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25.
Das Kriegsgericht

Als die Grenzreiter vor den verlassenen Ranchos der Indianer anlangten, hielten sie ihre schäumenden Pferde an. Es hatte keinen Zweck, den Fliehenden tiefer in den Wald hinein zu folgen; damit brachten sie nur sich selber in Gefahr. Deshalb sammelten sie sich wieder um ihren tapferen Führer.

»Hallo,« rief dieser ihnen schon von weitem zu, »habt ihr etwas von jenem Burschen gesehen, der zu den Indianern übergelaufen ist?«

Die Reiter schüttelten verneinend die Köpfe.

»Dann sucht einmal hier im Lager nach ihm,« fuhr der Kapitän fort, »vielleicht haben sie ihn in ihrer großen Angst völlig vergessen.«

So war es auch. Mr. Bopkins lag gefesselt ein wenig abseits unter einem Baum und hatte zähneklappernd das unaufhörliche Schießen mitanhören müssen. Als er nun wieder europäische Gesichter vor sich sah, blickte er mit frohen Augen zu ihnen auf.

Doch die zufriedene Stimmung, womit er ihr Kommen bemerkte, verschwand rasch wieder. Die Reiter befreiten ihn zwar ohne Verzug von seinen Fesseln, dann aber nahmen sie ihn in die Mitte und führten ihn mit drohenden Mienen vor den Hauptmann, der nicht minder streng und ernst dreinsah.

So zwischen Furcht und Hoffnung schwankend, legte er den Weg bis zum Halteplatz der Wagen zurück, ohne daß ein ermunterndes Wort an ihn gerichtet wurde. Dort wurden die Sieger mit Jubel und Begeisterung empfangen, den Yankee aber trafen nur kalte, verächtliche Blicke. Die deutschen Ingenieure und Sir Bendix kehrten ihm ganz und gar den Rücken. Ja, als er zu seinem Wagen gehen wollte, trat ihm Oberst Iquite entgegen und befahl ihm mit einem unzweideutigen Zeichen, sich nicht vom Flecke zu rühren. Kein Zweifel mehr, er wurde auch von seinen eigenen Gefährten als Gefangener angesehen!

Während des Rückwegs hatte er beständig überlegt, ob es nicht am besten sei, sein bisheriges Betragen dadurch gutzumachen, daß er den Doktor und die anderen wegen des Geschehenen um Verzeihung bat. Der gute Mr. Bopkins hatte bei den Indianern eine harte Schule durchgemacht und war tiefinnerlich zerknirscht. Doch als er jetzt diese beschämende Behandlung erfahren mußte, kehrte sein alter Hochmut sogleich wieder zurück, und auf seine vermeintliche Unverletzlichkeit als Bevollmächtigter pochend, rief er dem Obersten mit zornigem Augenrollen zu: »Ich protestiere, Sir, gegen das Auftreten, das Sie gegen mich anzunehmen belieben! Sowie ich nach Neuyork zurückkomme, werde ich durch unseren Gesandten in Sucre die strengste Bestrafung für Sie fordern lassen!«

Von Schani, der neugierig herzugekommen war, ließ sich der Oberst diese Worte übersetzen; dann gab er, ohne sie einer Antwort zu würdigen, den Peones einen Wink. Eine Minute später war Mr. Bopkins von neuem gefesselt und wurde ein wenig abseits zwischen zwei Wachen auf den Boden gelegt.

»Eine solche Unverschämtheit ist mir doch noch nicht vorgekommen,« rief der Oberst, als er nachher zu dem Doktor trat, der sich gerade von Kapitän Artigas die letzten Episoden des siegreichen Kampfes erzählen ließ. »Wahrlich, müßte ich nicht vor mir selber Achtung hegen, ich ließe diesen frechen Menschen windelweich prügeln, bis er auf den Knieen um Gnade fleht!«

Der Doktor vernahm mit Schrecken den neuerlichen Zwischenfall und fürchtete, daß die beiden Offiziere an der Grenze ihrer Langmut angelangt seien. Doch der Kapitän beruhigte ihn. »Señor Bergmann,« sagte er, »Wort bleibt Wort; der Bursche soll diesmal noch mit dem Leben davonkommen, obwohl er nicht die mindeste Schonung verdient. Sie werden uns aber nunmehr selbst zugeben, daß wir ihm eine empfindliche Strafe zuerkennen müssen, damit seiner Verstocktheit endlich ein Ende bereitet wird.«

Der Doktor zuckte die Achseln und schwieg still; er sah ein, daß die beiden Offiziere einer weiteren Fürbitte kein Gehör mehr schenken würden.

Es stand nicht zu befürchten, daß die Indianer vorläufig einen neuen Angriff wagen würden; der Schreck über die erlittene Niederlage mußte ihnen noch einige Tage in den Gliedern liegen. Trotzdem wurde die notwendige Vorsicht nicht außer acht gelassen und das Lager von einem starken Kreis von Wachen umgeben, die für die allgemeine Sicherheit sorgen mußten.

Da die Dunkelheit inzwischen hereingebrochen war, wurden mehrere Feuer angezündet. Die ermüdeten Reiter lagerten sich in ungezwungener Reihe darum, ihr bescheidenes Abendessen zu verzehren.

Als dies geschehen war, sollte die Verhandlung über Mr. Bopkins beginnen. Alle Männer, die nicht gerade Posten standen, setzten sich in einem Kreise zusammen. Dann befahl der Oberst, der nach stillschweigendem Übereinkommen als Vorsitzender angesehen wurde, den Angeklagten herbeizubringen.

Wer nun glaubte, daß Mr. Bopkins endlich zur Einsicht über seinen kindischen Trotz gekommen sei, der hatte sich gründlich geirrt. Der Yankee war im Gegenteil herausfordernder denn je, und kaum wurde er des Doktors ansichtig, ließ er einen Protest los, der alle bisherigen an Ungeschminktheit übertraf und mit Drohungen endigte, die den Doktor zeitlebens ins Gefängnis bringen mußten, wenn sie sich nur zur Hälfte erfüllten.

Die Männer ließen ihn mit finsteren Mienen zu Ende kommen. Nur der Doktor stand auf und entfernte sich. Er hatte gehofft, Mr. Bopkins werde ihm durch ein reuevolles Betragen die Möglichkeit zu einer letzten Fürsprache geben. Nunmehr erkannte auch er, daß an dem Manne Hopfen und Malz verloren war und den Dingen ihr Lauf gelassen werden mußte. Trotzdem wünschte er nicht, die bevorstehende Demütigung des Nerglers mitanzusehen, sondern zog sich zurück.

Sir Allan folgte seinem Beispiel; er hatte einen während des Kampfes gefangenen, noch unbekannten Käfer zu bestimmen, und dieses Geschäft war ihm wichtiger als das Schicksal von zwanzig Mr. Bopkins.

Den Rückzug der beiden glaubte der Yankee als Ergebnis seines geharnischten Protestes zu seinen Gunsten deuten zu dürfen. Aber er wurde bald eines anderen belehrt. Kaum war er zu Ende, ließ ihm der Oberst durch Schani, der als Dolmetscher diente, sagen, er werde ihm den Mund zubinden lassen, wenn er ungefragt nur noch ein einziges Wort sich erlaube.

Mr. Bopkins schrak bei dieser Ankündigung sichtlich zusammen. Die anderen kümmerten sich aber nicht darum, und die Verhandlungen wurden eröffnet.

Zunächst gab der Oberst eine kurze Übersicht über die bisherige Aufführung des Yankee und setzte namentlich dessen Überlauf zu den Indianern in ein recht ungünstiges Licht. Dann mußte der Angeklagte bekennen, was er alles verraten hatte, worauf die beiden Ingenieure in ihrem und Doktor Bergmanns Interesse die schriftliche Protokollierung dieser Geständnisse verlangten. Sie sollten ihnen als Waffen dienen, falls der South-American-Railway-Company wirklich einfiel, auf Grund von Mr. Bopkins' Protesten die Ansprüche der drei Ingenieure auf die vertragsmäßigen Prämien zu bestreiten oder sonstwie Ausflüchte zu suchen.

Es dauerte eine geraume Weile, ehe Mr. Bopkins sich dazu verstand, das Protokoll mit seinem Namen zu unterzeichnen. Doch da die Drohungen des Oberst beinahe noch gefährlicher klangen als die des alten Kaziken, gab er schließlich nach.

Sodann wurde die Schuldfrage gestellt und die Abstimmung darüber vorgenommen. Der einstimmige Beschluß lautete, daß der Angeklagte des Verrates im Kriege und der Beihilfe zur versuchten Ermordung aller Expeditionsmitglieder schuldig sei.

Mr. Bopkins war den verschiedenen Reden, die Schani getreulich übersetzte, mit steigender Erregung gefolgt; er hatte endlich aus den tiefernsten Mienen seiner Richter erkannt, daß es sich diesmal durchaus nicht um einen Scherz handelte. Nun versuchte er sich zu verteidigen; aber seine hervorgestotterten, unzusammenhängenden Worte wurden von den beiden Offizieren schlagfertig widerlegt, und ihm blieb kein Zweifel übrig, daß seine Sache äußerst schlimm stand.

Mit Stöhnen und Zähneklappern harrte er auf den Ausgang der Beratung, die über seine Bestrafung entscheiden sollte.

Seine schwärzesten Befürchtungen trafen auch ein. Das Standrecht sprach vollkommen klar und deutlich, wie mit einem Verräter und Überläufer zu verfahren sei.

Als ihm dann der Spruch verkündet und auch der allerletzte Hoffnungsfaden abgerissen wurde, gingen seine Verstocktheit und sein Vertreterstolz endlich in die Brüche. Er fiel auf die Kniee nieder, rutschte zu den beiden Offizieren hin und flehte sie unter wahren Tränenströmen um Gnade an. Lieber sollten sie ihn als Zugtier an die Wagen spannen, er wolle alles ertragen, wofern sie nur noch einmal Erbarmen mit ihm hätten!

Mit unverhülltem Hohn blickten die Männer und vor allem die beiden Offiziere auf den Mann nieder, der sich da in sklavischer Furcht vor ihnen auf dem Boden wand.

»Señores,« rief schließlich der Oberst, »es wäre wahrhaftig eine Schande für uns, wenn wir an diesem verächtlichen Menschen das Standrecht zur Ausführung bringen wollten. Es ist für Männer geschaffen worden, denn selbst von einem Verräter und Spion muß man voraussetzen, daß er die Folgen seines Tuns mit Würde auf sich nimmt. Doch dieser Mensch hier steht noch tiefer als der tiefste Verräter; ja es würde schwer fallen, ein entsprechendes Beispiel für eine solche erbärmliche Feigheit zu finden. Darum schlage ich vor, die Strafe, die wir über einen vermeintlichen Caballero verhängt hatten, in eine andere umzuwandeln, die seinem Charakter besser entspricht. Er hat sich aus freien Stücken zum Sklaven der Indianer gemacht, und Knechten pflegt man das Zeichen ihrer Herren aufzudrücken. Darum mag er auch im Aussehen dem roten Gesindel gleichgemacht werden, das er zu seinen Verbündeten erwählt und gegen uns aufgehetzt hat.«

Ein beifälliges Gemurmel lief durch die Reihen der Zuhörer; nur vereinzelte unter ihnen schienen noch auf der Todesstrafe beharren zu wollen.

Mr. Bopkins stieß einen lauten Freudenschrei aus, als er diese Wendung vernahm, und kroch zu den wenigen hin, die noch an dem bereits beschlossenen Urteil festhielten. Sie aber stießen ihn verächtlich mit dem Fuße zurück, als er herankommen wollte, und nun wurde der Vorschlag des Oberst einstimmig gutgeheißen.

Da Chiatzutak eigentlich zu den Caduveern gehörte, wurde beschlossen, den Verräter mit den Merkmalen dieses Stammes zu kennzeichnen. Mr. Bopkins wurde also mitten in dem Kreis auf ein Bündel Reisig gesetzt, und während zwei Peones ihn festhielten, rasierte ihm ein dritter mit dem nicht allzu scharfen Falcon den Bart und die Augenbrauen herunter. Der Gemaßregelte begleitete diese Operation mit einem höchst ausdrucksvollen Mienenspiel; doch wagte er nicht im geringsten, sich zu sträuben, da er viel zu sehr fürchtete, von neuem den Zorn seiner Richter heraufzubeschwören.

Nunmehr sollte er die seltsame Tätowierung der Caduveer bekommen. Da aber die übliche, aus den Früchten des Naantan ( Genipa oblongifolia) bereitete Tätowierfarbe nicht vorhanden war, wurde ein Stück Tapirspeck am Feuer verbrannt und der fettige Ruß in dem berühmten Zylinder aufgefangen, den Schani gerettet und dem rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben hatte. Zur bequemeren Handhabung wurde der Ruß noch mit Öl vermischt, worauf ein kundiger Grenzreiter voll geduldiger Hingabe den Yankee an Brust, Gesicht und Armen mit schauerlichschönen Ornamenten bemalte, zum unbeschreiblichen Ergötzen aller Zuschauer.

siehe Bildunterschrift

Der Yankee erhielt den Repräsentantenhut auf den Kopf gesetzt.

Als man Mr. Bopkins schließlich noch vermittels eines zähen Harzes eine Anzahl bunter Häuptlingsfedern hinter die Ohren geklebt hatte, wurde ihm sein Repräsentantenhut wieder auf den Kopf gedrückt, und er konnte sich ungehindert in seinen dachlos gewordenen Wagen zurückziehen, begleitet von einem unauslöschlichen Gelächter aller Anwesenden, denen im Verlaufe der Exekution längst aller Zorn über den geschehenen Verrat verflogen war. Wir verzichten darauf, zu beschreiben, in welcher Gemütsverfassung Mr. Bopkins diese Nacht zubrachte. Als der Morgen graute, hatte er noch kein Auge zugedrückt und wünschte, die Sonne möge nicht eher wieder aufgehen, als bis er sich von seinen unwillkommenen Verzierungen befreit hätte. Jedenfalls schwor er in seinem Innern, den Wagen nicht früher zu verlassen, bevor er sein zivilisiertes Aussehen wieder zurückgewonnen.

Trotzdem wurde er schon zeitig gestört und zwar von Schani. Der brave Bursche fühlte sich von wegen der Ameisengeschichte immer noch in einiger Schuld gegen den Yankee und hatte am vorhergehenden Abend mit stillem Mitleid seiner Bestrafung beigewohnt, die er nicht verhindern konnte und schließlich im Grunde auch gerecht finden mußte. Nun aber, da alles vorüber war, drängte es ihn, dem gedemütigten Mann nach bestem Können beizustehen.

Er kroch zu ihm in den Wagen und suchte ihn vor allem in seiner tiefen Zerknirschung zu trösten; auch versprach er, ihm ein Mittel zu verschaffen, das wenigstens den Ruß und das Harz zu entfernen im stande war. Den abrasierten Bart und die Augenbrauen konnte er allerdings nicht wieder nachwachsen lassen.

Sodann suchte er seinen Kollegen John auf, den er durch allerlei Leckerbissen zu seinem besten Freunde zu machen verstanden hatte, und schwatzte ihm eine Flasche Terpentinöl ab, die Sir Bendix in seinem Chemikalienkasten mitführte. Damit kehrte er zu Mr. Bopkins zurück und begann die Reinigungsarbeit.

Der Ruß ging nach ungefähr zweistündigem Bemühen ziemlich weg. Das Harz jedoch ließ sich nicht gleich auf den ersten Angriff entfernen; der Yankee trug es noch einige Zeit hinter seinen Ohren herum samt den Kielen der Vogelfedern, deren Fahnen er sich sofort nach seiner Rückkehr in den Wagen selber abgeschnitten hatte. Auch der Zylinder wurde einer gründlichen Wäsche unterzogen, und obwohl dabei seine ehemalige Eleganz fast bis auf den Nullpunkt einschrumpfte, ließ er wenigstens keinen schwarzen Stirnreifen mehr auf dem Haupte seines Besitzers zurück.

Auf diese Art waren die seelischen Leiden des ehrenwerten Yankee ziemlich behoben. Dafür traten nun aber körperliche an ihre Stelle. Die eindringliche Abreibung mit dem scharfen Terpentinöl hatte nämlich seine Haut gehörig aufgebeizt; er empfand ein unaufhörliches Jucken und Brennen, umsomehr, als auch an diesem Tag die Sonne wieder mit hellem Glanze vom Himmel strahlte. Er blieb darum dauernd verstimmt und gedrückt; sogar als später auch der Doktor kam, um ihm tröstend zuzusprechen, antwortete er nur einsilbig. Kurzum, er dachte hinfürder nicht mehr an Proteste und Verwahrungen.


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