Bernhard Kellermann
Der Tunnel
Bernhard Kellermann

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3.

Das aber war nicht alles. Tausend Dinge mußten vorgesehen werden! Sobald die amerikanischen Stollen mit den Stollen zusammenstießen, die sich von den Bermudas aus durch den Gneis fraßen, mußte die ganze Strecke betriebsfähig sein.

Allans Pläne lagen seit Jahren bis auf die letzten Kleinigkeiten fertig vor.

Von zwanzig zu zwanzig Kilometern ließ er kleine Stationen in den Berg schlagen, in denen die Streckenwärter hausen sollten. Alle sechzig Kilometer plante er größere Stationen und alle zweihundertvierzig Kilometer große Stationen. All diese Stationen waren Depots für Reserveakkumulatoren, Maschinen und Nahrungsmittel. Die größeren und großen Stationen sollten Transformatoren, Hochvoltstationen, Kühl- und Luftmaschinen aufnehmen. Es waren ferner Seitenstollen nötig, in denen abgeleitete Züge Platz fanden.

Für alle diese Arbeiten waren verschiedene Arbeiterbataillone ausgebildet worden und all diese Horden fraßen sich in den Berg und schlugen Lawinen von Gestein heraus.

Wie ein Vulkan in höchster Raserei spien die Tunnelmündungen Tag und Nacht Gestein aus. Unaufhörlich, dicht hintereinander flogen die vollen Züge aus den gähnenden Toren hervor. Mit einer Leichtigkeit, die das Auge entzückte, nahmen sie die Steigung, um oben angelangt einen Augenblick zu halten. Was aber nur Gestein und Schutt schien, das bewegte sich plötzlich auf den Waggons und geschwärzte beschmutzte, unkenntliche Gestalten sprangen herab. Der Gesteinszug aber wand sich über hundert Weichen und schoß davon. Er fuhr in einem großen Bogen durch »Mac City« (wie die Tunnelstadt in New Jersey allgemein hieß), bis 148 er auf eins der hundert Geleise am Meer einlenkte, wo er entladen wurde. Hier am Meer waren sie alle laut und heiter, denn sie hatten die »leichte Woche«.

Mac Allan hatte zweihundert Doppelkilometer Gestein herausgeschafft, genug um eine Mauer von New York nach Buffalo zu bauen. Er besaß den größten Steinbruch der Welt; aber er verschwendete keine Schaufel voll. Er hatte das ganze ungeheure Gelände zweckmäßig nivelliert. Er hatte das Gestade, das mählich abfiel, geebnet und das seichte Meer kilometerweit hinausgedrängt. Dort draußen aber, wo das Meer schon tiefer war, versanken täglich Tausende von Waggonladungen Gestein im Meer und langsam schob sich ein ungeheurer Damm ins Meer hinaus. Das war einer der Kaie von Allans Hafen, der die Welt auf dem Plan der Zukunftsstadt so verblüfft hatte. Zwei Meilen entfernt davon bauten seine Ingenieure den größten und gleichmäßigsten Badestrand, den irgendein Ort der Welt besaß. Hier sollten riesige Badehotels errichtet werden.

Mac City selbst aber sah aus wie ein ungeheures Schuttfeld, auf dem kein Baum, kein Strauch wuchs, kein Tier, kein Vogel lebte. Es flimmerte in der Sonne, daß die Augen schmerzten. Weithin war diese Wüste mit Geleisen bedeckt, übersponnen mit fächerförmig sich nach beiden Seiten ausbreitenden Geleisen, den magnetischen Figuren ähnlich, zu denen sich Eisenfeilstaub bei den Polen eines Magnets ordnet. Überall schossen Züge dahin, elektrische, Dampfzüge, überall qualmten Lokomotiven, heulte, schellte, pfiff und klingelte es. Draußen im provisorischen Hafen Allans lagen Scharen von qualmenden Dampfern und hohen Seglern, die Eisen, Holz, Zement, Getreide, Vieh, Nahrungsmittel aller Art von Chikago, Montreal, Portland, Newport, Charleston, Savanah, New Orleans, Galveston hierhergebracht 149 hatten. Und im Nordosten stand eine dicke Mauer von Rauch, undurchdringlich: der Materialbahnhof.

Die Baracken waren verschwunden. Auf den Terrassen des Trasseneinschnittes blitzten Glasdächer: Maschinenhallen, Kraftstationen, an die turmhohe Bureaugebäude stießen. Mitten in der Steinwüste erhob sich ein zwanzigstöckiges Hotel: »Atlantic-Tunnel«. Es war kalkweiß, nagelneu und diente als Absteigequartier für die Scharen von Ingenieuren, Agenten, Vertretern großer Firmen, und für Tausende von Neugierigen, die jeden Sonntag von New York herüberkamen.

Gegenüber hatte Wannamaker ein vorläufig zwölf Stockwerke hohes Warenhaus errichtet. Breite Straßen, vollkommen fertig, liefen schnurgerade durch das Schuttfeld, Brücken spannten sich über den Trasseneinschnitt. An der Peripherie der Steinwüste aber lagen freundliche Arbeiterstädte mit Schulen, Kirchen, Spielplätzen, mit Bars und Saloons, die von ehemaligen Preisboxern oder Rennfahrern geleitet wurden. Fernab, in einem Walde kleiner Zwergföhren, stand einsam, vergessen und tot ein Gebäude, das einer Synagoge ähnlich sah: ein Krematorium mit langen leeren Kreuzgängen. Nur ein Gang enthielt schon Urnen. Und sie alle trugen die gleiche Inschrift unter den englischen, französischen, russischen, deutschen, italienischen, chinesischen Namen: Verunglückt beim Bau des Atlantic-Tunnels – beim Sprengen – verschüttet – von einem Zug überfahren: wie die Inschriften gefallener Krieger.

Nahe am Meere lagen die weißen neuen Hospitäler, nach modernsten Prinzipien erbaut. Hier unten, etwas abseits, stand in einem frischangelegten Garten eine neue Villa: Mauds Haus. 150

 


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