehabt, auf den hundert andere ebenso leicht hätten kommen können. Die Erklärung ist recht einfach.«

Er beschrieb nun seine Maschine und ihre Wirkungen, soweit auch wir sie schon kennen, dann fuhr er fort: »Wenn ich die erhaltene Energie, statt sie im Transformator auf Starkstrom umzuwandeln, in den dritten Teil meiner Maschine einleite, kann sie in der von mir erfundenen Lampe dort oben auf dem Maste sowohl gewöhnliches weißes Licht erzeugen, aber nach Wunsch auch eine Art schwarzer Strahlen von völlig neuartigen Eigenschaften, zu deren Entdeckung ich durch folgende Überlegung geführt wurde. Schon vor mehreren Jahrzehnten hatte man des öfteren die Beobachtung gemacht, daß durch länger dauernde Bestrahlung mit grellem Bogenlicht bisweilen – wohlgemerkt, nur bisweilen! – schwere Augenentzündungen, manchmal sogar Gehirnaffektionen hervorgerufen wurden. Man pflegte nun diese Wirkung dem Umstande zuzuschreiben, daß jene Bogenlampen eine besonders große Menge von violetten und ultravioletten Strahlen aussandten, die bekanntlich chemisch äußerst wirksam sind. Doch diese Strahlen rufen eigentlich nur, ähnlich den Röntgenstrahlen, Zerstörungen organischer Gewebe hervor, so daß sie mir zur unmittelbaren Erklärung jener Gehirn- und Nervenaffektionen nicht auszureichen schienen. Zugleich fiel mir ein, daß kleine Tiere, zum Beispiel Ameisen, im violetten Licht eine merkwürdige Unruhe an den Tag legen, was mir jedenfalls nur zum Teil auf rein chemische Vorgänge, aber daneben zweifellos auch auf physiologische Ursachen zurückzuführen notwendig schien.«

Hier fuhr Sir Allan Bendix hastig mit der Hand in die Brusttasche und holte sein umfangreiches Notizbuch heraus. Er hatte die bisherigen Erklärungen ziemlich gleichgültig mit angehört; aber wie jetzt die Rede auf Insekten kam, fühlte er plötzlich ein unwiderstehliches Interesse für Doktor Bergmanns Entdeckung und begann eifrig in seinem Buche zu schreiben.

Über Bergmanns Gesicht huschte ein leises Lächeln, als er diese unverhoffte Begeisterung bemerkte, dann fuhr er fort: »Ich begann also, zunächst das an violetten Strahlen besonders reiche Licht glühender Quecksilberdämpfe auszusieben, wie der technische Ausdruck lautet, ging dann zu den verschiedenen anderen Lichtquellen über und unterwarf sie Punkt für Punkt einer systematischen Erforschung. Nach jahrelangen Untersuchungen und Bemühungen ist es mir auch gelungen, nachzuweisen, daß die erwähnten Nervenwirkungen des blauen Lichts in der Tat auf eine Beimischung gewisser fremder Strahlen zurückzuführen sind. Aber nicht nur das! Ich konnte sogar einen Apparat, oder, wenn Sie den Ausdruck vorziehen, eine Lampe konstruieren, die nur jene auf das Nervensystem wirksamen Strahlen erzeugt, und zwar bei einem hinreichend starken elektrischen Strom in solcher Intensität, daß sie das Nervensystem von Menschen und großen Säugern auf der Stelle lähmen, ja bei allzulanger oder heftiger Einwirkung dauernd zerstören und den Tod herbeiführen können. Deshalb vorhin meine Warnung an Sie, sich ruhig zu verhalten.«

Von seinen Zuhörern waren nur die beiden Assistenten hinreichend wissenschaftlich gebildet, um seine Erklärungen vollkommen verstehen zu können. Die anderen schüttelten immer wieder voll Verwunderung die Köpfe, und bei den Grenzreitern hätte man vollends nicht genau sagen können, ob sie den Doktor noch für einen sterblichen Menschen ansahen und nicht vielmehr, gleich den Indianern, für einen mächtigen Zauberer und Schützling dämonischer Mächte.

Bergmann setzte nun die Lampe im Bleizylinder außer Betrieb und ließ dafür eine Bogenlampe aufleuchten, die den ganzen Cerro San Miguel und noch ein Stück der Pampa mit freundlichem hellem Schein überstrahlte. Dann griffen alle nach den wenigen Lebensmitteln, die sie vor der Wut ihrer Feinde hatten retten können, und brachten den Magen zur Ruhe, der nach den stundenlangen Kämpfen und Mühen allen recht vernehmlich knurrte.

siehe Bildunterschrift

Die Indianer erwachten einer nach dem anderen aus der Betäubung, starrten einige Augenblicke um sich und stürzten dann in wildem Entsetzen davon.

Nicht lange darauf konnten sie bemerken, wie sich die Voraussage des Doktors langsam zu erfüllen begann. Von den Indianern, die am weitesten entfernt waren, erwachte einer nach dem andern aus der Betäubung. Sie erhoben sich, starrten einige Augenblicke um sich und stürzten dann in wildem Entsetzen davon, da sie das Gelände ringsum mit den vermeintlichen Leichen ihrer Stammesgenossen übersät sahen.

Die siegreichen Weißen beobachteten von der Höhe des Berges mit fröhlicher Neugierde dieses noch nie gesehene Schauspiel und brachen zu wiederholten Malen in ein helles Lachen aus, wenn einige der Wiedererwachten sich gar zu drollig benahmen und in ihrer ersten Verwirrung die tollsten Sprünge ausführten.

So verminderte sich die Zahl der Feinde immer mehr und mehr. Aber selbst als der Morgen heraufkam, lagen noch einige Dutzend Krieger, die am weitesten herangekommen waren, besinnungslos über den Abhang des Berges zerstreut.

Der Doktor ließ einige von ihnen, die Häuptlinge zu sein schienen, heraufbringen und fesseln. Sie sollten als Geiseln dienen und als Friedensvermittler zwischen ihren roten Brüdern und den Weißen. Mit Ausnahme dieser wenigen und der im Kampfe Gefallenen war um die Nachmittagstunden des 2. März auch nicht eine einzige Rothaut in der weiten Runde mehr zu sehen.

Damit war ein glänzender Sieg errungen. Doch durften die Weißen vorläufig noch nicht ans Feiern denken. Von ihrem Wagenpark waren nur wertlose Trümmer übrig, ihre Munition auf einen kleinen Rest zusammengeschmolzen, und vor allem mangelte es an Lebensmitteln. Diese mußten also herbeigeschafft werden, solange die Indianer noch unter dem Eindrucke ihrer Niederlage standen; war es doch immerhin möglich, daß Chiatzutak sie trotz allem noch einmal um sich scharte und zum Kampfe heranführte.

Etwa dreißig von den Grenzreitern steckten daher alle Munition zu sich, die sich noch auftreiben ließ, und machten sich zu Fuße auf den Weg nach einem kleinen Süßwassersee im Norden des Cerro San Miguel, dessen Abfluß sich weiter im Westen in den Salar de Santiago ergoß. Dort angekommen, verlegten sie sich mit den verschiedensten Werkzeugen auf den Fischfang, und wirklich gelang es ihnen, am Abend eine ansehnliche Beute ins Lager zurückzubringen. Was von den Fischen nicht gleich zum Rösten ans Feuer kam, wurde gedörrt und für den Fall der Not zurückgelegt.

Der andere Teil der Reiter begab sich auf die Suche nach den Pferden, die während des nächtlichen Kampfes durchgegangen waren. Es gelang aber nur einen kleinen Teil davon wieder einzufangen; die große Mehrzahl hatte sich in den Wäldern verloren und kam nicht wieder zum Vorschein.

Auch zwei von den Indianern hatte der Doktor fortgeschickt, um dem alten Kaziken seine Friedensvorschläge zu überbringen. Sie kehrten am dritten Tage wieder und meldeten die Ankunft Chiatzutaks, der eingesehen hatte, daß der Mut seiner Krieger auf lange Zeiten, wenn nicht für immer, gebrochen war, und sich nun zu Unterhandlungen bereit erklärte. Es wurde ihm freies Geleit zugesichert, dem er sich auch anvertraute.

Die Unterredung mit ihm dauerte nicht sehr lange. Die einzige Forderung der Weißen bestand darin, daß sich kein roter Krieger in Zukunft auf mehr als einen Tagmarsch dem Cerro San Miguel nähere, und Chiatzutak besaß keine Mittel, um dieses Verlangen zu verweigern.

So wurde der Friede von ihm und einigen seiner Unterhäuptlinge beschworen; dann zogen alle, auch die Gefangenen, wieder davon.

Ehe der alte Kazike unter dem grünen Laubdach des Urwaldes verschwand, kehrte er sich noch einmal um und warf einen langen Blick nach dem Berge zurück, an dessen Fuß sein und seines Volkes Schicksal besiegelt worden war.

Ein verzehrender Haß lag in diesem Blicke. Aber dennoch mischte sich etwas wie Bewunderung hinein über das kühne Häuflein der weißen Pioniere, die mit den Waffen ihres Geistes den letzten noch unangetasteten Rest südamerikanischer Erde für die Zivilisation gewonnen hatten. Gleich einer Siegestrophäe schwebte der Ballon über dem Cerro San Miguel in den Lüften, ein stummer und doch sehr beredter Zeuge für die Überlegenheit der weißen Rasse.

Dann kehrte Chiatzutak langsam und mit gesenktem Haupte in seine grüne Waldheimat zurück. Keines Weißen Auge hat ihn jemals wiedergesehen.


In Doktor Bergmanns Lager herrschte nun eine fröhliche und eifrige Tätigkeit.

Schon auf den ersten Bericht hin, daß die Expedition glücklich auf dem Cerro San Miguel angelangt war, hatte sich die in San José bereitstehende Bauabteilung in Bewegung gesetzt, um den Schienenstrang von der genannten Stadt durch den nördlichsten Teil des Gran Chaco boreal bis zum Cerro San Miguel herzustellen.

Bald darauf konnte auch Don Rocca aus Yuquirenda melden, daß die südliche Bauabteilung in Yuquirenda eingetroffen und auf dem Rio Pilcomayo eine regelmäßige Dampferverbindung mit dem Rio Plata und Buenos Aires eingerichtet sei. Nun konnte auch dieses Stück der Matto-Grosso-Plata-Bahn ohne weitere Verzögerung in Angriff genommen werden.

Da gab es nun für den Doktor und seine beiden Assistenten viel zu tun. Er hatte die Aufgabe übernommen, die ihm von den Anden her übermittelte elektrische Energie nach dem gleichen von ihm erfundenen System an beide Bauabteilungen weiter zu geben, damit diese ihre Materialzüge, fliegenden Werkstätten und Exkavatoren in Betrieb setzen konnten.

Die beiden Offiziere und ihre Leute vertrieben sich die Zeit mit Jagd und Fischfang, die bei dem jetzt endgültig eingetretenen schönen Wetter einen äußerst reichen Ertrag lieferten. Schani briet und schmorte vom Morgen bis zum Abend in seiner neu errichteten Küche mit einer Ausdauer und Hingebung, als wolle er mit seiner Kunst die Unsterblichkeit verdienen.

Sir Allan hatte es fertig gebracht, wenigstens seine kostbare Käfersammlung aus dem Kampfgetümmel des 1. März noch rechtzeitig auf den Gipfel des Cerro San Miguel zu retten. Jetzt konnte er sich ungestört am Anblick seiner geliebten Sechsbeiner ergötzen, so lange er wollte.

Und Mr. Bopkins? Der vielgeprüfte Selfmademan hatte sich die letzte Lehre zur ernstlichen Warnung dienen lassen. Er bemühte sich nach besten Kräften, seine Gefährten die Vergangenheit vergessen zu lassen und sich ihnen nützlich zu erweisen. Da er jedoch außer dem Geldverdienen keine andere Kunst verstand, verfiel er auf den Ausweg, Sir Allans glühendsten Wunsch erfüllen zu helfen; er durchstöberte alle erdenklichen Orte nach Insekten und stopfte alles in seine Tasche, was mehr als vier Beine zu haben schien.

Da gab es nun freilich im Anfange unter seiner Jagdbeute eine Menge anderes Getier, wie Asseln, Tausendfüßler, Spinnen, Baum- und Wasserwanzen, selbst Blattläuse und einmal sogar einen jungen Skorpion. Aber Sir Allan, der die schüchternen Bestrebungen des reumütigen Yankee mit väterlicher Herablassung aufnahm, verzieh großmütig diese zoologischen Mißgriffe, und schon in wenigen Wochen war Mr. Bopkins zu einem tadellosen Käfersucher ausgebildet.

Und da kam endlich auch das große, heiß ersehnte Ereignis! Als der Yankee eines Abends seine Sammelflasche leerte, da war die hundertste neue Spezies darunter und Sir Allans Glück kannte keine Grenzen mehr. Er umarmte seinen einstigen Widersacher in heller Begeisterung wohl ein dutzendmal und hielt beim folgenden Abendessen eine so glänzende Rede auf dessen Besserung, daß auch der letzte Mißton aus den Reihen der Expedition verschwand und für die übrige Zeit des Zusammenseins nur mehr sonnige Eintracht im Lager herrschte.

In eifriger Arbeit verstrichen noch zwei Jahre. Dann lief der erste Eisenbahnzug von San José nach Yuquirenda hinunter; er nahm auch unsere Helden mit, die vom Gran Chaco nun genug gesehen hatten und sich wieder nach der Heimat sehnten. Ihr Gepäck war leicht geworden, sogar Mr. Bopkins' berühmter Zylinder war den Weg alles Irdischen gegangen. Nur Sir Allans John schleppte zwei riesige Bündel hinter seinem Herrn drein; es waren die Manuskripte über die neuentdeckten Käfer, hundert an der Zahl, denn der unermüdliche Forscher hatte über jede Art ein besonderes Werk geschrieben.

Wollen wir, freundlicher Leser, nun miteinander hoffen, daß ihm keine seiner schwer errungenen Spezies von der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften abgestritten wurde!

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