Gottfried Keller
Das Tagebuch und das Traumbuch
Gottfried Keller

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Den 14. August

Unter dem blauen Himmel herumgelaufen, herrliches Wetter, im Kaffeehause vegetiert, Zeitungen gelesen. Die vielen Berichte von Zensurgeschichten und Bücherkonfiskationen, alle die Wutanstrengungen der dunklen Brut haben mich baß aufgeregt und mit neuen Entschlüssen zum heißen Kampfe geschwängert.

Einige Verse gemacht unter dem Titel: »Die tausendjährige Feier der deutschen Unabhängigkeit« und das Sonett: »Der deutsche Befreiungskrieg«.

Börnes »Briefe« unter die Klauen gekriegt. Es ist eine verfluchte Plackerei für einen armen Teufel, der sich gern um allerlei Erscheinungen der Zeit und der Literatur bekümmern möchte, jahrelang von verschiedenen Dichtern und Skribenten schwatzen hört und dieselben nie zu lesen bekommt; warum? Weil er isoliert ist, weil kein Mensch weiß, daß er ein verkanntes, verflucht hoffnungsvolles Genie ist, und weil er lauter Plebs und Mistfinken in seiner Umgebung hat. Bücher kann er keine kaufen, höhere Bibliotheken stehen ihm keine offen, und wenn in der Leihbibliothek sich wunderbarerweise ein verdauliches Buch findet, so muß er monatelang warten, bis er's endlich einmal bekommt.

Wenn die große Befreiung realisiert würde und ich ein Steuermann derselben wäre, so würde ich zuerst die Leihbibliotheken alle verbrennen lassen, um sie neu herzustellen. Aller Schund von namenlosen oder sonst schlechten Romanen- und Dramaschreibern würde total zerstört und lauter gute Nahrung angeschafft. Ich würde das Volk zwingen, entweder etwas Gutes, Belehrendes, oder gar nichts zu lesen. Ich würde auch eine Zensur einführen; aber nur für geistlose und mittelmäßige Bücher. Welch ein Vorteil für die großen Talente. Wenn keine andern, als gute Bücher verkauft und gekauft werden könnten, wie herrlich würden sich das Volk und die Schreibenden stehen!

Ebenso würde ich's mit dem Theater halten. Alle Ritterschauspiele, alle Kotzebubereien, alle erbärmlichen Lustspiele abgeschafft. Lauter klassische Stücke dürften gegeben werden; entweder müßte das liebe Publikum zu Hause bleiben, oder etwas Gutes anhören und endlich angewöhnen und verstehen!


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