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7.
Schani auf krummen Wegen

Unterdessen ruhte Sir Allan auf seinem weichen Felllager aus und wurde dabei abwechselnd von seinem John und von Schani mit der größten Aufmerksamkeit gepflegt. Als er sich dann wieder aufrichten und das erste Mal vom Wagen heruntersteigen konnte, bedankte er sich bei dem ehemaligen Deutschmeister mit einem inhaltsreichen Händedruck, daß dieser einen wahren Freudensprung tat und förmlich nach einer Gelegenheit brannte, dem freigebigen Engländer seine Erkenntlichkeit zu beweisen.

Schani hatte wohl bemerkt, welche wahren Gefühle gegen Sir Allan Mr. Bopkins unter seiner würdevollen Miene verbarg. So oft er daher an dem Yankee vorbeikam, ballte er in den Hosentaschen die Fäuste, da er ihm offen nicht entgegentreten durfte; zugleich schwor er im stillen, jenem die gehässige Schadenfreude ausgiebig heimzuzahlen, ohne sich selber bloßzustellen.

Nun war Schani in seiner Jugend eines jener Geschöpfe gewesen, die man in Wien mit dem Namen »Früchtel« zu bezeichnen pflegt. Sie bilden einen großen Teil der Wiener Straßenjugend, vollführen die unglaublichsten Streiche und geraten leider später nicht selten als »Pülcher« auf recht schlimme Abwege. Zum Glück sind sie aber mit wenigen Ausnahmen kerngesund und müssen daher mit einundzwanzig Jahren des Kaisers Rock anziehen. Da kommen sie in eine strenge Zucht, die ihren Charakter gründlich von allen Schlacken säubert und recht brauchbare Menschen aus ihnen macht.

Eins aber bleibt ihnen zeitlebens anhaften, nämlich die allzeit tatbereite Necklust, die sich selten eine Gelegenheit entschlüpfen läßt, den lieben Mitmenschen einen harmlosen Streich zu spielen.

So standen die Dinge auch mit Schani. Trotzdem er die vollste Zufriedenheit seines Herrn besaß und seinen Stolz darein setzte, bei diesem auch nicht den geringsten Tadel herauszufordern, jetzt, da es der Yankee einmal mit ihm verdorben hatte, ließ ihm der Neckkobold keine Ruhe mehr.

»Giften soll er sich,« wiederholte sich Schani immer wieder im stillen, »daß er grün und schwarz wird, dös Rabenbratl, dös g'selchte.«

Seine Findigkeit brauchte auch nicht lange nach einem Mittel zu suchen. Es gibt in Südamerika eine Art von kleinen, aber höchst bissigen Ameisen, arrieros genannt, die sich gewöhnlich nur in der feuchten Jahreszeit bemerkbar machen und rasch wieder verschwinden, sobald Trockenheit eintritt oder gar das Land der Kultivierung unterworfen wird. Bisweilen jedoch erwacht der Wandertrieb in ihnen; dann vereinigen sie sich zu ansehnlichen Heerhaufen, und wehe dem Hause, das gerade auf ihrem Wege liegt. Mit einer unheimlichen Gefräßigkeit vernichten sie im Nu alles irgendwie Genießbare; selbst das Geflügel auf dem Hofe ist nicht sicher vor ihren scharfen Kiefern, und auch die Bewohner eines solchen überfallenen Rancho ziehen es vor, den kleinen braunen Feinden das Feld zu räumen. Wissen sie doch, daß jeder Kampf gegen sie vergeblich ist und immer neue Scharen von ihnen auftauchen, als ob sie vom Himmel herabgeschneit kämen.

Zu Schanis Entschuldigung müssen wir hier anführen, daß er diesen bösartigen Charakter der Arrieros nicht kannte, sondern sie für harmlose Vettern unserer europäischen Waldameisen hielt. Darum füllte er sich am Tage nach Sir Allans Genesung die eine Rocktasche mit pulverisiertem Zucker und schlenderte dann, im Vorgefühl des erhofften Spaßes ein vergnügtes Lächeln auf den Lippen, dem nahen Walde zu.

Er brauchte nicht lange nach dem zu suchen, was er wünschte. Die nahe bevorstehende Regenzeit kündigte sich bereits durch eine gewisse Feuchtigkeit der Luft an, die sich während der Nacht als Tau auf den Pflanzen niedersetzte und schon zahlreiche grüne Keime aus dem dürren Boden hervorgelockt hatte. Auch die Ameisen merkten diesen Umschwung in der Natur und erwachten aus dem Sommerschlaf, der sie durch lange Monate gefangen gehalten hatte. Daher zeigte sich Schanis eifrig umherspähenden Augen bald der Eingang eines Ameisenbaues, um den die kleinen Bewohner hurtig herumkramten und allerlei Beute zusammensuchten.

Schani zwinkerte bei diesem Anblick sehr zufrieden mit den Augen, zog sein Federmesser heraus und stach in das Futter seiner Tasche ein kleines Loch, so daß der Zucker in einem feinen Strahle niederrieseln konnte. Dann kehrte er leise pfeifend nach dem Lager zurück und setzte sich eine Zeitlang auf die Deichsel von Mr. Bopkins' Wagen, bis sich seine Tasche völlig geleert hatte. Hierauf machte er sich wieder mit der unschuldigsten Miene von der Welt an seine Geschäfte als Koch der Gran Chaco-Expedition.

Es muß hier eingefügt werden, daß Mr. Bopkins, trotzdem er früher im Zirkus viele Nächte zwischen den Hufen seiner vierbeinigen Pflegebefohlenen zugebracht hatte, jetzt behauptete, auf dem bloßen Erdboden nicht schlafen zu können, obwohl der Doktor und die anderen Herren dem Beispiele der Peones gefolgt waren, weil es hier, in meilenweiter Entfernung von Sümpfen und morastigen Flußufern keine Moskitos gab, und darum die Nachtruhe in der freien Luft unter dem friedlichen, sternenklaren Himmel weit angenehmer war als unter den dumpfen Wagenblahen.

Mr. Bopkins hingegen erklärte ein solches Betragen für bauernhaft und mit seiner Würde als Vertreter der South-American-Railway-Company nicht vereinbar; deshalb hatte er einen der Wagen für sich in eine Art fahrbares Domizil umwandeln lassen. Dort konnte er sich auf weichen Kissen zum Schlafe ausstrecken, und dort verwahrte er auch allerlei Liköre und andere Leckereien, welche die übrigen als abgehärtete Männer der Arbeit verschmähten. Nun sollte ihm diese Naschhaftigkeit zu einem kleinen Verhängnis werden.

Genau, wie Schani es voraussah, hatten die Ameisen die Zuckerspur im Grase bald entdeckt, folgten ihr mit der ihnen eigentümlichen Behendigkeit und langten, während die Männer in fröhlichem Geplauder um das Lagerfeuer saßen, bei dem Wagen des Yankee an, ohne von jemand bemerkt worden zu sein. Nun war ihr Instinkt einmal geweckt; sie witterten bald auch die Süßigkeiten, die im Wagen aufgestapelt lagen. Sie krochen an den Rädern und herabhängenden Zugseilen hinauf und fielen dann über die zahlreichen Pakete her, deren Hüllen ihren Freßwerkzeugen nicht lange Widerstand leisten konnten; ja selbst die Korkstöpsel der Likörflaschen wurden angegriffen.

Eine kurze Weile später erschien Mr. Bopkins am Eingange, kletterte in den Wagen und setzte sich auf sein Lager. Dann langte er gewohnheitsmäßig nach der Flasche, die im Winkel auf einem Eckbrettchen stand und die er ohne langes Tasten auch im Dunkeln zu finden wußte. Aber kaum hatte er sie an die Lippen gesetzt, brannte sein Mund bis in die Kehle hinab wie von hellem Feuer, das ihm blitzschnell auch außen über das Kinn in den Hals hineinlief, und mit einem lauten Schreckensschrei ließ er die Flasche zu Boden fallen.

Als ob dies das verabredete Zeichen zum Angriff sei, stürzten nun auch die übrigen Zehntausende von Ameisen über den bedauernswerten Mr. Bopkins her, daß dieser kreischend in die Höhe fuhr und wie toll im Wagen herumzuspringen begann. Denn in hellen Scharen liefen die aufgestörten bissigen Tierchen über seinen ganzen Körper hin und zwackten ihn, daß er nicht mehr aus noch ein wußte.

Auf sein Geschrei kamen die anderen mit Lichtern und Fackeln herbeigeeilt. Aber kaum erkannten die Peones, welche Feinde über den Yankee gekommen waren, da rannten sie mit erschreckten Rufen zu den Pferden, schirrten diese im Handumdrehen an die Wagen und galoppierten mit der größten Eile nach Norden davon, wo sie erst nach etwa fünf Minuten wieder anhielten und von neuem Lager schlugen.

Auf dem alten Halteplatz war nur der Wagen des Yankee zurückgeblieben und Doktor Bergmann mit den übrigen Herren. Die Europäer wollten in den Wagen steigen und Mr. Bopkins zu Hilfe kommen. Aber Don Rocca sowohl als Oberst Iquite hielten sie zurück und riefen: »Beileibe, tun Sie das nicht! Sie würden nur das Schicksal des Señor Ingles teilen, ohne ihm im geringsten Erleichterung bringen zu können. Sagen Sie ihm vielmehr, er solle schleunigst ausreißen und sich da drüben nach Leibeskräften im Grase wälzen, bis er alle seine Peiniger zerdrückt hat. Ein anderes Mittel gibt es nicht.«

siehe Bildunterschrift

Mit einem Schreckensschrei ließ Mr. Bopkins die Flasche zu Boden fallen.

Mr. Bopkins ließ sich den Rat nicht zweimal sagen und konnte so nach fünf Minuten endlich wieder ein wenig aufatmen. Auch die anderen Herren mußten sich ziemlich weit von dem Wagen zurückziehen, da die erzürnten Ameisen nach der Flucht des Yankee gegen sie zum Angriff vorgingen. Dabei ließen sie sich von den beiden Spaniern verschiedene, fast unglaublich klingende Überfälle von menschlichen Wohnungen durch wandernde Arrieros erzählen.

»Aber wie bringen wir diese unheimlichen Gäste wieder aus dem Wagen?« fragte schließlich Doktor Bergmann. »Wir können ihn doch unmöglich hier zurücklassen?«

»Wir müssen warten,« erwiderte Oberst Iquite, »bis die Arrieros aus freien Stücken wieder abziehen; das geschieht ohne Zweifel, sobald sie nichts Eßbares mehr finden. Der Señor Ingles muß sich seinen Unfall selber zuschreiben, weil er so viele Süßigkeiten mitgenommen hat. Denn der Geruchsinn dieser Insekten ist ungemein scharf entwickelt.«

»Hm,« dachte da der Doktor bei sich, »mir will dieses Ereignis doch etwas sonderbar vorkommen. Wir führen eine Menge anderer Lebensmittel mit, die zum Teil noch viel stärker duften als Mr. Bopkins' Bonbons und Liköre. Warum haben sie da gerade seinen Wagen ausgewählt?«

Doch es blieb ihm keine Zeit zum Nachdenken, denn sie mußten sich jetzt um den völlig zerknirschten Mr. Bopkins kümmern, der sich stöhnend aus dem Grase erhob und zu ihnen heranwankte. Sie faßten ihn unter den Armen und führten ihn langsam den davongeeilten Peones nach; selbst Sir Allan vergaß seinen Zwist mit dem Yankee und nahm den grauen Zylinder in Verwahrung, den der Besitzer in seiner Trübsal diesmal völlig vergessen hatte.

Im Lager angekommen, holte der Doktor die Ammoniakflasche aus seiner Apotheke und rieb Mr. Bopkins am ganzen Körper ein, was diesem eine beträchtliche Erleichterung verschaffte. Dann wurde ihm ein weiches Lager aus Fellen bereitet; aber es dauerte noch geraume Weile, ehe ihn das Brennen und Jucken die erhoffte Ruhe finden ließ.

Noch jemand wurde in dieser Nacht von mancherlei Bissen gequält, allerdings nur von Gewissensbissen, nämlich Schani, der seinen unbedachten Streich nunmehr von Herzen bedauerte. Als er die panikartige Flucht der Peones sah und auf sein Befragen den Grund derselben erfuhr, hätte er am liebsten das über den Yankee heraufbeschworene Unheil auf sich genommen. Aber das war nicht gut möglich; er mußte vielmehr den untätigen Zuschauer spielen, wenn er sich nicht zwecklos verraten wollte. In seinem Innern jedoch gab er sich ernstlich das Versprechen, Mr. Bopkins für die ausgestandenen großen Schmerzen bei der ersten sich bietenden Gelegenheit nach bestem Vermögen schadlos zu halten.


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