Bernhard Kellermann
Der Tunnel
Bernhard Kellermann

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8.

Wo ist Mac?« fragte Hobby.

Maud hielt im Schaukeln inne.

»Laß sehen! – In Montreal, Hobby.«

Es ist Abend und sie sitzen beide auf der Veranda im ersten Stock des Hauses, die auf das Meer hinausgeht. Der Garten liegt schweigend unter ihnen im Dunkel. Die müde Dünung des Meeres rauscht und zischt gleichmäßig, und fern braust und klingt die Arbeit. Sie haben vor Tisch vier Games Tennis geklopft, zu Abend gegessen und nun ruhen sie noch ein Stündchen aus. Das Haus liegt ganz ruhig und dunkel.

Hobby gähnt müde und klopft sich dabei auf den Mund. Das gleichmäßig feine Zischen des Meeres schläfert ihn ein.

Maud aber saß und schaukelte sich und ihre Augen waren ganz wach.

Sie betrachtete Hobby. In seiner hellen Kleidung, mit seinen lichtblonden Haaren, sah er in der Dunkelheit fast weiß aus, und nur sein Gesicht und sein Schlips waren dunkel. Wie ein Negativ. Maud lächelte, denn sie erinnerte sich an die Geschichte, die ihr Hobby beim Essen erzählte – eine Geschichte von einer der »Nichten« S. Woolfs, die S. Woolf verklagte, weil er sie auf die Straße setzte. Von der Geschichte kam sie aber sofort wieder auf Hobby selbst zurück. Er gefiel ihr. Selbst seine Albernheiten gefielen ihr. Sie waren die besten Kameraden, hatten keine Geheimnisse vor einander. Zuweilen wollte er ihr sogar Dinge erzählen, die sie gar nicht wissen wollte und sie mußte ihn bitten, den Mund zu halten. Hobby und Edith waren so herzlich und vertraut miteinander wie Vater und Kind. Und oft sah es aus, als ob Hobby der Herr des Hauses wäre.

»Hobby könnte ebensogut mein Mann sein wie Mac,« dachte Maud und fühlte, wie sie heiß und rot wurde. 176

In diesem Augenblick lachte Hobby leise vor sich hin.

»Warum lachst du, Hobby?«

Hobby dehnte sich, daß der Sessel knirschte.

»Ich habe eben gedacht, wie ich die nächsten sieben Wochen leben werde.«

»Hast du wieder verloren?«

»Ja. Wenn ich full hand in der Hand habe, so werde ich doch halten? Ich habe sechstausend Dollar verpulvert. Vanderstyfft gewinnt, die reichen Kerle gewinnen immer.«

Maud lachte.

»Du brauchst ja nur ein Wort zu Mac zu sagen.«

»Ja, ja, ja –« erwiderte Hobby und gähnte wieder und klopfte sich auf den Mund. »So geht es, wenn man ein fool ist!«

Und beide hingen wieder ihren Gedanken nach. Maud hatte einen Trick ersonnen, wie sie mit dem Schaukelstuhl vorwärts und rückwärts wandern konnte, während sie schaukelte. Bald war sie einen Schritt näher, bald einen Schritt ferner. Und immer behielt sie Hobby im Auge.

Ihr Herz war voller Verwirrung, Resignation und Verlangen.

Hobby hatte die Augen geschlossen und Maud fragte plötzlich dicht neben ihm: »Frank, wie wäre es geworden, wenn ich dich geheiratet hätte?«

Hobby öffnete die Augen und war sofort ganz wach. Mauds Frage hatte ihn aufgeschreckt und der Klang seines Vornamens, mit dem ihn seit Jahren niemand mehr angesprochen hatte. Er erschrak, denn Mauds Gesicht war ganz nahe und doch war sie vor einem Augenblick noch zwei Schritt fern gewesen. Ihre weichen, kleinen Hände lagen auf der Lehne seines Stuhles.

»Wie kann ich das wissen?« entgegnete er unsicher und versuchte es mit einem leisen Lachen. 177

Mauds Augen standen dicht vor ihm. Ein goldener Glanz leuchtete warm und flehend aus ihrer Tiefe. Ihr Gesicht schimmerte bleich und schmal, wie vergrämt, aus dem dunkeln Scheitel.

»Warum habe ich dich nicht geheiratet, Frank?«

Hobby holte Atem. »Weil dir Mac besser gefiel,« sagte er nach einer Weile.

Maud nickte. »Wären wir zusammen glücklich geworden, Frank?«

Hobbys Verwirrtheit steigerte sich, zumal er sich nicht regen konnte, ohne Maud zu nahe zu kommen.

»Wer weiß es, Maud?« Hobby lächelte.

»Hast du mich früher wirklich geliebt, Frank, oder tatest du nur so?« flüsterte Maud.

»Ja, wirklich!«

»Wärst du glücklich mit mir geworden, Frank, glaubst du?«

»Ich glaube es.«

Maud nickte und ihre feinen Brauen zogen sich träumerisch in die Höhe. »Ja?« flüsterte sie, noch leiser, voller Glück und Weh.

Hobby ertrug die Situation nicht länger. Wie konnte es Maud nur in den Sinn kommen, an diese alten Dinge zu rühren? Er wollte ihr sagen, daß das alles Nonsens sei, er wollte einlenken. Ja, zum Teufel, Maud gefiel ihm immer noch und er hatte seinerzeit böse Tage gehabt . . .

»Und nun sind wir gute Freunde geworden, Maud, nicht wahr?« fragte er in so harmlosem alltäglichen Tonfall, als er es in diesem Augenblick vermochte.

Maud nickte, ganz unmerklich. Sie sah ihn immer noch an und so saßen sie eine, zwei Sekunden und sahen einander in die Augen. Plötzlich geschah es! Er hatte eine kleine Bewegung gemacht, weil er nicht länger stillhalten konnte 178 – ja, wie war es doch gekommen? –: ihre Lippen berührten sich wie von selbst.

Maud fuhr zurück. Sie stieß einen kleinen, erstickten Schrei aus, stand auf, stand eine Weile regungslos da und verschwand im Dunkel. Eine Türe ging.

Hobby kletterte langsam aus dem Korbsessel und sah mit einem verwirrten, geistesabwesenden Lächeln ins Dunkle hinein, während er noch Mauds Mund auf seinen Lippen fühlte, weich und warm, und seine Arme vor Müdigkeit abzufallen drohten.

Dann fand er sich zurecht. Er hörte plötzlich die Dünung wieder zischen und einen Zug in der Ferne klingeln. Er zog gedankenlos die Uhr und ging durch die dunklen Zimmer in den Garten hinunter.

»Nie wieder!« dachte er. »Stop, my boy! Maud wird mich sobald nicht wieder sehen.«

Er nahm den Hut vom Nagel, zündete sich mit zitternden Händen eine Zigarette an und verließ das Haus, immer noch erregt, beglückt, verwirrt.

»Ja, zum Teufel, wie kam es nur?« dachte er immer wieder und hielt den Schritt an.

Unterdessen saß Maud zusammengeduckt in ihrem dunklen Zimmer, die Hände im Schoß, blickte mit erschrockenen Augen vor sich auf den Boden und flüsterte: »Die Schande – die Schande – o Mac, Mac!« Und sie weinte still und zerknirscht. Nie mehr würde sie Mac in die Augen sehen können, nie mehr. Sie mußte es ihm sagen, sie mußte sich scheiden lassen, ja, das mußte sie! Und Edith? Sie konnte wirklich stolz auf ihre Mutter sein, in der Tat!

Sie erschrak. Hobby ging drunten. Er geht so leicht, dachte sie, sein Schritt ist so leicht. Ihr Herz pochte im Hals. Sollte sie aufstehen, rufen: »Hobby, komm –!« Ihr Gesicht glühte und sie rang die Hände. O Himmel, nein – 179 die Schande – was war über sie gekommen? Den ganzen Tag über hatte sie schon törichte Gedanken im Kopf gehabt und am Abend die Augen nicht von Hobby losreißen können und gedacht – ja, nun wollte sie schon ganz ehrlich sein! – wie es wäre, wenn er sie küßte . . .

Maud weinte noch im Bett vor Kummer und Reue. Dann wurde sie ruhiger und faßte sich. »Ich werde es Mac sagen, wenn er kommt, und ihn bitten, mir zu verzeihen, ihm schwören . . . Laß mich nicht so allein, Mac, werde ich sagen. Übrigens war es doch schön – Gott, Hobby erschrak bis ins tiefste Herz hinein. Schlafen, schlafen, schlafen!«

Am andern Morgen, als sie mit Edith zusammen badete, spürte sie nur noch einen kleinen Druck im Herzen, der auch blieb, wenn sie gar nicht an den gestrigen Abend dachte. Es würde alles wieder gut werden, gewiß. Es kam ihr vor, als habe sie Mac nie heißer geliebt. Aber er sollte sie nicht so vernachlässigen! Nur manchmal versank sie in Nachdenken und sah mit blickleeren Augen vor sich hin, von heißen, raschen, unruhigen Gedanken erfüllt. Wenn sie nun aber Hobby wirklich liebte . . .?

Hobby kam drei Tage nicht. Er arbeitete am Tage wie ein Teufel und abends war er in New York und spielte und trank Whisky. Er borgte sich viertausend Dollar und verlor sie bis auf den letzten Cent.

Am vierten Tag sandte ihm Maud eine Note, daß sie ihn bestimmt erwarte am Abend. Sie habe mit ihm zu reden.

Hobby kam. Maud errötete, als sie ihn sah, empfing ihn aber heiter und lachend.

»Wir wollen nie wieder eine solche Dummheit begehen, Hobby!« sagte sie. »Hörst du? O, ich habe mir solche Vorwürfe gemacht! Ich habe nicht geschlafen, Hobby. Nein, nie wieder. Ich bin ja schuldig, nicht du, ich lüge mich nicht an. Zuerst dachte ich, ich müsse es Mac beichten, nun aber 180 bin ich entschlossen, ihm nichts zu sagen. Oder meinst du, ich sollte?«

»Du kannst es ja gelegentlich tun, Maud. Oder ich –«

»Nein, du nicht, hörst du, Hobby! Ja, gelegentlich – du hast recht. Und nun wollen wir wieder die alten, guten Kameraden sein, Hobby!«

»All right!« sagte Hobby und nahm ihre Hand und dachte, wie hübsch ihr Haar glänze und wie hübsch ihr diese leichte Röte und Verwirrtheit stehe und wie gut und treu sie sei, und daß ihn dieser Kuß viertausend Dollar gekostet habe. Never mind!

»Die Balljungen sind da, willst du spielen?«

So waren sie wieder die alten Kameraden, und nur Maud konnte dann und wann nicht umhin, Hobby durch einen Blick daran zu erinnern, daß sie ein Geheimnis zusammen hätten. 181

 


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