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16.
Sir Allans Befreiung

Die beiden Schleicher hatten das unvermeidliche Geräusch, welches das Kommen und Gehen der Wachen verursachte, dazu benutzt, um ein ansehnliches Stück vorwärts zu dringen, so daß sie vielleicht nur fünfzehn Meter noch von ihrem gefangenen Freunde entfernt waren. Nun mußten sie aber ihre Vorsicht verdoppeln, wenn sie nicht entdeckt werden wollten.

Wieder ging es weiter, und sie gewannen noch zwei Meter. Da aber stieß der Oberst, während er den ausgestreckten rechten Fuß nachziehen wollte, an ein dünnes Stämmchen, dessen Blätter sogleich ein recht vernehmliches, sehr unliebsames Rascheln hören ließen.

Im Nu standen die Wachen auf ihren Füßen und blickten nach der Gegend, von wo das verdächtige Geräusch erklungen war. Mit angehaltenem Atem verharrten die beiden Weißen in der Lage, in der sie sich gerade befanden, ohne auch nur einen Muskel zu rühren.

Doch der Verdacht der Wächter wurde dadurch nicht eingeschläfert. Vielmehr ging jetzt der eine von ihnen, nachdem er sich durch ein kurzes Kopfnicken mit seinem Genossen verständigt hatte, zum Feuer zurück, zog aus dem Reisigvorrat einen der harzigen Chilcaäste und setzte ihn in Brand. Dann kehrte er zu seinem Kameraden zurück, und beide drangen beim Schein der rußenden Flamme in das Gebüsch ein, um nach dem vermuteten Feinde zu suchen.

Die Entdeckung der beiden Weißen schien nun unvermeidlich; nur eine dünne Laubwand trennte sie noch von den Augen der eifrig spähenden Rothäute.

Doch auch diesmal wußte der ehemalige Sklave der Toba einen rettenden Ausweg.

In der Voraussicht, daß eine Störung seines Planes, wie die beschriebene, sehr leicht möglich war, hatte er schon im Lager eine Anzahl leerer Haselnüsse zurecht geschnitten und in die Tasche gesteckt; diese schob er nun wie Fingerhüte an die Finger seiner rechten Hand. Eben wollte der eine der beiden Indianer die Zweige in die Hohe heben, unter denen die Weißen steckten, da trommelte Miguel Rodilla rasch zwei-, dreimal mit den Nußschalen auf dem Holzschafte seines Gewehres, so daß es sich anhörte, als ob eine mboi cini (Klapperschlange) ihre Rassel in Bewegung setze. Mit einem leisen Schreckensschrei fuhr der neugierige Wächter zurück, und hastig liefen beide wieder auf ihren Posten, wo sie sich in Sicherheit glaubten, da die Klapperschlange die Nacht ruhig in einem Schlupfwinkel zu verbringen pflegt.

Trotzdem war aber durch dieses unliebsame Vorkommnis die Befreiung des Gefangenen zehnmal schwerer geworden. Die Indianer richteten beständig ihre Blicke nach der Gegend, um das gefürchtete Reptil noch rechtzeitig zu bemerken, falls es die Störung seines Schlafes übelnahm und an einen Angriff dachte.

Es blieb nichts übrig, als daß die beiden Weißen ruhig in ihrem Versteck verharrten, bis auch diese Wächter abgelöst waren. Ihre Geduld wurde dadurch nochmals auf eine sehr harte Probe gestellt, und der Oberst gab sich für die begangene Unvorsichtigkeit im stillen die schönsten Ehrentitel.

Endlich war auch diese Wache um. Die abziehenden Wächter sagten ihren Nachfolgern von dem Zwischenfall nichts, da die Klapperschlange augenscheinlich wieder eingeschlafen war; daher setzten sich die ahnungslosen neuen Wächter mit den Gesichtern nach dem Feuer zu nieder, wodurch sie ihren verborgenen Feinden den Rücken zuwandten.

siehe Bildunterschrift

Hastig liefen beide Indianer wieder auf ihren Posten zurück.

Nun hielt es Miguel Rodilla an der Zeit, wieder vorzurücken. Eine halbe Stunde später lag er mit dem Oberst knapp hinter den Rothäuten. Die beiden Weißen richteten sich langsam auf, und gleich darauf brachen die Wächter unter ihren Kolben lautlos zusammen.

Rasch wandte sich nun Miguel Rodilla zu Sir Allan und hielt ihm, während er mit der Rechten seine Fesseln zerschnitt, mit der Linken den Mund zu, damit er nicht im Erwachen unwillkürlich laut wurde. Der Engländer war allerdings im ersten Augenblick äußerst erstaunt; doch da er gleich darauf seine Arme und Beine frei fühlte, begriff er den Zusammenhang und schob sanft die Hand des Spaniers von seinem Gesichte.

»Ich danke Ihnen,« hauchte er ihm ins Ohr. »Was soll nun geschehen?«

Rodilla verstand ihn nicht, sondern winkte ihm zu schweigen. Inzwischen war auch der Oberst herangetreten und fragte wie der Engländer: »Was nun?«

»Wir müssen im Walde entlang bis zum Ufer,« flüsterte Miguel Rodilla zur Antwort. »Dort warten wir, bis das Feuer ausgegangen ist, und steigen dann in das kleine Boot. Aber jetzt um Himmels willen nicht wieder irgendwo anstoßen!«

Er übernahm die Führung und geleitete die beiden anderen rings um den Saum der Lichtung bis ans Ufer, das sie glücklich erreichten. Hier kauerten sie sich nieder und warteten. Das Feuer nahm zusehends ab; nach einer halben Stunde waren höchstens einige spärliche glühende Reste davon noch übrig. Freilich mußten die Weißen nunmehr das letzte Stück ihres Weges in vollständiger Finsternis zurücklegen. Aber auch das gelang; sie fanden das gesuchte kleine Kanu und stiegen ein.

Aber wie der Oberst das Ruder ins Wasser senken wollte, traf er damit hart auf den Rand eines danebenliegenden großen Bootes. Von dem dumpfen Ton erwachten einige der Schläfer am Ufer und richteten sich auf. Da sie zu ihrer nicht geringen Überraschung das Feuer erloschen fanden, stießen sie laute Warnungsrufe aus und eilten zu der Feuerstelle, um die Flammen wieder anzufachen.

Miguel Rodilla war erschrocken zusammengezuckt, als er das Aufschlagen des Ruders hörte. Zwar hoffte er einen Augenblick lang, daß es den Schläfern entgangen sei; doch kaum hörte er ihre Stimmen, da begriff er, daß jetzt alles auf eine Karte gesetzt werden mußte.

Er stieß den verabredeten Pfiff aus, schnellte ans Ufer, wobei er zugleich das Boot seiner Gefährten durch einen kräftigen Fußtritt auf die Lagune hinausstieß, und sprang dann zu den Indianern, die um die Feuerstelle kauerten und in die Glut bliesen. Er schleuderte sie mitten in die glimmende Asche, daß diese nach allen Seiten auseinanderstob; dann sauste er durch die übrigen Rothäute, die ihn wegen seiner halbindianischen Kleidung im Dunkeln für einen der Ihrigen hielten, zum Walde hin, in den er mit lautem Geräusch eindrang.

Seine List hatte Erfolg. Die Indianer glaubten zunächst, daß die Feinde auf dieser Seite das Weite suchten, und eilten ihm, aus Leibeskräften schreiend, nach. Dadurch wurde das Geräusch übertönt, das der Oberst und Sir Allan im Davonfahren verursachten. Während die Indianer daher zum Teil dem flüchtigen Miguel Rodilla nacheilten, zum Teil die letzten Fünkchen ihres zerstörten Feuers zusammentrugen und dürres Laub darüber warfen, legten die beiden Weißen im Boot ein beträchtliches Stück Weges zurück und schlüpften dann, sobald die ersten Flammen am Lande wieder aufzuckten, unter das herabhängende Gebüsch am linken Ufer der Lagune.

Die Verwirrung unter den Indianern dauerte übrigens nicht lange. Der alte Kazike war auch erwacht; hell tönte seine befehlende Stimme über die Lichtung. Die Indianer gaben die nutzlose Verfolgung im Dunkeln auf, scharten sich um ihn, und wie das Feuer wieder brannte, entzündeten sie Chilcaäste daran, um nach den Spuren der Weißen zu suchen. Als sie die beiden bewußtlosen Wächter fanden, brachen sie in ein erneutes Wutgeheul aus, das sich aber der schlaue Miguel Rodilla trefflich zu nutze machte.

Er hatte in der Zwischenzeit einen ziemlichen Bogen geschlagen. Nun kehrte er behutsam zu dem großen Baume zurück, auf den er wieder hinaufstieg. Der Schein des Feuers, das alsbald hell brannte, gewährte ihm hinreichend Licht, daß er auf einem weit hinausreichenden Ast weiterklettern konnte. Von dort schnellte er in einem kühnen Abschwung in den Wipfel einer Palme. Von da kletterte er an verschiedenen Schlingpflanzen noch ein Stück weiter und gelangte derart schließlich in die Krone eines dichtbelaubten Baumes, die ihn vollständig verbarg.

Diese Affenkünste verursachten allerdings ein lautes Rascheln und Knacken, aber das Geschrei der Indianer ertönte immer von neuem. Sie hatten inzwischen auch das Fehlen des einen Bootes bemerkt und mußten sich sagen, daß ein Teil ihrer Feinde auf dem Wasser entkommen war. Schließlich brachte aber der alte Kazike seine aufgeregte Bande doch wieder einigermaßen zur Ruhe; die regelrechte Verfolgung des Flüchtlings konnte beginnen.

Seine Spur war bald gefunden, sowohl die von den niedergeschlagenen Wachen am Saume der Lichtung hin zu den Kähnen und quer durchs Lager zurück, als wie jene zu dem Baume, auf dem die beiden Weißen den Nachmittag verbracht hatten. Hier aber bot sich den Verfolgern ein neues Rätsel.

Zuerst vermuteten sie den Flüchtling oben in den Ästen, und mehrere Rothäute kletterten hinauf, ohne ihn natürlich zu entdecken. Die Spur, welche die beiden Weißen am Morgen bei ihrer Ankunft verursacht hatten, war aber verschwunden, da sich die niedergetretenen Pflanzen in dem feuchten, warmen Dunste bald wieder aufgerichtet hatten. Dafür fanden die Indianer die andere, auf der jene zum Lager geschlichen waren, um ihren Gefährten zu befreien; und von da ging es eben wieder zum Ufer hin, wie ihnen schon bekannt war.

Aus diesem Kreise vermochten sie nicht klug zu werden. Als der verdächtige Baum nochmals ergebnislos untersucht worden war, traten die Häuptlinge zu einer kurzen Beratung zusammen. Es blieb nichts anderes übrig, als den Wald nach allen Seiten hin beim Fackelschein zu durchforschen.

Jeder der vier Unterhäuptlinge nahm also seine Leute und machte sich mit ihnen ans Werk. Sie entfernten sich dabei immer weiter vom Lager, wo nur der alte Kazike zurückblieb, der sich mit finster zusammengezogenen Brauen am Feuer niedersetzte und schweigend in dieses hineinstarrte.

Darauf hatte Miguel Rodilla gerechnet. Sobald die Suchenden weit genug entfernt waren, kletterte er aus seinem Versteck herunter, schlich sich von rückwärts an den Alten heran und schlug ihn mit dem Kolben nieder. Dann eilte er zu den Booten, zerschnitt zweien derselben mit seinem facon (kurze, breite Waffe, halb Schwert, halb Dolch) den Boden, setzte sich in das dritte und ruderte seelenvergnügt davon.

Nun wollte Miguel Rodilla den Schrei der Möwe nachahmen; doch wurde das unnötig, denn der Oberst hatte von seinem Versteck aus die Vorgänge im Lager wohl verfolgt und kam soeben unter den Sträuchern hervor. Sobald die beiden Boote nebeneinanderlagen, stieg Miguel Rodilla hinüber. Das große Boot wurde versenkt, und das kleinere fuhr eilig davon.

»Sie sind ein Prachtmensch, Señor Rodilla,« lobte der Oberst, während er eifrig die Ruder schwang. »Erzählen Sie doch, wie Sie die Rothäute an der Nase herumgeführt haben. Ich konnte nur den letzten Teil des Vorganges verfolgen.«

Der Gefragte kam dem Wunsche mit kurzen Worten nach; dann aber wurde es auch bei ihnen still, und nur das leise Einfallen der Ruder tönte noch über die Lagune. Von den Indianern, die sich im Walde verloren hatten, war nichts mehr zu sehen und zu hören.

Zwei Stunden später erreichten die Flüchtigen die Stelle, wo Rodilla und der Oberst am vorhergehenden Morgen ihre Chalana verborgen hatten. Nach kurzem Suchen war sie gefunden und wurde ins Schlepptau genommen.

Dann ging es den Fluß hinab, der sie rasch zu Tal trug. Am Abend erreichten sie glücklich das Lager ihrer Freunde.


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