Bernhard Kellermann
Der Tunnel
Bernhard Kellermann

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11.

Allan flüchtete über das Dach der Mercantile Safe Co., das acht Stockwerke unter ihm lag.

Er hatte einige Minuten, nachdem ihn die Frechdachse durch ihr Geschrei herausgelockt hatten, den Ausbruch des Feuers bemerkt. Als Lion taumelnd vor Angst und Aufregung zu ihm geeilt kam, hatte er schon den Mantel angezogen und den Hut auf dem Kopf. Er war dabei, Briefschaften von den Tischen aufzuraffen und in die Taschen zu stecken. 330

»Das Building brennt, Sir!« keuchte der Chinese. »Die Lifts brennen!«

Mac warf ihm Schlüssel zu. »Öffne den Tresor und schreie nicht!« sagte er. »Das Gebäude ist feuersicher.« Allan war gelb im Gesicht, betäubt von dem neuen Unglück, das über ihn hereinbrach. »Das ist das Ende!« dachte er. Er war nicht abergläubisch! Aber nach all den Schicksalsschlägen drängte sich ihm der Gedanke auf, daß ein Fluch auf dem Tunnel liege! Ganz mechanisch, ohne recht zu wissen, was er tat, raffte er Zeichnungen und Pläne und Schriftstücke zusammen.

»Der kleine Stift mit den drei Zacken, Lion, flenne nur nicht!« sagte er, und verwirrt und betäubt wiederholte er ein paarmal: »Flenne nur nicht . . .«

Das Telephon schrillte. Es war Kelly, der Allan sagte, er solle über die Ostwand nach dem Dach der Mercantile Safe Co. absteigen. Von Minute zu Minute schrillte das Telephon – es sei höchste Zeit! – bis Allan den Apparat abstellte.

Er ging von Tisch zu Tisch, von Gestell zu Gestell und zog Pläne und Schriftstücke hervor und warf sie Lion zu.

»Das muß alles in den Tresor, Lion! Vorwärts!«

Lion war halb irrsinnig vor Angst. Aber er wagte keine Silbe mehr zu sagen, nur seine Lippen bewegten sich, als ob er einen alten Hausgott anrufe. Mit einem Seitenblick hatte er sich überzeugt, daß ein Gewitter im Gesicht seines Herrn stand, ein Hagelwetter, und er hütete sich, ihn zu reizen.

Plötzlich klopfte es. Sonderbar! In der Türe erschien der Deutschrusse Strom. Er stand in der Türe, in einem kurzen Mantel, den Hut in der Hand, nicht unterwürfig und nicht aufdringlich. Er stand, als habe er die Absicht, geduldig zu warten, und sagte: »Es wird Zeit, Herr Allan.« Es war Allan rätselhaft, wie Strom heraufgekommen war, 331 aber er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Es fiel ihm ein, daß Strom in New York war, um mit ihm über die Verringerung des Heeres von Ingenieuren zu sprechen.

»Gehen Sie voran, Strom!« sagte er unwirsch. »Ich komme schon!« Und er wühlte weiter in den Stößen von Papieren. Draußen quoll der Rauch an den Fenstern vorbei und in der Tiefe winselten die Signale der Wehren.

Da fiel Allans Blick nach einer Weile wieder gegen die Türe: Strom stand immer noch still wartend, den Hut in der Hand.

»Sie sind noch da?«

»Ich warte auf Sie, Allan,« erwiderte der bleiche Strom bescheiden und bestimmt.

Plötzlich drang eine Wolke von Rauch ins Zimmer und mit dem Rauch erschien ein Offizier der Wehr mit einem weißen Helm auf dem Kopf. Er hustete und rief: »Kelly schickt mich. In fünf Minuten können Sie nicht mehr aufs Dach, Herr Allan!«

»Ich brauche gerade noch fünf Minuten,« antwortete Allan und fuhr fort, Papiere aufzuraffen.

In diesem Augenblick wurde das Knipsen eines photographischen Apparates hörbar, und als sie sich umdrehten, sahen sie einen Photographen, der Allan aufs Korn genommen hatte.

Der Offizier mit dem weißen Helm wurde vor Erstaunen einen Schritt zurückgeworfen.

»Wie kommen Sie hierher?« fragte er verblüfft.

Der Photograph knipste den verblüfften Offizier. »Ich bin hinter Ihnen hergeklettert,« antwortete er.

Allan mußte trotz seiner Niedergeschlagenheit laut auflachen. »Lion, Schluß, drehe ab! Nun, kommen Sie!« 332

Ohne einen Blick in sein Arbeitszimmer zurückzuwerfen ging er durch die Türe.

Der Korridor war eine dicke, finstere Masse von ätzendem Qualm. Es war höchste Zeit. Unter unausgesetzten Zurufen erreichten sie die schmale Eisentreppe und das Dach, auf dem an drei Seiten graue Rauchmauern in die Höhe wirbelten und die Aussicht benahmen.

Sie kamen gerade in dem Augenblick oben an, als der Glasdom einstürzte und sich in der Mitte des Daches ein Krater öffnete, der Rauch, Funkenregen, Feuerklumpen und brennende Papierfetzen ausspie. Dieser Anblick war so entsetzlich, daß Lion laut zu jammern anfing.

Der Photograph aber war verschwunden. Er photographierte den Krater. Er richtete die Linse über New York, hinunter in die Straßenschluchten, auf die Gruppe auf dem Dach. Er geriet in eine Raserei zu photographieren, so daß der Offizier sich schließlich gezwungen sah, ihn am Kragen zu packen und zur Leiter zu schleppen.

»Stop, you fool!« schrie der Offizier wütend.

»Was sagen Sie: fool?« antwortete der Photograph entrüstet. »Dafür werden Sie bezahlen. Ich kann hier photographieren, solange ich will. Sie haben gar kein Recht –«

»Now shut up and go on!« schrie der Offizier.

»Was sagen Sie: shut up? Auch dafür werden Sie bezahlen. Mein Name ist Harrisson vom Herald. Sie hören von mir.«

»Meine Herren, haben Sie Handschuhe? Das Fleisch bleibt Ihnen an den eisernen Leitern hängen.«

Der Offizier befahl dem Photographen, als erster abzusteigen.

Aber der Photograph wollte gerade den Abstieg aufnehmen und protestierte. 333

»Vorwärts,« sagte Allan. »Verlassen Sie das Dach. Machen Sie keine Dummheiten!«

Der Photograph warf den Riemen über die Schulter und stieg über die Brüstung.

»Sie haben ja allein das Recht, mich von Ihrem Dach zu weisen, Herr Allan,« sagte er tief gekränkt, während er langsam versank. Und als nur noch sein Kopf sichtbar war, fügte er hinzu: »Aber daß Sie von Dummheiten reden, das bedaure ich, Herr Allan. Von Ihnen hätte ich das nicht erwartet.«

Nach dem Photographen stieg Lion ein, der ängstlich unter sich blickte, dann Strom, hierauf Allan und den Schluß machte der Offizier.

Sie hatten acht Stockwerke abzusteigen, rund hundert Sprossen. Der Rauch war hier gering, aber weiter unten waren die Sprossen so dick mit Eis bedeckt, daß man sie kaum mehr greifen konnte. Unaufhörlich stieb Wasser über sie, das augenblicklich zu Körnern auf den Kleidern und im Gesicht gefror.

Dächer und Fenster der Nachbarschaft waren von Neugierigen punktiert, die dem Abstieg zusahen, der gefährlicher aussah, als er war.

Sie kamen alle wohlbehalten auf dem Dach der Mercantile Safe Co. an, und hier erwartete sie schon der Photograph und kurbelte.

Das Dach sah einem Gletscher ähnlich und ein kleiner spitzer Eisberg näherte sich Allan. Das war der Kommandeur Kelly. Zwischen den beiden, alten Bekannten, wurden folgende Worte gewechselt, die am selben Abend noch in allen Zeitungen standen.

Kelly: »I am glad I got you down, Mac!«

Allan: »Thanks, Bill!« 334

 


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