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3.
Aufbruch von Yuquirenda

Wegen der Ankunft des Engländers mußte Doktor Bergmann den Aufbruch um einen Tag verschieben. Als Sir Bendix am späten Nachmittag eintraf, ließ er sein Gepäck zu dem des Doktors schaffen und lohnte dann den Schiffsführer ab, der sogleich wieder zurückdampfte. Hierauf erstand er mit Hilfe des Doktors die erforderlichen Pferde, die John in seine Obhut nahm.

Zum gemeinsamen Abendessen erschien auch Mr. Bopkins wieder, der inzwischen gehörig ausgeschlafen und sodann sein Äußeres selbst wieder zu einigem Glanz aufgebürstet hatte. Als er von Sir Bendix' Absicht vernahm, machte er eine sehr ernste Miene und sagte vorwurfsvoll zu dem Doktor: »Sie handeln viel zu eigenmächtig, Sir! Ich muß allen Ernstes dagegen protestieren, daß Leute, die weder Beamte noch Angestellte unserer Gesellschaft sind, an dem Zuge teilnehmen und unsere kostspieligen Vorbereitungen für ihre eigenen Zwecke auszunützen beabsichtigen.«

Sir Bendix wollte bei diesen Worten heftig auffahren; doch der Doktor winkte ihm mit den Augen und antwortete dann gelassen auf die Einsprüche des Yankee: »Sie vergessen, bester Mr. Bopkins, daß es mir vertragsmäßig freisteht, solche Leute für unsere Abteilung anzuwerben, deren Gegenwart mir nützlich dünkt. Sir Bendix ist eine solche Person, und ich ersuche Sie, dies zur Kenntnis zu nehmen.«

Mr. Bopkins zuckte gleichgültig die Achseln.

»Ich habe meiner Pflicht Genüge getan,« erwiderte er, »die Verantwortung müssen Sie tragen.« Sodann verzehrte er schweigend seine Mahlzeit, ohne sich weiter um die Unterhaltung der übrigen zu kümmern.

Sir Allans Gepäck war nicht sehr umfangreich; es bestand nur aus einer beträchtlichen Menge Munition für sein und seines Dieners Gewehr, sowie aus einer musterhaften Garnitur zum Einsammeln und Präparieren von Käfern, die in einem schönen, polierten Kasten untergebracht war. Den ansehnlichen Rest seines Vorrates an Leuchtkugeln und Raketen hatte er gleich bei seiner Ankunft der Bürgerschaft von Yuquirenda geschenkt, damit sie die zweite Auflage des Abschiedsfestes damit verschöne. Mr. Bopkins wohnte dem Abbrennen des Feuerwerkes mit ernster Miene bei; aber statt sodann nochmals den Ball im Rathaus zu besuchen, zog er es vor, gleich den übrigen Teilnehmern der Expedition sich dem gesunden Schlafe zu überlassen, denn er hielt die Vertretung seiner Gesellschaft im Rathause nicht mehr für unbedingt notwendig.

Am anderen Morgen stellte Doktor Bergmann seinen Zug in der Ordnung zusammen, die er für die nächste Zeit auf dem Marsche eingehalten wissen wollte. Außer den bereits erwähnten Personen gehörten dazu noch zwanzig Peones, kräftige, erprobte Leute, die früher bei den Grenzdragonern gedient hatten und von Doktor Bergmann mit besonderer Sorgfalt ausgewählt worden waren. Je zweien von ihnen war einer der Transportkarren anvertraut, die Proviant für die Truppe auf drei Monate, sowie die verschiedenen, zum Teil recht umfangreichen Ausrüstungsgegenstände für die Landesaufnahme und zur persönlichen Sicherstellung der Reisenden enthielt. Unter den letzterwähnten Sachen war zunächst der zusammenlegbare Fesselballon samt Gondel und Winde zu erwähnen, dessen Größe so berechnet war, daß er, mit Wasserstoff gefüllt, einen Mann einen vollen Tag lang in zweihundertfünfzig Meter Höhe erhalten konnte. Ein zweiter Karren trug die Flaschen mit Hydrol, die den Wasserstoff für zwanzig Aufstiege liefern sollten.

Dieses Hydrol gehörte zu jener Reihe von höchst wichtigen Körpern, die dem Chemiker Joubert ihre Entdeckung verdankten. Er stellte zuerst am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts die sogenannten Oxylithe oder Sauerstoffsteine her, das sind hochgradige Oxyde von Kalium und ähnlichen Metallen, von denen ein Kilogramm beim Auflösen in Wasser durchschnittlich zweihundert Liter Sauerstoff freigibt. Dadurch wurden die dickwandigen und doch explosionsgefährlichen eisernen Flaschen verdrängt, in denen man den Sauerstoff bis dahin aufbewahren mußte, wenn man ihn in größeren Mengen in komprimiertem Zustande vorrätig halten wollte. An die Erfindung der Oxylithe reihte sich im Jahre 1906 die des Hydrolith, einer Kalziumverbindung, von der ein Kilogramm, mit Wasser zusammengebracht, tausend Liter Wasserstoff entwickelt. Jouberts Methoden wurden bald mannigfach verbessert und im Jahre 1930 galt als vollkommenster Wasserstofferzeuger das Hydrol, eine sehr leichte Flüssigkeit, die beim bloßen Erhitzen auf etwa dreihundert Grad das viertausendfünfhundertfache Volumen von Wasserstoffgas freigibt. In den europäischen Heeren waren bei den Luftschifferabteilungen die früher gebräuchlichen Stahlflaschen mit komprimiertem Wasserstoff, von denen man drei Wagenladungen für einen einzigen Aufstieg brauchte, schon lange durch die viel leichter transportablen Hydrolith- und Hydrolapparate ersetzt worden.

Auf einem weiteren Karren führte Doktor Bergmann ein praktisches Schnellfeuermaschinengewehr mit, auf dem vierten endlich jene geheimnisvolle Maschine, durch die er im verflossenen August den vorsichtigen Mr. Smitson völlig unerwartet zu Gunsten der Matto-Grosso-Plata-Linie umgestimmt hatte. Sie stellte sich äußerlich als ein starker hölzerner Kasten von etwa zwei Meter Länge dar, dessen Form ungefähr dem hölzernen, oben gerundeten Schutzkasten einer Näh- oder Schreibmaschine glich. Ihr Inneres hatte noch kein Mensch betrachten können außer Doktor Bergmann; selbst seine beiden Assistenten kannten nur ihre großartige Wirkung, nicht aber ihre innere Einrichtung. Für den Augenblick war sie allerdings wenig mehr als ein recht hinderlicher Ballast, der die größte Sorgfalt in der Behandlung erheischte. Erst wenn sie an dem Punkte aufgestellt war, den Doktor Bergmann dafür in Aussicht genommen hatte, vermochte sie ihre fast übernatürlich scheinende Kraft zu entwickeln und die Hoffnungen zu erfüllen, die ihr Erbauer und mit ihm der Verwaltungsrat der South-American-Railway-Company an sie knüpften. Doch bis dahin war noch ein weiter Weg.

Als der Zug endlich bereit war, bedankte sich Doktor Bergmann bei dem Bürgermeister für die herzliche Gastfreundschaft, die er mit seinen Gefährten durch zwei Wochen in Yuquirenda gefunden hatte. Die Einwohner schossen zum Abschiedsgruß dreimal ihre Flinten ab, und dann sollte der Aufbruch der Kolonne erfolgen, die der Kapitän mit seinen Dragonern noch eine Tagreise weit begleiten wollte. Doch kaum war Doktor Bergmann an die Spitze vorgeritten, da wurde er zu gleicher Zeit von zwei Männern aufgehalten. Der eine war Mr. James Bopkins, welcher sagte: »Mr. Bergmann, zum zweiten Male und jetzt in Gegenwart der Ortsbehörde protestiere ich dagegen, daß Sie die für die Expedition bewilligten Ausgaben ganz unnötigerweise vermehren, indem Sie diesen Käfersucher aus England und seinen Diener mitschleppen.«

»Sir, ich verbitte mir derartige Ausdrücke,« unterbrach ihn hier Sir Bendix, der als zweiter herangetreten war. »Sie scheinen die Entomologie als eine Art Narrenhausbeschäftigung anzusehen, was ich als eifriger Anhänger derselben auf keinen Fall ertragen werde. Wenn Sie wirklich der Gentleman sind, der Sie zu sein behaupten, werden Sie nur auf der Stelle Genugtuung geben.«

Mit diesen Worten reichte Sir Allan dem Diener seinen Hut, streifte die Ärmel herauf und legte sich regelrecht zu einem Boxgange aus.

Nun hatte Mr. Bopkins in jungen Jahren längere Zeit in einem Zirkus als Pferdewärter zugebracht und dabei von einem Clown das Boxen erlernt; deshalb kam ihm die Herausforderung des Engländers nicht ungelegen, und er war sogleich bereit, ihr Folge zu leisten.

Noch ehe Doktor Bergmann ein Wort des Einspruchs erheben konnte, prallten die Fäuste der beiden Kämpen mit aller Wucht aufeinander. Nach fünf Sekunden flog Mr. Bopkins' aufgebürsteter Zylinder in einem weiten Bogen zur Erde; gleich darauf erhielt der Yankee selber einen solchen blow auf die Wange, daß er ein richtiges Feuerwerk vor seinen Augen vorüberfliegen sah.

Damit war Sir Allan zufrieden, und auch Mr. Bopkins hegte keinen Wunsch, die Auseinandersetzung zu verlängern. Er holte also seinen Zylinder zurück und wandte sich wieder dem Doktor zu. »Ich wiederhole Ihnen zum letzten Male, Mr. Bergmann,« rief er drohend, »daß ich die Gegenwart Unbeteiligter in unserem Zuge nicht dulde, und wenn Sie meinen Protest nicht berücksichtigen, entziehe ich Ihnen kraft meiner Vollmacht den Kredit, der Ihnen eingeräumt worden ist. Dann können Sie die Bahn meinetwegen auf eigene Rechnung ausmessen!«

Diese Drohung brachte den Doktor in einige Verlegenheit. Er hatte sich die Beigabe des Vertreters gefallen lassen in der Meinung, es handle sich nur um eine Förmlichkeit, und hatte nicht im entferntesten geahnt, daß der Mann seinen Auftrag in dieser unangenehmen Weise zur Ausführung bringen werde.

Übrigens handelte der Yankee durchaus nicht aus bloßer Gehässigkeit, sondern nach einem wohlüberlegten und besprochenen Plane. Smitson, der alte Fuchs, hatte ihn nämlich dem Doktor zugeteilt mit dem Auftrage, bei dem ersten sich bietenden Anlaß gegen die Ausführung der Expedition zu protestieren. Voraussichtlich würde sich der Doktor wenig um diese Einsprache kümmern. Das gleiche gedachte die Gesellschaft zu tun, falls er sein Ziel erreichte; mußte er aber unterwegs umkehren, dann konnte sich der Verwaltungsrat auf Mr. Bopkins' Protest steifen, und der arme Doktor mußte die Kosten seines kühnen Unternehmens aus der eigenen Tasche bezahlen.

Dieser war allerdings weit davon entfernt, die ihm gestellte Schlinge zu argwöhnen; dennoch verursachte ihm die Halsstarrigkeit des Yankee ein kleines Unbehagen.

Da kam ihm aber Sir Allan zu Hilfe, welcher ausrief: »Bester Doktor, kümmern Sie sich nicht weiter um das Quaken dieses Teichspringers! Wenn Sie mir die Ehre lassen wollen, an der Spitze unseres Zuges als der erste aus dem Tore von Yuquirenda zu ziehen, stelle ich Ihnen mein ganzes Vermögen zur Verfügung, das jedenfalls mehr als hinreichend ist, um Sie vor Schaden zu bewahren. Wenn sich nun dieser Gentleman hier immer noch sträubt, lassen wir ihn einfach sitzen und machen den Ausflug auf eigene Rechnung.«

siehe Bildunterschrift

Kapitän Artigas schüttelte dem deutschen Ingenieur kräftig die Hand.

Mister Bopkins dachte gar nicht an längeren Widerspruch; er war zufrieden, seinen Auftrag ausgeführt zu haben. So konnte denn die Karawane endlich aufbrechen, und voll froher Hoffnung zog sie, mit Sir Allan Bendix an der Spitze, aus dem Tore.

Für die ersten Tage brauchten die Reisenden kaum eine Störung zu befürchten. Die in Yuquirenda liegenden Dragoner pflegten ihre monatlichen Inspektionsritte gelegentlich bis zu zehn Leguas auszudehnen, und so weit sich diese gefürchteten Grenzreiter mit ihren nie fehlenden Büchsen zeigten, hüteten sich die wilden Indianer des Gran Chaco wohl, aus dem Dickicht der Palmen und Algaroben zum Vorschein zu kommen, selbst wenn sie sich in der zehnfachen Übermacht befanden. Deshalb war auch der Umstand, daß die Soldaten die Karawane noch eine Tagreise weit begleiteten, nur ein Höflichkeitsbeweis, welchen Kapitän Artigas dem ihm lieb gewordenen deutschen Ingenieur bezeigen wollte. Als die Soldaten am zweiten Morgen zur Rückkehr aufbrachen, schüttelte er ihm kräftig die Hand und sagte: »Ich bin aufrichtig betrübt, bester Doktor, daß ich mich von meinem Garnisonsort nicht weiter entfernen kann und Sie allein ins Gebiet der Wilden entlassen muß. Nicht einmal eine funkentelegraphische Station haben wir in Yuquirenda, daß Sie mich im Notfall herbeirufen könnten. Aber ich will dafür scharf nach allen Gerüchten aushorchen, die aus dem Gran Chaco kommen und für den Kenner der hiesigen Verhältnisse nicht allzu schwer verständlich sind. Wenn nur eines davon vermuten läßt, daß Ihr genialer Plan in die Brüche gehen könnte, schere ich mich einen Pfifferling um Regierungsbefehle, lasse meine Jungen aufsitzen, und wehe dann den roten Burschen, die Ihnen den Weg verlegen wollen!«

Der Doktor bedankte sich herzlich für diese freundlichen Worte. Dann ritten die Soldaten nach Süden davon, und die Expedition blieb allein in der weiten einsamen Pampa zurück, den Kampf mit einer wilden Natur und ihren noch weit wilderen Söhnen aufzunehmen. Würde sie siegen?


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