Bernhard Kellermann
Der Tunnel
Bernhard Kellermann

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2.

Das ist Mac Allan!« sagte Hobby, indem er Allan auf die Schulter klopfte.

Lloyd saß zusammengekauert mit gesenktem Kopf in der halbdunklen Loge, von der aus man einen blendenden Ausschnitt des Logenringes voll lächelnder, schwätzender Damen und Herren überblicken konnte. Er sah nicht auf und es schien, als habe er nicht gehört. Nach einer Weile aber sagte er bedächtig und trocken, mit heiseren Nebengeräuschen in der Stimme: »Ich freue mich aufrichtig, Sie zu sehen, Herr Allan! Ich habe mich eingehend mit Ihrem Projekt beschäftigt. Es ist kühn, es ist groß, es ist möglich! Was ich tun kann, das wird geschehen!« Und in diesem Moment streckte er Allan die Hand hin, eine kurze, viereckige Hand, lasch und müde und seidenweich, und wandte ihm das Gesicht zu.

Allan war von Hobby auf diesen Anblick vorbereitet worden, aber er mußte sich trotzdem zusammennehmen, um das Grauen zu verbergen, das ihm Lloyds Gesicht einflößte.

Lloyds Gesicht erinnerte an eine Bulldogge. Die unteren Zähne standen ein wenig vor, die Nasenlöcher waren runde Löcher und die tränenden, entzündeten kleinen Augen standen wie schräge Schlitze in dem braunen, ausgetrockneten und bewegungslosen Gesicht. Der Kopf war vollkommen haarlos. Eine ekelhafte Flechte hatte Lloyds Hals, Gesicht und Kopf zernagt und ausgetrocknet und die tabakbraune Haut und die eingeschrumpften Muskeln über die Knochen gespannt. Die Wirkung von Lloyds Gesicht war fürchterlich, sie ging vom Erbleichen bis zur Ohnmacht und nur starke Nerven vermochten den Anblick ohne Erschütterung zu ertragen. Lloyds Gesicht war der tragikomischen Larve einer 31 Bulldogge ähnlich und verbreitete gleichzeitig den Schrecken eines lebendigen Totenkopfes. Es erinnerte Allan an Indianermumien, auf die sie bei einem Bahnbau in Bolivia gestoßen waren. Diese Mumien hockten in viereckigen Kisten. Ihre Köpfe waren eingetrocknet, die Gebisse erhalten, hinter den verschrumpften Lippen grinsend, die Augen mit Hilfe von weißen und dunklen Steinen grauenhaft natürlich nachgeahmt.

Lloyd, der die Wirkung seines Gesichtes recht gut kannte, war zufrieden mit dem Eindruck, den es auf Allan machte, und orientierte sich mit seinen kleinen feuchten Augen in Allans Zügen.

»In der Tat,« wiederholte er dann, »Ihr Projekt ist das kühnste, von dem ich je hörte – und es ist möglich!«

Allan verbeugte sich und sagte, er freue sich, Herrn Lloyds Interesse für sein Projekt erweckt zu haben. Der Augenblick war entscheidend für sein Leben, und doch war er – zu seinem eigenen Erstaunen – vollkommen ruhig. Noch beim Eintreten erregt, war er nun imstande, Lloyds kurze, präzise Fragen klar und sachlich zu beantworten. Er fühlte sich diesem Mann gegenüber, dessen Aussehen, Karriere und Reichtum tausend andere verwirrt haben würde, augenblicklich sicher, ohne daß er einen bestimmten Grund dafür hätte angeben können.

»Sind Ihre Vorbereitungen so weit gediehen, daß Sie morgen mit dem Projekt vor die Öffentlichkeit treten können?« fragte Lloyd zuletzt.

»Ich brauche noch drei Monate.«

»So verlieren Sie keinen Augenblick!« schloß Lloyd in bestimmtem Ton. »Im übrigen verfügen Sie ganz über mich.« Hierauf zupfte er ein wenig an Allans Ärmel und deutete auf seine Tochter.

»Das ist Ethel Lloyd,« sagte er. 32

Allan wandte Ethel, die ihn während des ganzen Gespräches betrachtet hatte, den Blick zu und grüßte.

»How do you do, Mr. Allan?« sagte Ethel lebhaft und reichte Allan mit der ganzen Natürlichkeit und Freimut ihrer Rasse die Hand, wobei sie ihm offen ins Gesicht blickte. »Das also ist er!« fügte sie nach einer kurzen Pause mit feinem, ein wenig schalkhaftem Lächeln hinzu, hinter dem sie ihr Interesse für seine Person zu verbergen suchte.

Allan verbeugte sich und wurde verwirrt, denn mit jungen Damen wußte er gar nichts anzufangen.

Es fiel ihm auf, daß Ethel übermäßig stark gepudert war. Sie erinnerte ihn an ein Pastellgemälde, so zart und weich waren ihre Farben, das Blond ihrer Haare, das Blau ihrer Augen und das seine Rot ihres jungen Mundes. Sie hatte ihn wie eine große Dame begrüßt und doch klang aus ihrer Stimme etwas Kindliches, als sei sie nicht neunzehn (das wußte er von Hobby), sondern zwölf Jahre alt.

Allan murmelte eine Höflichkeitsphrase; ein leicht verlegenes Lächeln blieb auf seinem Munde stehen.

Ethel betrachtete ihn immer noch aufmerksam, halb wie eine einflußreiche Dame, deren Interesse eine Huld ist, und halb wie ein neugieriges Kind.

Ethel Lloyd war eine typisch amerikanische Schönheit. Sie war schlank, geschmeidig und dabei doch weiblich. Ihr reiches Haar war von jenem seltenen zarten Goldblond, das die Damen, die es nicht besitzen, stets für gefärbt erklären. Sie hatte auffallend lange Wimpern, in denen Spuren von Puder haften geblieben waren. Ihre Augen waren dunkelblau und klar, erschienen aber infolge der langen Wimpern leicht verschleiert. Ihr Profil, ihre Stirn, das Ohr, der Nacken, alles war edel, rassig und wahrhaft schön. Aber auf ihrer rechten Wange zeigten sich schon die Spuren 33 jener entsetzlichen Krankheit, die ihren Vater verunstaltet hatte. Von ihrem Kinn aus zogen hellbraune, vom Puder fast zugedeckte Linien, wie Fasern eines Blattes, bis zur Höhe des Mundwinkels, einem blassen Muttermal ähnlich.

»Ich liebe es, mit meiner Tochter über Dinge zu plaudern, die mich lebhaft interessieren,« begann Lloyd wieder, »und so dürfen Sie es mir nicht übelnehmen, daß ich mit ihr über Ihr Projekt gesprochen habe. Sie ist verschwiegen.«

»Ja, ich bin verschwiegen!« versicherte Ethel lebhaft und nickte lächelnd mit dem schönen Kopf. »Wir haben stundenlang Ihre Pläne studiert und ich habe mit Papa so lange darüber geplaudert, bis er selbst ganz begeistert war. Und das ist er jetzt, nicht wahr, Papa? (Lloyds Maske blieb bewegungslos.) Papa verehrt Sie, Herr Allan! Sie müssen uns besuchen, wollen Sie?«

Ethels leicht verschleierter Blick haftete an Allans Augen und ein freimütiges junges Lächeln schwebte über ihren schöngeschwungenen Lippen.

»Sie sind in der Tat sehr liebenswürdig, Fräulein Lloyd!« erwiderte Allan mit einem leisen Lächeln über ihren Eifer und ihr munteres Geplauder.

Ethel gefiel sein Lächeln. Ganz ungeniert ließ sie den Blick auf seinen weißen starken Zähnen ruhen, dann öffnete sie die Lippen, um etwas hinzuzufügen, aber in diesem Augenblick setzte das Orchester rauschend ein. Sie berührte flüchtig das Knie ihres Vaters, um ihn um Entschuldigung zu bitten, daß sie noch spreche – Lloyd war ein großer Musikfreund – und flüsterte Allan wichtigtuerisch zu. »Sie haben eine Bundesgenossin an mir, Herr Allan! Ich gebe Ihnen die Versicherung, ich werde nicht erlauben, daß Papa seine Meinung ändert. Sie wissen, er tut das zuweilen. Ich werde ihn zwingen, daß er alles in Fluß bringt! Auf Wiedersehen!« 34

Mit einem höflichen, aber etwas gleichgültigen Kopfnicken, das Ethel einigermaßen enttäuschte, erwiderte Allan ihren Händedruck – und damit war das Gespräch zu Ende, das über das Werk seines Lebens und eine neue Epoche in den Beziehungen zwischen der Alten und Neuen Welt entschied.

Funkelnd und stark im Innern unter dem Anprall von Gedanken und Empfindungen, die dieser Sieg in ihm auslöste, verließ er mit Hobby die Loge Lloyds.

Vor der Türe stießen sie auf einen Mann von kaum zwanzig Jahren, der gerade noch Zeit gehabt hatte, zurückzutreten und sich aufzurichten, bevor er überrannt wurde. Offenbar hatte er versucht, an Lloyds Loge zu lauschen. Der junge Mann lächelte, womit er seine Schuld eingestand und um Entschuldigung bat. Er war ein Reporter des »Herald« und hatte den gesellschaftlichen Teil des Abends zu bearbeiten. Ungeniert vertrat er Hobby den Weg.

»Herr Hobby,« sagte er, »wer ist der Gentleman?«

Hobby blieb stehen und zwinkerte gut gelaunt. »Sie kennen ihn nicht?« fragte er. »Das ist Mac Allan, von den Allanschen Werkzeugstahlwerken, Buffalo, Erfinder des Diamantstahls Allanit, Championboxer von Green River und der erste Kopf der Welt.«

Der Journalist lachte laut heraus: »Sie vergessen Hobby, Herr Hobby!« erwiderte er, und indem er mit dem Kopf gegen Lloyds Loge deutete, fügte er flüsternd und ehrerbietig neugierig hinzu: »Gibt es etwas Neues, Herr Hobby?«

»Ja,« antwortete Hobby lachend und ging weiter. »Sie werden staunen! Wir bauen einen tausend Fuß hohen Galgen, an dem am 4. Juli alle Zeitungsschreiber New Yorks aufgehängt werden.«

Dieser Scherz Hobbys stand tatsächlich am nächsten Tag 35 in der Zeitung, zusammen mit einem (gefälschten) Porträt von Mr. Mac Allan, Erfinder des Diamantstahls Allanit, den C. H. L. (Charles Horace Lloyd) in seiner Loge empfing, um mit ihm über eine Millionengründung zu verhandeln.

 


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