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14.
Auf Kundschaft

Der Fluß war bald erreicht. Wenn der Oberst und Rodilla auch ziemlich gegen die stärkere Strömung anzukämpfen hatten, kamen sie doch rasch vorwärts. Am Morgen hatten sie etwa die Hälfte ihres Weges zurückgelegt und versteckten sich unter dem schützenden Laubdach eines Wäldchens, dessen Wipfel einer Insel gleich aus der graugelben Flut hervorragten. Hier verbrachten sie, in der Krone einer mächtigen Eiche verborgen und sich in der Wache gegenseitig ablösend, den Tag, ohne gestört zu werden.

Sobald die Nacht wieder Fluß und Land in ihre dunklen Schleier gehüllt hatte, setzten sie ihren Weg fort und kamen, rüstig rudernd, noch vor dem Morgengrauen an die Mündung jenes Seitenarmes, den der Doktor als verdächtig bezeichnet hatte.

Kaum waren sie in diese eingebogen, sahen sie zu ihrer Freude vom anderen Ende der Lagune ein kleines Feuer herüberschimmern, ohne Zweifel ein Zeichen, daß sie sich an der richtigen Stelle befanden.

Solange es noch finster blieb, ruderten sie vorsichtig und mit möglichster Vermeidung jedes verräterischen Geräusches weiter; dann lenkten sie nach links hinüber unter die überhängenden Zweige, die den Kaimansumpf einrahmten. Daß sie sich auf diesem befanden, wurde ihnen klar, sobald der erste Morgenstrahl über die einsame Gegend zuckte. Kein einziger Wasservogel trieb schlafend auf der geräumigen Wasserfläche; dafür sahen sie rings um ihr Boot, doch in respektvoller Entfernung, ein halbes Dutzend schwarzer Kaimanschnauzen aus dem Wasser ragen, um die sich die Wellen in leichten Ringeln brachen.

Sie banden nun hier ihr Fahrzeug fest und schwangen sich dann auf das ziemlich steile Ufer hinauf, das, von der Strömung unterwaschen, bei niederem Wasserstande wahrscheinlich bedeutend überhängen mochte. Von Feinden war ringsum keine Spur zu entdecken. Nur vom westlichen Ende der Lagune drang noch ein feiner Schimmer von dem Feuer der Indianer herüber, den übrigens das Licht des ausgehenden Tagesgestirnes bald aufsaugen mußte.

In den Wipfeln zu den Häupten der beiden Männer erwachte nun auch die gefiederte Welt. In ihr Pfeifen, Girren und Flöten mischte sich das Schnattern und Kreischen der Affen, die aus den Astwinkeln hervorkamen und von Baum zu Baum sprangen, auf der Suche nach Früchten. Der Regen hatte gänzlich aufgehört; an vereinzelten Stellen stahl sich sogar die Sonne durch die Wolken hervor.

Hier im Bereiche des Urwaldes dampfte die Erde und jedes Blatt. Bald herrschte eine feuchte, erdrückende Hitze wie in einem Treibhaus, daß der Oberst und sein Begleiter kaum zu atmen vermochten. Aber diese hatten nicht viel Zeit, sich über den ungewöhnlichen Umschwung in der Witterung Gedanken zu machen; es galt, möglichst schnell den vermutlichen Sammelplatz der Indianer zu beschleichen und in seiner Nähe ein sicheres Versteck zu finden, bevor noch die zerstreuten Krieger alle wieder zusammengekommen waren.

Miguel Rodilla befand sich nun völlig in seinem Element. Was er während seiner Gefangenschaft gezwungenermaßen hatte erlernen müssen, kam ihm trefflich zu statten. Geräuschlos wie ein in der Wildnis aufgewachsener Indianer wand er sich durch die Büsche und Schlingpflanzen und wußte die kleinsten Lücken auszunützen, so daß der Oberst seine helle Freude an ihm hatte.

Dieser überließ sich willig der Führung seines Begleiters und suchte getreulich alle seine Bewegungen nachzuahmen, was ihm allerdings nicht immer zur Zufriedenheit glückte. Denn während Miguel Rodilla einer Schlange gleich zwischen Lianen und Blättergerank hindurchschlüpfte, blieb der Oberst bald mit seinem Gewehr hängen, bald trat er unversehens auf einen grünen Zweig, dessen Knacken die Affen und Vögel für einige Sekunden zum Schweigen brachte, bald glitt er auf dem schlüpfrigen Boden aus und mußte sich am Gesträuch festhalten, um einen schweren Fall zu vermeiden. Doch je länger das Anbirschen dauerte, desto besser fand er sich in seine Aufgabe, und desto seltener wurden die warnenden Blicke, die Miguel Rodilla seinem Hintermann zuwerfen mußte.

Sie kreuzten mehrmals schmale Schleichwege der Rothäute, die sich als solche nur daraus erkennen ließen, daß die Vegetation des Bodens hinter der Üppigkeit zu beiden Seiten ein wenig zurückgeblieben war, und mußten auch zwei kleinere Wasserläufe durchschreiten, die ihnen mit ihren hochangeschwollenen Fluten eine nicht geringe Mühe verursachten. Ein paarmal wurden sie auch durch vorbeihuschende Indianer aufgehalten, die dem Sammelplatz zueilten, aber zum Glück ziemlich achtlos durch die Büsche brachen, weil sie sich in völliger Sicherheit wähnten.

Darüber verstrichen fünf lange Stunden voll Schweiß und Besorgnis, und der Oberst hatte längst die Orientierung verloren, in welcher Richtung sie sich bewegten. Es war eben doch weit anders, auf dem Rücken eines flinken Rosses durch die ebene Pampa zu fliegen, als sich wie ein scheues Reptil einen Weg durch den Urwald zu bahnen, ohne Aussicht nach rechts und links.

Die schlimmste Befürchtung, die auch Miguel Rodilla teilte, traf zum Glück nicht ein: sie stießen weder auf einen Jaguar noch auf ein anderes gefährliches Tier. Sonst hätten sie sich mit ihren Gewehren verteidigen müssen und dadurch ihre Anwesenheit den Indianern verraten. Auch von den höchst giftigen Schlangen blieben sie verschont, die sich wahrscheinlich wegen der Regengüsse in Erdlöcher und hohle Bäume verkrochen hatten und durch den spärlichen Sonnenschein noch nicht ins Freie locken ließen.

Endlich blieb Miguel Rodilla stehen, winkte den Oberst heran und ließ ihn durch eine schmale Lücke in der Laubwand schauen. Der Anblick erfüllte den Offizier mit großer Befriedigung. Sie hatten sich dem Sammelplatze der Indianer, einer kleinen Lichtung am innersten Ende der Lagune, bis auf ungefähr fünfzig Schritt genähert und konnten sie von ihrem Standpunkte aus leicht und beinahe vollständig übersehen.

Eine Art Rancho, der sich den Lauschern gegenüber an den Wald lehnte, deutete darauf hin, daß diese Stelle ständig von den Indianern besucht wurde, wenn sie sich am Ufer des Rio Salado auf der Jagd befanden und für die Nacht ein Obdach brauchten, von dem sie durch Rauch die zahllosen, höchst zudringlichen Moskitos abhalten konnten.

Auf den pritschenähnlichen Lagerstätten unter diesem Rancho, die wir schon in Yuquirenda kennen lernten, ruhten vier Häuptlinge in reichem Schmuck, wahrscheinlich die Häuptlinge der Krieger, die im Laufe des Tages erwartet wurden. Schweigend, ohne ein Glied zu rühren blickten sie vor sich hin und rauchten dazu aus ihren Pfeifen.

Vor ihnen im Freien lagerten kreuz und quer in malerischen Stellungen ein halbes Hundert Krieger, zum Teil damit beschäftigt, ihre Waffen in Stand zu setzen, während die übrigen schliefen oder sich gleich den Häuptlingen die Pfeife schmecken ließen. Wachposten konnte man nirgends entdecken und es war immerhin möglich, daß sich die Indianer hier hinreichend sicher glaubten, um diese Vorsichtsmaßregel vernachlässigen zu können.

Miguel Rodilla zog seinen Begleiter jetzt wieder tiefer in den Urwald hinein und umkreiste das Lager in einem weiten Bogen, um auf die andere Seite desselben zu gelangen. Dort hatte er einen großen Baum bemerkt, von dem er hoffte, daß ihn auch der Oberst ohne allzu große Schwierigkeiten würde erklettern können. Einmal in seiner dichten Laubkrone geborgen, vermochten sie bequem die Vorgänge auf dem Lagerplatze zu beobachten, ohne Gefahr, von den umherschweifenden Indianern entdeckt zu werden.

So wie er war, durfte der Oberst allerdings nicht an die Besteigung des Baumes denken. Miguel Rodilla kletterte daher zuerst hinauf, zog dann am Riemen seiner Bolas die beiden Gewehre und die Stiefel seines Begleiters nach, worauf dieser mit ziemlicher Anstrengung folgte und nicht darauf achten durfte, daß die rauhe, harte Rinde seinen Händen und Zehen ziemlich arg mitspielte.

Glücklich oben angekommen, setzten sie sich in einer starken Gabelung zurecht, hingen ihre Gewehre über die Äste und ließen dann ihre Blicke auf die Lichtung hinunter schweifen.

Sie hätten keinen günstigeren Platz wählen können. Der Überblick über das Lager war von hier aus womöglich noch vollständiger als drüben von der anderen Seite, und wenn nicht ein Indianer eigens auf den Baum stieg, um ihn zu durchspähen, brauchten sie nicht zu befürchten, von unten gesehen zu werden.

Die Szene unten auf der Lichtung, wie wir sie beschrieben haben, erlitt nur geringfügige Veränderungen, die stets die gleichen blieben: in kurzen Zwischenräumen kamen immer mehr Indianer auf den Plan, streckten sich nach einem kurzen Gruß gegen die Häuptlinge zu den anderen ins Gras und schliefen oder rauchten wie diese.

Unter diesen Ankömmlingen waren auch ungefähr zwei Dutzend, die beim letzten Angriff auf die Wagenburg der Weißen leichtere Verwundungen erlitten hatten, aber noch kampffähig waren. Die Schwerverwundeten hatte man, wie sich später herausstellte, in die nächsten Tolderias gebracht und den Frauen zur Pflege übergeben.

Erst spät am Nachmittage wurde den beiden Lauschern der Anblick zu teil, auf den sie sehnlich gewartet hatten. Von zwei gut bewaffneten Kriegern geführt, erschien Sir Allan auf der Lichtung. Er sah aufs äußerste erschöpft aus, was sowohl dem ungewohnten, beschwerlichen Marsch durch den Urwald als der scharfen Fesselung zuzuschreiben war; die Haare hingen ihm in die unbedeckte Stirn, und seine Kleider zeigten vielfach Risse und Schlitze.

Er wurde sogleich vor die Häuptlinge gebracht, die in spanischer und portugiesischer Sprache verschiedene Fragen an ihn richteten. Aber da er als echter Englishman nur seine eigene Muttersprache verstand, konnte er keine Auskunft geben. Unwillig befahlen darum die Häuptlinge, ihn seitwärts zu einem Baum zu führen und dort anzubinden. Seine bisherigen Wächter wurden abgelöst und durch zwei neue ersetzt.

»Wir können vorläufig nichts zu seiner Rettung tun,« flüsterte Miguel Rodilla dem Oberst ins Ohr. »Aber sobald es hinreichend dunkel geworden ist, will ich hinuntersteigen und sehen, ob ich bis zu ihm vordringen kann.«

»Wenn nur die beiden Wachen nicht wären,« erwiderte der Oberst ebenso leise.

»Die machen mir wenig Sorgen,« gab Miguel Rodilla zurück. »Ich glaube zuversichtlich, daß die Rothäute hier den morgigen Tag abwarten. Sie haben einen weiten Marsch hinter sich und müssen auch einmal ausruhen. Wenn dann alle schlafen, können wir bei genügender Vorsicht die Wachen niederschlagen und unseren Mann losschneiden. Aber wie bringen wir ihn dann weiter?«

»Freilich,« sagte der Oberst. »Er wird todmüde sein und in diesem Zustand nicht weit laufen können.«

»Auch diese Schwierigkeit ließe sich überwinden, indem wir ihn einfach abwechselnd tragen,« erwiderte der andere. »Aber wie ich aus alter Erfahrung weiß, lösen die Roten ungefähr alle zwei Stunden ihre Wachen ab. Nun brauchen wir etwa eine Stunde, um den Señor Ingles herauszuholen; die übrige Frist, ehe man den Streich entdeckt, reicht auf keinen Fall, ihn in Sicherheit zu bringen. Wir können im Finstern unsere Spuren nicht vertilgen wie heute morgen; die Indianer werden uns mit Fackeln nacheilen, sobald sie die Flucht ihres Gefangenen entdecken, und gegen eine solche Überzahl nützen auch die schönen Waffen nichts, die während meiner langen Gefangenschaft von unseren Künstlern erfunden wurden. Wenn diese roten Burschen wenigstens ein Kanu hätten!«

»Wir hätten unser Boot nicht so bald zurücklassen sollen.«

»Ich habe mich leider in der Dunkelheit täuschen lassen und heute nacht die Entfernung des Feuers zu kurz abgeschätzt. Als es dann hell wurde, durften wir uns auf dem Wasser nicht mehr sehen lassen, und unter dem Ufergesträuch war an ein Fortrudern auch nicht zu denken.«

»Wie wäre es, wenn Sie versuchten, zu unserer Chalana zurückzukehren und sie nach Einbruch der Dunkelheit heranzubringen? Auf ein Zeichen steige ich dann vom Baume herunter und wir treffen uns in der Nähe des Gefangenen.«

siehe Bildunterschrift

Sie gewahrten drei große Kähne, jeder mit etwa zwanzig Kriegern besetzt.

»Ich dachte auch schon daran. Aber wir haben höchstens noch zwei Stunden Tag, und in der Finsternis soll sich der Kuckuck im Urwalde zurechtfinden; nicht einmal die Indianer wagen so etwas, wo sie die Pfade nicht ganz genau kennen.«

Ehe der Oberst antworten konnte, wurde ihre Aufmerksamkeit in anderer Weise in Anspruch genommen. Die Indianer erhoben sich in sichtlicher Erregung aus dem Grase und gingen an das Ufer der Lagune, auf die sie eifrig hinausblickten. Wahrscheinlich kamen neue Zuzügler und diesmal zu Wasser, wie die beiden Weißen sich mit großer Genugtuung sagten. Mit Sicherheit konnten sie dies nämlich noch nicht erkennen, da das Laub ihres Baumes die Aussicht auf die Mündung der Lagune verdeckte.

Aber als etwa zehn Minuten verstrichen waren, erschienen die Erwarteten in ihrem Gesichtsfeld. Nun konnten sie drei große Kähne, jeder mit etwa zwanzig Kriegern besetzt, unterscheiden, die in gemächlicher Fahrt am rechten Ufer heraufkamen. Ihnen folgte in einiger Entfernung ein kleineres Boot, in dem nur drei Männer saßen, zwei Ruderer und ein finster blickender, steinalter Häuptling, der mit nachlässiger Haltung am Stern saß und das Steuer regierte.

Daß er ein Häuptling war, und zwar einer der hervorragendsten, das sah man ihm auf den ersten Blick an, obwohl sein ledernes Wams auch nicht eine Verzierung zeigte und in seinem Haar nur eine einzelne Adlerfeder steckte. Aber seine Haltung und sein stolzer Blick sagten deutlich genug, daß er ans Befehlen gewöhnt war. Als die Indianer am Ufer nun anfingen, ihre Waffen zu schwenken und laute Begrüßungsrufe auszustoßen, winkte er unwillig mit der Hand, worauf sogleich wieder die tiefste Stille eintrat.

Die drei großen Boote stießen ans Ufer. Ehe seine Insassen herausstiegen, brachten sie auch ihre bisher unsichtbaren Waffen zum Vorschein. Es waren Hinterladergewehre, allerdings von etwas veralteter Konstruktion, die durch Zwischenhändler von den Soldaten des Lateinischen Staatenbundes in den Besitz der Indianer gelangt waren. Ihre jetzigen Träger bildeten zweifellos die engere Leibwache jenes weißhaarigen Häuptlings, da die übrigen Krieger keine Feuerwaffen führten.

Von ehrfurchtsvollem Schweigen empfangen, stieg nun der alte Mann ans Ufer und reichte den vier Häuptlingen, die zu seiner Begrüßung gleichfalls herangekommen waren, die Hand. Dann schritt er wie ein Herrscher inmitten seiner Höflinge auf den Rancho zu und ließ sich dort nieder. Es wurde ihm Tabak gebracht, womit er die an seinem Halse hängende Pfeife stopfte. Nachdem er schweigend einige Züge daraus getan hatte, wandte er sich mit einer Frage an die Häuptlinge.

»Ich muß unbedingt hören, was sie sprechen,« wisperte da Miguel Rodilla dem Oberst ins Ohr. »Warten Sie hier, ohne sich zu rühren. Ich komme wahrscheinlich erst in der Dunkelheit wieder.«

Ehe der Offizier noch eine Einsprache erheben konnte, glitt der andere behend wie ein Eichkätzchen den Stamm hinunter und war gleich darauf aus den Augen des Zurückbleibenden entschwunden. Diesem blieb daher nichts anderes übrig, als in Geduld abzuwarten, wie das Wagnis seines Begleiters enden und was er dabei erlauschen werde.


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