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6.
Ein kecker Vorstoß

Selbstverständlich hatte Sir Allan gleich nach seiner Ankunft im Lager auch den Zusammenstoß mit den Indianern berichtet. Daraufhin schickte Doktor Bergmann ohne Verzug vier Peones zu Pferde hinaus, um die Spuren der Feinde zu verfolgen, so weit sie es tun konnten, ohne selbst in Gefahr zu kommen. Er durfte ihnen diese Aufgabe ohne Sorge anvertrauen, denn sie waren echte Kinder des Landes, die unter beständigen Gefahren groß geworden waren und keine Furcht kannten, selbst wenn ihnen der »Geist der Pampas« in eigener Person entgegengetreten wäre.

Sie warfen ihre Karabiner über die Achsel und ritten mit jenem sorglosen Selbstvertrauen davon, das den Bewohner der Pampa kennzeichnet. Als sie den Wiesenplan erreichten, auf dem Sir Allan in seiner Baumflasche beinahe seekrank geworden wäre, ließen sich auch noch die Spuren erkennen, welche die Indianer zurückgelassen hatten.

Von diesem Augenblick an änderte sich das Gebaren der vier Reiter vollständig. Sie beobachteten das tiefste Stillschweigen, saßen leicht vorgebeugt, mit der Hand am Schlosse des Gewehres, im Sattel und ließen ihre dunklen, glänzenden Falkenaugen nach allen Seiten schweifen, bemüht, jedes noch so feine Geräusch zu erlauschen.

Da es auf keinen Fall ratsam schien, mit den Pferden in die dichtverschlungene Buschwildnis einzudringen, die wahrscheinlich nur von wenigen, kaum erkennbaren Indianerpfaden durchkreuzt wurde, verständigten sie sich mit raschen Blicken, die große Waldinsel, in die Sir Allans Angreifer geflohen waren, paarweise nach rechts und links zu umreiten.

Auf dem freien Felde, wo sie sich auf die unvergleichliche Schnelligkeit ihrer Tiere und auf ihre nie fehlenden Büchsen verlassen konnten, brauchten sie einen Angriff von seiten der Rothäute kaum zu befürchten. Wenn diese je, auf ihre Übermacht vertrauend, sie anzugreifen wagten und zum Rückzuge zwangen, brachte sie ein gestreckter Galopp von einer halben Stunde aus dem Bereich aller Verfolgungen und sie konnten dann wieder bequem zum Lager zurück; denn wo hätte ein Peon sich jemals unter dem freien Himmel der Prärie verirrt!

Was die Reiter vorausgesetzt hatten, traf auch zu. Als sie nach etwa zwei Stunden am jenseitigen Rande des Waldes wieder zusammenkamen, konnten jene beiden, welche die Ostseite abgesucht hatten, berichten, daß sie kurz vor der Begegnung auf eine starke Fährte gestoßen waren.

Nun ritten alle vier zusammen dahin und machten sich an die Untersuchung der Fußspuren. Die weitaus größere Mehrzahl derselben stammte aus jüngster Zeit und bestätigte, daß hier eine Schar Eingeborener in ziemlicher Eile nach Norden abgezogen war; ihre Zahl mochte zwischen fünfzig und hundert betragen. Erst bei genauer Prüfung ließen sich unter diesen dichtgedrängten Stapfen stellenweise einige ältere herausfinden, die wohl zwei bis drei Tage alt waren und in die entgegengesetzte Richtung deuteten.

Die vier Männer waren sich über die Bedeutung dieser Zeichen sofort klar. Die Indianer hatten sich vor einigen Tagen in die Nähe des Lagers geschlichen, ohne Zweifel, um nächtlicherweile irgend einen Handstreich gegen dasselbe zu versuchen. Die erhoffte Gelegenheit bot sich ihnen rasch genug durch Sir Allans Unbedachtsamkeit, und seine Person wäre in der Tat ein kostbarer Fang für sie gewesen. Da aber ihr Anschlag durch die Dazwischenkunft des simarrone vereitelt wurde, fürchteten sie wahrscheinlich, die Weißen würden auf der Stelle die Verfolgung aufnehmen, um Vergeltung zu üben, und flohen schleunigst wieder nach Norden zurück.

Es galt nun, zu erfahren, ob sie sich noch am selben Tage wieder gelagert hatten oder für diesmal endgültig abgezogen waren. Die Peones gaben also ihren Pferden die Sporen und verfolgten in sausendem Galopp weiter die geradeaus nach Norden führende Spur.

Die Prärie, die jetzt vor ihnen lag, war, abgesehen von einigen vereinzelt darüber hingestreuten Sträuchern, bis an den Horizont von keinem Baumwuchs mehr unterbrochen. Erst nach einem etwa zweistündigen Ritt tauchte wieder eine dunkle Linie vor ihnen auf, die ein größeres Gebüsch andeutete.

Als die vier Männer dieses erreichten, sahen sie, daß sich die bisher verfolgte Fährte hier in mehrere einzelne auflöste, die insgesamt unter der dichten, anscheinend festgeschlossenen Laubwand verschwanden. Diese Zeichen glaubten die Peones dahin deuten zu sollen, daß die Indianer für diesmal wirklich die Feindseligkeiten aufgegeben hatten und ohne weiteren Verzug nach ihrer tolderia (Hüttendorf) zurückzukehren beabsichtigten; denn sonst hätten sie sicher hier am Waldrand Lager geschlagen.

Da die Sonne ohnedies bereits ziemlich tief am Horizonte stand, beschlossen die vier Kundschafter, die Ihrigen wieder aufzusuchen. Sie hielten jetzt geradeaus auf die westliche Ecke des früher umrittenen Waldes zu und kamen dadurch nahe an einem kleinen Strauchdickicht vorbei, das bei ihrer Ankunft einige hundert Meter links geblieben war. An dieser Stelle ließen ihre scharfwitternden Tiere plötzlich eine leichte Unruhe erkennen, als ob ihnen eine Gefahr drohe. Sofort hielten die vier Männer wieder ihre Karabiner schußbereit in der Hand. Drei blieben stehen, während der vierte vorsichtig auf das verdächtige Gebüsch zuritt, um zu erkunden, wodurch das auffällige Gebaren ihrer Pferde verursacht wurde.

Er wollte gerade die vordersten Zweige auseinanderbiegen, da schnellte auf der andern Seite aus dem Strauchwerk eine dunkle, sehnige Gestalt heraus, die mit weiten, geradezu bewundernswerten Sprüngen den Schutz des nahen Waldes zu erreichen strebte. Ohne Zweifel war es ein Späher der Indianer, der gehofft hatte, hier in sicherer Verborgenheit das Kommen und Gehen der Feinde beobachten zu können.

Bei dem Anblick des fliehenden Indianers huschte ein befriedigtes Lächeln über die Züge der Peones. Einer von ihnen schlang rasch die Bolas vom Sattelknopf, wirbelte sie einige Male über seinem Kopf und ließ sie dann in wuchtigem Schwunge hinter der Rothaut hersausen. Genau an der Stelle, wohin sie gezielt waren, schlangen sie sich um die Beine des Flüchtlings und rissen ihn auf den Boden nieder, wo er hart aufschlug, ohne sich wieder zu erheben.

siehe Bildunterschrift

Im Galopp stürmten die vier Reiter in südlicher Richtung davon.

Nun wollten die Peones langsam auf ihn zureiten, um ihn festzunehmen. Da ertönte vom nahen Walde her ein vielstimmiges Geheul, und eine ansehnliche Schar mit Lanzen und Pfeilen bewaffneter Indianer brach aus seinem Dunkel hervor, ohne Zweifel in der Absicht, den Stammesgenossen vor der drohenden Gefangenschaft zu bewahren.

Nun galt es für die Peones, rasch zu handeln, wollten sie ihren Fang noch in Sicherheit bringen. Aber sie waren an solche Vorkommnisse gewöhnt und verloren durchaus nicht ihre Kaltblütigkeit. Zwei von ihnen sprengten den heranstürmenden Indianern entgegen, um sie durch ein lebhaftes Gewehrfeuer für eine kurze Spanne aufzuhalten. In der Tat gelang es ihnen; denn kaum sahen die Wilden da und dort einige aus ihren Reihen zusammenbrechen, warfen sie sich platt auf die Erde nieder, um, gedeckt durch das ellenhohe Gras, auf allen vieren heranzukriechen.

Inzwischen hatten die beiden anderen Peones eine ihrer caronas (lederne Pferdedecken) so zusammengeknüpft, daß sie wie eine Matrosenhängematte aussah, und zwischen den Sätteln ihrer Pferde festgebunden. Als dies geschehen war, pfiffen sie ihre beiden Kameraden herbei, die, herangekommen, zur Erde sprangen, den immer noch besinnungslosen Gefangenen mit den Riemen der Bolas fesselten und in den Ledersack schoben. Dann schwangen sie sich wieder in den Sattel, und alle vier flohen in einem wahren Sturmgalopp nach Süden davon.

Wohl sprangen die Indianer jetzt wieder auf ihre Beine und schossen ihre Pfeile hinter den Fliehenden her, aber die Entfernung war schon zu groß; sie mußten ihren Späher der Gewalt der Weißen überlassen.

Um Mitternacht langten diese wieder im Lager an. Der Doktor, den die Besorgnis nicht hatte schlafen lassen, kam ihnen neugierig entgegen und war nicht wenig überrascht, als sie ihre Beute aus der Lederdecke zogen und vor ihm auf die Erde legten. Er belobte die wackeren Männer für ihren Eifer und ihre Tapferkeit, fügte aber doch, als er ihren Bericht vernommen hatte, hinzu: »Es war unnötig, daß ihr euch dieses Mannes wegen in Gefahr begeben habt. Er ist wohl kaum eine so hervorragende Persönlichkeit, daß wir ihn als wertvolle Geisel gegen seine Stammesgenossen ausspielen könnten; da wird er uns nur unnötige Arbeit machen, wenn wir ihn nicht wieder entwischen lassen wollen.«

»O, Señor,« fiel der älteste der Peones ein, »wir dachten nur, der Bursche könne uns sagen, was die Seinen gegen uns im Schilde führen.«

»Wir werden kaum etwas aus ihm herausbringen,« erwiderte der Doktor zweifelnd. »Die Verstocktheit der Chacoindianer ist ja bekannt ...«

»Wenn Sie erlauben, werden wir ihn schon zum Sprechen bringen,« meinte der Peon dagegen.

»Um keinen Preis,« verbot der Doktor allen Ernstes.

Der beständige, aufreibende Kampf, den in diesen Gebieten die Weißen und Rothäute seit Jahrhunderten gegeneinander führten, hatte mit der Zeit in beiden Parteien eine Erbitterung festwurzeln lassen, die auch vor dem Äußersten nicht zurückschreckte. Häufig genug kam es nach dem erbarmungslosen Gesetze der Wiedervergeltung hüben und drüben zu Grausamkeiten, die sich wenigstens auf seiten der Weißen durchaus nicht entschuldigen ließen.

Der Doktor kannte diesen Umstand wohl und wünschte seinen Leuten ein für allemal klarzumachen, daß er in seinem Lager derartige Vorkommnisse unter keiner Bedingung dulden werde. Darum hieß er den Gefangenen, der schon während des scharfen Rittes wieder zur Besinnung gekommen war, vorläufig sorgfältig zwischen den Rädern des Geschützwagens festbinden, worauf die Peones ihre ermüdeten Tiere fütterten, ihnen Trank reichten und sich dann neben ihnen zum wohlverdienten Schlafe ausstreckten.

Als der Indianer am nächsten Morgen verhört werden sollte, zeigte es sich, daß der Doktor recht hatte. Der Mann trug eine trotzige Miene zur Schau und gab keinen Laut von sich, ob ihn nun der Doktor durch seine Dolmetscher in der Quichua-, Chiriguano- oder Guaicurusprache anreden ließ. Er bekam also eine ständige Wache, wurde aber sonst nicht weiter mehr beachtet.

Da infolge dieser Gefangennahme die Befürchtung nahe lag, daß die Indianer versuchen würden, ihren Späher wieder aus der Gewalt der Weißen zu befreien, schickte der Doktor auch an den folgenden beiden Tagen fleißig Kundschafter aus; aber diese kamen jedesmal wieder unverrichteter Dinge zurück, denn sie konnten nirgends eine verdächtige Spur entdecken.


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