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1.
Ein Ball und sein nasses Ende

Etwa vier Leguas (22 km) nordwestlich von dem Punkte, wo der sechzigste Grad westlich von Greenwich den Rio Pilcomayo schneidet, liegt das Fort Yuquirenda. Seine Befestigungen bestehen aus einem ungefähr zwei Ellen hohen Lehmwall, den der Regen besonders an den Ecken zum größten Teile wieder weggewaschen hat, und einem sogenannten Graben davor, der aber selbst der halbflüggen Jugend des Städtchens kein besonderes Hindernis in den Weg legt, wenn sie, was oft genug geschieht, das Weichbild der Festung nicht gerade durch eines der beiden Tore verlassen will. Der Raum innerhalb dieser Umwallung ist in ungefähr achtzig Manzanas (Raum zwischen vier sich rechtwinklig kreuzenden Straßen) geteilt, von denen kaum die Hälfte ein Bauwerk aufweisen kann. Diese letzteren sind ohne Ausnahme aus adobe errichtet, das ist lehmige Erde, mit Stroh vermischt und in der Sonne getrocknet; diese Art von Ziegelsteinen bildet in jener Gegend das einzig erreichbare Material zum Häuserbauen.

Die Häuser bestehen größtenteils aus einem nach der Straße zu fensterlosen Raum ohne Stockwerke, der sich nach dem Hofe in einen Korridor öffnet. Auf dem Hofe ( patio) steht auch die Küche, die im enramada-Stil errichtet ist, daß heißt: sie besteht aus einem aus Zweigen geflochtenen Dache, das an den vier Ecken mit hölzernen Pfählen unterstützt wird. Die übrigen drei Seiten des Hofes werden von den galpones gebildet, die als Magazine dienen; ihre Längsseiten erreichen beinahe den Boden, während die Schmalseiten offen bleiben und nur selten durch eine Art Vorhang verschließbar sind.

Die Bequemlichkeit in diesen Häusern au der Grenze des Chaco (sprich: tscháko) besteht vornehmlich aus jenen berühmten Schlafstellen, die von europäischen Reisenden ausnahmslos als ein höchst sinnreiches Marterwerkzeug für einen von Ritt und Sonnenbrand ermüdeten Rücken beschrieben werden. Sie ähneln im allgemeinen den Pritschen unserer Kasernen, ruhen vorne auf niederen, rückwärts auf höheren Pfählen und bestehen aus Palmholzbrettern, bei denen man sich nur selten die Mühe gibt, die hervorstehenden Knorren und Äste wegzuhacken; eine darübergespannte, zum Brechen dürre Kuhhaut erhöht nur unwesentlich die Annehmlichkeit einer solchen Lagerstätte.

Die Speisen werden gewöhnlich auf einer auf den Boden gebreiteten, sorgfältig gegerbten Damhirsch( guazu)-Haut eingenommen. Nur sehr verwöhnte Caballeros erlauben sich auch den Luxus eines rohgezimmerten Tisches, um welchen dann Holzklötze von entsprechender Höhe zum Niedersitzen einladen. Doch sind diese einfachen Sessel, wie erwähnt, nur wenig in Gebrauch, denn die Bewohner des Gran Chaco, Caballeros wie Señoras und Señoritas, sitzen entweder im Sattel ihrer Reittiere oder versuchen, auf die beschriebenen Wonnebetten hingestreckt, sich die Langeweile mit Zigarettenrauchen zu verscheuchen.

In diesem weltvergessenen Städtchen wurde nun an dem Tage, da unsere Erzählung beginnt, ein großes Freudenfest gefeiert. In dem Rathause, einem großen galpon, der sich inmitten der plaza erhob und je nach Bedürfnis als Sitz der Kommission für die Präsidentenwahl, als Markthalle für Pferde oder als Ballsaal für die tanzlustige Jugend diente, waren sämtliche Größen der Gemeinde versammelt, nämlich der Kapitän der hier stationierten Dragoner, seine zwanzig Soldaten, der Bürgermeister und der Richter, sowie die übrigen Einwohner mit ihren Damen; denn es wäre eine Ungerechtigkeit und Beleidigung gewesen, auch nur einen der ehrenwerten Einwohner von einer solchen öffentlichen Veranstaltung auszuschließen. Sie tanzten trotz der Schwüle des Abends mit unermüdlicher Ausdauer zu den Klängen der gatos und zambas (landesübliche Instrumente), die einige wetterharte Dragoner handhabten, und erquickten sich zwischenhinein ebenso eifrig an den bereitstehenden Gläsern mit aguardiente (Branntwein), die stets von frischem wieder gefüllt wurden.

Diese allgemeine Fröhlichkeit und Begeisterung galt der Anwesenheit der berühmten Expedition des Ingenieurs Doktor Bergmann, die am nächsten Morgen in das Innere des Gran Chaco Boreal aufbrechen sollte, um für die geplante Bahn von La Sabana in Argentinien nach Matto Grosso in Brasilien das Gelände zwischen Yuquirenda und den Quellen des Rio San Rafael aufzunehmen. Das nördliche Drittel vom Rio San Rafael bis Matto Grosso, sowie das südliche von Yuquirenda bis La Sabana führte durch verhältnismäßig schon bekannte und teilweise sogar besiedelte Gebiete und konnte anderen Ingenieuren überlassen werden. Jenes mittlere Stück aber, das zu den schreckensreichsten Gebieten des ganzen Erdballs gehörte, hatte Doktor Bergmann sich selber vorbehalten, um hier jene geniale Erfindung zu erproben, durch die er wenige Monate vorher alle Welt ins höchste Erstaunen versetzt und den reichsten Mann Nordamerikas für seine Pläne gewonnen hatte.

Von den Hauptpersonen, denen diese festliche Veranstaltung galt, war nur eine im Rathaus anwesend. Die übrigen hatten sich zurückgezogen, angeblich um sich ein letztes Mal ohne Sorgen ausschlafen zu können, bevor sie ihren schwierigen Marsch in die Wildnis antraten; in Wirklichkeit aber wünschten sie, den bewegten Szenen zu entgehen, womit derlei gemeinsame Festlichkeiten in jenen Ländern nicht selten zu enden pflegen. Nur der spitznasige, glatzköpfige Mr. James Bopkins mit dem gelben, ins Grünliche schillernden Ziegenbart war geblieben. Es war dies der Vertreter der südamerikanischen Eisenbahngesellschaft, in deren Diensten der Doktor stand. Bopkins sollte eigentlich bei dem Zuge die geschäftlichen Vorteile der Gesellschaft wahrnehmen, war aber im geheimen aus mancherlei Gründen der geschworene Feind des Expeditionsführers. Jetzt lehnte er, seinen grauen Zylinder tief in den Nacken geschoben, neben dem sogenannten Büfett, blickte durch seinen goldgeränderten Zwicker gleichmütig auf das Treiben vor seinen Augen und hielt die Fäuste fest in den Hosentaschen verborgen, so oft er nicht gerade gezwungen war, mit einem der anwesenden Gentlemen ein Glas aguardiente zu trinken, übrigens kam ihm dieser Zwang nicht gerade ungelegen. Er stellte zwar mit der Zeit wirklich erschreckende Anforderungen an seinen Magen; doch hier galt es, seine Gesellschaft zu vertreten, und wo es sich um das Geschäft handelte, hatte Mr. James Bopkins sich noch nie um irgend etwas in der Welt gekümmert, geschweige denn um seinen Magen.

Trotzdem hätte sein Opfermut für das Interesse der Gesellschaft beinahe einen sehr unerwünschten Erfolg gezeitigt. Er war nämlich von daheim gewohnt, daß die South-American-Railway-Company als eine Macht angesehen wurde, vor der sich jedermann widerstandslos beugte, und hielt es daher für seine Pflicht, wie ein geschnitztes Götzenbild an der Wand zu lehnen und jede Aufforderung zum Trinken nur mit einem steifen Nicken seines würdigen Nußknackerhauptes zu erwidern. Nun sind aber die Südamerikaner ritterliche Leute, die vor Damen, und wären es selbst schmutzige Kreolenweiber, eine noch größere Achtung hegen als vor dem Gelde. Wenn darum der Yankee schon die ihm dargebrachten Gesundheiten als etwas Selbstverständliches hinnahm, so glaubten die Gastgeber doch wenigstens voraussetzen zu dürfen, daß er diese empfangenen Huldigungen weitergebe und zum Dank den Damen etwas vortrinke. Mr. James Bopkins dachte aber gar nicht daran, diesen im stillen gehegten Hoffnungen seiner Wirte zu entsprechen. So entstand schon vom Anbeginn der festlichen Zusammenkunft unter den Teilnehmern ein leichtes Unbehagen, das allerdings für den Augenblick neben den hochgehenden Wogen der allgemeinen Freude und Begeisterung nicht zur Geltung kommen konnte. Je mehr sich aber die Gemüter am Tanz und aguardiente erhitzten, desto eindringlicher empfanden sie die Unhöflichkeit des Fremden, und desto auffordernder wurden die Blicke, womit sie ihn immer von neuem zu einem Gläschen einluden.

Da, um die elfte Stunde, als man von Tanz und Musik vorläufig genug hatte und nach einer Abwechslung begehrte, kam der Unwille plötzlich zum Durchbruch. Es wäre unmöglich festzustellen, wer das erste Wort sprach. Kurz, auf einmal tönte aus aller Munde der einmütige Ruf: »Schlagt ihn tot!«, und die Blicke der Damen, die, den Wänden entlang stehend, sich den Schweiß von der Stirn fächelten, waren womöglich noch zorniger und drohender als die Blitze, die unter den zusammengezogenen buschigen Brauen der Männer nach dem unhöflichen Yankee hinüberleuchteten.

Dieser gähnte gerade an seinem Platze in voller Ahnungslosigkeit aus tiefstem Herzensgrunde, ohne auch nur daran zu denken, daß man einen solchen Mangel an gesellschaftlicher Erziehung wenigstens durch Vorhalten der Hand zu verbergen suchen muß. Da trat ein stämmiger Grenzreiter auf ihn zu, schlug ihm ohne jede Einleitung den Zylinder vom Haupte, faßte ihn dann am Rockkragen und schleuderte ihn mitten in den Saal hinein.

» I protest – Ich protestiere!« schrie Mr. James Bopkins, durch diesen unerwarteten Überfall höchlich ergrimmt. Doch ehe er noch ein weiteres Wort herausbringen konnte, hatte ihn schon ein Dutzend anderer kräftiger Fäuste ergriffen, und dem Repräsentanten der South-American-Railway-Company wäre es ohne Zweifel recht übel ergangen, wäre nicht ein neues Ereignis eingetreten, das die allgemeine Aufmerksamkeit von ihm ablenkte.

Man konnte nämlich von draußen aus ziemlicher Entfernung ein dumpfes Donnern und Krachen vernehmen, als ob sich dort eine nächtliche Schlacht entspinnen wolle, und alle Anwesenden eilten hastig ins Freie, um nach der Ursache dieses ungewöhnlichen und überraschenden Lärms Ausschau zu halten. Auf diese Weise von seinen Bedrängern befreit, erhob sich Mr. Bopkins vom Boden, wandte sich an den Büfettdiener, der gerade als letzter hinauslaufen wollte, und sagte in stolzem Ton: »Ich verwahre mich gegen dieses Vorgehen, das man hier einem freien Bürger der Vereinigten Staaten gegenüber einzuschlagen beliebt hat, und werde durch meine Regierung Genugtuung verlangen!«

Der Diener, ein halbzivilisierter Indianer, verstand zwar von dieser schönen Rede nicht ein Wort, aber Mr. Bopkins fragte wenig danach. Er war zufrieden, seinen Protest an den Mann gebracht zu haben, fischte seinen grauen Zylinder hinter dem Büfett hervor, strich ihn mit dem Rockärmel glatt und verließ, nachdem er ihn wieder auf seinem würdigen Haupte befestigt hatte, gleichfalls die Halle, um an der Neugierde der anderen pflichtgemäß teilzunehmen.

siehe Bildunterschrift

»Ich protestiere!« schrie Mr. Bopkins höchlich ergrimmt.

Das vorerwähnte Getöse hatte auch Doktor Bergmann und seine Begleiter aus dem Schlafe geweckt; sie kamen nun gleichfalls heran.

Da waren vor allem die Vertreter der beiden Staaten, durch welche die neue Bahn gehen sollte, nämlich Don Alfonso Rocca für Paraguay und Oberst Juan Iquite für Bolivia. Dann Doktor Bergmanns beide Assistenten, die Ingenieure Hellwald und Römer. Schließlich ihr Leib- und Küchenfaktotum Johann Jungreitmeier, für gewöhnlich Schani gerufen, der beim Wiener Hausregiment Hoch- und Deutschmeister die ersten Eindrücke vom Ernste des Lebens empfangen hatte und nun in der Fremde seinem hochentwickelten Hange zu Abenteuern Genüge zu finden suchte.

Doktor Bergmann trat auf den Bürgermeister und den Dragonerkapitän zu, von denen jeder, für sich das Recht in Anspruch nahm, der erste Vertreter der Stadt Yuquirenda zu sein, und erkundigte sich, was eigentlich vorgefallen sei.

»Wir befinden uns leider in der gleichen Ungewißheit,« erwiderten die beider:, »und möchten Sie deshalb ergebenst ersuchen, uns bei der Erforschung dieses seltsamen und überraschenden Vorkommnisses gütigst beizustehen. Auch Ihre Herren Gefährten sind höflichst dazu eingeladen.«

Doktor Bergmann und seine Begleiter waren sofort bereit. So stiegen sämtliche Männer, Mr. Bopkins eingeschlossen, ohne Säumen zu Pferde und ritten nach Südosten in die dunkle Nacht hinein, der Gegend zu, von wo der Kriegslärm mit kleinen Unterbrechungen immer noch herübertönte. Sie brauchten dabei nicht zu befürchten, sich in der Richtung zu irren, da ihnen von Zeit zu Zeit aufsteigende Leuchtkugeln und Raketen den Schauplatz des vermuteten nächtlichen Kampfes noch genauer bezeichneten.

Der Ritt war durchaus nicht gefahrlos, denn der Rio Pilcomayo überflutet in den Monaten Dezember bis Februar weithin seine Ufer, wäscht in dem anstoßenden Gelände zahlreiche tiefe Furchen aus und läßt nach der Rückkehr in sein gewöhnliches Bett allerlei madrechones (schlammgefüllte Tümpel) von verschiedener Größe zurück, die den unkundigen Reiter in große Ungelegenheiten bringen können. Doch die Soldaten im Zuge waren an solche nächtliche Streifungen längst gewöhnt, und ihr Kapitän führte den Trupp so ausgezeichnet, daß der Ritt ohne jeden Zwischenfall von statten ging.

Nur ein einziges Mal wurde das einförmige Getrappel durch eine zornige Verwünschung Mr. Bopkins' unterbrochen. Doch da er als letzter ritt und infolge seiner mangelhaften Reitkunst um einiges zurückgeblieben war, wurde sein Ruf und das nachfolgende Plätschern nur von den hintersten Leuten des Zuges vernommen, und diese, Soldaten von der Grenzwache, kümmerten sich wenig um die Störungen im Gemüte des Fremden, der ihre Damen unhöflich behandelt hatte.

Der Kapitän war geradeaus auf die Stelle zugeritten, von wo die Schüsse ertönten, ohne sich um die Krümmung zu kümmern, die der Rio Pilcomayo unterhalb Yuquirenda nach Süden macht. Als sich die Schar kurz nach Mitternacht dem Flusse wieder näherte, ließ der Kapitän halten und schickte einige Späher voraus, denn es war nicht ausgeschlossen, daß eine größere Horde der umherschweifenden wilden indios ein Schiff auf dem Flusse angegriffen hatte, um es auszurauben.

Die ausgesandten Soldaten kehrten nach einer halben Stunde wieder zurück und meldeten, daß sie ohne jedes Hindernis bis an den Fluß hatten vordringen können. Dort fanden sie ein Dampfboot von mittlerer Größe, auf dem ohne jede ersichtliche Ursache Kanonen abgeschossen und Leuchtkugeln abgebrannt wurden. Der Kapitän und seine Begleiter schüttelten bei dieser Nachricht verwundert die Köpfe und setzten sich wieder in Trab.

Als sie den Rio Pilcomayo kurz nachher erreichten, fanden sie die Angaben der Soldaten bestätigt. Der kleine Dampfer lag mitten im Strom verankert. Von einer Bedienungsmannschaft war nichts zu sehen; nur zwei Männer befanden sich auf Deck, beide grau in grau gekleidet und mit einer schottischen Mütze als Kopfbedeckung. Der eine bediente im Vorderteil die zwei kleinen Kanonen, die sich in kurzen Zwischenräumen mit lautem Krachen entluden. Der andere saß auf einer Taurolle neben dem Mast, rauchte eifrig aus einer Stummelpfeife und ließ mit gleicher Ausdauer wie der Mann im Bug die Raketen und Leuchtkugeln aufsteigen, die in einem mächtigen Korbe zur rechten Seite lagen. Sonst störte mir das laute Gezänk der aus dem Schlafe gescheuchten Affen und Papageien die friedliche Stille des nächtlichen Waldes.

»Hallo, Señores,« rief nun der Kapitän zu den beiden Männern in spanischer Sprache hinüber, »brauchen Sie Hilfe oder sonst einen Beistand?«

» I don't understand,« gab der Mann am Mast zurück, während er wieder eine prächtige dreifache Leuchtgarbe in die Luft steigen ließ. Doktor Bergmann wiederholte jetzt die Frage auf Englisch, worauf die Antwort zurückkam: » Oh no! Ich suche nur einen Doktor Bergmann, der sich hier in der Nähe aufhalten muß, und mit dem ich zu sprechen wünsche.« Gleich darauf krachten wieder die beiden Kanonen im Bug.

»Ich bin es, den Sie suchen,« erwiderte Doktor Bergmann im höchsten Grade verwundert. »Womit kann ich Ihnen dienen?«

Da schnellte der Mann am Maste in die Höhe, warf die Raketenstange auf die Planken und rief seinem Kameraden bei den Kanonen zu: »John, es ist genug. Wir haben ihn.«

Sodann kletterten beide in das kleine Boot, das zur Seite des Schiffes an einem Seile hing, machten es los und ruderten ans Ufer. Hier zog der sonderbare Feuerwerker eine Photographie aus der Brusttasche, verglich sie mit den Gesichtern der Männer, die sich um ihn drängten, und streckte dann Doktor Bergmann die Hand entgegen mit den Worten: »Ich bin Sir Allan Bendix und freue mich über alle Maßen, Sie endlich zu treffen.«

Doktor Bergmann stellte rasch die Herren aus seiner Begleitung vor, fragte aber dann in begreiflichem Erstaunen: »Darf ich mich erkundigen, aus welchem Grunde Sie mich hier mitten in der Wildnis so dringend zu sprechen wünschen, und welchen Zweck Sie mit dieser nächtlichen Kanonade verbanden?«

»O, das ist sehr einfach,« erwiderte Sir Bendix. »Ich möchte an Ihrem Marsch durch den Gran Chaco teilnehmen und wäre gern noch in dieser Nacht bis Yuquirenda gedampft, von wo Sie, wie ich wußte, morgen aufbrechen wollen. Aber die verwünschten Tagediebe auf dem Schiff, der Kapitän und seine Matrosen, stellten hier plötzlich die Arbeit ein, weil sie schlafen müßten, wie sie behaupteten. Da fiel mir denn gerade kein besseres Mittel ein, Sie aufmerksam zu machen, als die Leuchtkugeln, die ich in kluger Voraussicht des Kommenden mitgenommen hatte; mein John mußte zur Verstärkung ihrer Wirkung die Kanonen abfeuern.«

»Woraufhin wir nicht anders konnten, als Ihrer eindringlichen Einladung Folge zu leisten,« erwiderte Doktor Bergmann lachend. »Freilich, ohne die Kanonade hätten Sie uns wahrscheinlich nicht mehr in Yuquirenda angetroffen.«

»Sie nehmen mich also mit?« rief Sir Bendix voller Freuden.

»Das kann ich Ihnen nicht ohne weiteres versprechen,« entgegnete Doktor Bergmann mit Zurückhaltung. »Wir stehen vor einem äußerst gefährlichen Unternehmen, bei dem ich nur erprobte Begleiter brauche.«

»In dieser Hinsicht hoffe ich Ihren Ansprüchen genügen zu können,« behauptete Sir Bendix voller Zuversicht. »Ich habe ohne alle Begleitung in Afrika Löwen und Elefanten und in Indien Tiger gejagt ...«

»Die Schrecknisse der Natur,« unterbrach ihn Doktor Bergmann, »dürften bei unserem beabsichtigten Marsche wahrscheinlich sehr in den Hintergrund treten gegenüber den Gefahren, die uns durch die wilden Bewohner des Gran Chaco drohen. Ich weiß nicht, ob Ihnen diese näheren Umstände bekannt sind; aber ohne Zweifel setzen wir alle unser Leben aufs Spiel, was sich nur durch den hohen Zweck unserer Aufgabe entschuldigen läßt.«

»Auch mich treibt ein wissenschaftlicher Zweck in die Wildnis des Gran Chaco,« versetzte Sir Bendix eifrig und fuhr mit wachsender Begeisterung fort: »Ein Zweck, sage ich Ihnen, der sich rühmlich jedem anderen an die Seite stellen kann! Die größten Geister aller Völker und Jahrhunderte haben ihm den Schweiß ihrer Tage und die Mühe ihrer Nächte geopfert; ihr Name wird in alle Ewigkeit in den Tafeln der Geschichte eingegraben stehen, und der Gewinn, den die Welt aus ihren Arbeiten zog, bleibt nicht zurück hinter den höchsten und wichtigsten Errungenschaften der letzten drei Jahrhunderte!«

»Darf ich erfahren, in welchem Fach Sie Gelehrter sind?« fragte Doktor Bergmann.

»Ich bin Käfersammler,« antwortete Sir Bendix stolz, ohne zu bemerken, daß Doktor Bergmann bei diesen Worten nur mit Mühe einen heftigen Ausbruch seiner Heiterkeit unterdrückte. »Ich habe in Afrika dreiundzwanzig, in Asien neunundzwanzig, in Australien siebzehn und sogar in Europa drei neue Spezies entdeckt, während man doch Europa schon längst bis in die letzten Winkel nach Käfern durchsucht glaubte. Aber ich habe mir geschworen, das Hundert voll zu machen, bevor ich wieder nach Old England zurückkehre, und da es keinen unberührteren Boden auf dieser Erde mehr gibt als gerade den Gran Chaco, so bin ich, kaum verbreitete sich die Nachricht von Ihrem kühnen Zuge, herbeigeeilt, um der Gefährte Ihres Ruhmes zu sein oder Ihres Unterganges!«

»Hoffen wir das erstere,« sagte Doktor Bergmann und schüttelte dem Engländer kräftig die Hand. Seinen Wunsch, mit in den Chaco vorzudringen, hatte er anfänglich rundweg abschlagen zu müssen geglaubt; doch wie sich zeigte, besaß der Ankömmling zwar einige recht sonderliche Schrullen, aber zur Entschuldigung dafür auch eine ansehnliche Gabe jener Begeisterung, die für ein vorgestecktes Ziel alles zu wagen bereit ist und nicht im entscheidenden Augenblick aus kleinlichen Bedenken zurückschreckt oder gar feige davonläuft. Solche Leute konnte Doktor Bergmann brauchen.

Da es keinen großen Unterschied machte, ob sie den Rest der Nacht auf den harten Holzplanken von Yuquirenda oder auf der Mutter Erde verbrachten, beschloß man, den Aufgang der Sonne hier am Flusse abzuwarten. Die Soldaten und die Einwohner von Yuquirenda zogen sich also ein kleines Stück vom Ufer in die Pampa zurück, wo sie weniger die Quälereien der überaus zudringlichen Moskitos zu befürchten brauchten, ließen ihre Pferde in die Zügel treten und streckten sich dann ins Gras hin. Die drei Ingenieure und ihr Diener folgten der Einladung des Engländers nach dem Schiff; dort gab es Moskitonetze, ohne die ein Europäer in jenen Gegenden überhaupt nicht reisen kann. Niemand hatte bemerkt oder vielmehr sich daran erinnert, daß Mr. James Bopkins aus dem Trupp abhanden gekommen war.

Als der Morgen anbrach, nahmen Doktor Bergmann und seine Begleiter vorläufig Abschied von dem neuen Bekannten, der sein Gepäck auf dem Schiffe nicht allein lassen wollte, und vereinigten sich wieder mit den Soldaten und Bürgern von Yuquirenda, die eben zum Aufbruch sattelten, als sie eintrafen. Der Ritt durch den kühlen taufrischen Morgen ließ alle die Störung der vergangenen Nacht vergessen, und in fröhlichem Geplauder, dessen Hauptthema natürlich der sonderbare Engländer war, trabten sie wieder auf die schützenden Wälle von Yuquirenda zu.

Sie waren noch nicht weit vorangekommen, da entdeckten die scharfen Augen des Kapitäns ein wenig abseits ein herrenloses Pferd, das beschaulich an den Knospen des niederen Strauchwerks knabberte. Weil es gesattelt und gezäumt war, ließ sich kaum etwas anderes denken, als daß sein Reiter verunglückt sei. Da fiel ihnen nun plötzlich der Vertreter der South-American-Railway-Company ein, und in Doktor Bergmann stieg sogleich die Besorgnis auf, es könne dem ihm Anvertrauten etwas Ernstliches zugestoßen sein. Sie hielten also auf das Pferd zu und erkannten, daß es über und über mit Schlamm bedeckt war. Dieser Anblick vermehrte noch die Bestürzung des Doktors, und eilig verfolgten nun alle die Spuren, die der herrenlose Gaul im feuchten Grase zurückgelassen hatte. Sie führten nicht weit, sondern endeten an einem kleinen Tümpel, der von der letzten Überschwemmung zurückgeblieben war.

Als die Reiter seinen ziemlich steil abfallenden Rand erreichten, bot sich ihnen ein unbeschreiblich schöner Anblick dar. Mitten aus dem gelblichgrauen Wasser ragte nämlich das wehmütige Haupt Mr. James Bopkins', aus welchem jegliche Repräsentantenwürde verschwunden war. Seine sonst strahlende Glatze war von einer schwärzlichen Schlammkruste überdeckt, die sich bis zur Nasenspitze fortsetzte, sein gelber Bart tauchte bis ans Kinn ins Wasser, und kaum eine Elle rechts davon schwamm, mit der Öffnung nach oben, der stolze Zylinder, der die Betrübnis seines Herrn zu teilen schien und voll Ergebenheit auf dessen weitere Entschlüsse wartete.

»Ums Himmels willen, werter Mr. Bopkins,« rief Doktor Bergmann, während er rasch vom Pferde sprang, »wie sind Sie nur an diesen Ort geraten, und warum haben Sie nicht versucht, wenigstens aus diesem Loch herauszukommen?«

»Wie kann ich denn?« jammerte der Yankee. »Der verwünschte Schlamm reicht mir ja bis an den Leib und hält mich fest wie ein Schraubstock. Ziehen Sie mich schnell heraus, Doktor, sonst falle ich vor Müdigkeit um!«

siehe Bildunterschrift

Mitten aus dem gelblichgrauen Wasser ragte das wehmütige Haupt Mr. James Bopkins'

Diesem Wunsche konnte zum Glück rasch entsprochen werden. Der Bewohner der Pampa steigt selten zu Pferd, ohne seine Bolas umzuhängen. Es sind dies faustgroße, runde Kieselsteine, in Leder eingenäht, und paarweise durch einen langen Riemen verbunden. Der Jäger weiß sie mit bewundernswürdiger Geschicklichkeit als Wurfgeschoß zu gebrauchen, wenn er das Pulver sparen oder das Fell des gejagten Tieres nicht durch eine Schußöffnung beschädigen will. Er wirbelt sie dann einige Male über seinem Kopfe und schleudert sie mit tödlicher Sicherheit nach dem flüchtigen Wild, um dessen Beine sie sich schlingen und es so zu Fall bringen.

Auch die Soldaten hatten ihre Bolas für den vermuteten Kampf mitgenommen. Sie knüpften jetzt eine Anzahl derselben aneinander, bis sie quer über den madrechon reichten; dann wurde Mr. Bopkins von mehreren Männern mit vereinter Kraft aus seinem Schlammbade gezogen. Seine Stiefel blieben in dem zähen Lehm stecken, den entthronten Zylinder mußten die Soldaten jedoch auch herausfischen.

Kaum hatte ihn Mr. Bopkins wieder glücklich in seinen Besitz gebracht, stülpte er ihn auf seine Glatze und trat dann mit finsterer Miene vor den Kapitän.

»Sir,« sagte er, »ich protestiere dagegen, wie von Ihren Leuten gegen mich, einen freien Bürger der Vereinigten Staaten, vorgegangen wurde, und werde durch meine Regierung Genugtuung fordern!«

Der Kapitän hatte natürlich erwartet, daß sich der Yankee für die geleistete Hilfe bedanken werde. Als ihm der Doktor nun dessen Worte übersetzte, zog er finster die Brauen zusammen und rief zornig: »Zum Henker, Señor, hüten Sie Ihre Zunge! Es hat Sie kein Mensch aufgefordert, mit uns zu reiten, und wenn Sie sich noch lange sperren, lasse ich Sie in Ihre Pfütze zurücksetzen; da können Sie dann bei Fröschen und Salamandern Verwahrung einlegen.«

Um einen unliebsamen Zusammenstoß zwischen den beiden Männern zu vermeiden, wandte sich Doktor Bergmann mit der Mahnung an den Yankee: »Es dürfte Ihnen ziemlich schwer fallen, Mr. Bopkins, hier ein Verschulden der Soldaten nachzuweisen. Sie sind freiwillig mitgeritten ...«

»Freiwillig?« fiel der Yankee ein. »Ich bin nur durch meine Pflicht gezwungen auf diesen Ziegenbock von einem Gaul gekrochen; denn ich bin der Repräsentant der Gesellschaft, in deren Diensten Sie stehen, und muß Ihre Schritte durch meine Gegenwart gutheißen. Statt nun gebührendermaßen auf mich zu achten, haben Sie mich in diesem Loche abgesetzt, um inzwischen auf eigene Faust handeln zu können. Ich mache Sie hiermit auf diese Eigenmächtigkeit aufmerksam und protestiere gegen alles, was in meiner Abwesenheit dort unten am Fluß vorgenommen wurde.«

»Da kommt Ihr Protest ein wenig zu spät,« erwiderte der Doktor mit leichtem Lächeln. »Wir haben nichts weiter getan als geschlafen und das können wir mit bestem Willen nicht mehr rückgängig machen. Folgen Sie also meinem Rate, sich in das Unvermeidliche zu fügen« – der Yankee schüttelte heftig mit dem Kopfe – »und suchen Sie möglichst bald aus Ihren nassen Kleidern zu kommen; sonst müssen wir Sie zu guter Letzt mit einem Fieber in Yuquirenda zurücklassen.«

Diese Möglichkeit schien Mr. Bopkins zu erschrecken, ob für seine eigene werte Person oder für die Vertretung seiner Gesellschaft, bleibe dahingestellt. Jedenfalls kletterte er nunmehr schleunigst auf sein Pferd, das man herangebracht hatte, und folgte dann in stillem Ingrimm den übrigen, die sich nicht weiter um ihn kümmerten, sondern heiter plaudernd ihren unterbrochenen Ritt fortsetzten.

In Yuquirenda angekommen, suchte Mr. Bopkins nach einer Persönlichkeit, die seinen Zylinder wieder aufbügeln sollte; aber infolge des Zwischenfalles am vorhergegangenen Abend fand er überall eine entschiedene Abweisung. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als mit der schmählich entstellten Kopfbedeckung den Marsch anzutreten. Sollte das etwa gar ein böses Vorzeichen sein?


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