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24.
Die Grenzreiter greifen ein

Schon am nächsten Morgen wurden die Salinas (Salzsümpfe) Guaranocas erreicht, die sich zwischen dem neunundfünfzigsten und sechzigsten Längengrad zu beiden Seiten des Rio Salado ausdehnen und ihm den Namen geben. Mittags drangen die kühnen Reiter zwischen diese mit Recht gefürchteten Sumpfstrecken ein, die ihnen noch unzählige Schweißtropfen kosten sollten und alle ihre Erfahrungen als Söhne der Pampa herausforderten.

Schon nach kurzem Marsche mußten sie die bisherige Karreeform in eine lange Einzellinie auflösen, die sich nun wie eine Riesenschlange zwischen den trügerischen Mooren und Salztümpeln hindurchwand. Kapitän Artigas, der an der Spitze ritt, hatte seinen ganzen Scharfsinn aufzubieten, um bei dem beständigen Hin und Her die Richtung nicht zu verlieren und die seiner Obhut anvertrauten Leute nicht an einen Punkt zu führen, von dem es kein Zurück mehr gab. Aber diese Mühen und Gefahren boten ihnen doch den großen Vorteil, daß eine Begegnung mit Indianern, von denen sie im Westen auf der anderen Seite der Salinas gesucht wurden, vollständig ausgeschlossen war.

Am dritten Tage erreichten sie den Fluß, den es nun trotz seines hochangeschwollenen Zustandes zu überschreiten galt. Eine Furt zu suchen, daran ließ sich natürlich gar nicht denken; wenn es hier überhaupt eine solche gab, war sie um diese Jahreszeit vollständig unbrauchbar.

Zum Glück fanden sich aber am Flusse wieder Wälder. Der Kapitän ließ darum eine Art Pendelfähre herstellen, um Roß und Reiter an das andere Ufer zu bringen. Da ihm mehr als vierhundert Hände zur Verfügung standen, war die Arbeit in verhältnismäßig kurzer Zeit getan.

Ein Dutzend Stämme wurden gefällt und in den Fluß geworfen, wo man sie mit den unzerreißbaren Ranken verschiedener Schlinggewächse zu einem großen Floß vereinigte. Während nun ein kleiner Teil der Truppe dieses Werk vollendete, beschäftigten sich alle übrigen damit, aus sorgfältig ausgesuchten Lianen ein starkes Seil von hinreichender Länge zusammenzuflechten. Als dieses fertig war, wurde es an einer günstigen Stelle mit dem einen Ende um den Stamm eines mächtigen Baumes geschlungen; an das andere Ende wurde das Floß gebunden und konnte nun durch die bloße Bewegung eines langen Steuerbalkens nach Wunsch und Willen über den Fluß hin und her geführt werden.

So wickelte sich der Transport ohne besondere Zwischenfälle ab und war beendet, noch ehe die Sonne wieder hinter den westlichen Wäldern versank.

Der nächste Tag brachte nochmals einen beschwerlichen Zickzackweg durch Sümpfe und Moräste. Dann erreichten sie wieder hohes festes Land und hatten den schwierigsten Teil ihres Unternehmens glücklich überstanden. Die Pferde konnten wieder weiter ausgreifen, und als gar der Regen nachließ, fühlten sich alle in der gehobensten Stimmung.

Am sechsten Tag nach dem Zusammentreffen mit Miguel Rodilla sahen sie endlich am nordwestlichen Horizont einen stumpfen Bergkegel auftauchen, der langsam in die Höhe wuchs, je mehr sie sich ihm näherten. Da es nun in dieser Gegend keine zweite soweit nach Süden vorgeschobene bedeutendere Erhebung gab, mußte es ohne jeden Zweifel der Cerro Cristian sein.

Die ansehnliche Wasserfläche, die sie noch am selben Abend erreichten, war der Paat de Egip-pepin; folglich waren sie von ihren Freunden höchstens noch zwanzig Kilometer getrennt. Der Kapitän ließ aus Vorsicht diesmal keine Feuer anzünden, sondern seine Reiter mußten im Dunkeln auf der kalten, feuchten Erde schlafen. Wenn die Truppe auch von den vor der Schlucht des Cerro Cristian lagernden Indianern noch durch einen weiten Buschgürtel getrennt war, lag es dennoch nicht außer dem Bereiche der Möglichkeit, daß letztere auch in dieser Richtung einige Wachposten vorgeschoben hatten.

Mit dem ersten Frühlicht ließ der Hauptmann die Seinen wieder wecken und hielt eine kurze, kernige Ansprache an sie. Aber es bedurfte nicht dieser Ermahnungen, nicht des Hinweises, daß die Augen der ganzen zivilisierten Welt auf das kleine Häuflein unerschrockener Pioniere der Kultur gerichtet waren, um die rauhen, kampfgewohnten Männer mit der nötigen Entschlossenheit und Todesverachtung zu erfüllen. Hatte doch die Mehrzahl von ihnen noch eine Rechnung aus vergangenen Tagen mit den Rothäuten auszugleichen, und alle brannten förmlich danach, ihren Pferden die Zügel schießen zu lassen.

Viel eher war also die Mahnung angebracht, womit der Führer seine Rede schloß: daß sie sich vor jeder Voreiligkeit hüten sollten. Die geringste Unvorsichtigkeit konnte die Indianer zu frühe auf die drohende Gefahr aufmerksam machen und die mutigen Retter um den Lohn aller ihrer Beschwerden bringen.

Diese Besorgnis des Führers war sehr gerechtfertigt, denn Chiatzutak hatte die Zwischenzeit nicht unbenutzt verstreichen lassen.

Auf den Ruf seiner Boten waren von weither ansehnliche Scharen roter Krieger aufgebrochen, um dem Gebote ihres obersten Kaziken zu gehorchen. Wenn es ihnen auch an geeigneten Waffen fehlte, um den wackeren Reitern von Yuquirenda damit imponieren zu können, mangelte es ihnen doch nicht an dem festen Willen, für die Verteidigung ihrer Heimaterde auch die schwersten Opfer zu bringen.

In der Tat erprobte sich jetzt das große Bündnis aller roten Männer des Gran Chaco, das Chiatzutak in den letzten Jahren mit unermüdlicher Ausdauer zu stande gebracht hatte. Die Kriegerhaufen, die vom fünften Tage nach Miguel Rodillas Aufbruch in kurzen Zwischenräumen vor der Schlucht des Cerro Cristian eintrafen, bestanden nicht mehr wie bisher nur aus Toba und deren alten Verbündeten, den Mataco. Oberst Iquite, der alle Stammesabzeichen der Indianer wohl kannte und ihren Aufmarsch eifrig durch sein Fernglas beobachtete, konnte im bunten Wechsel auch Mbocobi und Guaicuru unterscheiden, ferner Chiriguano, Lengua, Samuco, Yanagua, Vilela, Mocovito und andere.

Am zehnten Tage waren wohl bereits gegen sechstausend roter Krieger beisammen, und noch ließ sich kein Anzeichen bemerken, daß die ersehnten Retter endlich nahten. War der schlaue Miguel Rodilla doch trotz aller List von den Indianern abgefaßt worden?

Die andauernde Ungewißheit über die der Expedition drohenden Schicksale hatte sogar dem Doktor seine bisher unerschöpfliche Ruhe geraubt. Mehrmals schon hatte er mit dem Oberst erwogen, ob sie nicht noch einen zweiten Boten zu dem lange zögernden Kapitän Artigas schicken könnten.

Hätten sie den innerlichen Zustand gekannt, worin sich Chiatzutak trotz aller nach außen geheuchelten Zuversicht befand, sie hätten sich manchen sorgenvollen Seufzer erspart.

Als diesem die Wachen das Erscheinen des nächtlichen Gespenstes berichteten, lachte er ihnen zunächst höhnisch ins Gesicht und verspottete sie mit den schärfsten Worten wegen ihres Aberglaubens. Doch als dann trotz der genauesten Nachforschungen auch nicht die leisesten Spuren gefunden werden konnten, die ein nächtlicher Reiter unbedingt hätte zurücklassen müssen, wenn er nicht in Wahrheit ein Gespenst war, da wußte auch der Häuptling keine Erklärung mehr und schwankte in beständigen Zweifeln, ob er die Furcht der Seinen teilen sollte oder nicht.

Später kam die Nachricht, daß auch eine Gruppe der nach Süden geschickten Späher von dem vermeintlichen aiñac cabuyu in Schrecken gesetzt worden war. Dies vermehrte noch das Grauen, das seine Krieger bis zum letzten Mann gefangen hielt. Er selber versuchte vergeblich, aus Mr. Bopkins mit allen Mitteln neue Geständnisse herauszupressen. Von den Kundschaftern im Süden aber wollte keine Botschaft kommen, daß sie auf die anrückenden Feinde gestoßen waren.

So wuchs die Unruhe des Kaziken von Tag zu Tag. Nur mit der äußersten Anstrengung gelang es ihm, nach außen hin eine gleichgültige Miene zu bewahren. Sie allein erhielt noch den Mut der Seinen aufrecht; waren doch alle überzeugt, daß das nächtliche Gespenst der leibhaftige aiñac gewesen sei, jener furchtbare Dämon, der nach alter Überlieferung mit den ersten Spaniern in Südamerika gelandet war und seither mit unauslöschlichem Hasse die Eingeborenen aus einem Bollwerk nach dem anderen zurückgeschlagen hatte.

So brach der 24. Februar an und brachte einen schönen, heiteren Himmel mit, das erste frohe Anzeichen, daß die traurige Regenzeit ihrem Ende nahte.

Chiatzutak hatte sich gerade von seinem Lager erhoben und ließ die übrigen Kaziken zusammenrufen. Er wollte mit ihnen beraten, ob es nicht besser sei, nur ein Drittel der Streitkräfte hier am Cerro Cristian zurückzulassen, mit den anderen aber auf gut Glück den Feinden nach Süden entgegenzuziehen.

Da kam eine Wache herbeigestürzt und meldete, daß von dorther zwei Eilläufer nahten, ohne Zweifel Boten der ausgesandten Späher. Mit einem frohen Aufatmen vernahm Chiatzutak diese Nachricht; die Läufer konnten ja unmöglich eine andere Meldung bringen, als daß die Feinde endlich gefunden waren und nun gefaßt werden konnten.

Mit siegesgewissen Blicken sah er daher den beiden Männern entgegen, als sie endlich zum Vorschein kamen und sich hastig der Gruppe der Häuptlinge näherten.

»Habt ihr sie endlich entdeckt?« rief er ihnen schon von weitem zu.

Die Läufer nickten bejahend.

»Dann rasch, erzählt!«

»Herr,« berichteten die beiden, als sie sich ein wenig verschnauft hatten, »vor fünf Tagen stießen unsere Kundschafter auf eine breite Pferdespur, die von wenigstens zweihundert Reitern herrühren mochte und vom Rio Pilcomayo heraufführte. An der Stelle, wo wir sie zuerst bemerkten, hatten sie ohne Zweifel längere Zeit Lager geschlagen. Ebendort vereinigte sich mit dieser Fährte noch eine andere, die wir schon Tags zuvor gefunden hatten. Sie war von einem einzelnen Reiter verursacht worden und begann in einem Gebüsch, das ein wenig abseits von dem Wege unserer Leute lag.«

Bei dieser Nachricht verfärbte sich der alte Kazike.

»In welcher Richtung wies die Einzelspur?« fragte er hastig.

»Sie wies fast genau von Norden nach Süden.«

»Also von unserem Lager her?«

»Ja, großer Häuptling.«

Chiatzutak schloß eine Sekunde lang die Augen, so hart und unerwartet traf ihn diese Nachricht, dann brach er los: »Also war euer berühmter aiñac doch nur ein Bote aus der Schlucht dort. Ihr aber habt euch von ihm Sand in die blöden Augen streuen lassen. Ja, volle vier Tage ritt er vor euch her, ohne entdeckt zu werden!! Wenn ich lallende Kinder als Späher ausgeschickt hätte, wären sie meinem Auftrage besser gerecht geworden.«

Nun ergoß sich eine wahre Flut von Vorwürfen über die armen Läufer, obwohl sie an dem groben Fehler der Späher eigentlich gar keine Schuld trugen. Erst nach einer geraumen Weile fand der erzürnte Häuptling seine Selbstbeherrschung wieder und konnte in seinen Erkundigungen fortfahren.

»Was tat die fremde Reiterschar dann, als der Bote mit ihr zusammengetroffen war?« fragte er. »Wohin wandte sie sich?«

»Gegen den Rio Salado.«

»Was?« rief der Kazike überrascht. »Nicht nach Westen in die Pampa hinein?«

»Nein, Herr; wir verfolgten ihre Spur noch eine große Strecke, bis sie zwischen den Salzsümpfen verschwand, die an den Rio Salado grenzen.«

»Chinasset-tach,« wandte sich da Chiatzutak an einen der Unterhäuptlinge, »nimm sofort zweihundert der besten Krieger und mach dich in der Richtung zwischen dem Paat de Kilma und Paat de Egip-pepin auf den Weg. Wenn der Dragonerhauptmann von Yuquirenda die Weißen anführt, ist ihm wohl zuzutrauen, daß er die Salinas Guaranocas zu durchqueren versucht, um am linken Ufer des Rio Salado vorzudringen und uns vom Aufgang her zu fassen, wo wir ihn am wenigsten erwarten. Zum Glück muß er in den Sümpfen auf zahllose Hindernisse gestoßen sein, und auch den Fluß vermag er unter den jetzigen Verhältnissen nur mit der größten Mühe zu überschreiten; daher kann er noch nicht allzuweit gekommen sein, und wir haben Zeit, unsere Vorbereitungen zu treffen. Du läßt auf deinem Wege eine Botenreihe zurück, damit ich unverzüglich Nachricht erhalte, sowie ihr die Feinde bemerkt.«

Der Häuptling schnellte davon und suchte mit fliegender Hast seine Leute aus. Aber während diese noch nach den Waffen eilten und sich rüsteten, löste sich von dem Waldrande im Osten, den man deutlich erkennen konnte, eine langgestreckte dunkle Linie ab, die in brausender Karriere heranstürmte.

Ein allgemeiner Schrei des Schreckens lief durch die Indianer. Kein Zweifel mehr: dort kamen die gefürchteten Grenzreiter des berühmten Befehlshabers von Yuquirenda.

Wie eine Schar Hühner, auf die plötzlich ein Habicht herunterstößt, liefen die Roten durcheinander; eine solche grenzenlose Bestürzung hatte sich ihrer bemächtigt. Der einzige, der seine Selbstbeherrschung auch in diesem verzweifelten Augenblick bewahrte, war der alte Kazike.

»Halt!« donnerte er seine Unterhäuptlinge an. Sie machten gleichfalls Miene, davonzuspringen; doch der Blick, mit dem er sie der Reihe nach maß, ließ ihnen die Schamröte ins Gesicht steigen. Dann erteilte er ihnen in seiner gewöhnlichen kühlen, überlegenen Weise Befehle, als ob es sich nur um ein friedliches Übungsmanöver handle. So brachte er in wenigen Minuten wieder Ordnung unter seine Scharen; sie einten sich um ihre einzelnen Führer, und selbst die Schwankenden, die schon ans Fliehen gedacht hatten, faßten wieder Mut.

Den Vorteil, den die Grenzreiter durch ihren überraschenden Angriff gewonnen hatten, konnte er jedoch nicht mehr wett machen. Zwar sandte er ihnen so schnell als möglich seine besten Kerntruppen entgegen, aber ihre todesmutige Tapferkeit war vergebens. Ohne ihre Schnelligkeit nur im geringsten zu ändern, stürmten die Grenzreiter weiter und eröffneten vom Sattel aus ein verderbliches Feuer, das den Gegenangriff der roten Krieger rasch zum Stillstande brachte.

Da die Feinde in einer langgestreckten, fast schnurgeraden Linie herankamen, meinte Chiatzutak, sie wollten das Lager stürmen. Er ließ also, da jetzt alle seine Krieger wieder kampfbereit und geordnet waren, diese in ebenso breiter Linie zur Unterstützung seiner vordersten Schlachtreihe ausschwärmen.

Aber Kapitän Artigas war viel zu schlau, das Leben seiner Leute in einem so tollkühnen Unterfangen, wie es ein Sturm auf das Indianerlager gewesen wäre, aufs Spiel zu setzen. Als vielmehr sein rechter Flügel beinahe bis an die Mündung der Schlucht gekommen war, ließ er plötzlich seine Signalpfeife ertönen. Die Grenzreiter rissen nach Verabredung ihre Pferde im rechten Winkel herum, ohne sich weiter um die Indianer zu kümmern. Zehn Minuten später war aus der weitausgedehnten Angriffsfront ein waffenstarrendes Karree geworden, das sich um die Mündung der Schlucht zusammengezogen hatte, und nun jedem Angriff der Rothäute spotten konnte. Nicht einen einzigen Mann hatte der wackere Kapitän in diesem glänzenden Überrumpelungsmanöver verloren!

siehe Bildunterschrift

Ohne ihre Schnelligkeit im geringsten zu ändern, stürmten die Grenzreiter weiter.

Chiatzutak schäumte, als er bemerkte, wie der listige Gegner ihn getäuscht hatte. Aber er behielt doch so viel kühles Besinnen, um seine Krieger von der Fortsetzung des Kampfes zurückzuhalten. Er sagte sich wohl mit Recht, daß diese jetzt gegen die Feinde nichts mehr auszurichten vermochten, zumal letztere sich an den Abhang des Berges anlehnen konnten, und ihre Verteidigung nur nach einer Seite zu richten brauchten. Er mußte warten, bis jene sich zum Weitermarsch entschlossen, um sie dann von allen Seiten anzugreifen, sobald sie die Schlucht verließen.

Die eingeschlossene Expedition begrüßte die Helfer mit jubelnder Freude. Gleich als die ersten Schüsse draußen fielen, waren sie vor die angelegten Wälle geeilt und voll Bewunderung Zeugen des schneidigen Anmarsches der Grenzreiter geworden.

Als nun Kapitän Artigas bei ihnen hielt, drängten sich alle um ihn. Jeder wollte ihm die Hand drücken und zu seinem Bravourstück beglückwünschen. Nicht minder gefeiert wurde Miguel Rodilla; alle fühlten die tiefste Dankbarkeit für den schlichten Mann, der ihnen seine Rettung aus der Sklaverei glänzend vergolten hatte.

Aber rasch mußten sie ihre Begeisterung wieder zügeln, denn der Ernst des Augenblickes forderte ihre volle Aufmerksamkeit. Wollte es doch scheinen, als beabsichtigten die Indianer die Überrumpelung auf der Stelle durch einen energischen Vorstoß zu vergelten. Darum eilte der Doktor mit einigen Peones in die Schlucht zurück, um das Maschinengewehr herauszufahren, während sich die anderen auf die Verhaue stürzten, um diese, die nun zu Hindernissen geworden waren, niederzureißen. Als der Doktor mit dem Panzerwagen an der Mündung der Schlucht erschien, befanden sich aber die Feinde schon wieder im Rückzuge. Es war anzunehmen, daß sie noch einmal vor dem entscheidenden Schlage zurückschreckten. Der Kapitän ließ also seine Leute absitzen, denn alle, Menschen wie Tiere, mußten Kräfte sammeln für den Angriff, der die Indianer aus ihrem Lager schlagen und den Weg für den Weitermarsch freimachen sollte.

Bald saßen die Männer in fröhlich schwatzenden Gruppen rings um die Mündung der Schlucht auf dem Boden und erzählten sich gegenseitig ihre Erlebnisse. Besonders neben dem Panzerwagen wurde eine rege Unterhaltung geführt. Dort hatten sich die Führer zusammengesetzt, und Miguel Rodilla mußte den Verlauf seines waghalsigen Rittes berichten. Dann fragte der Doktor nach Don Rocca.

»Der ist natürlich in Yuquirenda zurückgeblieben,« erwiderte Kapitän Artigas. »Zwar vermuteten wir sogleich, als Ihre Mitteilungen plötzlich verstummten, daß die Indianer auf irgend eine Art die kaum hergestellte Verbindung unterbrochen hatten; aber immerhin war es möglich, daß es Ihnen nochmals glückte, einen Drachen aufsteigen zu lassen. Da nun die Baukolonne, die in Buenos Aires ausgerüstet wird, noch nicht in Yuquirenda eingetroffen war, mußte Don Rocca wohl oder übel dort zurückbleiben, als der einzige, der mit dem Funkenapparate umzugehen versteht. Aber sauer genug ist es ihm angekommen, das versichere ich Ihnen.«

»Schon mit Rücksicht auf mich,« fiel Oberst Iquite fröhlich ein. »Aber keine Angst; mir fällt es nicht ein, den Gran Chaco für Bolivia wegzustehlen.«

»Die Regierung von Paraguay scheint trotzdem etwas derartiges zu fürchten,« erwiderte der Kapitän. »Wenigstens erzählte Don Rocca nach seiner Rückkehr aus Asuncion, daß er von seinen Vorgesetzten ernste Vorwürfe anhören mußte, weil er sich ohne besondere Erlaubnis von der Expedition getrennt habe.«

»Er kann ja dagegen geltend machen,« gab der Oberst zurück, »daß ohne seine lobenswerte Entschlossenheit alles verloren gewesen wäre. Denn dieser ehrenwerte Señor Bopkins aus Neuyork hatte uns eine recht unverdauliche Suppe zusammengekocht.«

»Ah,« rief Kapitän Artigas lebhaft aus, »weil Sie gerade von diesem Menschen sprechen: steckt er noch immer bei den Roten drüben?«

»Leider,« erwiderte der Doktor betrübt.

»Leider, sagen Sie? Ich möchte ihm nur raten, möglichst bald aus dieser Gegend hier zu verduften. Meine Leute haben von seinen Streichen gehört, sind über seinen Verrat aufs tiefste empört und dürften kurzen Prozeß mit ihm machen, wenn sie seiner habhaft werden.«

»Ich will nicht hoffen,« rief der Doktor erschreckt, »daß Sie eine Ungesetzlichkeit erlauben werden, Kapitän!«

»Oh, ich teile vollkommen die Ansicht meiner braven Leute,« erwiderte dieser trocken. »Wir sind hier im Kriege, und da gilt das Standrecht. Von einer Gesetzwidrigkeit kann also keine Rede sein.«

Der gutmütige Doktor versuchte nun sein Bestes, Mr. Bopkins' Benehmen in einem möglichst unschuldigen Lichte hinzustellen. Er richtete wenig damit aus, denn auch der Oberst verlangte die strengste Bestrafung des Yankee. Nun sah sich der Doktor in eine außerordentlich unangenehme Lage versetzt. Mr. Bopkins blieb ja trotz allem der Vertreter seiner Gesellschaft, wenn er auch die ihm zuerteilte Aufgabe vollkommen falsch aufgefaßt hatte. Schließlich, da nichts anderes mehr fruchten wollte, verlegte Doktor Bergmann sich aufs Bitten und ersuchte, um seinetwillen noch einmal Gnade für Recht ergehen zu lassen.

»Señor Bergmann,« sagte schließlich der Kapitän, »wir kennen uns zwar erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit. Trotzdem möchte ich die Ehre in Anspruch nehmen, mich Ihren Freund nennen zu dürfen, und da es der spanischen Ritterlichkeit widerspricht, sich von einem Freunde vergebens bitten zu lassen, mag dieser nichtsnutzige Yankee diesmal noch mit einem blauen Auge davonkommen. Aber es ist die höchste Zeit, daß wir ihm endlich den Standpunkt einmal gründlich klarmachen, und die Genugtuung, dies zu tun, dürfen Sie meinen Leuten als einzige Entschädigung nicht rauben. Ich verspreche Ihnen mit meinem Worte, daß ihm nichts Ernstliches widerfahren wird; aber die gesunde Gänsehaut, die wir ihm verursachen wollen, ist unbedingt nötig, wenn er eines klügeren belehrt werden soll.«

Doktor Bergmann versuchte noch weitere Einwendungen zu machen; vergeblich. Die beiden Offiziere beharrten auf ihrem Beschlusse, und der Oberst sagte: »Es ist übrigens vorläufig nutzlos, über sein Schicksal zu verhandeln. Noch haben wir ihn nicht aus seinen Fesseln befreit. Ich schlage vor, daß wir beraten, wie dies geschehen soll.«

Nun wurde der Feldzugsplan in Überlegung genommen, der am Nachmittage zur Ausführung gelangen sollte. Da die beiden Offiziere als tüchtige Kenner des Landes in ihren Ansichten nur wenig voneinander abwichen, war die Verhandlung bald zu Ende. Sie riefen dann ihre Leute zum Appell, teilten sie in mehrere Gruppen und unterwiesen eine jede mit aller Sorgfalt in den Pflichten, die ihrer harrten.

Als die Mittagsmahlzeit vorüber war, stiegen alle zu Pferde und machten sich zum Kampfe bereit. Die Wagen und Karren waren aus der Schlucht herausgebracht worden und standen bespannt zur Abfahrt bereit. Dann wurde der Panzerwagen mit dem Maschinengeschütz um etwa tausend Schritt in die Pampa hinausgefahren, bis an eine Stelle, von der es das halbkreisförmige Lager der Indianer in seiner ganzen Ausdehnung bestreichen konnte.

Kaum gewahrten die Rothäute die Vorbereitungen ihrer Gegner, da scharten sie sich in Kampfhaufen, jeder ungefähr zweihundert Mann stark, und gingen auch ihrerseits vor.

Nun konnte man auch bemerken, daß Joaosigno in früheren Jahren einiges von der europäischen Kriegskunst gelernt und seinen Leuten beigebracht hatte. Es rückte abwechselnd immer nur die eine Hälfte von diesen vor, während die anderen im Grase liegen blieben und den Feind beobachteten.

Die Aufstellung der Weißen sah nun folgendermaßen aus. In der Mitte stand das Panzergeschütz, rechts davon, und umgeben von den Peones, die Wagen; links aber hielt Kapitän Artigas mit seinen Grenzreitern. Der Doktor eröffnete mit dem Maschinengewehr das Feuer auf den östlichen Flügel der Roten, die sich sogleich ins Gras warfen, als sie die Kugeln pfeifen hörten, und nicht mehr weiter wagten. Da stürmte der Kapitän mit seinen Reitern auf sie los, als ob er sie niederreiten wolle, während der Doktor seinen Turm drehte und den westlichen Flügel zum Ziel nahm.

Chiatzutak glaubte jetzt, die Feinde beabsichtigten, seine beiden Flügel, und zwar rechts durch die Grenzreiter, links durch die Peones, zurückzudrängen, und hierauf durch einen vereinten Keilangriff beider Gruppen, dessen Wirkung durch das Maschinengewehr verdoppelt werden konnte, sein Zentrum zu durchbrechen. Er zog also seinen linken Flügel ein beträchtliches Stück zurück, bis er sich an das Ufer des Paat de Piapuk anlehnen konnte, dem rechten aber, der von dem gefürchteten Dragonerkapitän in eigener Person bedroht wurde, schickte er ausgiebige Verstärkungen, da es von höchster Wichtigkeit schien, daß dieser Flügel nicht zurückgedrängt wurde und dadurch den übrigen ein schlechtes Beispiel gab.

Kapitän Artigas ließ ihm hinreichend Zeit, diese Verschiebung vorzunehmen. Als er erkannte, daß sich seine Voraussetzungen erfüllten, hieß er seine Leute absitzen und hinter den Pferden hervor, die an solche Dinge gewöhnt waren, ein heftiges Feuer gegen die Indianer eröffnen.

Chiatzutak hielt dies für ein Zeichen, daß die Feinde dort ernstlichen Widerstand fanden, zumal auch die Mehrzahl seiner Gewehrschützen dort lag. Er fuhr nur noch eifriger fort, seinen Schwerpunkt immer mehr gegen den östlichen Flügel zu verlegen. Als Kapitän Artigas dies sah, spielte ein befriedigendes Lächeln über seine Lippen; er ließ seine Reiter noch zweimal um hundert Schritte vorrücken.

Auf dieser Seite war nun der Kampf in hellem Gange, und ohne Unterlaß knallten die Büchsen der Indianer. Sie richteten aber weiter keinen Schaden an, da ihre Besitzer herzlich schlecht mit ihnen umzugehen wußten. Trotzdem stellten sich die Grenzer, als ob sie sich vor dieser Schießerei fürchteten, und gingen nur mehr in kurzen Sprüngen vorwärts, ohne erst in den Sattel zu steigen. Ja, mit der Zeit, als immer mehr Feinde gegen sie heranzogen, hielten sie völlig an und begannen schließlich Schritt für Schritt zurückzuweichen.

siehe Bildunterschrift

Das Maschinengewehr hatte unterdessen auf den westlichen Flügel der Indianerstellung gefeuert.

Chiatzutak, der in sicherer Ferne auf einen Baum gestiegen war und von dort aus den Kampf leitete, hatte kaum das scheinbare Wanken des Feindes bemerkt, da zog er alle seine verfügbaren Kräfte zusammen und warf sie dem Kapitän Artigas entgegen, um ihn zu zermalmen.

Darauf hatte dieser gewartet.

Das Maschinengewehr hatte unterdessen ohne Unterlaß auf den westlichen Flügel der Indianer gefeuert und dieser war, dem Befehle des Kaziken folgend, bereitwilligst nach Süden zurückgewichen, bis er sich außer Schußweite befand.

Als dies erreicht war, gab der Oberst dem Kapitän mit einem Flaggstock ein Zeichen. Dieser setzte seine Signalpfeife an den Mund, seine Leute sprangen in die Sättel und jagten in schnellstem Galopp zu dem Panzerwagen, die Indianer mit höchlich überraschten Gesichtern zurücklassend.

Nun trieben die Peones ihre Gespanne an, die ganze Karawane setzte sich, im Rücken von den Grenzreitern gedeckt, in Bewegung und erreichte glücklich die Durchbruchstelle zwischen dem Paat de Piapuk und dem Cerro Cristian, noch ehe sich die Indianer recht klar geworden waren, was die Gegner mit diesem Manöver bezweckten. Nun lag für diese der Weg nach Norden zum Cerro San Miguel hin wieder frei!

In dieser Weise zum zweiten Male in allen seinen Berechnungen getäuscht, verlor Chiatzutak völlig die Überlegung. In der größten Erregung stieg er von seinem Baum herunter und jagte alle seine Krieger hinter den Weißen drein, die sich sogleich wieder zum Kampfe umwandten, sobald sie die ganze Durchbruchstelle in ihrem Besitze hatten.

Nun begann ein heißer und überaus ermüdender Kampf. Vertrauend auf ihre große Übermacht und in dem Glauben, daß sich die Feinde nur in der Angst der Verzweiflung zur Gegenwehr bereit zeigten, hatten die Rothäute ihre bisherige Furcht abgelegt. Ermuntert durch den aneifernden Zuspruch ihrer Führer, stürmten sie immer wieder von neuem gegen die Schützenlinie der Weißen an, die unbeweglich hinter ihren Pferden im Grase lagen und nun ihre ganze Fertigkeit im Schießen entwickelten.

Es war ein Kampf, der an die Zeiten der alten Konquistadoren erinnerte, da eine zwanzig- und dreißigfache Übermacht der Eingeborenen gegen ein kleines Häuflein todesmutiger Europäer anzustürmen pflegte, um schließlich der überlegenen Bewaffnung und Kriegskunst derselben zu unterliegen und dem fremden Joche den Nacken zu beugen.

Auch hier blieb alle Tapferkeit und Hingebung der Indianer erfolglos. Die Feinde wichen nicht um Haaresbreite; auch die hartnäckigsten Sturmläufe scheiterten an dem eisernen Walle der Gewehrläufe, die unablässig Tod und Verderben in die Reihen der roten Krieger sandten.

Nichts vermag die Erregung zu schildern, in der sich Chiatzutak befand, als immer und immer wieder Hiobsposten von der Front bei ihm einliefen und eine Schar seiner Krieger nach der anderen zersplittert wurde. In ohnmächtiger Wut lehnte er an einem Baumstamm, und die dickgeschwollenen Adern an seinen Schläfen drohten zu springen, während er mit finsteren Blicken auf die Pampa hinausschaute. Und doch sollte das Schwerste erst noch über ihn kommen!

Als Kapitän Artigas nach mehrstündigem Kampfe endlich bemerkte, daß die Angriffe der Feinde schwächer und schwächer wurden, überlegte er, ob er einen entscheidenden Schlag gegen die Rothäute wagen sollte. Das Vertrauen auf die erprobte Tapferkeit der Seinen überwog schließlich alle Bedenken. Er gab das Zeichen zur Attacke.

Die Grenzreiter warfen die Karabiner über die Achsel, sprangen blitzschnell in die Sättel und jagten dann, die Falcones in der erhobenen Rechten, auf die feindlichen Abteilungen los. Diese schwankten schon lange in unentschiedener Furcht. Jetzt war es mit ihrer Entschlossenheit zu Ende; ohne weiter auf ihre Führer zu hören, wandten sie sich zur regellosen Flucht.

Vergebens warf sich Chiatzutak in eigener Person ihnen entgegen, vergebens rief er seine Leibwache zum letzten Widerstande zusammen. Er mußte hinter einen Baum springen, wenn er von den in sinnlosem Schrecken Davonlaufenden nicht niedergetreten werden wollte.

Da mußte er endlich mit blutendem Herzen das Schicksal des Tages verloren geben. Stumm wandte er sich, von wenigen Getreuen umgeben, dem dichtesten Walde zu.


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