Bernhard Kellermann
Der Tunnel
Bernhard Kellermann

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2.

Die kleine Grubenlokomotive aber rasselte mit den beladenen Hunden kilometerweit durch den Tunnel, bis dahin, wo die Eisenbahnwaggons standen, die die Hunde 143 an Kranen in die Höhe zogen und entleerten. Waren die Waggons gefüllt, so fuhren die Züge ab – in jeder Stunde ein Dutzend und mehr – und neue, mit Material und Menschen standen an ihrer Stelle.

Die amerikanischen Stollen waren gegen das Ende des zweiten Jahres fünfundneunzig Kilometer weit vorgetrieben worden und diese ganze mächtige Strecke entlang fieberte und tobte die Arbeit. Denn Allan peitschte unaufhörlich zur größten Kraftanspannung an, täglich, stündlich. Rücksichtslos verabschiedete er Ingenieure, die ihre geforderten Kubikmeter nicht bewältigen konnten, rücksichtslos entließ er Arbeiter, die den Atem verloren.

Wo noch die eisernen Hunde rasseln und der zerfetzte Stollen von Staub, Steinsplittern und einem donnernden Getöse erfüllt ist, sind Bataillone von Arbeitern beim Schein der Reflektoren beschäftigt, Balken und Pfosten und Bretter zu schleppen, um den Stollen gegen hereinbrechendes Gestein zu sichern. Eine Schar von Technikern legt die elektrischen Kabel und provisorischen Schläuche und Röhren für Wasser und zugepumpte Luft.

Bei den Zügen stürzen Horden von Menschen hin und her, um das Material abzuladen und über die Strecke zu verteilen, so daß man nur hinzugreifen hatte, wenn man es brauchte: Balken, Bretter, Klammern, Eisenträger, Schrauben, Röhren, Kabel, Bohrer, Sprenghülsen, Ketten, Schienen, Schwellen.

Von dreihundert zu dreihundert Metern aber wütet ein Trupp schmutziger Gestalten zwischen den Pfosten mit Bohrern gegen die Stollenwand. Sie sprengen und schlagen eine Nische so hoch wie ein Mann und sobald ein Zug gellend vorbeikommt, flüchten sie zwischen die Pfosten. Bald aber ist die Nische so tief, daß sie sich nicht mehr um die Züge zu kümmern brauchen, und nach einigen Tagen 144 klingt die Wand hohl, sie stürzt ein und sie stehen im Parallelstollen, wo die Züge vorbeifliegen wie drüben. Dann marschieren sie ihre dreihundert Meter weiter, um den neuen Querschlag in Angriff zu nehmen.

Diese Querschläge dienen zur Ventilation, zu hundert anderen Zwecken.

Ihnen auf den Fersen aber folgt ein Trupp, dessen Aufgabe darin besteht, diese schmalen Verbindungsgänge kunstgerecht auszumauern. Jahraus, jahrein tun sie nichts anderes. Nur jeden zwanzigsten Querstollen lassen sie stehen wie er ist.

Weiter, vorwärts!

Ein Zug rauscht heran und hält bei dem zwanzigsten Querschlag. Eine Schar geschwärzter Burschen springt von den Waggons, und Bohrer, Spitzhacken, Eisenträger, Zementsäcke, Schienen, Schwellen wandern über ihre Schultern blitzschnell in den Querstollen hinein, während hinten schon die Glocken der aufgehaltenen Züge ungeduldig gellen. Weiter! Die Züge rollen. Der Querstollen hat die geschwärzten Burschen verschluckt, die Bohrer schrillen, es knallt, das Gestein birst, der Stollen wird breiter und breiter, er steht schräg zu den Tunneltrassen, Eisen und Beton sind seine Wände, seine Decke, sein Boden. Ein Geleise führt durch ihn hindurch: eine Weiche.

Diese Weichen haben den ganz unschätzbaren Wert, daß man von sechs zu sechs Kilometern nach Belieben die ewig rollenden Material- und Gesteinszüge des einen Stollens auf den anderen überführen kann.

Auf diese höchst simple Weise ist eine Strecke von sechs Kilometern isoliert für den Ausbau.

Der sechs Kilometer lange Wald von Kronbalken, Pfosten Stempeln, Riegeln verwandelt sich in einen sechs Kilometer langen Wald aus Eisenrippen und Eisenfachwerk. 145

Wo es eine Hölle gibt, da gibt es auch ein Fegfeuer. Und wie es beim Tunnelbau »hellmen« gab, so gab es purgatorymen, denn diese Baustelle hieß purgatory.

Hier ist freie Bahn und ein Meer von Waggons wälzt sich in diesen Stollenabschnitt und Trauben von Menschen hängen an den Waggons. An hundert Orten zugleich beginnt die Schlacht: Kanonenschüsse, Hornsignale, das Blitzen der Scheinwerfer. Der Stollen wird zur erforderlichen Breite und Höhe ausgesprengt. Es dröhnt, wie wenn Geschosse in ein Panzerschiff einschlagen. Eisenträger und Schienen, die auf den Boden donnern. Mennigrotes Eisen überschwemmt den Stollen, Rippen, Platten, gewalzt in den Werken von Pennsylvania, Ohio, Oklahoma und Kentucky. Die alten Schienen werden aufgerissen, das Dynamit und Melinit schlitzt die Sohle auf, Pickel und Schaufeln wirbeln. Achtung! Es heult und keucht, verzerrte Mäuler, geschwollene Muskeln, zuckende Schläfenadern, wie Nattern geringelt, Leib hinter Leib: sie schleppen die Sohlenstücke heran, mächtige Doppel-T-Träger, die bestimmt sind, die Schiene der Tunnelzüge (denn die Tunnelbahn wird als Einschienenbahn gebaut) zu tragen. Rudel von Ingenieuren mit Meßinstrumenten und Apparaten liegen am Boden und arbeiten mit Anspannung all ihrer Nerven, während der Schweiß ihre halbnackten Körper mit Schmutzstreifen tigert. Das Sohlenstück, vier Meter lang, achtzig Zentimeter tief, an den Enden leicht aufwärts gebogen, wird in Beton gebettet. Wie der Kiel eines Schiffes gelegt wird, so reiht sich Sohlenstück an Sohlenstück und ein Betonstrom flutet ihnen nach, so daß sie darin versinken. Schwellen. Wie hundert Ameisen einen Strohhalm schleppen, so schleppen hundert keuchende Männer mit eingeknickten Knien die mächtigen, dreißig Meter langen Schienen heran, die auf den Schwellen befestigt werden. Hinter ihnen kriechen andere mit den schweren 146 Teilen der Rippen, die das ganze Tunneloval als Eisenfachwerk umschnüren sollen. Zusammengesetzt haben diese Rippen die Gestalt einer Ellipse, die an der Sohle etwas flach gedrückt ist. Vier Teile bilden eine Rippe: ein Sohlenstück, zwei Seitenstücke (die Widerlager) und ein Deckenstück, die Kappe. Diese Stücke sind aus zolldickem Eisen, und durch starkes Fachwerk untereinander verbunden. Die Nietmaschinen prasseln, der Stollen dröhnt. Rippe reiht sich an Rippe. Ein Gitterwerk von mennigrotem Eisen umschnürt den Stollen. Schon aber, da hinten, klettern die Maurer im Eisenfachwerk, um den Mantel des Tunnels auszumauern, einen meterdicken Panzer aus Eisenbeton, den kein Druck der Welt sprengen kann.

Zu beiden Seiten der mächtigen Schiene werden in angemessenem Abstand Röhren in allen Dimensionen gelegt, verschweißt, verschraubt. Röhren für Telephon- und Telegraphendrähte, für Stromkabel, ungeheure Röhren für Wasser, mächtige Röhren für die Luft, die die Maschinen draußen über Tag ohne Pause in die Stollen pressen sollen. Besondere Röhren für die pneumatische Expreßpost. Sand, Schotter bedeckt die Röhren; Schwellen und Schienen für die gewöhnlichen Materialzüge werden darüber gelegt, solide Geleise, die den Material- und Gesteinszügen erlauben, mit Schnellzugsgeschwindigkeit dahinzurasen.

Kaum haben sie da vorn die letzte Rippe genietet, so sind auch schon die Geleise für die Strecke von sechs Kilometern fertig. Die Züge werden hereingeleitet und fliegen dahin, während die Maurer noch im Eisenfachwerk hängen.

Dreißig Kilometer hinter dem Vortrieb, wo die Bohrmaschine donnerte, war der Stollen schon fertig ausgebaut. 147

 


 << zurück weiter >>